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Bundesfinanzhof
Beschl. v. 02.10.2012, Az.: IX B 11/12
Umfang der Sachaufklärungspflicht im finanzgerichtlichen Verfahren
Gericht: BFH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 02.10.2012
Referenz: JurionRS 2012, 28561
Aktenzeichen: IX B 11/12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

FG Sachsen - 07.12.2011 - AZ: 5 K 1063/03

Rechtsgrundlage:

§ 76 Abs. 1 FGO

BFH, 02.10.2012 - IX B 11/12

Redaktioneller Leitsatz:

Die Pflicht zur Sachaufklärung gebietet es in der Regel, substantiierten Beweisanträgen nachzugehen. Die Zurückweisung mit der Begründung, der Beweisantritt sei "ins Blaue hinein" erfolgt ist nur in Ausnahmefällen zulässig.

Gründe

1

Die Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorinstanz und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht --FG-- (§ 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) geltend gemachte Verfahrensmangel (i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) der Verletzung der Sachaufklärungspflicht liegt vor; auf ihm kann die angefochtene Entscheidung beruhen.

2

1. Soweit sich aber die Klägerin inhaltlich gegen die vom FG vorgenommene Schätzung (einschließlich Schätzungsmethode und Schätzungsergebnis) wendet, rügt sie keinen Verfahrensmangel, sondern lediglich materielle Fehler in der Rechtsanwendung (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 2. November 2006 I B 22/06, BFH/NV 2007, 464; vom 3. Februar 2011 V B 132/09, BFH/NV 2011, 760; vom 1. Februar 2012 VI B 71/11, BFH/NV 2012, 767), die indes eine Zulassung der Revision nicht rechtfertigen. Dass das Schätzungsergebnis wirtschaftlich unmöglich oder schlechthin unvertretbar ist (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2011, 760; in BFH/NV 2012, 767; vom 18. Juni 2012 VI B 108/11, BFH/NV 2012, 1612, unter II.2.), ist weder dargelegt noch ersichtlich.

3

2. Jedoch hat das FG die ihm obliegende Pflicht zur Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO) dadurch verletzt, dass es den angebotenen Sachverständigenbeweis zu Wertentwicklung und Wertzuwachs des fraglichen Grundstücks nicht erhoben hat.

4

a) Das FG ist verpflichtet, von Amts wegen den Sachverhalt zu erforschen (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) und ihn unter allen ernstlich in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen. Es muss zwar nicht jeder noch so fern liegenden Erwägung nachgehen, wohl aber die sich im Einzelfall aufdrängenden Überlegungen auch ohne entsprechenden Hinweis der Beteiligten anstellen. Daher muss es substantiierten Beweisanträgen der Beteiligten in der Regel nachkommen (vgl. BFH-Urteile vom 2. November 2000 X R 17/00, BFH/NV 2001, 611, sowie vom 12. August 1999 XI R 51/98, BFH/NV 2000, 299), "ins Blaue hinein" gestellten Beweisanträgen aber nicht (vgl. BFH-Beschlüsse vom 21. Dezember 2001 VIII B 132/00, BFH/NV 2002, 661; vom 15. Mai 2007 I B 120/06, BFH/NV 2007, 1686).

5

b) Im Streitfall hat das FG es unterlassen, dem von der Klägerin angebotenen Beweis durch Sachverständigen-Gutachten hinsichtlich der Wertentwicklung und des steuerbaren Wertzuwachses des fraglichen Grundstücks für Zwecke des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes nachzugehen. Zwar hat das FG insoweit ein Sachverständigen-Gutachten als Beweiserhebung "ins Blaue hinein" nicht für erforderlich gehalten; die dafür gegebene Begründung trägt indes nicht. Denn zum einen wäre es gerade Aufgabe des Sachverständigen über die "individuelle Bewertung durch die Erwerber" hinaus (weitere) Gesichtspunkte zusammen zu tragen und zu bewerten, zum anderen hätte das FG in Erfüllung seiner Hinweispflicht (§ 76 Abs. 2 FGO) auf den (vermeintlichen) Mangel des Beweisantrags der Klägerin hinweisen bzw. auf eine Konkretisierung des Beweisantrags hinwirken müssen. Das ist nicht geschehen.

6

3. a) Aufgrund des vorliegenden Verfahrensmangels (s. 2.b) wird das FG-Urteil ohne sachliche Nachprüfung aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 116 Abs. 6 FGO). Das FG wird die unterlassene Beweiserhebung durch Sachverständigen-Gutachten hinsichtlich der Wertentwicklung und des Wertzuwachses nachholen oder aber hinreichend zu erklären haben, warum es der Beweiserhebung nicht bedarf, z.B. weil das Beweismittel für die Entscheidung unerheblich oder untauglich ist oder die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 1. Februar 2007 VI B 124/06, BFH/NV 2007, 956; vom 26. November 2008 IX B 122/08, BFH/NV 2009, 600).

7

b) Für das weitere Verfahren wird auf Folgendes hingewiesen:

Mit Recht hat das FG die geltend gemachten Planungskosten ohne entsprechende Nachweise nicht berücksichtigt; ebenso sind Eigenleistungen keine Aufwendungen und daher auch keine Herstellungskosten eines Gebäudes (vgl. BFH-Urteil vom 1. Oktober 1985 IX R 58/81, BFHE 145, 43, BStBl II 1986, 142; Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 11. Aufl., § 21 Rz 62 Stichwort "Eigenleistung").

8

Hinsichtlich des Schreibens des Bundesministers der Finanzen vom 20. Dezember 2010 (BStBl I 2011, 14) verweist der Senat auf seine Beschlüsse vom 11. April 2012 IX B 14/12 (BFH/NV 2012, 1130) und vom 12. Juli 2012 IX B 64/12 ([...]).

9

c) Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 23. September 2009 IX B 52/09, BFH/NV 2010, 220, unter 3.).

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