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Bundesgerichtshof
Urt. v. 08.07.1955, Az.: I ZR 201/53

Rechtsmittel

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
08.07.1955
Aktenzeichen
I ZR 201/53
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1955, 13597
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hamburg
OLG Hamburg - 08.09.1953

Fundstellen

  • BGHZ 18, 98 - 107
  • DB 1955, 871 (Volltext mit amtl. LS)
  • JZ 1955, 680 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1955, 1513-1514 (Volltext mit amtl. LS) "Wegfall des Feststellungsinteresses in der Revisionsinstanz"

Prozessführer

des Robert M. R., H., B.,

Prozessgegner

die Firma K., K. & Co., H., M.strasse ...,

Amtlicher Leitsatz

  1. I.

    Die einjährige Verjährungsfrist des §423 HGB beginnt bei Teilverlust, mag dieser einzelne Stücke des eingelagerten Gutes oder Teile des eingelagerten Massengutes betreffen, erst mit der vollständigen Ablieferung des Gutes.

  2. II.

    Muss bei Berücksichtigung einer erst in der Revisionsinstanz eingetretenen Tatsache Urteil auf Prozeßabweisung (hier: wegen Wegfalls des Feststellungsinteresses) ergehen, so hat das Revisionsgericht die Prozeßabweisung selbst auszusprechen.

hat der Erste Zivilsenat des Bundesgerichtshofs auf die mündliche Verhandlung vom 24. Juni 1955 unter Mitwirkung der Bundesrichter Dr. h.c. Wilde, Dr. Nastelski, Dr. Christoph, Dr. Weiß und Dr. Nörr

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts zu Hamburg vom 8. September 1953 insoweit aufgehoben, als die Widerklage des Beklagten zu einem 3.924,10 DM übersteigenden Betrag abgewiesen und der Feststellungsklage der Klägerin stattgegeben wurde.

Die Feststellungsklage der Klägerin wird als unzulässig abgewiesen. Im übrigen wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung über die Widerklage des Beklagten, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

1

Der Beklagte hatte seit 1940 bei der Klägerin, die ein Speditions-, Möbeltransport- und Lagergeschäft betreibt, in deren Lagerhaus in Hamburg-Altona zahlreiche Möbel und Kisten mit Hausrat unter Zugrundelegung der Allgemeinen Lagerbedingungen des deutschen Möbeltransportes (ALB) eingelagert. Mit Schreiben vom 18. April 1948 zeigte die Klägerin dem Beklagten an, dass in der vergangenen Woche erneute schwere Beraubungen an dem Lagergut des Beklagten festgestellt worden seien. Wie die vom Beklagten durchgeführte Untersuchung ergab, waren 26 seiner eingelagerten Kisten ausgeraubt. Mit Schreiben vom 29. November 1948 gab der Beklagte auf Grund oberflächlicher Schätzung seinen Schaden mit mindestens 25.000 DM bekannt. Die Klägerin lehnte die Anerkennung ihrer Schadensersatzpflicht ab, während der Beklagte die Zahlung des Lagergeldes von monatlich 204 DM verweigerte.

2

Die Klägerin erhob im Februar 1949 Klage auf Zahlung des Lagergeldes ab Mai 1948. Nach wiederholter Klageerweiterung verlangte sie für die Zeit bis zum 31. März 1950 4.339,90 DM. Der Beklagte machte seine Schadensersatzansprüche teils durch Widerklage, teils durch Aufrechnung geltend. Mit der am 2. April 1949 erhobenen Widerklage verlangte er 3.924,10 DM, im Schriftsatz vom 16. März 1949 rechnete er mit 1.075,90 DM, im Schriftsatz vom 18. März 1950 mit 3.931,90 DM (hierin ist der Betrag von 1.075,90 DM enthalten) auf. Mit Urteil vom 13. April 1950 hat das Landgericht in Hamburg wegen vertraglichen Ausschlusses der Aufrechnung den Beklagten zur Zahlung vom 4.339,90 DM verurteilt und die Widerklage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die von der Klägerin eingelegte Berufung hat das Oberlandesgericht am 19. September 1950 zurückgewiesen und den Rechtsstreit zur Entscheidung über die Höhe des Widerklageanspruches an das Landgericht zurückverwiesen. Die Revision der Klägerin gegen dieses Urteil wurde zurückgenommen.

3

Im weiteren Verlauf des Rechtsstreits rechnete die Klägerin mit ihrem weiteren Lagergeldanspruch für die Zeit vom 1. April 1950 bis 31. März 1951 in Höhe von 2.448 DM vorsorglich auf und beantragte Verurteilung des Beklagten zur Zahlung des Lagergeldanspruches für die Zeit vom 1. April 1951 bis 31. Oktober 1951 im Betrag von 1.428 DM. Weiter verlangte sie klageweise das Lagergeld für November und Dezember 1951 in Höhe von 408 DM und rechnete vorsorglich mit diesem Betrag auch auf. Mit Teilurteil vom 15. Januar 1952 hat das Landgericht den Beklagten zur Zahlung der weiteren 1.428 DM + 408 = 1.836 DM verurteilt.

4

Der Beklagte erhöhte am 18. Dezember 1951 die Widerklage auf 10.000 DM und am 20. Mai 1952 auf 15.000 DM.

5

Die Klägerin hat ausserdem die Feststellung beantragt, dass dem Beklagten über die Widerklage hinaus keine weiteren Ansprüche zuständen.

6

Durch Schlussurteil vom 11. November 1952, berichtigt durch Beschluss vom 21. Juli 1953, hat das Landgericht auf die Widerklage die Klägerin zur Zahlung von 10.512 DM verurteilt und den weitergehenden Widerklageantrag des Beklagten ebenso wie die Feststellungsklage der Klägerin abgewiesen.

7

Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht die Widerklage des Beklagten in vollem Umfang abgewiesen und nach dem Feststellungsantrag der Klägerin erkannt. Das Oberlandesgericht hat dabei die Widerklage des Beklagten in Höhe von 3.924,10 DM an sich für gerechtfertigt, aber den Betrag durch die von der Klägerin erklärte Aufrechnung als getilgt angenommen; die etwaige weitere Schadensersatzforderung des Beklagten hat es als verjährt angesehen.

8

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Beklagten, die die Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts vom 11. November 1952 erstrebt. Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe:

9

I.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Schadensersatzforderung des Beklagten sei, soweit sie den mit der Widerklage geltend gemachten Betrag von 3.924,10 DM übersteige, verjährt, gleichgültig, ob für den Anspruch die halbjährige Verjährungsfrist des §64 der Allgemeinen deutschen Spediteurbedingungen (ADSp) oder die einjährige Verjährungsfrist der §§423, 414 HGB oder die dreijährige Verjährungsfrist des §852 BGB gelte.

10

1.

Zutreffend weist die Revision darauf hin, daß eine Anwendung des §64 ADSp ausscheide. Wie der Senat bereits in dem Urteil vom 3. Februar 1953 (BGHZ 9, 1 [BGH 03.02.1953 - I ZR 61/52] [3, 6]) ausgeführt hat, bedarf es stets einer Unterwerfung beider Vertragsparteien unter die ADSp, die freilich auch stillschweigend erfolgen kann. Eine stillschweigende Unterwerfungserklärung des Auftraggebers kann jedoch nur angenommen werden, wenn er wusste oder wissen musste, dass der Spediteur seinen Geschäften die ADSp zugrunde zu legen pflege. Die Parteien haben unstreitig die ALB ihren Vertragsbeziehungen zugrunde gelegt. Diese enthalten keine Bestimmung darüber, dass für die Vertragsbeziehungen der Parteien daneben auch die ADSp gelten sollen. Vielmehr ist in den Eingangsbestimmungen der ALB ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese Bedingungen "in Ergänzung der gesetzlichen Bestimmungen" gelten. Da die ADSp keine gesetzlichen Bestimmungen sind, muss in diesem Hinweis sogar ein vertraglicher Ausschluß der Geltung der ADSp gesehen werden, der auch dann Platz greift, wenn sonst die Voraussetzungen für die Annahme eines stillschweigenden Unterwerfungswillens unter die ADSp gegeben wären. Im übrigen können, wie der erkennende Senat im Urteil vom 28. April 1953 - I ZR 47/52 - S. 10 (in BGHZ 9, 301 insoweit nicht abgedruckt, wohl aber teilweise in BB 1953, 514) ausgeführt hat, die ALB und die ADSp wegen ihres verschiedenen Inhalts nicht nebeneinander angewendet werden.

11

2.

Für die Verjährung des Schadensersatzanspruches des Beklagten ist, soweit der Anspruch auf Vertrag gestützt ist, demnach §423 HGB maßgebend. Nach Satz 1 dieser Vorschrift finden auf die Verjährung der Ansprüche gegen den Lagerhalter wegen Verlustes, Minderung oder Beschädigung des Gutes die für das Speditionsgeschäft geltenden Vorschriften des §414 HGB entsprechende Anwendung. Für Ansprüche gegen den Spediteur beträgt die Verjährungsfrist ein Jahr. Sie beginnt im Falle der Hinderung mit Ablauf des Tages, an welchem die Ablieferung stattgefunden hat, im Falle des Verlustes mit dem Ablauf des Tages, an welchem die Ablieferung hätte bewirkt werden müssen. Abweichend hiervon bestimmt §423 Satz 2 HGB für den Lagervertrag, dass im Falle des gänzlichen Verlustes die Verjährung mit dem Ablauf des Tages beginnt, an welchem der Lagerhalter dem Einlagerer Anzeige von dem Verlust macht.

12

Das Berufungsgericht ist der Meinung, die Entscheidung der Frage des Beginns der Verjährung hänge davon ab, ob die Beraubung der 26 Kisten, die nur einen Teil des eingelagerten Gutes, und zwar noch nicht einmal einen sehr grossen Teil darstellten, als Minderung oder als gänzlicher Verlust anzusehen sei; es entscheidet die Frage in dem letzteren Sinne.

13

Die Revision hält diese Auffassung für rechtsirrig, da nur dann ein "gänzlicher Verlust" vorliege, wenn das gesamte eingelagerte Gut verloren gegangen sei.

14

Der Senat teilt die Rechtsauffassung der Revision.

15

Eine Verjährungsfrist von einem Jahr wegen gänzlichen oder teilweisen Verlustes des Gutes ist vorgeschrieben beim Speditionsgeschäft (§414 HGB), Lagergeschäft (§423 HGB), Landfrachtgeschäft (§439 HGB), Eisenbahnfrachtgeschäft (EVO §94), Binnenschiffahrtsfrachtgeschäft (BinnSchiffG §26) und im Seefrachtgeschäft (HGB §§754 Nr. 7, 901). Bereits das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch (Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes 1869, 404) hatte in Art. 386 Abs. 2 vorgesehen, dass die einjährige Verjährungsfrist bei Klage gegen den Spediteur (ähnlich gegen den Frachtführer, Art. 408 Abs. 2) "wegen gänzlichen Verlustes mit dem Ablauf des Tages beginnt, an welchem die Ablieferung hätte bewirkt sein müssen; in Ansehung der Klage wegen Verminderung, Beschädigung oder verspäteter Ablieferung mit dem Ablauf des Tages, an welchem die Ablieferung geschehen ist". Da ein teilweiser Verlust nicht ein gänzlicher Verlust, wohl aber eine Verminderung des Gutes ist, war demnach gemäss den damaligen Bestimmungen bei Teilverlust die Ablieferung des Gutes für den Verjährungsbeginn maßgebend. Wie die Denkschrift zum Entwurf des Handelsgesetzbuches (abgedruckt bei Mugdan, Die gesamten Materialien zu den Reichsjustizgesetzen, Bd. 6 S. 394) ergibt, bedeutete es keine sachliche Änderung, dass in §406 des Entwurfs (jetzt §414 HGB) die Worte "gänzlicher Verlust" durch "Verlust" und das Wort "Verminderung" durch "Minderung" ersetzt wurden. In der Denkschrift ist ausgeführt:

"Die Vorschriften des Entwurfs über den Beginn der einjährigen Verjährung weichen insofern vom (Allgemeinen) HGB ab, als die Verjährung bei den Ansprüchen wegen verspäteter Ablieferung nicht mehr, wie bei den Ansprüchen wegen Minderung oder Beschädigung, mit dem Ablauf des Tages, an welchem die Ablieferung erfolgt ist, sondern, wie bei den Ansprüchen wegen gänzlichen Verlustes, mit dem Ablauf des Tages, an welchem sie hätte erfolgt sein müssen, beginnen soll. Der §406 schliesst sich in dieser Hinsicht, wie bezüglich einiger anderer Punkte, den Bestimmungen der Art. 45-46 des Berner Internationalen Vertrages über den Eisenbahnfrachtverkehr an. Die Grundsätze des letzteren sind schon bei der Spedition zu berücksichtigen, weil die Vorschriften über die Verjährung gegen den Spediteur nach §431 des Entwurfes (jetzt §439 HGB) ebenso wie nach Art. 408 Abs. 3 (Allg.) H.G.B. auch auf die Verjährung der Ansprüche gegen Frachtführer Anwendung finden sollen."

16

Das Berner Internationale Übereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr vom 14. Oktober 1890 (RGBl. 1892, 793) bestimmte in Art. 45, dass "Entschädigungsforderungen wegen Verlustes, Minderung ..." (im französischen Text "perte totale ou partielle") in einem Jahre verjähren und daß die Verjährung "im Falle der Beschädigung oder Minderung" ("en cas d'avarie ou de perte partielle") am Tage der Ablieferung, "im Falle des gänzlichen Verlustes" ("en cas de perte totale") oder der Verspätung an dem Tag des Ablaufs der Lieferfrist beginnt. Hieraus wird deutlich, dass nach diesem Übereinkommen dem Begriff des "gänzlichen Verlustes" der Begriff der Minderung als Teilverlust gegenübersteht und dass daher im Falle des Teilverlustes der Ablieferungstag der für den Beginn der Verjährung maßgebende Tag ist (ebenso Gerstner, Internationales Eisenbahnfrachtrecht, 1893, §63 II 1 S. 409). Da die §§414, 439 HGB sich an Art. 15 des Übereinkommens anschliessen, dieser Anschluss insoweit auch keine Änderung gegenüber dem Recht des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches darstellt, beginnt die Verjährung im Speditions- und Landfrachtgeschäft bei Teilverlust, mag dieser einzelne selbständige Stücke des Gutes oder unselbständige Teile des Gutes betreffen, mit dem Ablauf des Ablieferungstages (Schlegelberger HGB 2. Aufl. §414 Anm. 1, 3; Gadow HGB RGRK §414 Anm. 2, 3; Ritter HGB 2. Aufl. §414 Anm. 2; aA Heymann-Kötter HGB 20. Aufl. §414 Anm. 1, Düringer-Hachenburg-Lehmann HGB 3. Aufl. §414 Anm. 3; die abweichenden Entscheidungen des Reichsoberhandelsgerichtes in ROHG 11, 34; 15, 141; Bolze 9, 160 Nr. 367 betreffen den Art. 610 AHGB (jetzt §609 HGB), die Entscheidung in ROHG 15, 141 auch den Art. 408 AHGB (jetzt §438 HGB); gegen diese Entscheidungen hat sich Pappenheim, Handbuch des Seerechts Bd. 3 S. 444, gewendet; inwieweit sie nach dem heute geltenden Recht zutreffen, bedarf keiner Prüfung).

17

Dasselbe gilt heute im Eisenbahnfrachtrecht nach §94 Abs. 2 a, c EVO, wobei der frühere Ausdruck (EVO vom 16. Mai 1928) "Minderung" durch die Worte "teilweiser Verlust" und der Begriff "Verlust" durch "gänzlicher Verlust" ersetzt wurden (Finger EVO §82 Anm. 3; Goltermann EVO §82 Anm. 3, 4, §85 Anm. 2, §88 Anm. 5, §94 Anm. 9; aA jedoch die Ermittlungsvorschriften §18 Abs. 2, Hinweis bei Goltermann §82 Anm. 4). §26 BSchG verweist auf §439 HGB, während §903 Nr. 2 HGB für das Seefrachtrecht eine Sonderregelung trifft.

18

Das Lagergeschäft war im Allgemeinen Handelsgesetzbuch nicht geregelt. Satz 1 des §423 HGB lässt für den Fall des Verlustes und der Minderung die Vorschriften des §414 auf die Verjährung Anwendung finden, während Satz 2 eine Sonderbestimmung für den Verjährungs beginn bei gänzlichem Verlust trifft. Die Denkschrift (Mugdan S. 401) begründet diese Sondervorschrift damit, dass es beim Lagergeschäft an einer bestimmten Zeit für die Auslieferung fehle, das Gut vielmehr auf Verlangen des Einlagerers jederzeit herausgegeben werden müsse; daher sei der Ablauf des Tages der Verlustanzeige entscheidend. Man müsste hiernach dem klaren Wortlaut des Gesetzes Zwang antun, wollte man den Verlust einzelner Stücke des Lagergutes als gänzlichen Verlust auffassen.

19

Gegen die Auffassung des Berufungsgerichts spricht aber vor allem der Sinn des Gesetzes. Mit der Ablieferung des eingelagerten Gutes hat der Lagerhalter nach beendeter Verwahrung seine Hauptverpflichtung erfüllt. Zweck der kurzen Verjährungsfrist ist, nach Ablieferung des Gutes eine möglichst schnelle Abwicklung des Vertrages herbeizuführen. Der Lagerhalter soll nicht nach Beendigung des Vertragsverhältnisses noch lange Zeit der Gefahr ausgesetzt werden, daß der Einlagerer Ansprüche gegen ihn erhebt, deren Berechtigung nach der Lebenserfahrung fraglich wird, je länger ihre Geltendmachung hinausgezögert wird. Ein solches Schutzbedürfnis des Lagerhalters kann nicht anerkannt werden, wenn die Vertragsbeziehungen zwischen den Parteien noch andauern und der Lagerhalter seine Hauptverpflichtung, das Lagergut zurückzugeben, nicht voll erfüllt hat. Solange der Lagerhalter noch eingelagertes Gut verwahrt und damit ständig beiderseitig neue Pflichten entstehen, erscheint es nicht erforderlich, den Vertrag in einer einzelnen Beziehung einer raschen teilweisen Abwicklung zuzuführen. Nur wenn der Lagerhalter seine Hauptverpflichtung zur Rückgabe des Gutes erfüllt hat oder wegen gänzlichen Verlustes des Gutes nicht mehr erfüllen kann und damit seine Verwahrerpflichten ein Ende gefunden haben, kann dem Einlagerer zugemutet werden, innerhalb der kurzen Verjährungsfrist von einem Jahr eine Klärung seiner Ansprüche herbeizuführen.

20

Fehl geht der Hinweis des Oberlandesgerichts darauf, dass der vertragliche Anspruch unter Umständen erst später verjähren würde als ein im wesentlichen auf denselben Sachverhalt gestützter Anspruch aus unerlaubter Handlung. Bei der hier vorliegenden Anspruchskonkurrenz folgt die Verjährung für jeden dieser Ansprüche, wie der Senat im Urteil vom 28. April 1953 (BGHZ 9, 301 [304 ff]) dargelegt hat, seinen besonderen Bestimmungen. Auch wenn der Anspruch des Beklagten aus unerlaubter Handlung verjährt ist, kann er seinen nicht verjährten vertraglichen Anspruch verfolgen.

21

Die einjährige Verjährungsfrist des §423 beginnt daher bei Teilverlust, mag dieser einzelne Stücke des eingelagerten Gutes oder Teile des eingelagerten Massengutes betreffen, erst mit der vollständigen Ablieferung des Gutes (vgl. hierzu auch das erwähnte Urteil des Senats vom 28. April 1953 S. 13, 14, Verjährungsbeginn erst mit vollständiger Ablieferung nehmen an Gadow in HGB RGRK §423 Anm. 4, Staub HGB 14). Aufl. §423 Anm. 4, Ritter §423 Anm. 2, Schlegelberger §423 Anm. 6, 8 [ausdrücklich nur bei Teilverlust einer Massensendung]. Verjährungsbeginn mit dem Zeitpunkt, in dem die Ablieferung hätte erfolgen müssen, nehmen an Düringer-Hachenburg-Lehmann §423 Anm. 2; bei Heymann-Kötter §414 Anm. 1 bleibt offen, ob die Verjährung mit dem Tag der Verlustanzeige beginnen soll oder mit dem Ablauf des Tages, an dem die Ablieferung hätte bewirkt sein müssen (vgl. auch Senckfriehl, Lagergeschäft §87).

22

Bei dieser Rechtslage braucht auf die Rüge der Revision, in Höhe der von dem Beklagten aufrechnungsweise geltend gemachten Beträge von 1.075,90 DM + 2.856 DM = 3.931,90 DM sei nach §§209 Abs. 2 Nr. 3, 215 BGB keinesfalls die Verjährung eingetreten, nicht eingegangen zu werden.

23

Das Urteil des Oberlandesgerichts kann daher hinsichtlich der Widerklage des Beklagten nur insoweit aufrechterhalten werden, als die Widerklage in Höhe von 3.924,10 DM auf Grund der Aufrechnung der Klägerin abgewiesen wurde. Da das Berufungsgericht im übrigen zu den Einwendungen der Klägerin nach Grund und Höhe noch keine Stellung genommen hat, musste die Sache insoweit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

24

II.

Das Landgericht hat die "Widerklage" der Klägerin mangels Rechtsschutzinteresses als unbegründet abgewiesen. In ihrer Berufungsschrift vom 6. Mai 1953 hat die Klägerin beantragt, nach ihren Anträgen erster Instanz zu erkennen, also auch nach ihrem Feststellungsantrag. In diesem Schriftsatz hat sie weiter darauf hingewiesen, daß das Landgericht über ihren Feststellungsantrag nicht entschieden habe, wenn auch nach den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils eine solche Entscheidung habe getroffen werden sollen. Damit ist dem Formerfordernis der Berufungsbegründung nach §519 ZPO Genüge getan, wenn auch der von der Klägerin bezeichnete Anfechtungsgrund rechtlich fehl geht. Die Berufung der Klägerin war demnach auch insoweit in zulässiger Weise eingelegt, als das Landgericht die Feststellungsklage der Klägerin abgewiesen hat.

25

Das Oberlandesgericht hat das Feststellungsinteresse der Klägerin bejaht und der Feststellungsklage wegen der von ihm angenommenen Verjährung des Schadensersatzanspruches der Beklagten stattgegeben.

26

Die Revision bezweifelt die Zulässigkeit des vom Berufungsgericht als Widerklage gegenüber einer Widerklage aufgefaßten Feststellungsantrages. Ausserdem hält sie die Bejahung des Feststellungsinteresses für rechtsirrig.

27

Der Feststellungsantrag ist an sich zulässig, gleichgültig, ob man in ihm eine Widerklage gegen die Widerklage sieht (RGZ 135, 15 [17], Rosenberg, Lehrbuch des Zivilprozeßrechts, 6. Aufl. §92 II 4, Baumbach ZPO 23. Aufl. Anhang nach §253 Anm. 2 D) oder als Erweiterung des Klageantrags (Stein-Jonas-Schönke ZPO §33 Anm. III 4). Das Feststellungsinteresse der Klägerin, das auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen ist, lag bei Erhebung der Feststellungsklage unzweifelhaft vor. Es kann dahingestellt bleiben, ob es, wie die Revision entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts geltend macht, durch die Erklärung des Beklagten im Schriftsatz vom 23. April 1952, er wolle sich mit Rücksicht auf die Gesamtumstände mit einem Ersatz in Höhe von 15.000 DM begnügen, entfallen ist. Jedenfalls ist es dadurch weggefallen, dass der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Revisionsgericht erklärt hat, er wolle die Bemerkung im Schriftsatz vom 23. April 1952 dahin aufgefaßt wissen, dass er auf die Geltendmachung eines höheren Schadensersatzanspruches als 15.000 DM nebst Zinsen verzichte. Dies ergibt sich aus folgendem:

28

Das Feststellungsinteresse ist Prozeßvoraussetzung (BGH L-M ZPO §256 Nr. 5, 7). An sich ist der maßgebende Zeitpunkt für das Vorliegen einer Prozeßvoraussetzung derjenige der letzten Tatsachenverhandlung (§561 ZPO); nur dort, wo der Mangel der Prozeßvoraussetzung das Urteil nichtig oder vernichtbar machen würde, ist die Verhandlung vor dem Revisionsgericht entscheidend (Rosenberg a.a.O. §§63 IV 2 b, 86 II 4, 89 IV 4). Nur im letzteren Felle sind daher neue Tatsachen vom Revisionsgericht zu berücksichtigen (Rosenberg §142 II 3 c). Wie der III. Zivilsenat (BGHZ 10, 350 [357 ff]) bereits ausgeführt hat, dient der Zivilprozeß der Verwirklichung des materiellen Rechtes, die Zivilprozeßnormen sind nicht Selbstzweck, sondern dienen der richtigen Urteilsfindung im Wege eines zweckmässigen und schnellen Verfahrens. Aus §565 Abs. 3 ZPO ist daher der allgemeine Rechtsgrundsatz abzuleiten, dass das Revisionsgericht, wenn es sich um eine Prozeßvoraussetzung handelt, überall da selbst zu entscheiden hat, wo bei Zurückverweisung das Berufungsgericht bei richtiger Rechtsanwendung zu der gleichen Entscheidung kommen müsste, die das Revisionsgericht fällen kann, wenn es die neue, die Prozeßvoraussetzung betreffende Tatsache berücksichtigt. Durch den vom Beklagten spätestens in der Revisionsinstanz ausgesprochenen Verzicht auf eine den Betrag von 15.000 DM übersteigende Schadensersatzforderung ist klargestellt, dass sich der Beklagte eines solchen Anspruchs nicht mehr berühmt. Damit ist das Feststellungsinteresse der Klägerin entfallen, ohne dass es der Annahme der Verzichtserklärung durch die Klägerin bedurfte. Es kann daher keine andere Entscheidung als die der Prozeßabweisung ergehen.

29

III.

Bei der Kostenentscheidung wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, dass der Klägerin die Kosten ihrer früher eingelegten Revision durch Beschluß des erkennenden Senats vom 16. August 1951 auferlegt wurden. Über die Kosten der von dem Beklagten eingelegten Revision ist vom Berufungsgericht zu entscheiden.

Wilde Nastelski Christoph Bundesrichter Dr. Weiß ist durch Urlaub und Ortsabwesenheit an der Unterschriftsleistung verhindert Wilde Nörr