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Bundesarbeitsgericht
Urt. v. 11.11.2009, Az.: 7 AZR 387/08
Anforderungen an die Bestimmtheit des Streitgegenstandes bei einer Feststellungsklage
Gericht: BAG
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 11.11.2009
Referenz: JurionRS 2009, 30099
Aktenzeichen: 7 AZR 387/08
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

ArbG Düsseldorf - 24.10.2007 - AZ: 10 Ca 3837/07

LAG Düsseldorf - 13.03.2008 - AZ: 11 Sa 2203/07

Fundstellen:

EzA-SD 2/2010, 20-22

NZA 2010, 671

BAG, 11.11.2009 - 7 AZR 387/08

Orientierungssatz:

1. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag enthalten. Bei mehreren im Wege einer objektiven Klagehäufung gemäß § 260 ZPO in einer Klage verbundenen Ansprüchen muss erkennbar sein, aus welchen Einzelforderungen sich die "Gesamtklage" zusammensetzt. Werden im Wege einer "Teil-Gesamt-Klage" mehrere Ansprüche nicht in voller Höhe, sondern nur teilweise verfolgt, muss die Klagepartei genau angeben, in welcher Höhe sie aus den einzelnen Ansprüchen Teilbeträge einklagt.

2. Bei einer Feststellungsklage sind grundsätzlich keine geringeren Anforderungen an die Bestimmtheit zu stellen als bei einer Leistungsklage. Auch wenn das Bestehen oder der Umfang eines Rechtsverhältnisses oder eines Anspruchs zur gerichtlichen Entscheidung gestellt wird, muss zuverlässig erkennbar sein, worüber das Gericht eine Sachentscheidung treffen soll.

3. Gegenstand einer Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO können nur Rechtsverhältnisse, nicht dagegen Rechtsfragen sein.

In Sachen

Klägerin, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin,

pp.

Beklagte, Berufungsbeklagte und Revisionsbeklagte,

hat der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. November 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Linsenmaier, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Gräfl, den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Kiel sowie die ehrenamtlichen Richter Metzinger und Hoffmann für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 13. März 2008 - 11 Sa 2203/07 - aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand

1

Die seit 1974 als Verwaltungsangestellte bei der Bundeswehr beschäftigte Klägerin war Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen in der Dienststelle B. Im Jahre 2004 wurde sie als stellvertretendes Mitglied der Bezirksschwerbehindertenvertretung beim Streitkräfteunterstützungskommando in K gewählt. Am 4. Oktober 2005 rückte sie in die Funktion als erstes stellvertretendes Mitglied der Bezirksschwerbehindertenvertretung nach, wurde daraufhin nach § 96 Abs. 4 SGB IX von ihrer dienstlichen Verpflichtung freigestellt und für die Dauer ihrer Amtszeit von B nach K abgeordnet. Da die Klägerin ihren Wohnsitz gemeinsam mit ihrem Ehemann in L behielt, pendelte sie an den Wochenenden regelmäßig zwischen ihrem Dienstort K und dem 612 km entfernt liegenden Wohnort L, teils mit dem privaten Pkw, teils mit Bahn und Taxi.

2

Auf der Grundlage der Trennungsgeldverordnung (TGV) gewährte die Beklagte der Klägerin während der Abordnung Übernachtungs- und Trennungsgeld sowie Reisebeihilfen für Heimfahrten in einem vom Landesarbeitsgericht nicht näher festgestellten Umfang. Die Klägerin wandte sich mehrfach vergeblich an die Beklagte, um eine vollständige Übernahme der Kosten für die Heimfahrten zu erreichen.

3

Mit ihrer am 20. Februar 2007 beim Verwaltungsgericht Köln eingereichten Klage hat die Klägerin zunächst die Zahlung von Fahrtkosten in Höhe von 6.739,80 Euro verlangt. Diese Forderung hat sie auf der Basis von 0,30 Euro je gefahrenem Kilometer abzüglich der nach dem Vorbringen in der Klageschrift in Höhe von 859,50 Euro gewährten Reisebeihilfen sowie zuzüglich eines Betrages von 156,30 Euro für nicht erstattete Bahnfahrten und damit verbundene Taxifahrten errechnet. Hierzu hat sie die Fahrten nach Datum, Entfernung und Erstattungsbeträgen aufgeführt. Im Berufungsverfahren hat sie abweichend davon vorgetragen, Reisebeihilfen im Gesamtbetrag von 1.499,70 Euro erhalten zu haben. Nach Verweisung des Rechtsstreits zunächst an das Arbeitsgericht Köln und anschließend an das örtlich zuständige Arbeitsgericht Düsseldorf hat die Klägerin ihren Leistungsantrag auf einen Feststellungsantrag umgestellt, nachdem die Vorsitzende in der Güteverhandlung angeregt hatte, "dass sich die Parteien zur Entschlackung des Rechtsstreits jedenfalls in tatsächlicher Hinsicht auf den Betrag bzw. auf die Anzahl der in Rede stehenden Reisen einigen."

4

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihre wöchentlichen Heimfahrten müssten wie Dienstreisen abgerechnet werden und dementsprechend gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 BRKG mit einem Kilometersatz von 0,30 Euro, jedenfalls aber gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 BRKG mit einem Kilometersatz von 0,20 Euro. Dieser Anspruch folge entweder direkt aus dem Benachteiligungsverbot des § 96 Abs. 2 SGB IX oder aus § 96 Abs. 8 SGB IX, der unter Berücksichtigung des Verbots einer Benachteiligung von Vertrauenspersonen ausgelegt werden müsse. Qualifizierte Personen dürften nicht durch wirtschaftliche Nachteile von der Übernahme eines Mandats abgehalten werden. Sie müsse deshalb wirtschaftlich so gestellt werden, als hätte sie das Mandat nicht übernommen. Durch die wöchentlichen Fahrten zwischen L und K infolge ihres Amtes als stellvertretendes Mitglied der Bezirksschwerbehindertenvertretung sei sie mit Kosten belastet, die durch Reisebeihilfen nach der TGV nicht ausreichend entschädigt würden.

5

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

1. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr die im Rahmen ihrer Tätigkeit als Mitglied der Bezirksschwerbehindertenvertretung angefallenen Heimfahrten mit 0,30 Euro/km zu vergüten,

2. hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr die im Rahmen ihrer Tätigkeit einer Bezirksschwerbehindertenvertretung angefallenen Heimfahrten mit 0,20 Euro/km zu vergüten.

6

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

7

Sie hat die Auffassung vertreten, die Klägerin könne wie andere abgeordnete Mitarbeiter lediglich Reisebeihilfen nach § 44 Abs. 1 Satz 2 BPersVG, § 15 BRKG, §§ 3, 5 TGV verlangen.

8

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht für zulässig erachtet. Die zuletzt von der Klägerin gestellten Anträge sind nicht hinreichend bestimmt, dass die eigentliche Streitfrage zwischen den Parteien mit Rechtskraftwirkung entschieden werden kann. Deshalb ist das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Dieses muss der Klägerin Gelegenheit geben, einen sachdienlichen Antrag zu stellen.

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I. Die Klageanträge sind unzulässig.

11

1. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag enthalten. Der Kläger muss eindeutig festlegen, welche Entscheidung er begehrt. Er hat den Streitgegenstand dazu so genau zu bezeichnen, dass der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 ZPO) keinem Zweifel unterliegt und die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen den Parteien entschieden werden kann (§ 322 ZPO). Sowohl bei einer der Klage stattgebenden als auch bei einer sie abweisenden Sachentscheidung muss zuverlässig feststellbar sein, worüber das Gericht entschieden hat. Bei mehreren im Wege einer objektiven Klagehäufung gemäß § 260 ZPO in einer Klage verbundenen Ansprüchen muss erkennbar sein, aus welchen Einzelforderungen sich die "Gesamtklage" zusammensetzt. Werden im Wege einer "Teil-Gesamt-Klage" mehrere Ansprüche nicht in voller Höhe, sondern teilweise verfolgt, muss die Klagepartei genau angeben, in welcher Höhe sie aus den einzelnen Ansprüchen Teilbeträge einklagt (vgl. BGH 8. Dezember 1989 - V ZR 174/88 - zu II A 1 der Gründe, NJW 1990, 2068 [BGH 08.12.1989 - V ZR 174/88]; Stein/Jonas/Schumann ZPO 22. Aufl. § 253 Rn. 29 mwN). Bei einer Feststellungsklage sind grundsätzlich keine geringeren Anforderungen an die Bestimmtheit zu stellen als bei einer Leistungsklage (BAG 22. Oktober 2008 - 4 AZR 735/07 - Rn. 53, AP TVG § 1 Tarifverträge: Chemie Nr. 20). Auch wenn das Bestehen oder der Umfang eines Rechtsverhältnisses oder eines Anspruchs zur gerichtlichen Entscheidung gestellt wird, muss zuverlässig erkennbar sein, worüber das Gericht eine Sachentscheidung treffen soll. Dabei gilt es zu beachten, dass Gegenstand einer Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO nur Rechtsverhältnisse, nicht dagegen Rechtsfragen sein können. Die Beantwortung von Rechtsfragen oder von für Rechtsverhältnisse erheblichen Vorfragen läuft auf die Erstellung von Rechtsgutachten hinaus. Dazu sind die Gerichte nicht berufen. Allerdings sind die Gerichte gehalten, Klageanträge nach Möglichkeit dahin auszulegen, dass eine Sachentscheidung über sie ergehen kann (BAG 12. August 2009 - 7 ABR 15/08 - Rn. 12).

12

2. Hiervon ausgehend sind die zuletzt gestellten Klageanträge unzulässig. Sie sind auch keiner Auslegung zugänglich, die eine Sachentscheidung ermöglichen würde.

13

a) Die Klägerin stellt mit ihren Klageanträgen im Wege der Teil-Gesamt-Klage die Erstattungspflicht der Beklagten für eine Vielzahl von Einzelfahrten, die sie im Zeitraum der Abordnung zwischen ihrem Wohnsitz in L und dem Sitz der Bezirksschwerbehindertenvertretung in K absolviert hat, zur gerichtlichen Entscheidung. Die Klägerin hatte die Fahrten, deren Abrechnung sie mit den im Antrag bezeichneten Kilometersätzen anstrebt, im Einzelnen in der Klageschrift aufgeführt. Die pauschale Zusammenfassung aller Fahrten in einem Antrag während des Abordnungszeitraums ist nicht geeignet, den Streit zwischen den Parteien mit Rechtskraftwirkung zu entscheiden.

14

Der Senat ist gehindert, die Anträge unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin einschränkend dahin auszulegen, dass sie den Bestimmtheitsanforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügen. Würde der Klage stattgegeben, bliebe noch immer offen, welche "Heimfahrten" zu vergüten sind und inwieweit sich der Anspruch der Klägerin unter Berücksichtigung bezahlter Reisebeihilfen reduziert. Wie sich aus dem Klagevorbringen ergibt und die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt hat, will sie die Ansprüche für die Heimfahrten nicht in voller Höhe zur gerichtlichen Entscheidung stellen, sondern sich die von der Beklagten geleisteten Zahlungen anrechnen lassen. Wie diese Anrechnung im Einzelnen vorgenommen werden soll, hat sie jedoch nicht dargelegt. Zudem hat die Klägerin in der Klageschrift und in der Berufungsbegründung unterschiedliche Angaben zu den bezahlten Reisebeihilfen gemacht. Das Landesarbeitsgericht hat dazu keine Feststellungen getroffen. Im Übrigen bestehen bereits nach dem Sachvortrag der Klägerin in der Klageschrift Unstimmigkeiten, die sich nur in der Tatsacheninstanz klären lassen. So hat die Klägerin zwei Fahrten unter dem Datum vom 10. März 2006 von K nach L aufgeführt. Für den 1. Juni 2006 fehlt eine Angabe, ob die Klägerin ihren Pkw oder die Bahn genutzt hat und welche Kosten ihr entstanden sind. Weiter ist unklar, ob sie nur Vergütung für die Heimfahrten anstrebt, die sie zwischen ihrem Wohnsitz in L und ihrem Dienstort K auf eine Entfernung von 612 km unternommen hat, oder ob und gegebenenfalls inwieweit sie die Abrechnung nach Kilometersätzen für Zugreisen begehrt, die sie ebenfalls in ihrer Aufstellung aufgeführt hat. Würde man das Klageziel im Wege einer einschränkenden Auslegung auf Fahrten von ihrem Wohnort L zum Bahnhof in N und vom Bahnhof K zu ihrer dortigen Dienststelle beschränken, wobei zu den einzelnen Strecken und Entfernungen nachvollziehbare Angaben fehlen, bliebe zweifelhaft, ob die Klägerin für den 2. Januar 2006 die fiktive Wegstreckenentschädigung mit Kilometersätzen fordert, oder ob sie sich offen halten will, mit einem gesonderten Antrag die Kosten für das Taxi geltend zu machen, das sie an diesem Tag von ihrem Wohnort L zum Bahnhof N benutzt hat.

15

b) Eine Auslegung der Klageanträge dahingehend, dass mit diesen lediglich die abstrakte Feststellung begehrt wird, auf ihre Heimfahrten als freigestellte Schwerbehindertenvertreterin sei nicht die TGV anzuwenden, sondern für alle anfallenden Fahrten eine Berechnung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 BRKG, hilfsweise nach § 5 Abs. 1 Satz 2 BRKG vorzunehmen, ließe ebenfalls keine Sachentscheidung zu. Bei einer solchen Auslegung wäre der Antrag nicht auf die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses iSv. § 256 Abs. 1 ZPO, sondern auf die Beantwortung einer Rechtsfrage gerichtet.

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II. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist nach § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben und die Sache nach § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der Senat kann nicht nach § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden und die Revision mit der Maßgabe zurückweisen, dass die Klage unzulässig ist. Eine solche Entscheidung hätte der Senat nur treffen können, wenn die Klägerin nach dem Verfahrensverlauf ausreichend Gelegenheit und Veranlassung gehabt hätte, einen Antrag zu stellen, der den Bestimmtheitsanforderungen des § 253 Abs. 2 Satz 2 ZPO genügt. Hieran fehlt es. Vielmehr hat die Klägerin ursprünglich einen grundsätzlich sachdienlichen und zulässigen - wenngleich in den Einzelheiten der Berechnung noch zu präzisierenden - Leistungsantrag gestellt und diesen erst auf die missverständliche Anregung des Arbeitsgerichts, den Rechtsstreit zu "entschlacken", auf einen unzulässigen Feststellungsantrag umgestellt, um damit die zentrale materielle Rechtsfrage einer Klärung zuzuführen. Bei dieser Prozessentwicklung wäre die Abweisung der Klage wegen unzulässiger Antragstellung nur möglich, wenn bereits das Landesarbeitsgericht gemäß § 139 ZPO auf die Zulässigkeitsbedenken hingewiesen hätte. Durch die vom Senat in der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweise wurde die Klägerin nicht in die Lage versetzt, im Revisionsverfahren einen zulässigen Klageantrag zu stellen. Um ihr hierzu Gelegenheit zu geben, musste die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden.

Linsenmaier
Gräfl
Kiel
Metzinger
Hoffmann

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