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Bundesfinanzhof
Beschl. v. 27.12.2011, Az.: III B 35/11
Voraussetzungen für die Verwirkung eines Anspruchs der Familienkasse auf Rückforderung zu Unrecht gezahlten Kindergeldes
Gericht: BFH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 27.12.2011
Referenz: JurionRS 2011, 34747
Aktenzeichen: III B 35/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

FG Niedersachsen - 15.12.2010 - AZ: 9 K 20/08

Fundstelle:

BFH/NV 2012, 696-697

BFH, 27.12.2011 - III B 35/11

Gründe

1

Die Beschwerde ist unzulässig und wird durch Beschluss verworfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat die behaupteten Zulassungsgründe nicht in der von § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO geforderten Art und Weise dargelegt.

2

1. a) Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) ist eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herauszustellen, der grundsätzliche Bedeutung zukommen soll. Hierzu bedarf es substantiierter Angaben, inwieweit die aufgeworfene Frage im Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Fortentwicklung und Handhabung des Rechts klärungsbedürftig und im konkreten Fall auch klärungsfähig ist (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. Oktober 2010 II B 39/10, BFH/NV 2011, 206). Die Beschwerde muss sich insbesondere mit der einschlägigen Rechtsprechung des BFH, den Äußerungen im Schrifttum sowie mit ggf. veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinandersetzen (Senatsbeschluss vom 17. August 2004 III B 121/03, BFH/NV 2005, 46). Liegt bereits eine Entscheidung des BFH zu der entscheidungserheblichen Frage vor, ist schlüssig und substantiiert darzulegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Frage nach wie vor umstritten und inwiefern sie im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig geblieben oder erneut geworden ist. Es muss im Einzelnen konkret dargetan werden, welche neuen gewichtigen, wesentlichen rechtlichen Gesichtspunkte zu der aufgezeigten Rechtsfrage vorgetragen werden, die der BFH bisher nicht geprüft hat (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 116 FGO Rz 179, m.w.N.).

3

b) Diesen Maßstäben genügt die Beschwerde nicht. Zum einen werden dort keine bestimmten abstrakten Rechtsfragen herausgestellt, sondern weitgehend nur einzelfallbezogene Ausführungen gemacht. Zum anderen setzt sich die Klägerin nicht mit der bereits vorliegenden Rechtsprechung des BFH auseinander und legt in Anbetracht dessen auch nicht dar, welche Fragen bislang ungeklärt geblieben sind oder welche Gesichtspunkte eine neuerliche Überprüfung der bestehenden Rechtsgrundsätze gebieten könnten.

4

aa) Soweit die Klägerin die Einwendung der Verwirkung anspricht, ist darauf zu verweisen, dass der BFH in zahlreichen Entscheidungen geklärt hat, unter welchen Voraussetzungen die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) ihren Anspruch auf Rückforderung zu Unrecht gezahlten Kindergeldes verwirkt. Es kommt danach nur dann zu einer Verwirkung, wenn der Kindergeldempfänger aus dem Verhalten der Familienkasse bei objektiver Beurteilung den Schluss ziehen durfte, dass ihm das zu Unrecht gezahlte Kindergeld belassen wird. Die Weiterzahlung des Kindergeldes trotz Wegfalls der Anspruchsvoraussetzungen reicht als Vertrauenstatbestand nicht aus. Eine Verwirkung kommt nur in Betracht, wenn darüber hinaus besondere Umstände gegeben sind, die die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs als illoyale Rechtsausübung erscheinen lassen. Bei einem Massenverfahren wie dem Kindergeldrecht ist ein besonders eindeutiges Verhalten der Familienkasse zu fordern, dem entnommen werden kann, dass sie auch unter Berücksichtigung veränderter Umstände von einem Fortbestehen des Kindergeldanspruchs ausgeht und ein anderer Eindruck bei dem Kindergeldempfänger ausgeschlossen ist. Dem Verhalten der Familienkasse muss demnach die schlüssige Zusage zu entnehmen sein, dass der Kindergeldempfänger mit einer Rückforderung des Kindergeldes nicht zu rechnen braucht (BFH-Urteile vom 14. Oktober 2003 VIII R 56/01, BFHE 203, 472, BStBl II 2004, 123; vom 15. Juni 2004 VIII R 93/03, BFH/NV 2005, 153; BFH-Beschlüsse vom 22. Januar 2004 VIII B 289/03, BFH/NV 2004, 759; vom 28. Mai 2004 VIII B 63/04, BFH/NV 2004, 1526). Die bloße Weiterzahlung des Kindergeldes trotz Kenntnis von Umständen, die zum Wegfall des Kindergeldanspruchs führen, schafft nach der Rechtsprechung somit keinen Vertrauenstatbestand (BFH-Urteil in BFH/NV 2005, 153).

5

bb) Auch im Hinblick auf den weiteren Vortrag der Klägerin, wonach das Finanzgericht (FG) bezüglich des von ihr geltend gemachten Entreicherungseinwands nicht bedacht habe, dass sie unter Anrechnung des Kindergeldes im Rückforderungszeitraum "ALG-II" erhalten habe, hat der BFH bereits entschieden, dass ein Billigkeitserlass nach § 227 der Abgabenordnung (AO) gerechtfertigt sein kann, wenn im Hinblick auf die Gewährung von Kindergeld Sozialleistungen des Empfängers gekürzt wurden, die bei einer später erfolgenden Rückforderung des Kindergeldes nicht mehr nachgezahlt werden können (vgl. Senatsurteile vom 15. März 2007 III R 54/05, BFH/NV 2007, 1298; vom 19. November 2008 III R 108/06, BFH/NV 2009, 357; vom 18. Dezember 2008 III R 93/06, BFH/NV 2009, 749; vom 30. Juli 2009 III R 22/07, BFH/NV 2009, 1983). Ob hinsichtlich der Rückforderung des Kindergeldes ein Antrag auf Billigkeitserlass darauf gestützt werden kann, dass dieses bei der Ermittlung der entsprechenden Sozialleistung als Einkommen des Betroffenen berücksichtigt wurde, kann allerdings in einem die Rechtmäßigkeit der Rückforderung betreffenden Revisionsverfahren nicht geklärt werden (Senatsbeschlüsse vom 21. Juli 2008 III S 17/08 (PKH), [...]; vom 6. Mai 2011 III B 130/10, BFH/NV 2011, 1353).

6

cc) Schließlich fehlt es in Bezug auf das Vorbringen der Klägerin zu § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO an der Darlegung der Klärungsfähigkeit. Das FG hat nämlich die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung, deren Rechtmäßigkeit von der Klägerin im Übrigen gar nicht bestritten wird, allein auf § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes gestützt.

7

2. Auch das von der Klägerin geltend gemachte Erfordernis einer Entscheidung des BFH zur Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 FGO) ist nicht substantiiert dargelegt worden. Einer Rechtsfortbildung bedarf es nur, wenn über ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden ist oder gegen die bestehende höchstrichterliche Rechtsprechung gewichtige Gründe vorgetragen worden sind, die der BFH noch nicht erwogen hat (Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 41, m.w.N.). Die maßgeblichen Rechtsfragen sind aber --wie oben dargelegt-- bereits mehrfach entschieden. Gewichtige Gründe gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung werden in der Beschwerde nicht angeführt.

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