Bundesfinanzhof
Beschl. v. 10.08.1978, Az.: IV B 41/77
Aussetzung; Verlustfeststellungsbescheid; Personengesellschaft; Einstweilige Anordnung
Bibliographie
- Gericht
- BFH
- Datum
- 10.08.1978
- Aktenzeichen
- IV B 41/77
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1978, 10318
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BFHE 125, 356 - 364
- BStBl II 1978, 584
- DB 1978, 2106-2107 (Volltext mit amtl. LS)
- DStR 1978, 712 (amtl. Leitsatz)
- GmbHR 1978, 263-264 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1979, 336 (amtl. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
1. Eine Aussetzung der Vollziehung eines einheitlichen Verlustfeststellungsbescheids in der Weise, daß vorläufig ein höherer Verlust festgestellt wird, ist nicht zulässig. Vorläufiger Rechtsschutz gegen einen einheitlichen Verlustfeststellungsbescheid, mit dem der Verlust einer KG - nach deren Auffassung - zu niedrig festgestellt ist (und den Mitunternehmern abweichend von der Erklärung der KG zugerechnet ist), kann nur in der Form einer einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO gewährt werden.
2. Beantrag eine KG, durch einstweilige Anordnung abweichend von einer angefochtenen einheitlichen Verlustfeststellung des Finanzamts vorläufig einen höheren Verlust festzustellen und diesen nach einem anderen Schlüssel auf die Mitunternehmer der Personengesellschaft zu verteilen, als dies im Verlustfeststellungsbescheid geschehen ist, so sind in diesem Verfahren die Mitunternehmer nicht notwendig beizuladen.
Tatbestand:
Streitig ist verfahrensrechtlich, ob die Vollziehung eines einheitlichen Verlustfeststellungsbescheids in der Weise ausgesetzt werden kann, daß mit dem Aussetzungsbeschluß ein höherer Verlust als im Feststellungsbescheid festgestellt wird, und sofern diese Frage zu verneinen sein sollte, ob im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 114 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ein entsprechend höherer Verlust festgestellt werden kann. Materiell-rechtlich ist streitig, wie hoch die Verluste einer KG sind und wie sie auf die Gesellschafter zu verteilen sind.
Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin), eine GmbH & Co. KG, befaßte sich in den Streitjahren 1974 und 1975 im wesentlichen mit dem Erwerb und der Verwertung gewerblicher Schutzrechte. Komplementärin der Antragstellerin war die X-GmbH. Im Streitjahr 1974 waren an der Antragstellerin 50 Kommanditisten, im Streitjahr 1975 3 Kommanditisten und 195 atypische stille Gesellschafter beteiligt.
In ihren Erklärungen zur einheitlichen und gesonderten Feststellung des Gewinns aus Gewerbebetrieb wies die Antragstellerin für 1974 einen Verlust von 1 579 399 DM und für 1975 einen Verlust von 7 422 355 DM aus.
Die Verluste rühren im wesentlichen aus dem Erwerb von Lizenzen durch Abschluß eines Lizenzvertrags i. V. m. einem sog. Wagnisbeteiligungsvertrag und aus der kurzfristigen Abschreibung von "Anschaffungskosten" für die Lizenzen von 18 Mio DM, aus der gewinnmindernden Behandlung von Zinsen für die gestundete Lizenzkaufpreisforderung und aus der gewinnmindernden Behandlung von Provisionszahlungen der KG für den Vertrieb der Kommanditanteile bzw. stillen Beteiligungen an der Antragstellerin her.
Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) stellte demgegenüber im Anschluß an eine Betriebsprüfung durch Bescheid vom 23. November 1976 die Verluste der Antragstellerin für 1974 auf 260 737 DM und für 1975 auf 1 653 952 DM einheitlich fest und verteilte für 1975 den festgestellten Verlust auf die Gesellschafter nach einem anderen Schlüssel als in der Feststellungserklärung.
Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin Sprungklage, über die noch nicht entschieden ist.
Außerdem beantragte die Antragstellerin beim Finanzgericht (FG), die Vollziehung des angefochtenen Feststellungsbescheids mit der Maßgabe auszusetzen, daß der Verlust für 1974 1 615 522 DM und für 1975 7 521 509 DM beträgt, hilfsweise, im Wege der einstweiligen Anordnung entsprechende vorläufige Feststellungsbescheide zu erlassen.
Das FG setzte die Vollziehung der Feststellungsbescheide in der Weise aus, daß der Verlust für 1974 insgesamt 542 522 DM beträgt und auf die Kommanditeinlagen lt. Bilanz von 1 623 000 DM mit 33,37 v. H. verteilt wird und für 1975 insgesamt 2 641 509 DM beträgt und auf die Einlagen der Kommanditisten und stillen Gesellschafter lt. Bilanz von 5 313 010,40 DM mit 49,78 v. H. verteilt wird.
Im einzelnen begründete das FG seine Entscheidung insbesondere wie folgt:
1. Zulässigkeit der Aussetzung der Vollziehung
a) Eine Vollziehung i. S. des § 69 FGO sei nicht nur die Beitreibung einer Geldforderung, sondern jede Handlung, durch die aus einem Verwaltungsakt Folgerungen gezogen würden. Dies ergebe sich daraus, daß auch Grundlagenbescheide in der Vollziehung ausgesetzt werden könnten (§ 69 Abs. 2 Satz 3 FGO).
b) Aussetzung der Vollziehung bedeute allerdings nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nur die vorläufige Nichtberücksichtigung eines ergangenen Bescheids, nicht hingegen die vorläufige Berücksichtigung eines nicht ergangenen Bescheides (Nachweise). Diese allein am Wortlaut des § 69 FGO orientierte Auslegung sei mit dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht vereinbar. Sie benachteilige ohne Grund solche Steuerpflichtigen, bei denen sich die für die Besteuerung maßgebenden Grundlagen nicht aus dem Steuerbescheid selbst, sondern zum Teil aus Grundlagenbescheiden ergäben. Eine an Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) orientierte verfassungskonforme Auslegung des § 69 FGO erfordere, im Wege der Aussetzung der Vollziehung die vorläufige Beseitigung der Folgewirkung nicht nur auf den positiven Inhalt des Grundlagenbescheids zu beschränken, sondern ihn auch auf den negativen Inhalt auszudehnen (Woerner, Der Betriebs-Berater 1970 S. 787 - BB 1970, 787 -).
c) Die Aussetzung des Einkommensteuerbescheids könne nicht mit der Begründung erreicht werden, ein gesondert festzustellender Verlust sei nicht in ausreichender Höhe berücksichtigt, denn im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung könne nur das vorweggenommen werden, was durch das Rechtsmittel gegen den Einkommensteuerbescheid zu erzielen sei.
d) Neben der Aussetzung der Vollziehung des Grundlagenbescheids stehe dem Steuerpflichtigen kein gleichwertiger vorläufiger Rechtsschutz zur Verfügung. Die Anforderungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO seien erheblich höher als diejenigen für die Aussetzung der Vollziehung. Insbesondere sei für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung ein gesonderter Anspruchsgrund, nämlich die Gefährdung des Rechts des Steuerpflichtigen, wesentliche Nachteile, drohende Gewalt oder andere Gründe, erforderlich. Allein die Tatsache, daß der Bescheid Wirkung für eine Vielzahl von Beteiligten habe, bilde keinen Anordnungsgrund, weil die Wirkung für eine Mehrzahl von Beteiligten typisches Merkmal der einheitlichen Feststellung der Einkünfte sei (anderer Ansicht Kappe, BB 1976, 457).
e) Der Weg über die Stundung der Einkommensteuer der Gesellschafter (Grimm, Deutsches Steuerrecht 1969 S. 657 - DStR 1969, 657 [FG Berlin 27.01.1969 - III - 137/68] -) erscheine zu schwerfällig und unökonomisch. Er würde bedingen, daß jeder einzelne Gesellschafter die materielle Rechtslage seinem Wohnsitz-FA vortragen müßte und dieses für jeden Einzelfall die Berechtigung des Verlustabzugs prüfen müßte. Dabei könnten naturgemäß unterschiedliche Ergebnisse nicht ausbleiben.
2. Begründetheit
Der Antrag auf Feststellung höherer Verluste sei teilweise begründet, da die Antragstellerin höhere Verluste glaubhaft gemacht habe (wird näher ausgeführt).
3. Verlustverteilung
Zu Recht habe das FA die Verluste abweichend von den Gewinnfeststellungserklärungen auf die einzelnen Gesellschafter verteilt (wird näher ausgeführt).
Mit der Beschwerde, die das FG zuließ, beantragt das FA, den angefochtenen Beschluß des FG aufzuheben und den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung als unzulässig zurückzuweisen. Das FA rügt unrichtige Anwendung des § 69 FGO. Das FA macht insbesondere geltend, nach der Rechtsprechung des BFH komme die Berücksichtigung eines höheren Verlustes im Wege der Aussetzung der Vollziehung nur ausnahmsweise in Betracht, nämlich dann, wenn der endgültige Feststellungsbescheid vorläufig festgestellte Verluste mindere oder wenn der erstmalige Grundlagenbescheid in schon vorab erlassene, den Steuerpflichtigen begünstigende Folgebescheide eingreife. Mit dieser Rechtsprechung stehe der angefochtene Beschluß nicht in Einklang.
Ein Sachvortrag zur Frage der Rechtmäßigkeit des Feststellungsbescheids erübrige sich, weil Gegenstand der Beschwerde ausschließlich die Auslegung des § 69 FGO sei.
Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen. Sie hält die Aussetzung der Vollziehung in der vom FG vorgenommenen Weise für zulässig und wiederholt hilfsweise ihren Antrag auf einstweilige Anordnung.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet.
Eine Aussetzung der Vollziehung eines Verlustfeststellungsbescheids in der Weise, daß vorläufig ein höherer Verlust festgestellt wird, ist entgegen der Ansicht der Vorentscheidung nach § 69 FGO nicht möglich; vorläufiger Rechtsschutz gegen einen Verlustfeststellungsbescheid, mit dem der Verlust nach Auffassung des Antragstellers zu niedrig festgestellt ist und abweichend von der Erklärung verteilt wird, kann nur in der Form einer einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO gewährt werden. Der Rechtsstreit ist nach Aufhebung der Vorentscheidung an das FG zurückzuverweisen, damit das FG nach Ablehnung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung über den hilfsweise gestellten Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung entscheiden kann.
1. Der Senat hat mit Beschluß vom 10. November 1977 IV B 33-34/76 (BFHE 123, 412, BStBl II 1978, 15) entschieden, daß gegen einen Bescheid, mit dem das FA es ablehnt, einen einheitlichen Verlustfeststellungsbescheid zu erlassen (sog. negativer Verlustfeststellungsbescheid) vorläufiger Rechtsschutz in der Form einer vorläufigen einheitlichen Feststellung eines Verlustes in bestimmter Höhe nur durch einstweilige Anordnung nach § 114 FGO, nicht hingegen durch Aussetzung der Vollziehung nach § 69 FGO gewährt werden kann. Diese Entscheidung ist auf die Erwägung gestützt, daß sich die Beurteilung der Frage, ob vorläufiger Rechtsschutz in der Form einer einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO oder einer Aussetzung der Vollziehung nach § 69 FGO zu gewähren ist, danach bestimmt, ob im Hauptverfahren der erstrebte und dann endgültige Rechtsschutz durch Anfechtungsklage oder durch Verpflichtungsklage zu erlangen ist, und daß gegen einen negativen Verlustfeststellungsbescheid im Hauptverfahren das eigentliche Ziel des Rechtsschutzbegehrens, nämlich eine einheitliche Verlustfeststellung in bestimmter Höhe nur durch eine Verpflichtungsklage zu erreichen ist, die die damit verbundene Anfechtungsklage (Klage auf Aufhebung des Verwaltungsakts, mit dem das FA die Durchführung einer einheitlichen Verlustfeststellung ablehnt) absorbiert (s. dazu im einzelnen BFH-Beschluß IV B 33-34/76).
2. Diese Erwägungen gelten sinngemäß, wenn das FA einen Verlustfeststellungsbescheid erlassen hat und dieser Bescheid mit dem Ziel angefochten ist, daß ein höherer Verlust festgestellt wird (und bzw. oder der festgestellte Verlust auf die Gesellschafter anders verteilt wird). Auch in diesem Falle kann vorläufiger Rechtsschutz nur durch einstweilige Anordnung gewährt werden, weil eine Klage, mit der die Feststellung eines höheren Verlustes (oder eines Verlustes statt des festgestellten Gewinnes) begehrt wird, anders als eine Klage, mit der lediglich die Feststellung eines niedrigeren Gewinnes begehrt wird, ihrem sachlichen Gehalt nach keine reine Anfechtungsklage, sondern auch und primär eine Verpflichtungsklage ist. Denn während in Fällen, in denen sich der Steuerpflichtige dagegen wendet, daß der Gewinn zu hoch festgestellt ist (oder die Steuer zu hoch festgesetzt ist), dem Anliegen des Steuerpflichtigen, das auf die Feststellung eines niedrigeren Gewinns (oder einer niedrigeren Steuerschuld), also auf eine Änderung des Feststellungs- oder Steuerbescheids gerichtet ist, im allgemeinen naturgemäß auch entsprochen ist, wenn die Gewinnfeststellung oder die Steuerfestsetzung gänzlich entfällt, der Feststellungs- oder Steuerbescheid also aufgehoben wird, trifft dies sowohl in Fällen, in denen das FA es ablehnt, einen Gewinn oder Verlust einheitlich festzustellen, als auch in Fällen, in denen das FA einen Verlust niedriger als erklärt feststellt, nicht zu. Hier ist dem Steuerpflichtigen mit der Aufhebung des angegriffenen Verwaltungsakts im allgemeinen nicht gedient; er muß "mehr" erreichen, nämlich eine "zusätzliche" Verlustfeststellung, die z. B. bei der Feststellung eines niedrigeren Verlustes theoretisch neben diese Feststellung als "zusätzliche" Feststellung treten könnte (vgl. auch Seeger, DStR 1978, 221/222).
3. Die Argumentation der Vorentscheidung, über den Wortlaut des § 69 FGO hinaus müsse entgegen der Rechtsprechung des BFH eine Aussetzung der Vollziehung auch in der Form einer vorläufigen Berücksichtigung eines in Wahrheit nicht ergangenen Feststellungsbescheids zugelassen werden, weil ein gleichwertiger vorläufiger Rechtsschutz nicht zur Verfügung stehe und einem Steuerpflichtigen daraus, daß Besteuerungsgrundlagen nicht unselbständig erteilte Steuerbescheide seien, sondern gesondert festgestellt wurden, keine Nachteile entstehen dürften, greift auf der Grundlage des BFH-Beschlusses IV B 33-34/76 nicht durch.
Zu Recht geht zwar das FG davon aus, daß die Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach dem Wortlaut des § 114 FGO jedenfalls insofern enger zu sein scheinen, als der Erlaß einer einstweiligen Anordnung neben der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs grundsätzlich auch eine Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes voraussetzt und der BFH für Fälle, in denen der Erlaß oder die Stundung festgesetzter Steuern streitig war, ausgesprochen hat, ein Anordnungsgrund sei grundsätzlich nur gegeben, wenn Nachteile drohen, die über diejenigen hinausgehen, die üblicherweise mit der Pflicht zur Zahlung von Steuerbeträgen verbunden sind (z. B. BFH-Beschluß vom 14. Juli 1971 II B 2/71, BFHE 102, 238, BStBl II 1971, 633). Wie der Senat jedoch in seinem Beschluß IV B 33-34/76 entschieden hat, folgt aus dem Sinn und Zweck der Vorschriften der Finanzgerichtsordnungüber den vorläufigen Rechtsschutz, daß es für eine einstweilige Anordnung, die auf vorläufige einheitliche Feststellung eines Verlustes in bestimmter Höhe gerichtet ist, der Glaubhaftmachung eines besonderen Anordnungsgrundes nicht bedarf, es also ausreicht, wenn glaubhaft gemacht ist, daß wahrscheinlich ein Anspruch auf Feststellung und Verteilung eines Verlustes in bestimmter Höhe besteht.
4. Da das FG von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, war die Vorentscheidung aufzuheben. Der Senat hält es für angebracht, nicht selbst in der Sache zu entscheiden, sondern diese an das FG zurückzuverweisen. Das FG wird bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung auf der Grundlage der oben entwickelten und für das FG bindenden Rechtsauffassung zwar den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung aus formellen Gründen zurückweisen, gleichzeitig aber über den hilfsweise gestellten Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung materiell befinden müssen. Bei dieser Entscheidung wird verfahrensrechtlich folgendes zu berücksichtigen sein:
a) Es kann zweifelhaft sein, ob im Hauptverfahren (Verpflichtungsklage auf höhere Verlustfeststellung) § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO unmittelbar oder sinngemäß anwendbar ist und das Gericht deshalb befugt ist, nicht nur eine Verpflichtung des FA auszusprechen, unter "Änderung" des erlassenen Verlustfeststellungsbescheids einen höheren Verlust festzustellen, sondern selbst durch gerichtliche Entscheidung den Verlustfeststellungsbescheid des FA zu "ändern" und einen höheren Verlust festzustellen. Die Frage kann jedoch offenbleiben. Denn jedenfalls in einem Verfahren, das auf vorläufigen Rechtsschutz durch einstweilige Anordnung des § 114 Abs. 1 FGO gerichtet ist und eine vorläufige höhere Verlustfeststellung zum Ziele hat, ist das Gericht nach § 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 938 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) befugt, selbst vorläufig (bis zur Entscheidung im Hauptverfahren) einen höheren Verlust festzustellen. Diese Auffassung widerspricht nicht dem Grundsatz, daß die Entscheidungsbefugnis des Gerichts in einem Verfahren, das vorläufigen Rechtsschutz zum Gegenstand hat, nicht weiterreichen könne als im Hauptverfahren. Denn mit dieser Entscheidung gewährt das Gericht der Sache nach nicht mehr als im Hauptverfahren, sondern weniger, nämlich nur vorläufigen Rechtsschutz, diesen aber - wenn die einleitend erwähnte Frage zu verneinen sein sollte - in anderer Form.
Diese vorläufige gerichtliche Feststellung eines höheren Verlustes wirkt allenfalls bis zur Beendigung des Hauptverfahrens. Sie hat, solange über den Rechtsbehelf gegen den Verlustfeststellungsbescheid des FA nicht rechtskräftig entschieden ist, zwar Vorrang gegenüber dem Verlustfeststellungsbescheid des FA mit der Folge, daß nicht dieser, sondern die vorläufige gerichtliche Feststellung eines höheren Verlustes den Folgebescheiden zugrunde zu legen ist und bereits erlassene Folgebescheide in sinngemäßer Anwendung des § 175 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) zu ändern sind (und dementsprechend erneut zu ändern sind, wenn die vorläufige gerichtliche Feststellung eines höheren Verlustes durch die Erledigung des Hauptverfahrens wegfällt). Die vorläufige gerichtliche Feststellung eines höheren Verlustes nimmt aber, anders als z. B. ein auf der Rechtsgrundlage des § 222 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) ergangener Änderungsbescheid (dazu Beschluß des Großen Senats des BFH vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231), die Verlustfeststellung des FA nicht in ihren Regelungsinhalt auf, weil sie anders als ein Änderungsbescheid von vornherein nur auf vorübergehende Wirksamkeit angelegt ist. Die vorläufige gerichtliche Feststellung eines höheren Verlustes entzieht deshalb der Klage in der Hauptsache, soweit diese Anfechtungsklage ist, nicht den Gegenstand der Anfechtung und sie nimmt dieser Klage, soweit sie Verpflichtungsklage ist, auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis.
b) Der Streitfall weist die Besonderheit auf, daß nicht nur im Hauptverfahren, sondern in gleicher Weise im Verfahren, das auf vorläufigen Rechtsschutz gerichtet ist, die Höhe der insgesamt festzustellenden Verluste und auch ihre Verteilung auf die Mitunternehmer streitig sind. Das FA ist - jedenfalls im Verlustfeststellungsbescheid für 1975 - von dem Schlüssel, nach dem die Antragstellerin in ihrer Verlustfeststellungserklärung den Verlust auf die Mitunternehmer verteilt hat, abgewichen. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in der Form der Aussetzung der Vollziehung, hilfsweise in der Form einer einstweiligen Anordnung, ist, wie sich aus der Begründung des Antrags ergibt, nicht nur auf eine vorläufige Feststellung von Verlusten in der erklärten Höhe, sondern auch auf die Verteilung dieser Verluste nach Maßgabe der eingereichten Feststellungserklärungen gerichtet (siehe Klagebegründungsschrift vom 16. Dezember 1976 S. 15-16; ferner Schriftsätze der Antragstellerin vom 15. Februar 1977 S. 8 und vom 15. März 1977 S. 3). Bei dieser Antragstellung ist die Frage zu entscheiden, ob die Mitunternehmer der Antragstellerin - nach dem Inhalt des Feststellungsbescheids für 1975 waren es im Streitjahr 1975 190 Personen - nicht nur im Hauptverfahren, sondern auch im Verfahren, das nur auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes in der Form der Aussetzung der Vollziehung, hilfsweise in der Form der einstweiligen Anordnung gerichtet ist, gemäß § 60 Abs. 3 FGO i. V. m. § 48 Abs. 1 FGO notwendig beizuladen sind.
Der Senat hat bisher im Anschluß an den BFH-Beschluß vom 13. September 1968 III B 84/67 (BFHE 93, 508, BStBl II 1969, 38; kritisch hierzu jedoch Schäufele, BB 1969, 260) die Auffassung vertreten, daß Personen, die im Hauptverfahren notwendig beizuladen sind, ausnahmslos auch in einem Verfahren, das auf vorläufigen. Rechtsschutz gerichtet ist, gleichgültig, ob in der Form der Aussetzung der Vollziehung oder der einstweiligen Anordnung, notwendig beizuladen sind (z. B. Beschlüsse vom 26. Juni 1975 IV B 51/74 - nicht veröffentlicht -; vom 28. Juli 1977 IV B 33/76 - nicht veröffentlicht -; vom 28. Juli 1977 IV B 34/76 - nicht veröffentlicht -; vom 28. Juli 1977 IV B 57/76 - nicht veröffentlicht -). An dieser Auffassung hält der Senat nach erneuter Prüfung nicht mehr fest (vgl. bereits den Beschluß vom 25. April 1977 IV S 3/77, BFHE 122, 18, BStBl II 1977, 612). Er ist nunmehr der Ansicht, daß jedenfalls in einem Verfahren, in dem eine Personengesellschaft beantragt, abweichend von einem angefochtenen Verlustfeststellungsbescheid des FA vorläufig einen höheren Verlust festzustellen und diesen nach einem anderen Schlüssel auf die Mitunternehmer der Personengesellschaft zu verteilen, als dies im Verlustfeststellungsbescheid des FA geschehen ist, also über die Verlustverteilung nur ein Streit zwischen dem FA und der Personengesellschaft, nicht hingegen auch ein Streit zwischen den Mitunternehmern besteht, die Mitunternehmer nicht notwendig beizuladen sind.
Die Notwendigkeit einer Beiladung folgt aus der Notwendigkeit, über bestimmte Rechtsverhältnisse gegenüber allen Personen, die daran beteiligt sind, einheitlich zu entscheiden. Wird z. B. der an einer Personengesellschaft beteiligte Personengesellschafter X, dem im Verlustfeststellungsbescheid des FA abweichend von der Feststellungserklärung der Personengesellschaft kein Verlustanteil zugerechnet wurde, im Klageverfahren, mit dem die Personengesellschaft als Klägerin eine Verlustverteilung nach Maßgabe ihrer Erklärung begehrt, nicht beigeladen, so erwächst die (z. B. klageabweisende) Entscheidung dem Gesellschafter X gegenüber nicht in Rechtskraft. Der Gesellschafter X könnte demgemäß u. U. - sieht man von den Besonderheiten ab, die sich aus den Rechtsbehelfsfristen ergeben - nach einer verbreiteten Meinung im Schrifttum seinerseits erneut Klage erheben; diese könnte theoretisch zu einer divergierenden Entscheidung führen, weil ihr jedenfalls nicht der Einwand der rechtskräftig entschiedenen Sache entgegensteht. Durch die Beiladung des Gesellschafters X im Klageverfahren der Personengesellschaft wird von vornherein auch nur die Möglichkeit widersprüchlicher definitiver Entscheidungen vermieden (vgl. hierzu Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 60 Anm. 18, mit weiteren Nachweisen).
Auf dieser Grundlage erscheint eine Beiladung aber dann nicht notwendig, wenn ein Verfahren in Frage steht, das nicht mit einer Entscheidung endet, die in materieller Rechtskraft (im Sinne eines Ausschlusses jeder erneuten Verhandlung und Entscheidung über die in Frage stehenden Rechtsfolgen, d. h. hier der begehrten vorläufigen höheren Verlustfeststellung und mit anderer Verlustverteilung, vgl. Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 12. Aufl., § 150 Anm. 2 S. 857) erwächst, wenn also insbesondere bereits demjenigen, der die gerichtliche Entscheidung erwirkt hat, mindestens unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit eingeräumt ist, dieselbe Sache erneut zur gerichtlichen Entscheidung zu stellen. Denn in einem derartigen Verfahren wird durch eine Beiladung aller vom Verfahren materiell betroffenen Personen für den Rechtsfrieden wenig Zusätzliches gewonnen, jedenfall dann, wenn zwischen diesen Personen ohnehin kein Streit über materielle Fragen besteht.
Ein derartiges Verfahren ist aber sowohl ein Verfahren, mit dem nach § 69 Abs. 3 FGO die Aussetzung der Vollziehung eines Gewinnfeststellungsbescheids begehrt wird, als auch ein Verfahren, das auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO mit dem Inhalt einer vorläufigen höheren Verlustfeststellung und einer vom Verlustfeststellungsbescheid des FA abweichenden Verlustverteilung gerichtet ist. Für einen Beschluß nach § 69 Abs. 3 FGO ist im Hinblick auf § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO allgemein anerkannt, daß dieser nicht in materielle Rechtskraft erwächst (BFH-Beschluß vom 26. Januar 1973 III S 2/72, BFHE 108, 152, BStBl II 1973, 456; Gräber, a. a. O., § 69 Anm. 41). Demgemäß ist es zulässig, einen Antrag, der schon einmal vom Gericht abgelehnt wurde, jedenfalls mit veränderter Begründung noch einmal zu stellen (siehe z. B. BFH-Beschlüsse vom 24. Oktober 1968 IV B 40/68, BFHE 93, 543 [544], BStBl II 1969, 40; vom 12. Februar 1969 VII B 60/66, BFHE 95, 84 [86], BStBl II 1969, 318). Für einen Beschluß, der in einem Verfahren ergeht, das auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 114 FGO mit dem Inhalt einer vorläufigen höheren Verlustfeststellung und einer von dem Verlustfeststellungsbescheid des FA abweichenden Verlustverteilung gerichtet ist, kann nichts anderes gelten. Im zivilprozessualen Schrifttum ist freilich umstritten, ob und inwieweit eine Entscheidung im Arrestverfahren und im Verfahren der einstweiligen Verfügung in materielle Rechtskraft erwächst (siehe dazu z. B. Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., Anm. II 3 zu b vor § 916 und Anm. II 4 vor § 935, jeweils mit Nachweisen). Dieser Streit kann jedoch auf sich beruhen. Denn aus dem Sinn und Zweck der Vorschriften der Finanzgerichtsordnungüber den vorläufigen Rechtsschutz, insbesondere aus der Funktion des § 114 FGO, die Vorschrift des § 69 FGO zu ergänzen und insgesamt einen erschöpfenden und im Bereich des Steuerfestsetzungsverfahrens (einschließlich des Verfahrens auf einheitliche und gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen) im Prinzip gleichwertigen Rechtsschutz zu gewährleisten, folgt, daß jedenfalls für die Entscheidung im Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung auf vorläufig höhere Verlustfeststellung und andere Verlustverteilung der Rechtsgedanke des § 69 Abs. 3 Satz 5 FGO in gleicher Weise gilt und deshalb auch diese Entscheidung ebenso wie die Entscheidung im Verfahren auf Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 FGO nicht in materielle Rechtskraft (im Sinne eines Ausschlusses jeder erneuten Verhandlung und Entscheidung über die in Frage stehende Rechtsfolge, d. h. hier der begehrten vorläufigen höheren Verlustfeststellung und anderen Verlustverteilung) erwächst. Dann erscheint aber auch die Beiladung aller Personen, die von dem Streit über die vorläufige Verlustverteilung materiell betroffen sind, mindestens nicht notwendig.
5. Für das Hauptverfahren wird das FG zu beachten haben, daß eine Verpflichtungsklage in der Form einer Sprungklage nicht zulässig ist (vgl. BFH-Urteil vom 27. Januar 1977 IV R 173/75, BFHE 122, 5, BStBl II 1977, 510). Das FG wird demnach die erhobene Sprungklage als Einspruch zu behandeln und an das FA abzugeben haben.