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Bundesfinanzhof
Beschl. v. 14.12.2011, Az.: V B 21/11
Zulässigkeit der Änderung einer Umsatzsteuerfestsetzung durch Umsatzsteuerbescheid; Anforderungen an eine schlüssige Rüge eines Verfahrensmangels wegen Nichtberücksichtigung des Inhalts der Akten
Gericht: BFH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 14.12.2011
Referenz: JurionRS 2011, 33725
Aktenzeichen: V B 21/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

FG München - 26.04.2010 - AZ: 7 K 1741/07

BFH - 11.01.2011 - AZ: I B 87/10

Fundstelle:

BFH/NV 2012, 602-603

BFH, 14.12.2011 - V B 21/11

Gründe

1

I. In dem Verfahren ist streitig, ob der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--), die Umsatzsteuerfestsetzung für 1997 (Streitjahr) durch den Umsatzsteuerbescheid 1997 vom 22. Juli 2005 ändern durfte.

2

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine im Immobilienbereich tätige GmbH. Alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin war X. Diese war außerdem zu 40 % an der Grundstücksgemeinschaft A-GbR (GbR) beteiligt, die restlichen 60 % hielt B. Am 10. Dezember 1997 schlossen die Klägerin und die GbR einen Bauvertrag, nach dessen Wortlaut sich die Klägerin auf der Grundlage einer Baubeschreibung und eines Zahlungsplans gegen einen Festpreis von 1.695.650 DM zzgl. Mehrwertsteuer zur schlüsselfertigen Sanierung und Modernisierung eines Mehrfamilienhauses verpflichtete. Die ersten drei Abschlagszahlungen gemäß Zahlungsplan in Höhe von zusammen 700.000 DM stellte die Klägerin bereits am 17. Dezember 1997 in Rechnung, die Zahlung der GbR erfolgte am 29. Dezember 1997. In der am 8. Dezember 1998 beim FA eingegangenen und zu einer Vorbehaltsfestsetzung führenden Umsatzsteuererklärung 1997 erfasste die Klägerin diese Abschlagszahlungen nicht, sondern gab lediglich steuerpflichtige Umsätze in Höhe von 3.630 DM sowie steuerfreie Vermietungsumsätze in Höhe von 15.948 DM an.

3

Im Anschluss an eine Außenprüfung unterwarf das FA die Anzahlungen der Umsatzsteuer und erließ unter dem 22. Juli 2005 einen geänderten Umsatzsteuerbescheid 1997, gegen den die Klägerin erfolglos Einspruch einlegte. Dabei hielt das FA eine Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung im Hinblick auf die für Steuerhinterziehungen verlängerte Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 370 der Abgabenordnung --AO--) für zulässig.

4

Die dagegen erhobene Klage blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging von einer steuerbaren und --mangels Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 9 des Umsatzsteuergesetzes 1993-- auch steuerpflichtigen Werklieferung der Klägerin aus, die wegen Vereinnahmung am 29. Dezember 1997 im Streitjahr zu versteuern gewesen sei. Der Erlass des Änderungsbescheids sei in 2005 verfahrensmäßig zulässig gewesen, da zur Überzeugung des Senats feststehe, dass die Geschäftsführerin X den Tatbestand einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung verwirklicht habe. Auch für eine steuerlich nicht bewanderte Person sei es wegen der im Vertrag vorgesehenen Umsatzsteuerpflicht der Leistung offensichtlich, dass die Einnahmen aus dem Bauvertrag vom 10. Dezember 1997 umsatzsteuerpflichtig gewesen seien. Der Geschäftsführerin X müsse aufgefallen sein, dass die Anzahlung von 700.000 DM in der Umsatzsteuererklärung 1997 nicht enthalten gewesen sei, da die Steuererklärung nur geringe Umsätze enthalten habe.

5

Die Klägerin beantragt

die Zulassung der Revision gegen das Urteil des FG

und begründet ihre Beschwerde mit Verfahrensmängeln.

6

Das FA beantragt,

die Nichtzulassungsbeschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

7

II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg und ist daher zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

8

Nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist die Beschwerde nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Die Nichtzulassung kann mit der Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

9

Die von der Klägerin vorgebrachten Gründe für eine Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) sind entweder nicht i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt worden oder sie liegen tatsächlich nicht vor.

10

a) Mit ihrer Rüge, das FG habe ihren Beweisantrag auf S. 7 des Schriftsatzes vom 20. April 2010 (Vernehmung des Rechtsanwalts Z als Zeugen) übergangen und dadurch seine Aufklärungspflicht nach § 76 Abs. 1 FGO verletzt, hat die Klägerin keinen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO schlüssig dargelegt.

11

Ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 26. April 2010 hat der Vertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung zwar den von der Berichterstatterin vorgetragenen Sachverhalt ergänzt und dazu die Ausführungen des Schriftsatzes vom 20. April 2010 mündlich dargelegt. Aus dem Sitzungsprotokoll ist indes nicht ersichtlich, dass der Prozessbevollmächtigte Beweisanträge gestellt oder gerügt hätte, dass der Termin ohne Vernehmung des in dem Schriftsatz vom 20. April 2010 benannten Zeugen stattfinde. Abgesehen davon ist § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO eine Verfahrensvorschrift, auf deren Einhaltung der Prozessbeteiligte --ausdrücklich oder durch Unterlassen der Rüge-- verzichten kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung --ZPO--). Die schlüssige Rüge, das FG habe einen Beweisantrag übergangen, erfordert daher jedenfalls bei einer --wie im Streitfall-- fachkundig vertretenen Klägerin die Darlegung, dass die Nichterhebung des angebotenen Beweises in der mündlichen Verhandlung gerügt wurde oder weshalb die Rüge nicht möglich war (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. März 2010 V B 57/08, BFH/NV 2010, 1312; vom 1. September 2008 IV B 4/08, BFH/NV 2009, 35; vom 14. Dezember 2006 VI B 7/06, BFH/NV 2007, 496; vom 21. März 2003 VIII B 293/02, BFH/NV 2003, 1192).

12

Die Klägerin hätte insoweit vortragen müssen, dass sie die unterlassene Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung vor dem FG gerügt, eine Protokollierung der Rüge verlangt und --im Falle der Weigerung des Gerichts, die Protokollierung vorzunehmen-- eine Protokollberichtigung beantragt habe (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2007, 496; vom 17. Dezember 2004 VIII B 152/04, BFH/NV 2005, 1102). Dies ist ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem FG vom 26. April 2010 nicht geschehen.

13

b) Soweit die Klägerin einen Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten geltend macht, weil das FG trotz offensichtlicher Kenntnis der Strafakte den --die Nichteröffnung des Verfahrens wegen Hinterziehung der Umsatzsteuer 1997 betreffenden-- Einstellungsbeschluss des Strafgerichts wegen strafprozessualer Verjährung nicht berücksichtigt habe, hat sie einen solchen Verstoß weder hinreichend dargelegt noch liegt ein solcher Verstoß tatsächlich vor.

14

aa) Die schlüssige Rüge eines Verfahrensmangels wegen Nichtberücksichtigung des Inhalts der Akten (§§ 76, 96 FGO) erfordert u.a. die genaue Angabe der jeweiligen Schriftstücke und Seitenzahlen aus den Akten und die sich ergebenden wesentlichen Tatumstände, die das FG nicht berücksichtigt hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 21. Januar 2011 V B 154/09, BFH/NV 2011, 822; vom 21. September 2000 XI B 13/99, BFH/NV 2001, 200, sowie vom 29. April 2004 V B 43/03, BFH/NV 2004, 1303). Die Klägerin hat zwar Angaben zum nicht berücksichtigten Schriftstück (Einstellungsbeschluss des Strafgerichts) gemacht, es fehlen aber Ausführungen dazu, aus welcher Akte und auf welcher Seite sich die offensichtliche Kenntnis des FG von dem besagten Einstellungsbeschluss ergeben soll.

15

bb) Im Übrigen darf die Revision --auch bei Vorliegen eines Verfahrensmangels- gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nur zugelassen werden, wenn die Entscheidung auf diesem Verfahrensfehler beruhen kann; diese Voraussetzung ist nur erfüllt, wenn die Möglichkeit besteht, dass das Urteil bei richtigem Verfahren anders ausgefallen wäre (vgl. BFH-Beschluss vom 29. Oktober 2009 IV B 5/09, BFH/NV 2010, 445; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 96). Im Streitfall fehlt es daran, weil das FG die Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung selbständig und unabhängig von einer etwaigen Beurteilung durch das Strafgericht zu prüfen hat; insbesondere besteht keine Bindung des FG an die strafrechtliche Beurteilung im Strafverfahren (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 822, sowie BFH-Beschluss vom 17. März 2010 X B 120/09, BFH/NV 2010, 1240; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 169 AO Rz 25). Die Einstellung des Strafverfahrens ist daher für die Festsetzungsverjährung nach §§ 169 ff. AO nicht entscheidungserheblich (vgl. Kruse in Tipke/ Kruse, a.a.O., § 169 AO Rz 26 a.E.), zumal vorliegend für die strafrechtliche Verfolgungsverjährung (§ 78 Abs. 2 Nr. 4 des Strafgesetzbuches) eine kürzere Frist als für die steuerrechtliche Festsetzungsverjährung gilt.

16

c) Soweit die Klägerin --im Falle einer fehlenden Kenntnis des FG vom Einstellungsbeschluss-- eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) hinsichtlich des Ausgangs des Strafverfahrens rügt, hat sie einen solchen Verstoß nicht schlüssig dargelegt. Ausweislich des Sitzungsprotokolls (zu dessen Beweiskraft vgl. § 94 FGO i.V.m. § 165 ZPO) hat die fachkundig vertretene Klägerin in der mündlichen Verhandlung auf keine Aufklärungsmaßnahme hingewirkt, sondern rügelos zur Sache verhandelt und damit ihr Rügerecht durch bloßes Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge verloren (§ 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO). Ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht wäre im Übrigen auch nicht entscheidungserheblich, da --wie unter II. 1. b) bb) ausgeführt ist-- das FG die Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung selbständig und unabhängig von einer etwaigen Beurteilung durch das Strafgericht zu prüfen hat.

17

d) Mit der Behauptung, das FG habe --wie die Einstellung des Strafverfahrens belege-- zu Unrecht eine Steuerhinterziehung der Klägerin bejaht, macht die Klägerin keinen Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, sondern materiell-rechtliche Fehler des Urteils geltend, die im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren regelmäßig unbeachtlich sind.

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