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Bundesarbeitsgericht
Urt. v. 17.02.1988, Az.: 5 AZR 638/86

Zeugnis; Verwirkung

Bibliographie

Gericht
BAG
Datum
17.02.1988
Aktenzeichen
5 AZR 638/86
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1988, 10070
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Düsseldorf 10.04.1986 - 11 Ca 422/86
LAG Düsseldorf 07.10.1986 - 8 Sa 974/86

Fundstellen

  • BAGE 57, 329 - 334
  • DB 1988, 1071 (Volltext mit amtl. LS)
  • GmbH-Report 1988, R 54-R 56 (Kurzinformation)
  • GmbHR 1988, R54-R56 (Kurzinformation)
  • JR 1988, 396
  • MDR 1988, 607 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1988, 1616 (Volltext mit amtl. LS)
  • RdA 1988, 192

Amtlicher Leitsatz

Der Anspruch auf Erteilung eines qualifizierten Zeugnisses unterliegt, wie jeder schuldrechtliche Anspruch, der Verwirkung.

Tatbestand:

1

Der Kläger verlangt von der Beklagten die Ausstellung eines neu formulierten Zeugnisses.

2

Der Kläger war in der Zeit vom 17. April 1979 bis zum 31. Dezember 1980 bei der Beklagten als naturwissenschaftlicher Projektberater beschäftigt. Sein monatliches Grundgehalt betrug 4.100,- DM brutto. Das Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung des Klägers.

3

Unter dem 13. Januar 1981 übersandte die Beklagte dem Kläger die Arbeitspapiere. Dieser wies mit Schreiben vom 30. Januar 1981 darauf hin, daß er noch kein Zeugnis erhalten habe; er bat darum, ihm dies in nächster Zeit fertigzustellen. Die Beklagte mahnte unter dem 19. März 1981 die Unterschrift des Klägers unter die Empfangsbestätigung für die Arbeitspapiere an, ohne dabei das verlangte Zeugnis zu erwähnen. Mit Schreiben vom 30. April und weiter vom 27. Dezember 1981 wiederholte der Kläger seine Bitte, ihm ein Zeugnis auszustellen, und zählte im letzten Schreiben noch einige Umstände auf, die nach seiner Meinung im Zeugnis bewertet sein müßten. Daraufhin stellte die Beklagte im Februar 1982 ein Zeugnis mit folgendem Inhalt aus:

4

"Herr Dr. H. B. war in der Zeit vom 17. 04. 1979 bis 31. 12. 1980 in unserer Firma beschäftigt.

5

Herr Dr. B. arbeitete im Rahmen einer Untersuchung über die Bildung, Freisetzung und Behandlung radioaktiver Schadstoffe im nuklearen Brennstoffkreislauf mit. Herr Dr. B. war mit der Materialsammlung und -auswertung (Literaturrecherchen, Materialauswahl für Bibliographien) und mit Teilaspekten der Beschreibung des Standes von Wissenschaft und Technik möglicher Verfahren zur Tritiumanreicherung, -verfestigung und -lagerung auf der Grundlage vorliegender Informationen befaßt.

6

Zu seinem Aufgabengebiet gehörte ferner die Einarbeitung in die Technik und Bearbeitungsstrategie von on-line-Recherchen in Literaturdatenbanken mit Hilfe einer Bildschirmterminalstation.

7

Herr Dr. B. hat in diesem Sinne an einem Einführungslehrgang eines Dokumentationszentrums teilgenommen.

8

Herr Dr. B. hat die ihm übertragenen Aufgaben, insbesondere im Bereich der Dokumentationstätigkeit gewissenhaft erledigt.

9

Sein Verhalten gegenüber Mitarbeitern und der Geschäftsleitung war höflich und ohne Beanstandung.

10

Herr Dr. B. hat unsere Firma auf eigenen Wunsch verlassen."

11

Mit Schreiben vom 28. Dezember 1982 wandte sich der Kläger erneut an die Beklagte und beanstandete, daß er trotz seines Schreibens vom 27. Dezember 1981 mit dem Hinweis auf zu beachtende Punkte ein ordnungsgemäßes Zeugnis bisher noch nicht erhalten habe. Er fügte wörtlich hinzu: "Ich wiederhole daher noch einmal meine Bitte und wäre Ihnen sehr verbunden, wenn diese Angelegenheit in nächster Zeit erledigt werden könnte." Als die Beklagte nicht antwortete, wiederholte der Kläger mit Schreiben vom 27. Dezember 1983 seine Bitte um "die Ausstellung eines qualifizierten Zeugnisses in nächster Zeit". Schließlich forderten die Prozeßbevollmächtigten des Klägers die Beklagte mit Schreiben vom 17. Oktober 1985 zur Ausstellung eines qualifizierten Zeugnisses auf. Als die Beklagte ablehnte, machte der Kläger mit der am 23. Januar 1986 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage seinen Anspruch gerichtlich geltend.

12

Der Kläger hat vorgetragen, er sei durch einen Sportunfall am 10. Oktober 1981 und durch berufliche Überlastung nicht in der Lage gewesen, seine Ansprüche früher zu verfolgen. Das von der Beklagten ausgestellte Zeugnis genüge nicht den Anforderungen, die an ein qualifiziertes Zeugnis zu stellen seien. Insbesondere entspreche es nicht der Zeugniswahrheit und Zeugnisklarheit.

13

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, das von ihr ausgestellte Zeugnis vom 18. Februar 1982 sinngemäß in bestimmter, im einzelnen dargestellter Weise, zu ergänzen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

14

Sie hat geltend gemacht, der Anspruch des Klägers auf Erteilung eines Zeugnisses sei erfüllt, jedenfalls aber sei er verwirkt. Sie habe unter den gegebenen Umständen davon ausgehen müssen, daß der Kläger mit dem ihm übersandten Zeugnis einverstanden sei. Der Kläger verstoße mit seinem Verhalten gegen Treu und Glauben, wenn er erst zehn Monate nach Ausstellung des Zeugnisses darauf hinweise, daß er mit dessen Inhalt nicht zufrieden sei.

15

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

16

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Ein Anspruch des Klägers auf Erteilung eines vollständigen Zeugnisses ist verwirkt.

17

I. Nach § 630 BGB (§ 73 HGB, § 113 GewO) kann der Arbeitnehmer bei der Beendigung eines dauernden Arbeitsverhältnisses von dem Arbeitgeber ein schriftliches Zeugnis über das Arbeitsverhältnis und dessen Dauer fordern. Das Zeugnis ist auf Verlangen auf die Leistungen und die Führung im Dienst zu erstrecken.

18

1. Der Kläger macht einen Anspruch auf Berichtigung eines ihm erteilten Zeugnisses geltend. Einen derartigen Anspruch kennt das Gesetz jedoch nicht. Wer Ergänzung oder Berichtigung eines ihm bereits ausgestellten Zeugnisses verlangt, macht damit einen Erfüllungsanspruch geltend, der dahingeht, ihm ein nach Form und Inhalt den gesetzlichen Vorschriften entsprechendes Zeugnis zu erteilen. Der Arbeitgeber hat bei der Abfassung des Zeugnisses einen Beurteilungsspielraum, ähnlich wie einer Leistungsbestimmung nach § 315 BGB. Erst wenn das Zeugnis formuliert ist und der Arbeitnehmer von seinem Inhalt Kenntnis erlangt hat, kann er beurteilen, ob der Arbeitgeber den Beurteilungsspielraum richtig ausgefüllt und ein den gesetzlichen Erfordernissen entsprechendes Zeugnis ausgestellt hat. Ist das nicht der Fall, hat der Arbeitnehmer weiterhin einen Erfüllungsanspruch auf Erteilung eines ordnungsgemäßen Zeugnisses (BAGE 42, 41, 47 = AP Nr. 10 zu § 70 BAT, zu II 2 der Gründe).

19

2. Auch der Anspruch auf Erteilung eines Zeugnisses unterliegt wie alle schuldrechtlichen Ansprüche der allgemeinen Verwirkung. Zur Verwirkung eines Anspruchs müssen verschiedene Voraussetzungen erfüllt sein: Der Gläubiger muß sein Recht längere Zeit nicht ausgeübt und dadurch bei dem Schuldner die Überzeugung hervorgerufen haben, der Gläubiger werde sein Recht nicht mehr geltend machen. Der Schuldner muß sich weiter hierauf eingerichtet haben, und schließlich muß ihm die Erfüllung des Rechts des Gläubigers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles nicht mehr zumutbar sein (vgl. BAGE 6, 166 ff. [BAG 09.07.1958 - 2 AZR 538/56] = AP Nr. 9 zu § 242 BGB Verwirkung, zu III der Gründe; BAG Urteil vom 28. Juli 1960 - 2 AZR 105/59 - AP Nr. 17 zu § 242 BGB Verwirkung; BAG Beschluß vom 14. November 1978 - 6 ABR 11/77 - AP Nr. 39 zu § 242 BGB Verwirkung, zu II 2 der Gründe). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, ist regelmäßig eine Frage des Einzelfalles. Das Landesarbeitsgericht hat die Umstände des vorliegenden Falles im Ergebnis zutreffend gewürdigt und daher zu Recht eine Verwirkung des Anspruchs des Klägers angenommen.

20

II. 1. Der Kläger hat, nachdem die Beklagte ihm im Februar 1982 ein Zeugnis übersandte, bis Dezember 1982 - also zehn Monate lang - zugewartet und nichts unternommen, um seinen Anspruch auf Erteilung eines vollständigen Zeugnisses weiterzuverfolgen. Schon dieser Zeitraum reicht aus, um die erste Voraussetzung der Verwirkung, das sogenannte Zeitmoment, zu erfüllen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß ein Zeugnis, wenn es seine Funktion im Arbeitsleben erfüllen soll, alsbald nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangt und erteilt werden muß. Dieser Gesichtspunkt wird unterstrichen dadurch, daß der Anspruch auf Zeugniserteilung regelmäßig von tariflichen Ausschlußklauseln erfaßt wird (vgl. nur die bereits erwähnte Entscheidung des Senats BAGE 42, 41 = AP Nr. 10 zu § 70 BAT).

21

2. Unter den vorliegenden Umständen konnte die Beklagte aus dem Verhalten des Klägers entnehmen, er werde sein Recht nicht mehr verfolgen. Dabei ist von besonderer Bedeutung, daß der Kläger in der Zeit vom 30. Januar 1981 bis zum 27. Dezember 1981 - d. h. in einem Zeitraum von weniger als elf Monaten - insgesamt dreimal an die Beklagte herangetreten ist mit dem Ersuchen, ihm ein Zeugnis auszustellen. Damit brachte er sein lebhaftes Interesse an einem Zeugnis zum Ausdruck. Nachdem die Beklagte diesem Verlangen entsprochen hatte, konnte sie davon ausgehen, der Kläger werde sich alsbald melden, wenn er mit dem zugesandten Zeugnis nicht einverstanden sei. Da der Kläger jedoch zehn Monate zuwartete, bis er erneut die Erledigung der Angelegenheit seines Zeugnisses anmahnte, konnte die Beklagte davon ausgehen, die Sache habe damit ihr Bewenden. Jedenfalls konnte die Beklagte dieser Überzeugung sein, nachdem der Kläger wiederum fast zwei Jahre verstreichen ließ, nachdem die Beklagte auf seine weitere Mahnung nicht geantwortet hatte. Wer sich innerhalb eines Zeitraumes von weniger als einem Jahr dreimal um die Ausstellung eines Zeugnisses mit einem bestimmten Inhalt bemüht, von dem wird man nicht annehmen können, daß er über fast zwei Jahre hinweg untätig bleibt, obwohl er mit dem Inhalt des ihm schließlich übersandten Zeugnisses nicht einverstanden ist. Das muß um so mehr gelten, als der Kläger selbst davon ausging, die Ausstellung eines qualifizierten Zeugnisses werde "in nächster Zeit" erfolgen.

22

3. Hat der Kläger damit bei objektiver Bewertung den Eindruck erweckt, er wolle seine Rechte nicht mehr weiterverfolgen, so durfte die Beklagte darauf vertrauen, er werde mit weiteren Forderungen auf Ergänzung oder Änderung des ihm erteilten Zeugnisses nicht mehr hervortreten. Darauf konnte sie sich einstellen. Die Lebenserfahrung spricht dafür, daß dies auch geschehen ist.

23

4. Schließlich ist der Beklagten unter den vorliegenden Umständen auch nicht mehr zuzumuten, den Anspruch des Klägers zu erfüllen.

24

Zeugnisse müssen der Wahrheit entsprechen. Werden sie erst Jahre nach Beendigung eines - ohnehin nur verhältnismäßig kurzen - Arbeitsverhältnisses ausgestellt, ist nicht mehr gewährleistet, daß sie inhaltlich zutreffend sind. Das menschliche Erinnerungsvermögen und damit auch das Beurteilungsvermögen lassen im Laufe der Jahre nach. Hinzu kommt, daß in jedem Betrieb eine gewisse Fluktuation von Mitarbeitern, auch von leitenden Mitarbeitern, herrscht, so daß nach Ablauf mehrerer Jahre nicht mehr sichergestellt ist, daß ein Zeugnis von einem Aussteller herrührt, der aufgrund eigener Erinnerung und entsprechenden Beurteilungsvermögens hierfür die Verantwortung übernehmen kann. Endlich ist nicht auszuschließen, daß ein Arbeitnehmer, der nach Jahren ein anderes Zeugnis verlangt, von dem ihm zuerst erteilten bereits Gebrauch gemacht hat. Das kann zu nachteiligen Folgen auch für den Aussteller eines weiteren Zeugnisses führen, weil er sich dann dem Verdacht aussetzt, ein Gefälligkeitszeugnis gegeben zu haben.

25

5. Dem Landesarbeitsgericht ist schließlich darin zu folgen, daß weder der Sportunfall (Reitunfall), den der Kläger am 10. Oktober 1981 erlitt, noch berufliche Überlastung das gefundene Ergebnis zu ändern vermögen.