Bundesgerichtshof
Urt. v. 01.09.1954, Az.: 6 StR 40/54
Rechtsmittel
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 01.09.1954
- Aktenzeichen
- 6 StR 40/54
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1954, 11978
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg - 10.06.1953
Verfahrensgegenstand
Staatsgefährdung
In der Strafsache
hat der 6. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
in der Sitzung vom 1. September 1954,
an der teilgenommen haben:
Senatspräsident Dr. Geier als Vorsitzender,
Bundesrichter Scharpenseelm,
Bundesrichter Dr. Baldus,
Bundesrichter Dr. Heimann-Trosien,
Bundesrichter Weber als beisitzende Richter,
Landgerichtsrat Dr. Dr. ... als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellter ... als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts in Oldenburg vom 10. Juni 1953 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Landgericht zurückverwiesen.
Gründe
Der Angeklagte verbreitete im August 1952 in D. drei von der FDJ herausgegebene Flugblätter, die er vorher nicht gelesen hatte. Die Anklage legte ihm dies als drei durch eine und dieselbe Handlung begangene Vergehen nach §§ 84, 128 und 129 StGB zur Last. Die Strafkammer hat ihn freigesprochen. Hiergegen richtet sich mit der Sachbeschwerde die Revision der Staatsanwaltschaft. Sie führt zur Aufhebung des Urteils.
I.
Bei Würdigung des Verhaltens des Angeklagten unter dem Gesichtspunkt des § 84 StGB geht die Strafkammer von der Annahme aus, dass die Flugblätter einen hochverräterischen Inhalt gehabt hätten. Denn in ihnen werde ausdrücklich erklärt, "dass es nun nicht mehr auf Worte, sondern auf gemeinsame Aktionen in der Form von Massenstreiks und Massendemonstrationen ankomme" und dass unverhüllt der gewaltsame Sturz der Bundesregierung gefordert werde mit dem Ziel, das sowjetzonale Regime der Gewaltherrschaft einer Minderheit über die Mehrheit des Volkes an die Stelle der derzeitigen verfassungsmässigen demokratischen Ordnung zu setzen. Die Strafkammer ist jedoch nicht davon überzeugt, dass der Angeklagte dann, wenn er die Flugblätter gelesen hätte, ihren hochverräterischen Inhalt hätte erkennen müssen. Einerseits nämlich sei er noch verhältnismässig jung und "ein Mensch mit einem ganz einfachen Bildungsgrad", andererseits seien die Flugblätter so geschickt abgefasst gewesen, dass auch gebildetere Menschen die in ihnen enthaltenen Dichtungen und Wahrheiten nur schwer voneinander trennen könnten.
Diese Darlegungen und Ausführungen vermögen die Freisprechung des Angeklagten von der Anschuldigung des Vergehens gegen § 84 StGB nicht zu tragen. Das Urteil gibt den Inhalt der vom Angeklagten verbreiteten Flugblätter nicht wieder, verweist deswegen vielmehr auf den Akteninhalt. Das ist unzulässig. Für den Fall der Verurteilung ergibt sich das aus § 267 Abs. 1 StPO, wonach die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben müssen, in denen die gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung gefunden werden (RGSt 62, 216; 66, 8). Für den Fall der Freisprechung verlangt § 267 Abs. 5 StPO, dass die Urteilsgründe ergeben müssen, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Auch hierbei müssen also die tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte klar und bestimmt auseinander gehalten und die Tatsachen, die das Gericht der Beurteilung zugrunde legt, im Urteil selbst angegeben werden. Die Verweisung auf den Akteninhalt genügt nicht Die fehlende Wiedergabe des Flugblattinhalts verstösst nicht nur gegen die Vorschrift des § 267 StPO, sie enthält zugleich einen auf die allgemeine Sachrüge zu beachtenden sachlichrechtlichen Mangel, weil dem Revisionsgericht dadurch die rechtliche Nachprüfung des Urteils unmöglich gemacht wird.
Die Andeutungen, die sich im Rahmen der rechtlichen Würdigung in Bezug auf den Inhalt der Flugblätter finden, gleichen die unzulässige Verweisung auf den Akteninhalt nicht aus. Sie lassen nicht sicher erkennen, was Flugblattinhalt und was Würdigung dieses Inhalts ist. Es bleibt deshalb ungewiss, und es kann nicht nachgeprüft werden, ob die Auffassung des Landgerichts, dass der Inhalt des Flugblatts den äusseren Tatbestand des § 81 StGB erfülle, rechtlich fehlerfrei ist; ebensowenig lässt sich nachprüfen, ob die Ansicht der Strafkammer rechtlich bedenkenfrei ist, dass der Angeklagte, wenn er die Flugblätter gelesen hätte, den hochverräterischen Inhalt nicht hätte erkennen können. Die Ausführungen der Strafkammer über die geschickte Abfassung der Flugblätter und über die schwierige Trennung von Dichtung und Wahrheit bleiben so unverständlich, stehen zudem mit der vorangehenden Bemerkung, dass "unverhüllt" zum Sturze der Bundesregierung aufgefordert werde, im Widerspruch.
II.
Der erörterte Mangel muss zur Aufhebung des Urteils im ganzen führen. Für die neue Hauptverhandlung ist noch auf folgendes hinzuweisen:
Eine Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zu einem Vergehen gegen § 128 StGB hat die Strafkammer abgelehnt, weil die Beweisaufnahme keinen Anhalt dafür ergeben habe, dass er die Tarnungsmassnahmen der FDJ erkannt habe, in der neuen Verhandlung wird noch zu prüfen sein, ob der Angeklagte wenigstens mit der Möglichkeit solcher Tarnmassnahmen gerechnet und trotzdem die Tätigkeit der FDJ unterstützt, ob er also insoweit mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat.
Die Nichtanwendung des § 129 StGB begründet die Strafkammer mit der Erwägung, dass die bei der FDJ immer wieder festzustellenden Straftaten der Beleidigung und der Sachbeschädigung nur Mittel zum Zweck seien, dass aber weder der Zweck noch die Tätigkeit der FDJ auf die Begehung strafbarer Handlungen gerichtet sei. Diese Beurteilung verkennt, dass eine Vereinigung im Sinne des § 129 StGB nicht das Endziel zu haben braucht, strafbare Handlungen zu begehen, dass es vielmehr genügt, wenn ihr solche Taten Mittel zu einem weiter gesteckten Ziele sind Überdies genügt es für die Anwendung des § 129 StGB, dass die Tätigkeit der Vereinigung auf die Begehung strafbarer Handlungen gerichtet ist, selbst wenn das von ihr erstrebte Ziel nicht zu missbilligen wäre (Urt des Senats vom 5. Mai 1954 - 6 StR 36/54).
Bei der neuen Verhandlung wird die Strafkammer schliesslich zu beachten haben, dass auch jemand, der nicht Mitglied einer Vereinigung im Sinne des § 129 StGB ist, als Täter nach dieser Vorschrift zu bestrafen ist, wenn er die Vereinigung unterstützt.
Scharpenseel
Die Bundesrichter Dr. Baldus und Dr. Heimann-Trosien befinden sich im Urlaub und sind dadurch verhindert, ihre Unterschrift beizufügen. Dr. Geier
Weber