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Bundesfinanzhof
Beschl. v. 05.04.2011, Az.: VIII B 91/10
Mehrjähriges Versäumen des Beleges von erklärten Betriebsausgaben durch Steuerpflichtigen führt zu eingeschränkter Sachaufklärungpflicht des Finanzgerichts; Gerichtliche Sachaufklärungspflicht in Bezug auf erklärte Betriebsausgaben bei Versäumen ihres Beleges durch Steuerpflichtigen und entsprechendem gerichtlichen Hinweis
Gericht: BFH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 05.04.2011
Referenz: JurionRS 2011, 16713
Aktenzeichen: VIII B 91/10
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

FG Düsseldorf - 13.04.2010 - AZ: 13 K 3064/07 F

Fundstelle:

BFH/NV 2011, 1174-1175

BFH, 05.04.2011 - VIII B 91/10

Redaktioneller Leitsatz:

Verletzt ein Beteiligter die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten (vgl. § 76 Abs. 1 Sätze 2 und 3 FGO) dadurch, dass er über mehrere Jahre und auch im finanzgerichtlichen Prozess angesichts eines nochmaligen entsprechenden Hinweises des FG versäumt, seine Betriebsausgaben zu belegen, so führt dies zu einer Einschränkung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28. Juni 2006 V B 199/05, BFH/NV 2006, 2098, m.w.N.; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 76 Rz 50, m.w.N.), da es dem FG unter den genannten Umständen nicht zumutbar ist, anstelle des beweisnäheren Klägers tätig zu werden und etwaige weitere, bis zur mündlichen Verhandlung nicht belegte Betriebsausgaben zu dessen Gunsten zu erforschen.

Gründe

1

I.

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Augenarzt, der zunächst erklärungsgemäß veranlagt wurde. Nach einer Außenprüfung wurde die Einkommensteuer für die Streitjahre erheblich heraufgesetzt aufgrund von Hinzuschätzungen bei den Einnahmen sowie erheblichen Minderungen der erklärten Betriebsausgaben, da der Kläger diese nicht (ordnungsgemäß) belegt hatte.

2

Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos. Im Klageverfahren vertrat der Kläger die Auffassung, die vorgenommenen Schätzungen hätten den Charakter unzulässiger Strafschätzungen und die Steueränderungsbescheide seien demzufolge nichtig.

3

Nachdem der Berichterstatter in getrennten Telefongesprächen beiden Beteiligten gegenüber bekundet hatte, dass die Bescheide für 2001 und 2003 nichtig sein könnten, übergab der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) in der mündlichen Verhandlung für diese Jahre neue Änderungsbescheide, die sich von den vorausgegangenen durch die Berücksichtigung höherer Betriebsausgaben unterschieden.

4

Dem daraufhin gestellten Antrag auf Vertagung zur Stellungnahme hat das Finanzgericht (FG) nicht entsprochen. Dem hilfsweise gestellten Sachantrag hat es --über die bereits vom FA vorgenommenen Steuerminderungen hinaus-- für die Jahre 2001 und 2003 zu einem weiteren Teil stattgegeben.

5

II.

Die Beschwerde ist nicht begründet. Es bestehen keine Gründe für die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

6

Es liegt kein Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vor, auf dem das angefochtene Urteil beruhen könnte.

7

Die Rüge entscheidungserheblicher Verfahrensmängel, die in mangelnder Sachaufklärung, der Versagung des rechtlichen Gehörs wegen abgelehnter Vertagung und Verstoßes gegen die prozessuale Waffengleichheit liegen sollen, greift nicht durch.

8

a)

Das FG war nicht gehalten, im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) den Sachverhalt in Bezug auf die vom Kläger erklärten Betriebsausgaben weiter aufzuklären. Der Kläger hat es über mehrere Jahre und auch im finanzgerichtlichen Prozess versäumt, seine Betriebsausgaben zu belegen, auch angesichts eines nochmaligen entsprechenden Hinweises des FG. Verletzt ein Beteiligter auf diese Weise die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten (vgl. § 76 Abs. 1 Sätze 2 und 3 FGO), so führt dies regelmäßig zu einer Einschränkung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28. Juni 2006 V B 199/05, BFH/NV 2006, 2098, m.w.N.; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 76 Rz 50, m.w.N.). Unter den genannten Umständen war es dem FG nicht zumutbar, anstelle des beweisnäheren Klägers tätig zu werden und etwaige weitere, bis zur mündlichen Verhandlung nicht belegte Betriebsausgaben zu dessen Gunsten zu erforschen.

9

b)

Der vom Kläger gerügte Verfahrensmangel des nicht gewährten rechtlichen Gehörs (§ 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 3 FGO) infolge einer abgelehnten Vertagung der mündlichen Verhandlung ist nicht festzustellen.

10

aa)

Nach § 155 FGO i.V.m. § 227 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann eine Verhandlung aus erheblichen Gründen vertagt werden. Liegen erhebliche Gründe vor, verdichtet sich die in dieser Vorschrift eingeräumte Ermessensfreiheit zu einer Rechtspflicht, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits durch die Aufhebung oder Verlegung des Termins verzögert wird (vgl. BFH-Beschlüsse vom 3. Juli 2001 II B 132/00, BFH/NV 2002, 30; vom 28. Juli 2005 VII B 21/05, BFH/NV 2005, 2037; vom 19. November 2009 IX B 160/09, BFH/NV 2010, 454, jeweils m.w.N.).

11

Im Streitfall war es weder ermessensfehlerhaft noch aus anderen Gründen verfahrensrechtswidrig, dass das FG dem Antrag auf Vertagung nicht entsprochen hat. Die vom FA in der mündlichen Verhandlung übergebenen Änderungsbescheide sind gemäß § 68 FGO Verfahrensgegenstand geworden, wobei es unerheblich ist, ob die ersetzten Bescheide einfach rechtswidrig oder aber nichtig waren (vgl. § 68 Sätze 1 und 4 Nr. 2 FGO ). Da sie die vom Kläger erklärten Betriebsausgaben nur zum Teil und nicht im erklärten Umfang berücksichtigten, war hinsichtlich des nicht anerkannten sachlichen Begehrens, wie es schon --auch bezüglich der Steuerfestsetzung für das Streitjahr 2002-- im schriftsätzlichen Hilfsantrag der Klagebegründung vom 4. Juni 2008 zum Ausdruck gekommen ist, keine Änderung des materiellen Streitstoffs eingetreten. Indem der Kläger in der mündlichen Verhandlung erklärte Betriebsausgaben weiterhin nicht belegt und eine weitere Frist zur Stellungnahme beantragt hat, zeigt sich, dass er insoweit nicht ausreichend auf die mündliche Verhandlung vorbereitet war. Angesichts der schriftlichen Stellungnahmen des FA vor der mündlichen Verhandlung (vom 14. Oktober 2008 und vom 23. September 2009) hätte der Kläger bei der gebotenen gewissenhaften Vorbereitung nicht darauf setzen dürfen, dass er mit seiner Argumentation zur Nichtigkeit der angefochtenen Bescheide jedenfalls Erfolg haben würde und es für die Entscheidung des FG nicht mehr auf die Höhe der Betriebsausgaben ankommen könne. Die mangelnde Vorbereitung einer Partei ist ausdrücklich kein Vertagungsgrund (§ 227 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO).

12

bb)

Die Obliegenheit zur gewissenhaften Terminsvorbereitung war auch nicht aufgrund eines Verhaltens des FG entfallen: Das FG hat die Waffengleichheit (verfahrensrechtliche Symmetrie) gewahrt, denn sowohl der Kläger wie auch das FA sind vor der mündlichen Verhandlung davon unterrichtet worden, dass die nach der Außenprüfung ergangenen Änderungsbescheide möglicherweise nichtig sein könnten. Damit war allerdings der Ausgang des Verfahrens nicht präjudiziert; der Kläger musste vielmehr darauf vorbereitet sein, ggf. auch seinen Vortrag zur behaupteten zutreffenden Höhe der Betriebsausgaben begründen und einen Nachweis der geltend gemachten Betriebsausgaben führen zu können. Diese Vorbereitung war also jedenfalls geboten und unabhängig von der in der mündlichen Verhandlung eingetretenen Änderung der Prozesssituation und dem dann angepassten hilfsweise gestellten Sachantrag.

13

c)

Soweit der Kläger mit der Beschwerde vorbringt, er hätte bei einer Vertagung auch Beweis durch Zeugenvernehmung erbringen können, kann er damit im Beschwerdeverfahren nicht mehr gehört werden, weil ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung dort kein Beweisantrag gestellt war. Derjenige Beteiligte, der in der mündlichen Verhandlung keine Beweisanträge stellt und die aus seiner Sicht mangelnde Sachaufklärung durch das Gericht in der mündlichen Verhandlung nicht rügt, kann sich nach ständiger Rechtsprechung nicht auf die Verletzung der Aufklärungspflicht berufen (sog. Rügeverzicht, § 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO; s. etwa Beschluss des Senats vom 6. September 2006 VIII B 187/05, BFH/NV 2007, 74; Gräber/ Stapperfend, a.a.O., § 76 Rz 33, m.w.N.). Darüber hinaus hat der Kläger auch im Beschwerdeverfahren weder Beweisthema noch Beweismittel benannt und auch nicht hinreichend dargelegt, was das entscheidungserhebliche voraussichtliche Ergebnis einer Beweisaufnahme hätte sein sollen.

14

d)

Die Rüge einer Überraschungsentscheidung greift nicht durch. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH liegt eine Überraschungsentscheidung und damit eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis seine Entscheidung auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt, der weder im Besteuerungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren zur Sprache gekommen ist und mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (BFH-Beschluss vom 7. Dezember 2005 I B 90/05, BFH/NV 2006, 601, m.w.N.; BFH-Urteil vom 2. Oktober 2007 IX B 24/07, BFH/NV 2008, 92).

15

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben. Die Höhe der geschätzten Besteuerungsgrundlagen auf der Ausgabenseite war Gegenstand des gesamten Verfahrens seit der Außenprüfung. Der Punkt der fehlenden Betriebsausgabenbelege war nach den den BFH bindenden tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil (§ 118 Abs. 2 FGO) auch Gegenstand eines Telefongesprächs zwischen dem Berichterstatter und der Klägerseite noch vor der mündlichen Verhandlung und ist dort seitens des Gerichts ausdrücklich als problematisch angesehen worden. Dass das Verfahren schließlich einen anderen Gang genommen und zu einem anderen Ergebnis geführt hat, als vom Kläger erhofft, macht das angefochtene Urteil nicht zu einer Überraschungsentscheidung im Rechtssinne.

16

Sollte der Kläger mit der Äußerung, er sei (u.a.) durch die Vorlage von Änderungsbescheiden überrascht worden, auch das verfahrensrechtliche Geschehen als solches rügen wollen, so fehlt es jedenfalls an einer Darlegung, warum insoweit das Verfahren fehlerhaft gewesen sein soll oder warum dem sachkundig vertretenen Kläger gerade in dieser Hinsicht eine Frist zur Stellungnahme hätte eingeräumt werden müssen.

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