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Bundesgerichtshof
Urt. v. 22.01.1953, Az.: 4 StR 373/52

Rechtsmittel

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
22.01.1953
Aktenzeichen
4 StR 373/52
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1953, 10008
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
Schwurgericht Dortmund - 19.03.1952

Fundstellen

  • BGHSt 4, 88 - 94
  • NJW 1953, 912-913 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Körperverletzung mit Todesfolge

Prozessgegner

den Zimmermann Erich G. aus D. geboren am ... 1925 in Z. (Kreis H., Ostpreussen),

Amtlicher Leitsatz

  1. I.
    1. a)

      Eine rechtswirksame Einwilligung liegt nur vor, wenn der Einwilligende eine zutreffende Vorstellung von der Tragweite seiner Erklärung hatte. Die erforderliche Urteilskraft kann bei einem Angetrunkenen fehlen, auch wenn kein Fall der Geschäftsunfähigkeit oder Zurechnungsunfähigkeit gegeben ist.

    2. b)

      Ob ein Verstoss gegen die guten Sitten vorliegt, richtet sich nach dem sittlichen Empfinden eines gerecht Denkenden. Entscheidend ist die Sittenwidrigkeit der Tat (nicht die der Einwilligung).

  2. II.

    Die Vernichtung des Menschenlebens wird auch zum Schütze der Allgemeinheit mit Strafe bedroht. Deshalb kann sich der Täter grundsätzlich nicht auf die Einwilligung des Verletzten berufen.

    Unter besonderen Umständen kann jedoch die Pflichtwidrigkeit entfallen, wenn der Verletzte eine gewisse Gefahr in denen klarer Erkenntnis in Kauf genommen hat und der Täter seiner allgemeinen Sorgfaltspflicht nachgekommen ist.

hat der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in der Sitzung vom 22. Januar 1953, an der teilgenommen haben:

Senatspräsident Dr. Groß als Vorsitzender,

Bundesrichter Krumme Bundesrichter Dr. Hörchner Bundesrichter Dr. Engels Bundesrichter Dr. Hülle als beisitzende Richter,

Landgerichtsrat ... als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Hilfsarbeiter im mittleren Justizdienst ... als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Schwurgerichts in Dortmund vom 19. März 1952 samt den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Schwurgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1

Zwischen dem Angeklagten und dem alsdann ums Leben gekommenen D. bestand infolge vorhergegangener Streitigkeiten ein gespanntes Verhältnis. Im Verlaufe eines Wortgefechts hatte D. gelegentlich dem Angeklagten mit einem Besen gedroht; der Angeklagte, der diesen für ein Beil hielt, flüchtete und erklärte seinem Begleiter K. wenn D. herausgekommen wäre, hätte er ihm "das Messer in den Balg gejagt". Als K. diese Äusserung dem D. wiedererzählte, erklärte dieser, er wolle nachts in den Keller des Angeklagten gehen und ihn herausholen. D. führte auch einmal, einen Hammer in der Tasche bei sich und sagte dem K., wenn er den Angeklagten treffe, schlage er ihn tot. Am 5. Januar 1952, dem Tag der Tat, trank D. nachmittags vier Flaschen Bier, suchte sodann mit K. zusammen den Angeklagten zwischen 16 und 17 Uhr auf und liess ihn herausrufen. Nach einem Wortwechsel, der einen Diebstahl betraf, rief Dziorobeck dem Angeklagten zu: "Wenn Du was haben willst, dann komm! Ziehe die Jacke aus und lege das Messer weg! Wir machen einen Gang". Der Angeklagte, der tatsächlich kein Messer bei sich hatte, verhielt sich zunächst ablehnend und erklärte, D. sei heute betrunken, er solle morgen wiederkommen. D. warf daraufhin dem Angeklagten vor, er sei ein "feiger Hund". Nunmehr zog der Angeklagte seine Jacke auf und versetzte dem D., der mit herabhängenden Armen vor einer Wand stand und dem Angeklagten entgegensah, einen Schlag in die Schläfengegend. D. sank nieder und starb nach kurzer Zeit an einer durch den Schlag ausgelösten Gehirnblutung.

2

Das Schwurgericht hat den Angeklagten, dem ein Verbrechen gegen § 226 StGB zur Last gelegt worden ist, durch das angefochtene Urteil freigesprochen. Es hat die Rechtswidrigkeit der Tat verneint, da sich Dziorobeck durch die Herausforderung zum Kampf in rechtswirksamer Weise mit etwaigen Körperverletzungen einverstanden erklärt habe und da auch kein Verstoss gegen die guten Sitten, erkennbar sei (§ 226 a StGB).

3

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft. Sie rügt Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) und Verstösse gegen das sachliche Strafrecht (§§ 226 a, 222 StGB). Dem Rechtsmittel kann der Erfolg nicht versagt werden.

4

Die Verfahrensrüge kann im Zusammenhang mit der Sachrüge behandelt werden.

5

1.)

Die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale der Körperverletzung mit Todesfolge (§§ 223, 226 StGB) sind dem angefochtenen Urteil einwandfrei zu entnehmen.

6

Die Anwendung des § 226 a StGB wird von der Revision mit Recht beanstandet.

7

Eine rechtswirksame Einwilligung könnte nur dann angenommen werden, wenn sie mit vollem Verständnis der Sachlage erteilt worden ist, wenn D. namentlich eine zutreffende Vorstellung vom voraussichtlichen Verlauf und den möglichen Folgen des zu erwartenden tätlichen Angriffs hatte.

8

Erforderlich ist vor allem, dass er bei seiner Herausforderung die nötige Urteilskraft und Gemütsruhe besass, um die Tragweite seiner Erklärung zu erkennen und das Für und Wider verständig gegeneinander abzuwägen (RGSt 77, 17, 20). Das Schwurgericht hat festgestellt, dass D. kurze Zeit vor der Tat vier Flaschen Bier getrunken hatte; es bezeichnet ihn ausdrücklich als "angetrunken". Hiernach, liegt es nahe, dass D., als er den Angeklagten zum Kampf herausforderte, in seiner geistigen und seelischen Verfassung durch Alkoholgenuss in einem ins Gewicht fallendem Maß beeinträchtigt war. Dessen ist sich der Angeklagte, als er gegen D. tätlich wurde, auch bewusst gewesen, denn er hatte den Kampf zunächst mit dem Hinweis darauf abgelehnt, D. sei "betrunken". Die nicht näher begründete Bemerkung des Schwurgerichts, D. habe "die zur Beurteilung der Tat erforderliche Einsicht" besessen, legt den Verdacht nahe, dass der Tatrichter nur einen Zustand der Geschäftsunfähigkeit im Sinne des bürgerlichen Rechts oder der Zurechnungsunfähigkeit im strafrechtlichen Sinn für geeignet gehalten hat, die Rechtswirksamkeit der Einwilligung auszuschliessen. Eine solche Auffassung würde fehl gehen (RGSt 41, 392, 396 f). Das Schwurgericht wird in der neuen Hauptverhandlung den Grad der Angetrunkenheit des D. festzustellen und den oben dargelegten Maßstab bei der anderweitigen Entscheidung der rechtlichen Würdigung zugrunde zu legen haben.

9

Der Tatrichter hat auch einen Verstoss gegen die guten Sitten mit einer Begründung verneint, die rechtlichen Bedenken begegnet. Massgebend ist nach dem Gesetz, ob ein Verstoss gegen das sittliche Empfinden eines gerecht Denkenden vorliegt (vgl. RGJW 1938 S 30 Nr. 5). Hierbei kommt es entscheidend nicht darauf an, ob die Einwilligung des D. gegen die guten Sitten verstiess, sondern darauf, ob sich die Tat des Angeklagten für das gesunde Rechtsempfinden als sittenwidrig darstellte (RGSt 74, 91, 95; RG DR 1943, S 579, Nr. 12).

10

Das Schwurgericht hat hierzu ausgeführt, es verstosse nicht gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, wenn jemand bei einem zur Austragung eines Streits veranstalteten Kampf dem Gegner einen Schlag ins Gesicht versetze. Diese Rechtsansicht trifft, jedenfalls in solcher Allgemeinheit, nicht zu und wird namentlich den besonderen Umständen des vorliegenden Falls nicht gerecht.

11

Zunächst lässt das angefochtene Urteil die Klarstellung vermissen, welchen Sinn nach dem unter den Beteiligten üblichen Sprachgebrauch D. mit jener Erklärung "Wir machen einen Gang" verband, und wie der Angeklagte diese Art der Herausforderung verstand und verstehen durfte. Ohne diese Grundlage ist eine zuverlässige rechtliche Würdigung des Sachverhalts überhaupt nicht möglich.

12

Sodann wird angesichts der ernsten Streitigkeiten und schweren Bedrohungen, die der Tat vorhergegangen waren, überhaupt nicht davon gesprochen werden können, dass es den Beteiligten darum ging, ihre Kräfte und Geschicklichkeit nach Art eines Sportkampfs zu messen. Derartigen körperlichen Auseinandersetzungen, die aus Feindseligkeit geboren sind und erfahrungsgemäss mit ernsten Gefahren für Leib oder leben verbunden sind, wird die rechtliche Billigung nach der für das Zusammenleben der Menschen grundlegenden sittlichen Ordnung, die in § 226 a StGB ausdrücklich für massgebend erklärt ist, überhaupt zu versagen sein.

13

Aber selbst abgesehen hiervon begegnet die. Anwendung des § 226 a StGB nach Lage des Falls rechtlichen Bedenken.

14

Richtig ist freilich, dass ein polizeilich genehmigter, also mit staatlicher Billigung durchgeführter sportlicher Boxkampf an sich nicht als sittenwidrig im Sinne des § 226 a StGB bezeichnet werden kann (vgl. Kohlrausch-Lange StGB 39./40. Aufl. § 226 a Anm. III Abs. 2). Auch ein derartiger Sportkampf widerspricht jedoch dann den guten Sitten, wenn es zu groben Verstössen gegen die anerkannten Sport- oder Kampfregeln kommt (RKG 1, 138 f; Olshausen 12. Aufl. § 223 Anm. 19, LK 6./7. Aufl. § 226 a Anm. I, Schönke 6. Aufl. § 226 a Anm. V Abs. 1, Schlosky DStR 1943, 19, 22). Dasselbe hat erst recht für einen Kampf zu gelten, bei dem, wie hier, von vornherein feststeht, dass er ohne Beachtung irgendwelcher Sicherheitsmassnahmen durchgeführt wird. Im Beginn der tätlichen Auseinandersetzung hat der Angeklagte dem D. einen Fausthieb gegen die Schläfe, also eine erfahrungsgemäss besonders empfindliche Stelle versetzt; dass er nicht nur mit der flachen Hand geschlagen hat, ist zwar vom Schwurgericht nicht ausdrücklich festgestellt worden, jedoch der im Urteil wiedergegebenen Einlassung des Angeklagten, er habe dem Gegner nur einen "Kinnhaken" versetzt, sinngemäss zu entnehmen; in der neuen Hauptverhandlung wird die Art des geführten "Schlags" möglichst genau klarzustellen sein. Weiter ergibt sich aus dem Urteil, dass D., als ihm der Angeklagte diesen Fausthieb versetzte, noch mit herabhängenden Armen dastand, also noch keine Kampfstellung eingenommen hatte; der Angeklagte kam seinem Gegner in einer Weise zuvor, dass dieser beim Einsetzen des Angriffs noch nicht zur Abwehr bereit war und durch den vorschnellen, in diesem Zeitpunkt offenbar noch nicht erwarteten Fausthieb überrascht wurde. Die Verteidigung des D. war um so mehr erschwert, als er vor einer Wand stand, und deshalb keine Möglichkeit hatte, dem plötzlichen Angriff des Angeklagten auszuweichen. Schliesslich ist zu berücksichtigen, dass D. angetrunken und deshalb in seiner Geistesgegenwart und körperlichen Wendigkeit beeinträchtigt war. Unterstellt man selbst eine rechtswirksame Einwilligung des D., so hat sich der Angeklagte jedenfalls mit seinem tätlichen Vorgehen nach Art und Mass nicht im Rahmen der Einwilligung gehalten (BayrObLG HRR 1929 Nr. 671). Mit einem solchen überfallartigen Angriff hatte sich D. offensichtlich nicht einverstanden erklären wollen. Seine etwaige, in der Herausforderung liegende Einwilligung würde die Rechtswidrigkeit der Tat nicht beseitigen, da sie jedenfalls nicht den weitergehenden Zweck umfasste, durch einen vorzeitigen, unerwarteten Fausthieb gegen die Schläfe kampfunfähig gemacht zu werden (RGSt 77, 350; 356). Dass D. zu dem unglücklichen Ergebnis durch seine Herausforderung selbst einen wesentlichen, ursächlichen Beitrag geleistet hat, ändert an dieser rechtlichen Beurteilung nichts.

15

Der Tatrichter wird in der neuen Hauptverhandlung Gelegenheit haben, auch den Altersunterschied und das Kräfteverhältnis der Beteiligten aufzuklären. Falls D. dem Angeklagten an Körperkraft und Wendigkeit erheblich unterlegen war, wie die Revision behauptet, so könnte auch das für die Frage der Sittenwidrigkeit des tätlichen Angriffs ins Gewicht fallen.

16

Bei der Stellungnahme zum inneren Tatbestand wird das Schwurgericht die Grundsätze zu beachten haben, die der Grosse Senat des Bundesgerichtshofs im Beschluss vom 18. März 1952 entwickelt hat (BGHSt 2, 194 ff; vgl. bes. BGHSt 3, 105 ff). Ein etwaiger Irrtum des Angeklagten kann sich je nach dem Ergebnis der neuen Hauptverhandlung als Tatbestands- oder Verbotsirrtum darstellen.

17

2.)

Das angefochtene Urteil lässt, wie die Revision zutreffend geltend macht, auch jede Erörterung in der Richtung vermissen, ob dem Angeklagten, sofern er eines Verbrechens gegen § 226 StGB nicht überführt werden kann, nicht, wenigstens fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) zur Last fällt.

18

Bei diesem gesetzlichen Tatbestand ist die Einwilligung des Verletzten rechtlich an sich überhaupt unbeachtlich. Eine dem § 226 a StGB entsprechende Vorschrift sieht das Gesetz hier nicht vor. Dem § 216 StGB ist vielmehr zu entnehmen, dass die Vernichtung des Menschenlebens nicht zuletzt zum Schütze der Allgemeinheit mit Strafe bedroht wird und dass deshalb bei den Verbrechen und Vergehen gegen das Leben die Einwilligung des Verletzten - abgesehen von der in § 216 StGB getroffenen Sonderregelung - grundsätzlich rechtlich Bedeutungslos ist (RGSt 2, 442; RG JW 1925 S 2250 Nr. 2). Unter besonderen Voraussetzungen kann allerdings die Pflichtwidrigkeit eines Verhaltens zu verneinen sein, wenn jemand eine gewisse Gefahr in deren klarer Erkenntnis in Kauf genommen und der Täter seiner allgemeinen Sorgfaltspflicht genügt hat (RGSt 57, 172 ff; RG JW a.a.O.). Durch die Tatsache, dass D. den Angeklagten zum Kampf herausgefordert hatte, wurde an der allgemeinen Sorgfaltspflicht des Angeklagten nichts geändert, sofern einer derartigen Auseinandersetzung überhaupt in gewissem Rahmen rechtliche Anerkennung zukommt.

19

Nach der inneren Tatseite wird das Schwurgericht, falls die neue Hauptverhandlung nur zur Feststellung einer fahrlässigen Tötung führen sollte, zu beachten haben, dass dem Angeklagten nicht nur die regelmäßigen, sondern schlechthin die möglichen Folgen eines derartigen Fausthiebs zur Last zu legen sind. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit entfällt nur bei Ergebnissen, die so sehr ausser aller Lebenserfahrung liegen, dass der Täter nach den besonderen Umständen und nach seinen Fähigkeiten und Kenntnissen auch bei sorgfältiger Überlegung mit ihnen nicht zu rechnen brauchte (RGSt 65, 135 f; 73, 370, 372 f; BGH 4 StR 48/51 vom 9. März 1951).

20

Aufschlussreich wird für die Beurteilung des inneren Tatbestandes gegebenenfalls die vom Angeklagten bei früherer Gelegenheit getane Äusserung sein, er hätte dem D., wenn dieser herausgekommen wäre, "das Messer in den Balg gejagt". Sie lässt ein hohes Mass von feindseliger Gesinnung erkennen. Die weitere Aufklärung nach dieser Richtung ist indessen dem Tatrichter zu überlassen.

21

3.)

Die Anwendung der Vorschriften über den Zweikampf (§ 205 StGB) scheidet aus, da keine tödlichen Waffen im Sinne des § 201 StGB verwendet worden sind. Anderseits steht nichts im Wege, auf einen vereinbarten Kampf, der nicht unter diese besonderen Bestimmungen fällt, die allgemeinen Strafvorschriften der §§ 226, 222 StGB anzuwenden (RGSt 6, 61 ff).

22

Nach alledem ist der Revision der Staatsanwaltschaft - in Übereinstimmung mit dem Antrag des Oberbundesanwalts - stattzugeben.

Groß Krumme Hörchner Engels Hülle