Bundesgerichtshof
Urt. v. 20.02.1958, Az.: III ZR 175/56
Rechtsmittel
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 20.02.1958
- Aktenzeichen
- III ZR 175/56
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1958, 13978
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Landshut
- Oberlandesgerichts München - 21.06.1956
Rechtsgrundlagen
- § 202 BGB
- Artikel 2 BayAG ZPOuKO
Fundstelle
- MDR 1958, 490 (Volltext mit amtl. LS)
Prozessführer
des Verkehrsunternehmers Kaspar W. in K., S. Straße ...,
Prozessgegner
den Freistaat Bayern, gesetzlich vertreten durch die Finanzmittelstelle Regensburg des Landes Bayern,
Amtlicher Leitsatz
Wenn die zuständige Verwaltungsbehörde ein Abhilfegesuch (Artikel 2 BayAG ZPOuKO) nicht alsbald sachlich bescheidet, sondern zunächst noch im Einverständnis mit dem Antragsteller Erhebungen zur Aufklärung des Sachverhalts anstellt, dann liegt in dieser Übereinkunft ein - befristetes - "pactum de non petendo", das eine Hemmung der Verjährung bewirkt.
hat der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs auf die mündliche Verhandlung vom 20. Februar 1958 unter Mitwirkung der Bundesrichter Dr. Pagendarm, Dr. Kreft, Dr. Arndt, Dr. Wolany und Dr. Beyer
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 21. Juni 1956 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Am 27. September 1951 erlitt ein Lastzug des Klägers auf der Bundesstraße 301 in der Nähe von Mainburg einen Unfall, indem er beim Ausweichen vor einem entgegenkommenden Fahrzeug von der festen Fahrbahn abkam, die Böschung hinunterrutschte und umkippte. Dabei wurden der Lastzug und seine Ladung beschädigt.
Der Kläger hat zunächst allein die Bundesrepublik auf Schadensersatz in Anspruch genommen und vor dem Landgericht beantragt, die Bundesrepublik zur Zahlung eines Teilbetrages von 10.100 DM des ihm angeblich in Höhe von rund 34.000 DM entstandenen Gesamtschadens zu verurteilen. Zur Begründung hat er insbesondere geltend gemacht, daß die Straße sich an der Unfallstelle in einem unbefahrbaren Zustand befunden habe; sie habe für den Verkehr gesperrt, zum mindesten hätten Warnschilder angebracht werden müssen.
Die Bundesrepublik hat vor dem Landgericht die Abweisung der Klage aus sachlichen Gründen erbeten, jedoch gegen ihre Passivlegitimation keine Einwendungen erhoben, vielmehr ausdrücklich erklärt, daß diese nicht bestritten werde.
Das Landgericht hat die Klage aus sachlichen Gründen abgewiesen.
In der Berufungsinstanz hat der Kläger die Klage auf 34.317,60 DM erhöht und diese erhöhte Klage mit Rücksicht auf die in BGHZ 16, 95 (= NJW 1955, 298) veröffentlichte Entscheidung des erkennenden Senats vom 30. Dezember 1954 mit einem am 8. Juli 1955 zugestellten Schriftsatz vom 5. Juli 1955 auch gegen den Freistaat Bayern - mit dessen und der Bundesrepublik Zustimmung - gerichtet.
Später hat er jedoch die Klage in Höhe eines Betrages von 23.317,60 DM in Richtung gegen beide Beklagte zurückgenommen und nur noch die gesamtschuldnerische Verurteilung der Bundesrepublik und des Freistaates Bayern zur Zahlung von 11.000 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 8. Juli 1955 beantragt. Die Bundesrepublik hat in der Berufungsinstanz u.a. ihre Passivlegitimation in Abrede gestellt, und der beklagte Freistaat Bayern hat u.a. die Einrede der Verjährung erhoben.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen, und zwar mit der Begründung, daß die Passivlegitimation der Bundesrepublik für die vom Kläger erhobenen Ansprüche nicht gegeben und die vom Freistaat Bayern erhobene Verjährungseinrede begründet sei.
Mit seiner Revision - zunächst gegen beide Beklagte gerichtet, jedoch in Richtung gegen die Bundesrepublik zurückgenommen - verfolgt der Kläger gegen den Freistaat Bayern seinen in der Berufungsinstanz zuletzt gestellten Klageantrag weiter. Der Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision, und zwar u.a. mit der Begründung, daß der Kläger nach dem Vortrag des Beklagten in der Berufungsinstanz seine Forderung abgetreten habe und deshalb zum Klage überhaupt nicht mehr befugt sei.
Entscheidungsgründe:
Der Revision ist darin beizupflichten, daß entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts eine Verjährung des Klageanspruchs gegenüber dem Freistaat Bayern nicht eingetreten ist.
Das Berufungsgericht meint, vom Inkrafttreten des Grundgesetzes an habe über die Haftung der Länder für die Verkehrssicherheit der Bundesstraßen kein Zweifel mehr bestehen können; umstritten sei nur noch die Frage gewesen, ob neben den Ländern auch noch der Bund hafte. Die Rechtslage sei mithin im Blick auf die Haftung des Freistaates Bayern für die vom Kläger erhobenen Ansprüche eindeutig gewesen, so daß kein Anlaß bestehe, "den Beginn der Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche gegen den Freistaat Bayern aus Verletzung der Verkehrssicherungspflicht in Bezug auf Bundesstraßen wegen Unsicherheit der Rechtslage hinauszuschieben". Demgegenüber ist die Revision der Auffassung, daß die Rechtsfrage, wer für die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht auf Bundesstraßen einzustehen habe, erst durch die Entscheidung des erkennenden Senats vom 30. Dezember 1954 in III ZR 162/53 (= BGHZ 16, 95) klargestellt worden sei und der Kläger mithin erst mit dem Bekanntwerden dieser Entscheidung in einer für den Beginn der Verjährungsfrist des § 852 BGB ausreichenden Weise "von der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt" habe. Einer abschließenden Stellungnahme zu dieser Frage bedarf es jedoch nicht, da sich - wie im einzelnen noch darzulegen sein wird - bereits aus anderen Erwägungen ergibt, daß die Verjährungsfrist bei Klageerhebung gegen den Freistaat Bayern (8. Juli 1955) noch nicht abgelaufen war.
Die Revision macht weiter geltend, daß das Berufungsgericht die Bedeutung des vom Kläger gestellten Abhilfegesuchs im Blick auf den Lauf der Verjährungsfrist nicht berücksichtigt habe.
In diesem Zusammenhang ging das übereinstimmende Vorbringen der Parteien, zu dem sie die inhaltlich im wesentlichen bereits in den Tatsacheninstanzen vorgetragenen Schriftstücke in der Revisionsinstanz noch überreicht haben, dahin: Der Kläger habe zunächst bei dem Straßen- und Flußbauamt Landshut mit Gesuch vom 12. Dezember 1951 Schadensersatzansprüche gegen den Bayerischen Staat geltend gemacht und um Stellungnahme dazu ersucht. Dieses Amt habe mit Schreiben vom 20. Dezember 1951 die Haftung für den Unfallschaden abgelehnt Daraufhin habe der Kläger sich mit seinem am 7. Januar 1952 eingegangenen Gesuch vom 2. Januar 1952 um Abhilfe, an die Regierung von Niederbayern gewandt. Diese habe zunächst am 18. Januar 1952 einen Zwischenbescheid dahin erteilt, daß Erhebungen eingeleitet worden seien und nach deren Abschluß wieder Mitteilung erfolgen werde, und habe auf Nachfrage des Klägers unter dem 10. April 1952 mitgeteilt, daß eine Stellungnahme erst nach Abschluß des gegen den Fahrer des Lastzuges eingeleiteten Strafverfahrens erfolgen könne. Nach Abschluß dieses Strafverfahrens im Mai 1952 habe der Kläger mit Schreiben vom 18. Juni 1952 nochmals erinnert, jedoch sei eine Stellungnahme der Regierung nicht erfolgt. Dazu hat der Beklagte im einzelnen noch - unbestritten - vorgetragen. Nach Abschluß des Strafverfahrens seien weitere Ermittlungen geführt worden. Noch vor deren Anschluß habe der Kläger jedoch - ohne dazu von Dienststellen des Freistaates Bauern veranlaßt worden zu sein - Klage gegen die Bundesrepublik erhoben.
Die Revision will daraus folgern: Mit der Einreichung des Abhilfegesuchs (Art. 2 BayAG ZPO u KO in Verbindung mit § § 8 ff der Verordnung vom 8. August 1950 - BayGVBl S. 115 -), mit dem die Erteilung einer "Vorentscheidung" im Sinne des § 210 BGB erbeten worden sei, sei dieser Vorschrift entsprechend die Verjährung unterbrochen worden. Da das Abhilfegesuch von der zuständigen Behörde sachlich noch nicht beschieden und mithin im Sinne des § 210 BGB noch nicht "erledigt" worden sei, habe die Unterbrechungswirkung auch bei Klageerhebung gegen den Beklagten noch fortbestanden. Auch dieser Frage braucht jedoch nicht weiter nachgegangen zu werden.
Entscheidend ist folgendes:
Die Regierung von Niederbayern hat das bei ihr am 7. Januar 1952 eingegangene Abhilfegesuch nicht alsbald sachlich beschieden, sondern dem Kläger zunächst mitgeteilt, daß Erhebungen eingeleitet worden seien und eine Stellungnahme zu dem Abhilfegesuch erst nach Abschluß dieser Erhebungen und nach Erledigung des gegen den Fahrer des Lastzuges eingeleiteten Strafverfahrens erfolgen könne (Schreiben vom 18. Januar 1952 und 10. April 1952). Der Kläger hat es bei diesen Erklärungen der Regierung bewenden lassen und sich damit begnügt; nach einiger Zeit nach dem Stand der Erhebungen anzufragen (Schreiben vom 26. März 1952), und hat auch dann, als die Regierung die ihr mit Schreiben des Klägers vom 18. Juni 1952 bis Ende Juni 1952 gesetzte Frist fruchtlos hatte verstreichen lassen, weiter zugewartet und dem Abschluß der Ermittlungen der Regierung und ihrer Stellungnahme entgegengesehen. Der Kläger und die Regierung von Niederbayern haben, sich sonach - das ergibt ihr aufgezeigtes Verhalten eindeutig - dahin verständigt, daß das Abhilfegesuch vorerst sachlich noch unbeschieden blieb, vielmehr die Regierung zunächst noch Ermittlungen anstellte. Der Kläger war mithin damit einverstanden, daß das Abhilfegesuch innerhalb der in Artikel 2 BayAG ZPOuKO dafür vorgesehenen Frist von sechs Wochen noch nicht sachlich erledigt, die sachliche Stellungnahme zu dem Gesuch vielmehr noch mit Rücksicht auf das gegen den Fahrer des Lastzuges eingeleitete Strafverfahren und die von der Regierung aufgenommenen eigenen Ermittlungen hinausgeschoben wurde und daß so lange auch die Inanspruchnahme des Bayerischen Staates auf Erfüllung seiner Ansprüche unterblieb. Waren aber die Beteiligten dahin übereingekommen, daß vorerst eine Inanspruchnahme des Bayerischen Staates auf Befriedigung der mit dem Abhilfegesuch geltend gemachten Ansprüche unterbleiben solle, dann hatte dieser - befristete - Verzicht auf die Geltendmachung des Anspruchs (pactum de non petendo) gemäß § 202 BGB eine Hemmung der Verjährungsfrist zur Folge. Die Dauer dieser die Hemmung dsr Verjährung bewirkenden Vereinbarung ist mindestens anzunehmen für die Zeit vom 18. Januar 1952 (Zwischenbescheid der Regierung von Niederbayern) bis zur Erhebung der Klage gegen die Bundesrepublik, die - frühestens - mit der Zustellung der Klageschrift an das Bundesverkehrsministerium (28. Oktober 1952) erfolgt ist. Es ergibt sich alsdann, daß die Verjährung des Ansprachs gegen den Beklagten noch nicht eingetreten ist:
Der Unfall hat sich am 27. September 1951 zugetragen, so daß seitdem bei Erhebung der Klage gegen den Bayerischen Staat (8. Juli 1955) 3 Jahre 9 Monate und 11 Tage verstrichen waren. Die Hemmung der Verjährung hat - mindestens - vom 18. Januar 1952 bis 28. Oktober 1952, mithin 9 Monate und 10 Tage gedauert. Die Klageerhebung wäre sonach, wenn die dreijährige Verjährungsfrist des § 852 BGB am Unfalltage begonnen hätte und die Unterbrechungswirkung der Klageerhebung erst am 8. Juli 1955 eingetreten sein würde, um einen Tag zu spät erfolgt. Tatsächlich ist das jedoch nicht der Fall. Einmal trat nach der Bestimmung des § 261 b Abs. 3 ZPO die Unterbrechungswirkung der Klageerhebung bereits mit der am 6. Juli 1955 erfolgten Einreichung des am 8. Juli 1955 zugestellten Schriftsatzes vom 5. Juli 1955 ein, da mit der Zustellung dieses Schriftsatzes die Verjährungsfrist unterbrochen werden sollte. Zum anderen hat auch die Verjährungsfrist am Unfalltage selbst noch nicht zu laufen begonnen, auch wenn man davon ausgeht, daß der Kläger noch an diesem Tage von dem Unfall Kenntnis erlangt hat. Nach § 852 BGB beginnt die Verjährung eines Schadensersatzanspruchs aus unerlaubter Handlung nicht bereits mit der Entstehung des Anspruchs, sondern erst in dem Zeitpunkt, in dem der Verletzte von dem Schaden und von der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt. Nag der Kläger auch unmittelbar nach dem Unfall den Schaden in seiner wesentlichen Gestaltung gekannt haben, so fehlte ihm doch die für den Beginn der Verjährungsfrist ausreichende Kenntnis von der Person des Ersatzpflichtigen. Wer für die Folgen eines auf den schlechten Zustand einer Bundesstraße zurückgeführten Unfalles einzustehen hat, war für den Kläger als Verkehrsunternehmer keinesfalls ohne weiteres klar und er war insoweit auf Rechtsrat angewiesen. Auch wenn man ihm für die Einholung desselben nur eine kurze, nach Tagen bemessene Frist zubilligt und weiter davon ausgeht, daß für einen Rechtskundigen die Rechtslage im Blick auf die Haftung des Bayerischen Staates eindeutig gewesen sei, dann erweist sich, daß unter Berücksichtigung der zeitweisen Hemmung der Verjährung die Klage gegen den Beklagten noch während des Laufs der Verjährungsfrist erhoben worden ist. Dies würde selbst dann gelten, wenn man annehmen wollte, daß die Hemmung der Verjährung noch nicht am 18. Januar 1952, sondern erst mit dem einige Tage später erfolgten Zugang des unter dem genannten Datum erfolgten Zwischenbescheides der Regierung von Niederbayern bei dem Bevollmächtigten des Klägers begonnen habe.
Nach alledem ist die Verjährungseinrede des Freistaates Bayern unbegründet, so daß der Frage, ob die Erhebung der Verjährungseinrede des Beklagten nicht auch mit Recht vom Kläger als arglistig angesehen wird, nicht weiter nachgegangen zu werden brauchte. Da der Sachverhalt - auch hinsichtlich der Sachbefugnis (Aktivlegitimation) des Klägers - für eine Sachentscheidung des Senats noch nicht genügend geklärt ist, mußte das Berufungsurteil daher aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
Die Kosten des Revisionsverfahrens waren bereits jetzt dem beklagten Freistaat Bayern aufzuerlegen. Denn selbst wenn der Kläger in der Hauptsache ganz oder teilweise unterliegen sollte, so müßten die Kosten des jetzigen Revisionsverfahrens doch dem Beklagten auferlegt werden, da sie allein durch die Erhebung der Verjährungseinrede entstanden sind (§ 96 ZPO).