Bundesgerichtshof
Urt. v. 30.05.1958, Az.: VI ZR 139/57
Rechtsmittel
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 30.05.1958
- Aktenzeichen
- VI ZR 139/57
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1958, 14175
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- Oberlandesgerichts in Köln - 31.12.1956
Prozessführer
der Frau Hubertine G. in A., D. str. ...,
Prozessgegner
das Krankenhaus A.-F. GmbH in A., Al.str. ..., vertreten durch die Geschäftsführerin Katharina (genannt Schwester Oberin Th.) Ra. in K.-N., M.str. ...,
hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs auf die mündliche Verhandlung vom 30. Mai 1958 unter Mitwirkung des Senatspräsidenten Prof. Dr. Meiß und der Bundesrichter Dr. Kleinewefers, Dr. Engels, Dr. K.E. Meyer und Hanebeck
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Köln vom 31. Dezember 1956 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin war am 10. Juni 1952 gegen 7.30 Uhr auf der Straße gestürzt und hatte sich hierbei einem offenen Bruch des rechten Ringfingers zugezogen. Ihr Hausarzt überwies sie an das beklagte Krankenhaus, wo sie schon eine halbe Stunde nach dem Unfall eintraf, Dort wurde die Wunde genäht und ein Gipsverband angelegt. Anschließend schickte man die Klägerin zum Röntgeninstitut des Krankenkassenverbandes und bestellte sie mit der dort zu fertigenden Röntgenaufnahme auf den 13. Juni 1952 zur weiteren Behandlung, Wegen großer Schmerzen suchte die Klägerin das Krankenhaus jedoch bereits am 12. Juni 1952 wieder auf. Man zog darauf die Fäden und behandelte die Klägerin dann ambulant weiter. Am 21. Juli 1952 wurde die Klägerin in stationäre Behandlung aufgenommen und am 22. Juli 1952 amputierte der leitende Arzt der Chirurgischen Abteilung des beklagten Krankenhauses, Prof. Dr. S., den Ringfinger der Klägerin. Am 2. August 1952 wurde sie aus dem Krankenhaus entlassen und dann bis zum 19. September 1952 wieder ambulant behandelt. Die Klägerin entsprach nicht der Aufforderung zum nächsten Besuch, sondern begab sich, da sich der Zustand ihrer Hand immer mehr verschlechterte, in die Behandlung des praktischen Arztes Dr. Ne., der sie an die Städtischen Krankenanstalten in A. überwies. Dort wurde sie am 2. Oktober 1952 in stationäre Behandlung aufgenommen. In dem Aufnahmebefund der Städtischen Krankenanstalten ist u.a. festgestellt: "Der Kleinfinger ist ... völlig versteift und zeigt ausserdem im Mittelgelenk eine typische Luxationsstellung nach vorn. Die gesamte Hand bietet das typische Bild einer sehr schweren Sudeck'schen Distrophie". Die Klägerin wurde am 18. November 1952 aus den Städtischen Krankenanstalten entlassen. Der Zustand der Hand hatte sich wesentlich gebessert. Der Kleinfinger war jedoch völlig versteift und ist, wie schon bei der Entlassung vorgesehen, später, d.h. am 27. Januar 1953, ebenfalls amputiert worden.
Die Klägerin hat vorgetragen, der Verlust ihres Ringfingers und des kleinen Fingers sowie die Versteifung des Mittelfingers der rechten Hand seien auf unachtsame Behandlung durch Ärzte des beklagten Krankenhauses zurückzuführen. Prof. Dr. S. habe ihre Aufnahme in stationäre Behandlung sowie die Anfertigung einer weiteren Röntgenaufnahme abgelehnt und eine Luxation des kleinen Fingers übersehen. Die in den städtischen Krankenanstalten vorgenommene Behandlung habe sich für den Gesamtzustand ihrer Hand sofort auffällig ausgewirkt, während er sich bei dem beklagten Krankenhaus ständig verschlechtert habe. Als Schaden hat die Klägerin im einzelnen die Kosten für eine Haushaltshilfe, gewisse Mehrkosten im Haushalt, gelegentlichen Verdienstausfall als Weißnäherin geltend gemacht. Soweit der Anspruch wegen dieser Schäden ihrem Ehemann zustehen sollte, ist er von diesem abgetreten worden. Neben den mit 2.517 DM berechneten bisherigen Schäden hat die Klägerin die Feststellung verlangt, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihr auch allen weiteren Schaden zu ersetzen, sowie ein angemessenes vom Gericht zu bestimmendes Schmerzensgeld begehrt.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat vorgetragen, die Klägerin sei richtig behandelt worden. Irgendein ursächliches Verschulden ihrer Ärzte liege nicht vor. Es handele sich um einen schicksalhaften Geschehensablauf.
Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision, um deren Zurückweisung die Beklagte bittet, verfolgt die Klägerin ihre Ansprüche weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Der Revision ist zuzugeben, daß Beweiserbieten der Klägerin übergangen worden sind. Es handelt sich um Beweisthemen, von denen nicht auszuschließen ist, daß ihre Beantwortung auf die ärztlichen Gutachten und damit die richterliche Beurteilung von Einfluß sein kann. Diese Fragen müssen also gemäß § 286 ZPO geklärt werden.
Im einzelnen sind folgende Punkte besonders deutlich:
a)
Prof. Dr. H. erwähnt auf Seite 4 seines Gutachtens, über eine Gefühlsstörung im Sinne einer Durchblutungsstörung lägen weder schriftliche noch mündliche Aussagen der behandelnden Ärzte vor. Die Klägerin hatte aber insbesondere im Schriftsatz vom 11. Juni 1956 Seite 4, aber auch schon in der Klageanschrift Blatt 2 behauptet, daß der behandelnde Assistenzarzt der Beklagten, Dr. L., bereits am 12. Juni 1952, also zwei Tage nach dem Unfall, festgestellt hatte, der Finger sei abgestorben gewesen, er habe in den Finger mit einer Eadel hineingestochen und die Klägerin habe kein Gefühl gehabt. Diese Behauptung war im Schriftsatz vom 21. September 1954 unter Benennung von Zeugen substantiert worden. Nach Erstattung des Gutachtens Dr. B. hatte die Klägerin ebenfalls auf den erwähnten Umstand hingewiesen (Schriftsatz vom 4. Juli 1955). Auch in der Berufungsbegründung hatte die Klägerin auf die Unterlassung von Beweisermittlungenvor dem ärztlichen Gutachten hingewiesen. Aus dem dennoch ohne solche Beweiserhebung erstatteten Gutachten Prof. Dr. H., der das Fehlen von Gefühlsstörungen besonders anführt, muß entnommen werden, sein Gutachten könnte möglicherweise anders lauten, wenn der frühzeitige Eintritt von Gefühlsstörungen nachgewiesen wäre. Unter diesen Umständen konnte das Berufungsgericht, nicht einfach der Unterstellung des Sachverständigen folgen.
b)
Das Gleiche gilt von dem Satz Blatt 5 des Gutachtens Prof. Dr. H.: Angaben über Temperaturerhöhungen oder sonstige Phänomene lägen nicht vor. Auch hier hatte die Klägerin mehrfach das Gegenteil unter ausführlichen Beweiserbieten behauptet (Schriftsatz vom 1. September 1953 Bl. 22; Schriftsatz vom 4. Juli 1955 Bl. 77; vom 14. Oktober 1955 Bl. 103; der erwähnte Hinweis aus der Berufungsbegründung Bl. 133; Blatt 5 des Schriftsatzes vom 11. Juni 1956 nach dem Gutachten H. Bl. 180). Es ist also vom Gutachter und ihm folgend vom Gericht von einer Unterstellung ausgegangen worden, die der Gutachter augenscheinlich als wesentlich ansieht, bezüglich deren aber entgegengesetzten Beweisantritten nicht stattgegeben worden war.
c)
Die Klägerin hatte wiederholt behauptet, der leitende Arzt der Beklagten habe sie auf ihre mehrfachen Beschwerden hin immer als "sehr empfindsam" bezeichnet und deshalb es nicht für nötig angesehen, ihren Beschwerden usw. im einzelnen nachzugehen und sie objektiv zu untersuchen. Sie hat auch hierfür. Beweis erboten. Daß diese Behauptung auch ohne weiteren Beweis zutreffen kann, ergibt sich schon daraus, daß die Beklagte im Schriftsatz vom 15. September 1954 (Bl. 5) selbst vorträgt, die Klägerin sei außerordentlich empfindsam und habe nicht geübt. Es wäre zu erklären, wie die Beklagte, nachdem der Verlauf der Krankheit, der zur zweimaligen Amputation geführt hat, bekannt war, noch die früheren Beschwerden der Klägerin als subjektiv und nur aus ihrer Empfindsamkeit zu verstehen bezeichnen kann. Im Zusammenhang mit den vorher erwähnten Rügen kann es aber unter diesen Umständen nicht ungeklärt bleiben, ob die Klägerin tatsächlich in der ersten Behandlungsphase wegen ihrer subjektiven Beschwerden wie Gefühllosigkeit im Ringfinger und Fieber die Ärzte der Beklagten angesprochen hat, ohne daß dem nachgegangen wurde und ob etwa feststellbare Vorfälle dieser Art das Bild für einen Sachverständigen gegenüber der bisherigen Auffassung des Prof. Dr. Hackenbroch beeinflussen würden. Weiter ist beachtlich, daß die angeblich von der Klägerin vernachlässigten Übungen nach dem Gutachten Prof. H. Blatt 6 erst nach der Amputation des Ringfingers vorgeschrieben waren, diese also keinesfalls in irgendeinem Zusammenhang mit der angeblichen Nachlässigkeit der Klägerin stehen kann.
d)
An dieser Stelle ist bei der Bewertung des Gutachtens überhaupt gleichsam eine Zäsur vorzunehmen. Die bisher behandelten Fragen betreffen augenscheinlich nur Umstände, die im Zusammenhang mit der ersten Operation und den zu dieser führenden Erscheinungen standen. Wird, wie es für die Revisionsinstanz erforderlich ist, unterstellt, daß die Behauptungen der Klägerin zutreffen und daraufhin eine andere Beurteilung der einem Sachverständigen vorzulegenden Frage erfolgen würde, ob die Behandlung der Klägerin richtig gewesen ist, ob dies insbesondere zuträfe bei rechtzeitiger Berücksichtigung einer eingetretenen Gefühllosigkeit des Ringfingers, bei Feststellung einer erhöhten Temperatur, bei Erkenntnis, daß die Klägerin nicht empfindlich war, sondern objektiv berechtigte Beschwerden den Ärzten mitteilte, so könnte zunächst nur beantwortet werden, ob die Wegnahme des Ringfingers auch unter diesen Umständen hätte erfolgen müssen. Dann würde bezüglich der zweiten Operation eine ganz andere, bisher nicht behandelte Fragestellung je nach der Antwort des Sachverständigen auftauchen können, ob nämlich die weiteren Symptome, die bei der Aufnahme in die Städtischen Krankenanstalten vorlagen (Gutachten S. 7), also die Versteifung der anderen Finger, die Schwellung der Hand, die Sudeck'sche Dystrophie und die ausgeprägte reaktive Porosierung überhaupt bei Wegdenken der ersten Operation und der zu ihr führenden Umstände eingetreten wären oder ob dieser ganze Symptomenkomplex nur oder doch wahrscheinlich nur aufgetreten ist, weil die erste Operation erfolgt war und eine daraus sich ergebende besonders langwierige vorherige Unbeweglichkeit der Hand vorgelegen hatte.
II.
Schon wegen der mit der ersten Amputation verbundenen Frage ist also das Urteil des Berufungsgerichts aufzuheben. Im erneuten Verfahren wird zunächst festzustellen sein, ob die von der Klägerin behaupteten und im Sachverständigengutachten als nicht vorliegend unterstellten Umstände beweisbar sind. Bei der Tatsachenwürdigung wird das Berufungsgericht dem Umstand Gewicht beimessen können, daß die Beklagte bis in den Rechtsstreit hinein die Beschwerden der Klägerin aus ihrer Empfindsamkeit und nicht den objektiven Verhältnissen entstammend erklärt hat. Sollte das Berufungsgericht zu der Überzeugung gelangen, daß die Behauptungen der Klägerin zutreffen, so wäre zu klären, ob auch bei rechtzeitiger Erkenntnis der von der Klägerin behaupteten Symptome die Behandlung durch die Ärzte der Beklagten richtig war und insbesondere eine Amputation des Ringfingers hätte erfolgen müssen. Falls dies nicht so ist, wäre ebenfalls klarzustellen, ob bei Erhaltung dieses Fingers die Voraussetzungen für das Auftreten der Sudeck'schen Symptome und die Amputation des kleinen Fingers gleichermaßen vorgelegen hätten.
III.
Selbst wenn aber die vorstehenden Fragen entgegen dem Vortrag der Klägerin im Sinne der Beklagten beantwortet werden könnten, wäre damit noch nicht mit Gewißheit klargestellt, daß die Entscheidung des Berufungsgerichts zur Frage der zweiten Amputation zutrifft. Hier wäre nämlich noch eine Vortrage zu klären, ehe bei der vom Berufungsgericht angenommenen Unaufklärbarkeit des Kausalverlaufs die Beweislastverteilung erkennbar ist.
Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß ein Sudeck'sches Syndrom bereits vor dem 20. August 1952, also vor Beendigung der Behandlung in dem beklagten Krankenhaus vorhanden und erkennbar war. In dieser Beziehung stehen die Feststellungen in teilweisem Widerspruch mit dem Gutachten H., in dem zwar angenommen ist, daß der Beginn der Symptome bereits in die Behandlungsperiode bei der Beklagten zu verlegen sei, aber ausgeführt wird, es habe in der Sache selbst gelegen, daß zu Beginn der Entstehung des Syndroms dieses als solches nicht erkannt wurde. Das Berufungsgericht war aber zur Abweichung von der Beurteilung in diesem Punkte befugt, weil ihm - im Gegensatz zum Sachverständigen - die zwischenzeitlich eingeholten Aussagen der behandelnden Ärzte Dres. Ne. und Sorge vorlagen und es sich hier nicht um eine eigentlich ärztliche Frage, sondern um die Würdigung der Bekundungen zu einem Geschehensablauf handelte. Gerade dieser Punkt 3 zeigt übrigens mit besonderer Deutlichkeit, daß es hier nicht angängig war, zunächst die Gutachten einzuholen und danach erst die tatsächlichen Feststellungen zu treffen. Das Berufungsgericht kommt allerdings auf der folgenden beite zu der Folgerung, die Frage ob die Ärzte des behandelnden, Krankenhauses das Sudeck'sche Syndrom an der Hand der Klägerin hätten erkennen müssen, lasse sich nicht mit Sicherheit beantworten. Es ist nicht erkennbar, wie dies mit der vorher ausgedrückten Überzeugung des Berufungsgerichts vereinbart ist, die Erkrankung sei während der Behandlung in dem beklagten Krankenhaus erkennbar gewesen. Ausserdem ist es höchst bedenklich, daß das Berufungsgericht zu der fachwissenschaftlich umstrittenen Frage der Erkennbarkeit der Symtome aus sich - wenn auch auf Grund von Literaturnachweisen - Stellung genommen hat. Es ist nicht ersichtlich, woher es die notwendigen Kenntnisse gehabt hat.
Ein derartiges Verfahren ist unzulässig, wio sich aus den Entscheidungen des erkennenden Senats vom 14. April 1954 - VI ZR 41/53 = VersR 1954, 290 = LM § 286 (E) Nr. 6; und vom 22. Januar 1957 - VI ZR 336/55 = VersR 1957, 244 ergibt. Daran ändert es auch nichts, daß hier eine Sachverständigenbegutachtung vorausgegangen war; denn die Besonderheit des Falles liegt gerade darin, daß das Berufungsgericht erst Beweis nach dem Eingang des Gutachtens erhoben hat und dann über Fragen, bezüglich deren dem Sachverständigen weniger Material vorlag als ihm selbst, sich im rein medizinischen Arbeitsbereich eine eigene, nicht mehr durch ein Gutachten gestützte Meinung gebildet hat. Das mag zwar in gewissen Fällen nicht zu beanstanden sein, wie auch der Richter, namentlich bei mehreren sich widersprechenden Gutachten abschließend seine eigene Meinung finden muß. Will er es aber tun, ohne daß zu der betreffenden Frage überhaupt ein Gutachter gehört worden ist, so ist es im allgemeinen erforderlich, daß er auch dartut, wieso er die notwendige Fachkunde besitzt (erkennender Senat 14. April 1954 - VI ZR 41/53 - LM § 286 (E) ZPO Nr. 6). Hier lassen die Gründe des Urteils als wahrscheinlich erscheinen, daß dem Berufungsgericht die für die Entscheidung des Falles erforderliche Sachkunde gefehlt hat, weil schon die Sachaufklärung nicht ausreichend vorgenommen worden war.
Das Berufungsgericht hat irrigerweise angenommen, daß die oben aufgeworfene Frage auf sich beruhen könne, Eine Feststellung, daß bei rechtzeitiger Erkennung und richtiger Behandlung des Sudeck'schen Syndroms die Folgen nicht eingetreten wären, sei nicht möglich. Das Berufungsgericht wird der in einem solchen Falle vorzunehmenden Beweislastregelung nicht gerecht.
Das Berufungsgericht geht davon aus, daß die Symptome der Sudeck'schen Erkrankung erkennbar gewesen, aber nicht erkannt worden seien. Wenn das der Fall ist, kann man nur annehmen, daß das Berufungsgericht ein schuldhaftes Nichterkennen hat annehmen wollen. Denn das Nichterkennen einer erkennbaren Erkrankung und der für sie kennzeichnenden Symptome bedeutet immer, sofern nicht ganz besondere Umstände vorliegen, einen Schuldvorwurf. Daß die Klägerin im Krankheitsverlauf einen schweren Schaden durch die Amputation des kleinen Fingers und die Schwächung der gesamten Hand erlitten hat, ist unstreitig. Das Berufungsgericht vermißt nun den eindeutigen Nachweis der Kausalität der ersten für die zweite Tatsache. Hier liegt möglicherweise eine Verkennung der Beweislage vor. Wie der erkennende Senat im Urteil vom 21. Dezember 1955 VI ZR 127/55 = NJW 1956, 1835 = VersR 1956, 499 ausgeführt hat, sind dann, wenn ein Arzt einen Behandlungsfehler verschuldet hat, der nach medizinischer Erfahrung typischerweise auf Behandlungsfehler zurückzuführen ist, die Grundsätze des Anscheinsbeweises anzuwenden. Das Berufungsgericht hätte also, nachdem es die vorerwähnte Feststellung über die frühere Erkennbarkeit der Sudeck'schen Symptome getroffen hatte, der Frage nachgehen müssen, ob die späteren Folgeerscheinungen bei der Klägerin typische Schädigungen sind. Ist das der Fall, so bedarf es nicht des Nachweises durch die Klägerin, daß auch gerade in ihrem Falle eine kausale Verbindung zwischen dem Kunstfehler und der Schädigung vorgelegen habe. Vielmehr müßte die Beklagte den Anscheinsbeweis durch den Nachweis der ernsthaften Möglichkeit einer anderen Ursachenreihe entkräften. Dabei wird das Berufungsgericht die Entscheidung des erkennenden Senats (Urteil vom 10. Juli 1956 - VI ZR 199/55 = NJW 1956, 1638 = VersR 1956, 577), daß beim Anscheinsbeweis nicht nur von einem feststehenden Ereignis auf einen eingetretenen Erfolg, sondern auch umgekehrt von einem eingetretenen Erfolg auf ein bestimmtes Ereignis als Ursache geschlossen werden kann, zu beachten haben.
IV.
Die vorstehenden Ausführungen zum Anscheinsbeweis können sich aber auch auf die Präge der Notwendigkeit der ersten Amputation, also des Ringfingers, auswirken. Sollte in der Nichtfeststellung einer etwa vorhandenen Gefühlsunempfindlichkeit dieses Fingers und eines Fiebers ein ärztlicher Kunstfehler zu erblicken sein und eine spätere Amputation eine typische Folge eines solchen Fehlers sein, so brauchte die Klägerin nicht mehr konkret nachzuweisen, daß der Schaden auf das Verschulden zurückgeht Sofern unter diesen Umständen diese Amputation von der Beklagten zu verantworten wäre, kann sich dies auch auf die Präge auswirken, ob die spätere Amputation des kleinen Fingers zu Lasten der Beklagten geht. Ist nämlich die erste Amputation eine fehlerhafte Behandlung gewesen oder auf eine fehlerhafte Behandlung zurückzuführen und ist das Auftreten der Sudeck'schen Symptome eine typische Folge einer Amputation und der mit ihr verknüpften Lahmstellung der Hand, so hat die Klägerin auch gleichzeitig für die zweite Amputation den Anscheinsbeweis der ursächlichen Verknüpfung mit der ersten Fallbehandlung geführt. Daß, wenn dieser Beweis nicht geführt ist, immer noch die Möglichkeit der Haftung der Beklagten aus der zweiten Amputation wegen zu später Erkenntnis der Symptome besteht, ist unter III ausgeführt worden.
V.
Das Berufungsurteil war daher aufzuheben. In der neuen Verhandlung wird den Parteien und namentlich der Klägerin Gelegenheit gegeben sein, auf die sonstigen noch unerledigten Beweisanträge, auf die die Revision hingewiesen hat, zurückzukommen. Namentlich wird ihr unbenommen sein, die Beweisantritte auf Vernehmung der Ärzte Dr. Sch. und Dr. Ge., wonach diese sich bei der Untersuchung der Klägerin in den Städtischen Krankenanstalten scharf absprechend über die vorhergegangene Behandlung bei der Beklagten geäussert haben sollen, nicht auf die Tatsache der Äusserungen als solche zu begrenzen, sondern so, wie sie augenscheinlich gemeint sind und wie sie auch die Revision auslegt, als Beweisantritte für diejenigen Umstände zu gestalten, die angeblich diesen Ärzten bei der Untersuchung die abfällige Kritik nahegelegt haben. Die Klägerin wird weiterhin, falls die Prozeßlage dies ihr richtig erscheinen läßt, auch die Möglichkeit haben, ohne richterliche Fragestellung gemäß § 139 ZPO, dessen Verletzung die Revision zu diesem Punkt rügt, eindeutige Anträge zur etwa in Betracht kommenden persönlichen Anhörung der Sachverständigen gemäß § 411 ZPO zu stellen.