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Bundesfinanzhof
Beschl. v. 12.01.2016, Az.: VII B 111/15
Zulässigkeit der Verwertung einer schriftlichen Zeugenaussage und einer schriftlichen Stellungnahme des Zeugen
Gericht: BFH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 12.01.2016
Referenz: JurionRS 2016, 11230
Aktenzeichen: VII B 111/15
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

FG Baden-Württemberg - 21.07.2015 - AZ: 11 K 2575/11

Fundstelle:

BFH/NV 2016, 579-581

BFH, 12.01.2016 - VII B 111/15

Redaktioneller Leitsatz:

Das Finanzgericht darf eine schriftliche Zeugenaussage und eine schriftliche Stellungnahme im Rahmen der Entscheidungsfindung als Erkenntnisquelle berücksichtigen, wenn der Zeuge wegen einer Erkrankung nicht erreichbar und das Gericht der Überzeugung ist, dass von seiner persönlichen Einvernahme keine weiteren Erkenntnisse zu erwarten sind und wenn das Gericht die Beteiligten hierauf hingewiesen hat.

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 21. Juli 2015 11 K 2575/11 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Gründe

1

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) betreibt ein Unternehmen der Glasveredelung. In den Jahren vor 2009 hatte sie jeweils formgerechte Anträge auf Steuerentlastungen nach § 10 des Stromsteuergesetzes (StromStG) sowie §§ 51, 54 und 55 des Energiesteuergesetzes (EnergieStG) gestellt. Unter Bezugnahme auf ein zwischen einer Sachbearbeiterin der Klägerin (B) und dem Beklagten und Beschwerdegegner (Hauptzollamt —HZA—) am 23. Dezember 2010 geführtes Telefonat stellte die Klägerin mit einem per Telefax am 26. Dezember 2010 übermittelten Schreiben Anträge für Steuerentlastungen nach § 10 StromStG und nach den §§ 51, 54 und 55 EnergieStG für das Jahr 2009 und kündigte an, die detaillierten Angaben und Unterlagen Anfang des Jahres 2011 zuzusenden. In den vom HZA geführten Akten befindet sich eine Kopie des Ausdrucks einer E-Mail vom 27. Dezember 2010, in der der Erhalt des Telefaxes bestätigt und zugleich darauf hingewiesen wird, dass die Antragstellung nicht ausreichend sei und der amtliche Vordruck benötigt werde. Am 18. Januar 2011 reichte die Klägerin die Anträge auf den vorgeschriebenen Formblättern ein.

2

Mit Bescheiden vom 24. und 27. Januar 2011 lehnte das HZA die Anträge unter Hinweis auf deren Verfristung ab. Daraufhin legte die Klägerin Einspruch ein, den sie damit begründete, ein Beamter des HZA (W) habe ihr in einem am 23. Dezember 2010 geführten Telefonat empfohlen, die Steuerentlastungen für 2009 zunächst formlos mit einem Fax zu beantragen und dabei darauf hinzuweisen, dass die detaillierten Angaben und Unterlagen nachgereicht würden. In einer schriftlichen Stellungnahme hat W im Einspruchsverfahren bekundet, nur Auskunft über § 10 StromStG gegeben zu haben. In einer eidesstattlichen Versicherung gab B hingegen an, dass in dem Telefonat nicht zwischen einzelnen Entlastungsvorschriften unterschieden worden sei. Hinsichtlich der nach § 55 EnergieStG und § 10 StromStG beantragten Steuerentlastungen half das HZA dem Einspruch ab. Im Übrigen wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.

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Das Finanzgericht (FG) urteilte, die von der Klägerin geltend gemachten Entlastungsansprüche seien infolge des Fristablaufs erloschen. Die Voraussetzungen für eine Hemmung der Frist nach § 171 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO) seien im Streitfall nicht erfüllt, eine Wiedereinsetzung nach § 110 Abs. 1 AO komme nicht in Betracht. Zudem könne sich die Klägerin nicht auf die Grundsätze von Treu und Glauben wegen Erteilung einer unrichtigen Auskunft berufen. In Bezug auf die streitentscheidende Frage, ob W in dem Telefonat auch und gerade hinsichtlich der Entlastungstatbestände der §§ 51 und 54 EnergieStG für die Wahrung der Frist eine nicht vordruckgebundene —vorläufige— Antragstellung als ausreichend bezeichnet habe, widersprächen sich die in der mündlichen Verhandlung von B gemachten Angaben und die von W in dessen schriftlicher Zeugenaussage und in einer Stellungnahme gemachten Aussagen, was unterschiedliche Gründe haben könne. Jedenfalls habe sich der erkennende Senat von der Richtigkeit des Vortrags der Klägerin nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens nach Ausschöpfung aller erreichbaren Erkenntnisgrundlagen nicht überzeugen lassen. Skepsis gegenüber den Angaben der B schöpfe der Senat aus einem Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 17. März 2011, in dem ausgeführt worden sei, die Zeugin B habe in dem Telefonat wissen wollen, ob es für die Antragstellung Fristen gebe. Nach ihren eigenen Angaben seien ihr die Fristen jedoch sehr wohl bekannt gewesen. Auf eine Vernehmung des erkrankten Zeugen W habe der Senat im Einvernehmen mit den Beteiligten verzichtet.

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Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen mangelnder Sachaufklärung (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Der zur mündlichen Verhandlung geladene Zeuge W habe zuvor schriftlich erklärt, sich an das mit B geführte Telefonat nicht mehr erinnern zu können. Dies sei der Grund gewesen, weshalb sie (die Klägerin) auf dessen Vernehmung verzichtet habe. Dabei sei sie davon ausgegangen, dass dann auch dessen Aktenvermerk nicht als Grundlage der Entscheidungsfindung dienen könne. Denn das Gericht hätte diesen nur dann verwerten dürfen, wenn es dem Zeugen W den Inhalt Wort für Wort vorgehalten und dabei den Fragenkatalog berücksichtigt hätte, der nie vorgelegt worden sei. Zu seinem Ergebnis habe das FG nur dann kommen können, wenn es zu der Überzeugung gekommen wäre, B sage die Unwahrheit. Dies habe das FG jedoch nicht festgestellt. Zudem habe sie vorgetragen, die E-Mail vom 27. Dezember 2010 nie erhalten zu haben. Zum Beweis dafür habe sie eine Untersuchung der Festplatte und einen Beweis durch Sachverständigengutachten angeboten. Entgegen des Beweisantrags sei das Gutachten vom FG nicht eingeholt worden. Schließlich hätte das FG über das von ihm in der Urteilsbegründung in Bezug genommene Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 17. März 2011 aufklären und hierzu den Prozessbevollmächtigten befragen müssen.

5

Das HZA ist der Beschwerde entgegengetreten.

6

II. Die Beschwerde ist unbegründet, denn die behaupteten Verfahrensmängel liegen entweder nicht vor oder sie sind nicht hinreichend dargelegt, wie dies nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlich ist.

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1. Die gerügten Verfahrensfehler einer vom FG unterlassenen Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO) sowie eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 81 Abs. 1 FGO) liegen nicht vor. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme gilt nicht ausnahmslos. Aus ihm ergibt sich, dass das bloß mittelbare Beweismittel zulässigerweise nur verwendet werden kann, wenn die Erhebung des unmittelbaren Beweises unmöglich, unzulässig oder unzumutbar erscheint oder wenn die Beteiligten der Berücksichtigung des mittelbaren Beweismittels nicht widersprechen (Senatsurteil vom 26. April 1988 VII R 124/85, BFHE 153, 463, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern 1988, 297, m.w.N.). Allerdings muss im Urteil zum Ausdruck kommen, dass der unterschiedliche Beweiswert von Urkunden- und Zeugenbeweis gesehen und berücksichtigt wurde (Beschluss des Bundesfinanzhofs —BFH— vom 26. Juli 2010 VIII B 198/09, BFH/NV 2010, 2096).

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a) Nach diesen Grundsätzen konnte das FG die schriftliche Zeugenaussage und die schriftliche Stellungnahme des W im Rahmen der Entscheidungsfindung als Erkenntnisquelle berücksichtigen, ohne gegen § 81 Abs. 1 FGO zu verstoßen. In der Urteilsbegründung hat das FG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Vernehmung des erkrankten Zeugen W keine weiteren Erkenntnisse hätte erwarten lassen, dass auf dessen Vernehmung im Einvernehmen mit allen Beteiligten verzichtet worden sei, dass sich der Senat mangels einer Vernehmung keinen eigenen Eindruck von dessen Glaubwürdigkeit hätte verschaffen können und dass der aktenkundigen Stellungnahme nur ein eingeschränkter Erkenntniswert zukomme. Infolgedessen durfte das FG die mittelbaren Beweismittel bei seiner Entscheidungsfindung berücksichtigen.

9

b) Darüber hinaus ist von einem Rügeverlust der Klägerin auszugehen. Ausweislich des Tatbestands des angefochtenen Urteils ist die schriftliche Aussage des Zeugen W in der mündlichen Verhandlung verlesen worden. Zudem ergibt sich aus der Niederschrift des Erörterungstermins, dass sich der Zeuge W in einem Aktenvermerk zu dem Inhalt des Telefonats mit B geäußert hat und dass dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Zusendung einer Kopie dieses Vermerks zugesagt worden ist. Bei diesem Befund musste die Klägerin mit einer Verwertung der schriftlichen Zeugenaussage und des Aktenvermerks durch das FG rechnen und konnte nicht davon ausgehen, das FG werde sich mit einem Verzicht der Vernehmung des für ihn aufgrund einer Erkrankung unerreichbaren Zeugen W begnügen. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin der Verlesung der schriftlichen Zeugenaussage nicht widersprochen und ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung hat sie auch keine Beweisanträge gestellt. Der Berücksichtigung der ihr bekannten mittelbaren Beweismittel zu widersprechen, wäre der Klägerin jedoch zumutbar und möglich gewesen. Die unterlassene rechtzeitige Rüge hat nunmehr den endgültigen Rügeverlust zur Folge (vgl. BFH-Beschluss vom 19. Mai 2009 VI B 8/08, BFH/NV 2009, 1454).

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2. Soweit die Klägerin rügt, das FG habe verfahrensfehlerhaft die Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens unterlassen, liegt kein Verfahrensmangel vor, weil die Klägerin auch hinsichtlich dieses Vorbringens ihr Rügerecht verloren hat. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung war die Frage des Eingangs der E-Mail des HZA vom 27. Dezember 2010 Gegenstand der Erörterungen. In diesem Rahmen wurde auch zum Erkenntniswert des Ausdrucks des Posteingangs und der gesendeten Elemente des E-Mail-Accounts einer bei der Klägerin beschäftigten Mitarbeiterin Stellung genommen. Der Klägerin war somit bewusst, dass das FG ihrem Beweisantrag nicht gefolgt war, denn ein Sachverständigengutachten lag nicht vor. Dennoch hat sie von einer Rüge abgesehen und damit auf die Wahrnehmung ihrer Rechte verzichtet.

11

3. Hinsichtlich des vom FG in Bezug genommenen Schreibens vom 17. März 2011 legt die Klägerin nicht schlüssig dar, warum das FG über dieses Schreiben, das sie durch ihren Prozessbevollmächtigten selbst hat fertigen lassen, näher hätte aufklären müssen. Unerörtert bleibt insbesondere, weshalb sich dem FG aus seiner maßgeblichen Sicht die Befragung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin zur Erklärung des Inhalts des Schreibens hätte aufdrängen müssen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass das FG Anlass gehabt haben sollte, den Inhalt des Schreibens in einem anderen Sinn zu deuten, als dies der insoweit klare Wortlaut nahelegt.

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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