Bundesarbeitsgericht
Urt. v. 28.02.1974, Az.: 2 AZR 455/73
Anhörung; Wirksamkeit; Voraussetzung; Bezeichnung der gekündigten Person; Bezeichnung der Kündigungsart; Bezeichnung der Kündigungsgründe; Betriebsratsvorsitzende; Vollmacht zur Entgegennahme der Erklärungen; Aufforderung zur Stellungnahme; Bevollmächtigung zur Stellungnahme; Abschließender Kündigungswille; Nachträgliche Zustimmung; Heilung der mangelnden Anhörung; Rechtsunwirksamkeit aus anderen Gründen
Bibliographie
- Gericht
- BAG
- Datum
- 28.02.1974
- Aktenzeichen
- 2 AZR 455/73
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1974, 10177
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LAG Hamm 28.08.1973 - 7 Sa 377/73
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BAGE 26, 27 - 36
- DB 1974, 1294-1296 (Volltext mit amtl. LS)
- MDR 1974, 786 (amtl. Leitsatz)
- NJW 1974, 1526-1527 (amtl. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
1. Eine wirksame Anhörung nach Maßgabe des § 102 Abs. 1 BetrVG 1972 setzt mindestens voraus, daß der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Person des Arbeitnehmers, dem gekündigt werden soll, bezeichnet, die Art der Kündigung, ggf. auch den Kündigungstermin, angibt und die Gründe für die Kündigung mitteilt.
2. Zur Entgegennahme dieser Erklärungen ist im Grundsatz nicht jedes beliebige Betriebsratsmitglied berechtigt, sondern nur der Betriebsratsvorsitzende und im Fall seiner Verhinderung sein Stellvertreter.
3. Eine ausdrückliche Aufforderung an den Betriebsrat, zu der beabsichtigten Kündigung Stellung zu nehmen, ist nicht vorgeschrieben. Sie liegt regelmäßig in der Mitteilung der Kündigungsabsicht.
4. Der Betriebsrat als Gremium muß, bevor die Kündigung erklärt wird, die Möglichkeit der Stellungnahme haben. Ein einzelnes Betriebsratsmitglied, auch der Vorsitzende oder sein Stellvertreter, kann nicht allgemein ermächtigt werden, die Stellungnahme des Betriebsrats zu einer Kündigung abzugeben. Teilt ein einzelnes Betriebsratsmitglied vor Ablauf der Erklärungsfristen des § 102 Abs. 2 BetrVG 1972 dem Arbeitgeber eine Stellungnahme zu der vorgesehenen Kündigung zu einer Zeit mit, in der der Arbeitgeber weiß oder nach den Umständen annehmen muß, daß der Betriebsrat sich noch nicht mit der Angelegenheit befaßt hat, dann ist die Anhörung noch nicht vollzogen, eine daraufhin gleichwohl ausgesprochene Kündigung gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG 1972 unwirksam.
5. Eine wirksame Anhörung kann nicht mehr erfolgen, nachdem die Kündigung erklärt ist. Eine gleichwohl eingeholte Stellungnahme des Betriebsrats kann die Unwirksamkeit der ohne vorherige Anhörung erklärten Kündigung nicht verhindern.
6. Der Senat neigt zu der Ansicht, daß es beim Anhörungsverfahren zumindest grundsätzlich nicht darauf ankommt, ob der Arbeitgeber seinen Kündigungswillen erkennbar bereits abschließend gebildet hat.
7. Durch die nachträgliche Zustimmung des Betriebsrats zu einer ausgesprochenen Kündigung wird der Mangel der Anhörung nicht geheilt. Die Kündigung bleibt bei fehlender Anhörung unwirksam.
8. Die Unwirksamkeit gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG 1972 ist eine "Rechtsunwirksamkeit aus anderen Gründen" im Sinne des § 13 Abs. 3 KSchG, für deren Geltendmachung die Klagefrist des § 4, § 13 Abs. 1 KSchG nicht gilt.