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Bundesfinanzhof
Urt. v. 20.01.2016, Az.: VI R 93/13
Berücksichtigung der Kosten eines Erbschaftsrechtsstreits als außergewöhnliche Belastungen
Gericht: BFH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 20.01.2016
Referenz: JurionRS 2016, 17669
Aktenzeichen: VI R 93/13
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

FG Rheinland-Pfalz - 12.11.2013 - AZ: 3 K 1665/12

Rechtsgrundlage:

§ 33 Abs. 2 S. 1 EStG

Fundstellen:

BFH/NV 2016, 1145-1146

EStB 2016, 253

NWB-EV 2016, 228

STFA 2016, 28

BFH, 20.01.2016 - VI R 93/13

Redaktioneller Leitsatz:

1. Kosten für eine zivilprozessuale Auseinandersetzung sind nur insoweit als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, als der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, so kann er auch bei unsicheren Erfolgsaussichten aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen, so dass die Prozesskosten zwangsläufig i.S. von § 33 Abs. 2 S. 1 EStG erwachsen.

2. Hiervon kann in einem Zivilprozess im Zusammenhang mit der Erbenstellung des Steuerpflichtigen nicht ausgegangen werden, da dieser keinen existenziell wichtigen Bereich und auch nicht den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Denn die Durchsetzung der Erbenstellung verfolgt lediglich das Ziel, die wirtschaftliche Situation des Steuerpflichtigen zu verbessern. Das Ziel der Mehrung des Vermögens durch einen Erbschaft ist nicht mit einem existenziell wichtigen Bereich, etwa dem drohenden Verlust einer schon vorhandenen Existenzgrundlage gleich zu stellen.

Tenor:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. November 2013 3 K 1665/12 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Kläger zu tragen.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung von Rechtsanwaltskosten als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

2

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2010) beantragten sie die Berücksichtigung von Krankheitskosten in Höhe von 916 € als außergewöhnliche Belastungen, die sich jedoch nach Abzug der zumutbaren Belastung von 1.013 € steuerlich nicht auswirkten.

3

Die Kläger legten gegen den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr Einspruch ein. Sie begehrten die Berücksichtigung von Rechtsanwaltskosten in Höhe von insgesamt 4.899,18 €, die im Zusammenhang mit einer Erbauseinandersetzung und einem weiteren Verfahren wegen Vergütung dieser Rechtsanwaltskosten entstanden seien. Das Amtsgericht habe dem Antrag des Klägers auf Erteilung des Erbscheins als Alleinerbe seiner Mutter entsprochen. Der Rechtsstreit sei notwendig gewesen, weil der Sohn des Klägers dem Kläger das Erbe habe streitig machen wollen.

4

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -FA-) wies den Einspruch als unbegründet zurück. Der hiergegen erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 641 veröffentlichten Gründen insoweit statt, als es Prozesskosten in Höhe von 4.199 € als außergewöhnliche Belastungen anerkannte. Im Übrigen wies es die Klage ab.

5

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

6

Es beantragt sinngemäß,

das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 12. November 2013 3 K 1665/12 insoweit aufzuheben, als der Einkommensteuerbescheid für 2010 dahingehend geändert wurde, dass 4.199 € als außergewöhnliche Belastungen anerkannt wurden.

7

Die Kläger beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

8

II. Die Revision des FA ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung FGO ). Das FG hat die geltend gemachten Zivilprozesskosten zu Unrecht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt.

9

1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG). Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen. Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind (u.a. Urteil des Bundesfinanzhofs BFH vom 29. September 1989 III R 129/86, BFHE 158, 380, BStBl II 1990, 418 [BFH 29.09.1989 - III R 129/86]; Senatsurteil vom 26. Juni 2014 VI R 51/13, BFHE 246, 326, BStBl II 2015, 9 [BFH 26.06.2014 - VI R 51/13]).

10

a) Bei den Kosten eines Zivilprozesses sprach nach der langjährigen Rechtsprechung des BFH eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit (Senatsurteil vom 22. August 1958 VI 148/57 U, BFHE 67, 379, BStBl III 1958, 419; BFH-Urteile vom 18. Juli 1986 III R 178/80, BFHE 147, 171, BStBl II 1986, 745 [BFH 18.07.1986 - III R 178/80]; vom 9. Mai 1996 III R 224/94, BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596 [BFH 09.05.1996 - III R 224/94]; vom 4. Dezember 2001 III R 31/00, BFHE 198, 94, BStBl II 2002, 382 [BFH 04.12.2001 - III R 31/00]; vom 18. März 2004 III R 24/03, BFHE 206, 16, BStBl II 2004, 726, [BFH 18.03.2004 - III R 24/03] und vom 27. August 2008 III R 50/06, BFH/NV 2009, 553), und zwar grundsätzlich unabhängig davon, ob einem Steuerpflichtigen Prozesskosten in der Parteistellung als Kläger oder als Beklagter entstehen (BFH-Urteil in BFHE 147, 171, [BFH 18.07.1986 - III R 178/80] BStBl II 1986, 745 [BFH 18.07.1986 - III R 178/80]). Derartige Kosten wurden nur als zwangsläufig angesehen, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung oder den Zahlungsanspruch adäquat verursachende Ereignis zwangsläufig war (BFH-Urteil in BFHE 181, 12, [BFH 09.05.1996 - III R 224/94] BStBl II 1996, 596 [BFH 09.05.1996 - III R 224/94]). Daran fehlte es nach der Rechtsprechung des BFH im Allgemeinen bei einem Zivilprozess (BFH-Urteile in BFHE 206, 16, [BFH 18.03.2004 - III R 24/03] BStBl II 2004, 726 [BFH 18.03.2004 - III R 24/03] und in BFH/NV 2009, 553 [BFH 27.08.2008 - III R 50/06]). Als zwangsläufige Aufwendungen erkannte die Rechtsprechung Zivilprozesskosten nur an, wenn der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührte. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse nicht mehr in dem üblichen Rahmen befriedigen zu können, könne er trotz unsicherer Erfolgsaussichten gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen (BFH-Urteile in BFHE 181, 12, [BFH 09.05.1996 - III R 224/94] BStBl II 1996, 596, [BFH 09.05.1996 - III R 224/94] und in BFH/NV 2009, 553 [BFH 27.08.2008 - III R 50/06]).

11

b) Demgegenüber nahm der Senat in seiner Entscheidung vom 12. Mai 2011 VI R 42/10 (BFHE 234, 30, BStBl II 2011, 1015 [BFH 12.05.2011 - VI R 42/10]) die Unausweichlichkeit von Zivilprozesskosten unter der Voraussetzung an, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Auffassung hat auch das FG dem angefochtenen Urteil zugrunde gelegt.

12

c) Der Senat hält an seiner in dem Urteil in BFHE 234, 30, [BFH 12.05.2011 - VI R 42/10] BStBl II 2011, 1015 [BFH 12.05.2011 - VI R 42/10] vertretenen Auffassung allerdings nicht mehr fest. Wie er in seinem Urteil vom 18. Juni 2015 VI R 17/14 (BFHE 250, 153, BStBl II 2015, 800 [BFH 18.06.2015 - VI R 17/14]) entschieden hat, kehrt er unter Aufgabe seiner in dem Urteil in BFHE 234, 30, [BFH 12.05.2011 - VI R 42/10] BStBl II 2011, 1015 [BFH 12.05.2011 - VI R 42/10] vertretenen Ansicht zu der früheren Rechtsprechung des BFH zur Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses als außergewöhnliche Belastung zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf das Senatsurteil in BFHE 250, 153, BStBl II 2015, 800 [BFH 18.06.2015 - VI R 17/14] Bezug genommen.

13

2. Nach diesen Maßstäben ist auch im Streitfall zu prüfen, ob die geltend gemachten Kosten für die zivilprozessuale Auseinandersetzung als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Zivilprozesskosten sind demnach nur insoweit abziehbar, als der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann er auch bei unsicheren Erfolgsaussichten aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen, so dass die Prozesskosten zwangsläufig i.S. von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen.

14

a) Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Seine Entscheidung hat daher keinen Bestand.

15

b) Der Senat kann aufgrund der vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen in der Sache selbst entscheiden. Die vom Kläger getragenen Prozesskosten sind nicht als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen. Denn der Zivilprozess im Zusammenhang mit der Erbenstellung berührt keinen existenziell wichtigen Bereich und auch nicht den Kernbereich menschlichen Lebens i.S. der oben genannten Rechtsprechung zur Abziehbarkeit der Kosten eines Zivilprozesses. Mit der Durchsetzung seiner Erbenstellung verfolgte der Kläger das Ziel, seine wirtschaftliche Situation zu verbessern. Das Ziel der Mehrung des Vermögens durch eine Erbschaft ist allerdings nicht mit einem existenziell wichtigen Bereich, etwa dem drohenden Verlust einer schon vorhandenen Existenzgrundlage und deren Bewahrung, Absicherung oder Zurückerlangung im Rahmen eines Zivilprozesses, gleichzustellen.

16

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

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