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Bundesfinanzhof
Beschl. v. 22.10.2009, Az.: X B 89/08
Übergehen eines entscheidungserheblichen Beweisantrags als Verfahrensfehler; Ergehen einer fiktiven Steuerfestsetzung
Gericht: BFH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 22.10.2009
Referenz: JurionRS 2009, 27636
Aktenzeichen: X B 89/08
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

FG Rheinland-Pfalz - 20.02.2008 - AZ: 1 K 1770/07

Fundstelle:

BFH/NV 2010, 173-174

BFH, 22.10.2009 - X B 89/08

Gründe

1

Die Beschwerde ist unbegründet.

2

Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend gemachten Verfahrensmängel gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) werden teils nicht zutreffend dargelegt, teils liegen sie nicht vor.

3

1.

Die vorgebrachten Verfahrensmängel sind nicht bereits --in entsprechender Anwendung des § 126 Abs. 4 FGO-- deshalb unerheblich, weil der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) durch unter dem 28. Oktober 2004 erlassene Bescheide den Vorbehalt der Nachprüfung im Einkommensteuer- und Gewerbesteuermessbescheid des Streitjahres aufgehoben hat und diese bestandskräftig geworden sind.

4

a)

Gemäß § 164 Abs. 3 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) steht die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung einer (endgültigen) Steuerfestsetzung gleich, so dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) durch Einspruch und Rechtsmittel gegen diesen Bescheid die Steuerfestsetzung inhaltlich nochmals voll überprüft werden kann (vgl. z.B. Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl., § 164 Rz 44). Diese fiktive Steuerfestsetzung nimmt wie jeder Änderungsbescheid die früheren Steuerbescheide in sich auf (vgl. zur Wirkung von Änderungsbescheiden Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231; zur Funktion des Aufhebungsbescheids als Änderungsbescheid gemäß § 68 FGO vgl. z.B. BFH-Urteil vom 25. Februar 2009 IX R 24/08, BFHE 224, 390, BStBl II 2009, 587).

5

b)

Der Kläger hat den Zugang der Aufhebungsbescheide unter dem 28. Oktober 2004 nicht bestritten und hiergegen verfristet im März 2005 Einspruch erhoben, so dass die Aufhebungsbescheide mit Ablauf der Einspruchsfrist bestandskräftig geworden sind. Der Vorbehalt der Nachprüfung in den unter dem 18. Oktober 2000 erlassenen Bescheiden ist seinerseits jedoch nur wirksam, wenn diese Bescheide gemäߧ§ 122, 124 AO wirksam bekanntgegeben worden sind (vgl. Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 164 AO Rz 11). Ist dies nicht der Fall, kann nach Auffassung des Senats durch einen Aufhebungsbescheid keine fiktive Steuerfestsetzung i.S. des§ 164 Abs. 3 Satz 2 AO ergehen. Der Regelungsgehalt eines Aufhebungsbescheids, der einen unwirksamen Vorbehalt der Nachprüfung aufhebt, geht vielmehr ins Leere. Da im Streitfall nicht feststeht, ob von einer Bekanntgabe der unter dem 18. Oktober 2000 erlassenen Bescheide auszugehen ist und ob bestandskräftige Änderungsbescheide in Gestalt der Aufhebungsbescheide vorliegen, kann dem Kläger dieser Umstand im vorliegenden Verfahren nicht entgegengehalten werden.

6

2.

Die Verfahrensrügen des Klägers werden entweder nicht hinreichend dargelegt oder greifen im Ergebnis nicht durch.

7

a)

Das Finanzgericht (FG) ist davon ausgegangen, die unter dem 18. Oktober 2000 ergangenen Bescheide seien mit einfachem Brief zur Post gegeben worden. Ausgehend davon hat es einen Zugang beim Kläger nach den Grundsätzen der sog. Drei-Tages-Fiktion gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO bejaht. Hinsichtlich der Frage, ob die unter dem 18. Oktober 2000 erlassenen Bescheide dem Kläger zugegangen sind, hat das FG --in Einklang mit den Vorgaben der ständigen Rechtsprechung des BFH-- eine Gesamtwürdigung aller Indizien durchgeführt. Es hat hierbei Umstände berücksichtigt, die erst nach Absendung der Bescheide eingetreten sind, und ist zu der Überzeugung gekommen, dass die Bescheide dem Kläger zugegangen sind (vgl. Müller-Franken in HHSp, § 122 AO Rz 380 f., mit Nachweisen zur Rechtsprechung).

8

b)

Die Rügen des Klägers, die Beweiswürdigung des FG sei fehlerhaft, zielen --entgegen der Beschwerdebegründung vom 30. Juni 2008-- nicht auf Verfahrensfehler, sondern auf materielle Fehler ab und führen nicht zur Zulassung der Revision.

9

aa)

Sofern der Kläger geltend macht, es liege ein Verfahrensmangel vor, weil das FG seine Würdigung des Sachverhalts, die Bescheide unter dem 18. Oktober 2000 seien zugegangen, aus einer Gesamtschau verschiedener Indizien ableite (vgl. die Beschwerdebegründung vom 30. Juni 2008, S. 2 unter 1.), greift der Kläger im Stile einer Revisionsbegründung den rechtlichen Maßstab und das Ergebnis der Gesamtwürdigung des FG an. Dies gilt auch für die unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung des rechtlichen Gehörs vorgebrachte Rüge, das FG verlange auf S. 7 des FG-Urteils den nicht zu erbringenden Beweis des Nichtzugangs der Bescheide unter dem 18. Oktober 2000 (S. 4 unter 5. der Beschwerdebegründung). Der Kläger kritisiert im Kern, das FG messe bei seiner Gesamtwürdigung den von ihm vorgebrachten für den Nichtzugang der Bescheide sprechenden Umständen nicht dasselbe Gewicht bei, wie den für den Zugang sprechenden Indizien.

10

bb)

Die Rüge eines materiellen Fehlers statt eines Verfahrensfehlers enthalten auch die Ausführungen auf S. 5 unter 7. der Beschwerdebegründung. Das FG hat im Urteil (S. 5) ausgeführt, der Kläger habe aus den ihm übersandten Rückstandsaufstellungen über seine Steuerschulden schließen müssen, für das Streitjahr 1998 seien ihm gegenüber Steuerbescheide bereits erlassen worden. Die Tatsache, dass der Kläger passiv geblieben sei, lasse auf den Zugang der Bescheide schließen. Der Kläger hält dem entgegen, dieser Schluss verstoße gegen Denkgesetze. Er macht damit einen Rechtsfehler des FG geltend (vgl. zur Rüge des Verstoßes gegen Denkgesetze Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 76, 82, 83).

11

c)

Die Rügen, das FG habe den Sachverhalt entgegen der Verpflichtung gemäß § 76 FGO nicht hinreichend aufgeklärt, indem es die vom Kläger angebotenen Beweise und das beantragte Sachverständigengutachten nicht erhoben habe (S. 2 unter 2. und S. 4 unter 6. der Beschwerdebegründung) sind unbegründet.

12

aa)

Die nicht durchgeführte Vernehmung des im Oktober 2000 zuständigen Zustellers der Deutschen Post AG begründet keinen Verfahrensfehler.

13

Der Kläger hat während des Verfahrens beantragt (Bl. 53 der FG-Akte), den zuständigen Zusteller zu der behaupteten Tatsache zu vernehmen, der Briefkasten des Klägers habe sich am Ende des Grundstücks befunden, so dass Post nicht immer in den Briefkasten gelangt, sondern im Außenbereich abgelegt und verloren gegangen sei. Der Kläger rügt, das FG habe den Beweisantrag rechtsfehlerhaft als unsubstantiiert zurückgewiesen (S. 2 unter 2. der Beschwerdebegründung) und als unerheblich angesehen (S. 4 f. unter 4. und 5. der Beschwerdebegründung).

14

Das Übergehen eines entscheidungserheblichen Beweisantrags kann zwar grundsätzlich einen Verfahrensfehler begründen (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 80). Im Streitfall liegt in der Behandlung des Beweisantrags jedoch kein Verfahrensfehler. Bei der Prüfung, ob ein Beweisantrag übergangen worden ist, ist der materiell-rechtliche Standpunkt des FG zugrunde zu legen (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 79). Das FG hat zur Begründung, den Beweis nicht erheben zu müssen, die Tatsache, dass Post im fraglichen Zeitraum auf dem Grundstück des Klägers verloren gegangen sein kann, als wahr unterstellt, in seine Gesamtwürdigung einbezogen und begründet, warum nach seiner Überzeugung aufgrund der Umstände des Streitfalls alles dafür spricht, dass die Steuerbescheide unter dem 18. Oktober 2000 zugegangen sind. Nach dem Standpunkt des FG ist die beantragte Beweiserhebung somit nicht entscheidungserheblich. Dass der Kläger meint, die als wahr unterstellte Tatsache müsse in der Gesamtwürdigung zu einem anderen Beweisergebnis führen, stellt einen unbeachtlichen materiell-rechtlichen Einwand gegen das FG-Urteil dar (vgl. oben unter 2.b). Ob der Beweisantrag vom FG auch mit der zusätzlichen Begründung, er sei unsubstantiiert, zurückgewiesen werden durfte, kann dahinstehen. Denn selbst wenn dem FG hier ein Fehler unterlaufen sein sollte, kann das Urteil nicht auf dem Verfahrensfehler beruhen, da die zu beweisende Tatsache als solche nicht entscheidungserheblich ist.

15

bb)

Die Rüge, das FG habe keinen Beweis zu der behaupteten Tatsache erhoben, der Kläger habe nach fehlerhaften Zustellungen seinen Briefkasten auf die andere Seite seines Grundstücks verlegt, ist aus den vorgenannten Gründen ebenfalls nicht erheblich. Das FG hat auch diese behauptete Tatsache als wahr unterstellt, in seine Gesamtwürdigung einbezogen und ist nicht zu einer anderen Gesamtwürdigung gekommen.

16

cc)

Soweit der Kläger geltend macht, dass das FG den im Schriftsatz vom 14. Februar 2006 (Bl. 53 der FG-Akte) beantragten Sachverständigenbeweis nicht erhoben habe, ist diese Rüge unbegründet. Das FG hat den Antrag zutreffend als unsubstantiiert zurückgewiesen.

17

Unsubstantiiert sind Beweisanträge, wenn sie dazu dienen sollen, Behauptungen zu stützen, die ohne jegliche tatsächliche Grundlage aufgestellt werden (vgl. Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 76, Rz 29). So liegt es im Streitfall. Der Kläger hat sein Vorbringen, er sei nicht in der Lage gewesen, aus den Rückstandsaufstellungen Schlüsse auf bereits erlassene Steuerbescheide für das Streitjahr zu ziehen, in einen Beweisantrag gekleidet. Aufgrund welcher Umstände seine Erkenntnisfähigkeit begrenzt gewesen sein soll und warum diese Umstände mittels eines Sachverständigengutachtens aufzuklären sein sollten, ist im Beweisantrag nicht dargelegt.

18

d)

Die weiteren Rügen, das FG habe Hinweispflichten verletzt, führen nicht zur Revisionszulassung.

19

aa)

Soweit der Kläger auf S. 2 unter 2. der Beschwerdebegründung ausführt, das FG habe im Zusammenhang mit dem Antrag, den Zusteller der Deutschen Post AG zu vernehmen, nicht auf eine sachdienliche Formulierung des Antrags hingewirkt, fehlt es an der Erheblichkeit des behaupteten Verfahrensmangels. Das FG hat die zu beweisende Tatsache als wahr unterstellt und die Beweiserhebung für nicht entscheidungserheblich erachtet (siehe oben unter 2.c aa).

20

bb)

Das FG soll eine Überraschungsentscheidung getroffen haben, indem es in seiner Gesamtabwägung auf den Zeitpunkt der Umsetzung des Briefkastens auf dem klägerischen Grundstück abgestellt, dem Kläger aber hierzu keinen sachdienlichen Beweisantrag empfohlen habe (S. 3 unter 3. der Beschwerdebegründung). Des Weiteren habe das FG den Kläger vor der Entscheidung darauf hinweisen müssen, es sehe mehr Indizien als gegeben an, die für einen Zugang des Bescheids sprächen und Gelegenheit zu sachdienlichen Beweisanträgen geben müssen (S. 4 unter 5. der Beschwerdebegründung). Die vorgebrachten Verfahrensfehler werden nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechend dargelegt.

21

Zwar trifft das FG eine Überraschungsentscheidung und verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), § 96 Abs. 2 FGO, wenn es seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Mai 1991 1 BvR 1383/90, BVerfGE 84, 188, sowie des BFH vom 15. März 2002 X B 175/01, BFH/NV 2002, 944; vom 2. April 2002 X B 56/01, BFH/NV 2002, 947, und vom 11. Januar 2007 XI B 22/06, BFH/NV 2007, 909, m.w.N.).

22

Das FG ist aus dem Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, jedoch weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung in dem Sinne verpflichtet, dass es die maßgebenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten vorher umfassend und im Einzelnen zu erörtern oder ihnen die einzelnen für die Entscheidung erheblichen Gesichtspunkte, Schlussfolgerungen oder das Ergebnis seiner Gesamtwürdigung im Voraus anzudeuten oder mitzuteilen hätte (Senatsbeschlüsse vom 23. August 2007 X B 183/07, BFH/NV 2007, 2320; vom 22. November 2008 X B 205/07, nicht veröffentlicht). Der Vortrag des Klägers, in dem geschilderten Verhalten liege ein Verfahrensfehler, ist damit unschlüssig. Er rügt den Verstoß gegen Hinweispflichten des FG, die in dieser Form nicht bestehen.

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