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Zustimmungsersetzungsverfahren

 Normen 

§ 99 Abs. 4 BetrVG

 Information 

1. Allgemein

Das Zustimmungsersetzungsverfahren ist eine Unterform des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens.

§ 99 BetrVG hat folgende Inhalte:

Absatz 1: Anwendungsbereich des Mitbestimmungsrechts und Pflichten des Arbeitgebers:

Gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG hat der Arbeitgeber in Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern den Betriebsrat vor jeder Einstellung, Eingruppierung, Umgruppierung und Versetzung zu unterrichten, ihm die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen und Auskunft über die Person der Beteiligten zu geben; er hat dem Betriebsrat unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen Auskunft über die Auswirkungen der geplanten Maßnahme zu geben und die Zustimmung des Betriebsrats zu der geplanten Maßnahme einzuholen.

Hinweis:

Das BAG hat klargestellt, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, die Zustimmung des Betriebsrats vor der Durchführung der Maßnahme einzuholen und dass er berechtigt ist, das Verfahren ggf. mehrmals hintereinander einzuleiten (BAG 11.10.2022 - 1 ABR 18/21):

"Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hat der Arbeitgeber den Betriebsrat "vor" der personellen Maßnahme zu unterrichten und die Zustimmung zu der "geplanten" Maßnahme einzuholen. (...)

Zwar ist der Arbeitgeber nicht gehindert, noch während des Laufs eines von ihm eingeleiteten gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahrens einen neuen Versetzungsvorgang nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zu beginnen mit der Folge, dass sich das gerichtliche Verfahren erledigt, wenn er das ursprüngliche Zustimmungsersuchen an den Betriebsrat zurückzieht.

Auch ist es ihm unbenommen, nach (rechtskräftigem) Unterliegen in einem solchen Verfahren die auf das gleiche Ziel gerichtete personelle Maßnahme erneut nach Maßgabe von § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG einzuleiten und ggf. den Weg des § 99 Abs. 4, § 100 Abs. 2 BetrVG zu beschreiten. Unter diesen Umständen ist es ihm ebenso wenig verwehrt, bereits während eines noch laufenden Zustimmungsersetzungsverfahrens ein weiteres Zustimmungsersuchen an den Betriebsrat zu richten und bei erneuter Verweigerung der Zustimmung ein eigenständiges Verfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG zu betreiben.

Der Arbeitgeber kann den Betriebsrat ggf. mehrmals hintereinander um Zustimmung zur Einstellung oder Versetzung desselben Arbeitnehmers auf denselben (neuen) Arbeitsplatz ersuchen. Er kann dementsprechend mehrere Zustimmungsersetzungsverfahren - nacheinander oder auch zeitlich parallel - bei Gericht anhängig machen, weil sie - trotz des gleichen Rechtsschutzziels - prozessual unterschiedliche Verfahrensgegenstände haben. In allen Fällen ist allerdings stets erforderlich, dass der Arbeitgeber von seiner ursprünglichen Maßnahme Abstand genommen und eine neue - eigenständige - Einstellung oder Versetzung eingeleitet hat".

Absatz 2: Gründe, die den Betriebsrat berechtigen, seine Zustimmung zu verweigern:

Der Betriebsrat kann (nur) bei Vorliegen der in § 99 Abs. 2 BetrVG aufgeführten Gründe die Zustimmung verweigern. Die Beteiligungsrechte bestehen nicht, wenn es sich bei der Stelle um die Position eines leitenden Angestellten i.S.v. § 5 Abs. 3 BetrVG handelt.

Absatz 3: Frist und Form der Zustimmungsverweigerung sowie Folgen des Fristablaufs:

Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so hat er dies unter Angabe von Gründen innerhalb einer Woche nach Unterrichtung durch den Arbeitgeber diesem schriftlich mitzuteilen.

Teilt der Betriebsrat dem Arbeitgeber die Verweigerung seiner Zustimmung nicht innerhalb der Frist schriftlich mit, so gilt die Zustimmung als erteilt.

Absatz 4: Möglichkeit des Arbeitgebers zur gerichtlichen Zustimmungsersetzung:

Gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG kann der Arbeitgeber bei dem Arbeitsgericht im Wege des Beschlussverfahrens beantragen, dass die Zustimmung des Betriebsrats ersetzt wird.

2. Anträge

Beispielhaft werden die korrekten Anträge im Rahmen des Zustimmungsersetzungsverfahrens bei der verweigerten Zustimmung zur Eingruppierung / Höhergrupppierung dargelegt:

  1. 1.

    Es wird festgestellt, dass die Zustimmung des Antragsgegners zur Eingruppierung des Arbeitnehmers XY in die Entgeltgruppe 123 Teil A Abschnitt I. Ziffer 3. der Anlage 1 zu § 12 TVöD-VKA als erteilt gilt.

     

    Hilfsweise für den Fall, dass der Antrag zu 1. abgewiesen wird:

  2. 2.

    Die von dem Antragsgegner verweigerte Zustimmung zur Eingruppierung des Arbeitnehmers XY in die Entgeltgruppe 123 Teil A Abschnitt I. Ziffer 3. der Anlage 1 zu § 12 TVöD-VKA wird ersetzt.

Erläuterung:

Der Antrag zu 1 bezieht sich auf den Vorwurf, dass der Betriebsrat nicht die Anforderungen des § 99 Abs. 3 BetrVG erfüllt hat und innerhalb der Frist mit der erforderlichen Begründung die erforderlichen Zustimmungsverweigerungsgründe angebracht hat:

Nach § 99 Abs. 3 S. 2 BetrVG gilt die Zustimmung des Betriebsrats zu einer personellen Einzelmaßnahme als erteilt, wenn er seine Zustimmungsverweigerung dem Arbeitgeber nicht innerhalb einer Woche nach ordnungsgemäßer Unterrichtung unter Angabe von Gründen schriftlich mitteilt. Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung nicht fristgerecht mit beachtlicher Begründung, so ist auf den Zustimmungsersetzungsantrag des Arbeitgebers hin auszusprechen, dass die Zustimmung als erteilt gilt (vgl. BAG 20.10.2021 7 ABR 34/20; BAG 09.10.2013 - 7 ABR 1/12 - Rn. 35; BAG 10.10.2012 - 7 ABR 42/11 - Rn. 50).

Der Betriebsrat genügt der gesetzlichen Begründungspflicht, wenn es als möglich erscheint, dass mit seiner schriftlich gegebenen Begründung einer der in § 99 Abs. 2 BetrVG aufgeführten Verweigerungsgründe geltend gemacht wird. Eine Begründung, die offensichtlich auf keinen der gesetzlichen Verweigerungsgründe Bezug nimmt, ist dagegen unbeachtlich (BAG 20.10.2021 - 7 ABR 34/20).

Die Begründung des Betriebsrats braucht nicht schlüssig zu sein (vgl. BAG 10. Oktober 2012 - 7 ABR 42/11; BAG 19.04.2012 - 7 ABR 52/10 - Rn. 45; BAG 16.03.2010 - 3 AZR 31/09 - Rn. 41; BAG 09.12.2008 - 1 ABR 79/07 - Rn. 48).

Beispiel:

Sämtliche Einwendungen beziehen sich auf die Stellenbeschreibung. Der Inhalt der Stellenbeschreibung unterliegt jedoch nach dem BetrVG nicht der Zustimmungsbefugnis des Betriebsrats. Vielmehr hat der Arbeitgeber das Organisationsermessen über die Aufbau- und Ablauforganisation seines Unternehmens, den Inhalt der mit einer Stelle auszuübenden Aufgaben, die Entscheidungsbefugnisse und Kompetenzen sowie die Qualifikation des Stelleninhabers - für öffentliche Arbeitgeber in den oben genannten Grenzen (BAG 22.03.2017 - 4 AZR 532/14; BAG 28.06.2017 - 5 AZR 263/16).

Vom Antragsgegner müssen für seine Zustimmungsverweigerung Erwägungen vorgebracht werden, die den Widerspruchsgrund gemäß § 99 Abs. 2 BetrVG als möglich erscheinen lassen. Dies wäre aber zwingend notwendig gewesen (BAG 21.03.2018 - 7 ABR 38/16).

Der Hilfsantrag bezieht sich auf das Vorliegen der Voraussetzungen für die Entscheidung des Arbeitgebers, z.B. das Vorliegen für die Voraussetzungen zur Eingruppierung in die jeweilige Entgeltgruppe.

3. Keine Pflicht des Arbeitgebers zur Einleitung des Zustimmungsersetzungsverfahrens

Arbeitgeber setzt seine personelle Maßnahme nicht um:

Verweigert der Betriebsrat eine Zustimmung zu einer mitbestimmungspflichtigen Entscheidung des Arbeitgebers, ist der Arbeitgeber grundsätzlich nicht verpflichtet, ein Zustimmungsersetzungsverfahren einzuleiten (BAG 16.03.2010 - 3 AZR 31/09).

Er kann die Entscheidung des Betriebsrats auch akzeptieren.

Arbeitgeber will seine personelle Maßnahme umsetzen:

  • Der Arbeitgeber kann, wenn dies aus sachlichen Gründen dringend erforderlich ist, gemäß § 100 BetrVG die personelle Maßnahme vorläufig durchführen, bevor der Betriebsrat sich geäußert oder wenn er die Zustimmung verweigert hat. Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer über die Sach- und Rechtslage aufzuklären.

    Hinweis:

    Das Verfahren der vorläufige Durchführung ist nicht notwendig bei der verweigerten Zustimmung zu einer Eingruppierung (BAG 27.01.1987 - 1 ABR 66/85):

    "Der Senat hat Bedenken, ob die Regelung des § 100 BetrVG über vorläufige personelle Maßnahmen und diesen vom Arbeitgeber zu stellenden Feststellungsantrag bei Ein- und Umgruppierungen Anwendung finden kann. Die Ein- oder Umgruppierung im Sinne von § 99 Abs. 1 BetrVG ist keine tatsächliche nach außen wirkende Maßnahme, sondern ein gedanklicher Vorgang, ein Akt der Rechtsanwendung bzw. die Kundgabe des bei dieser Rechtsanwendung gefundenen Ergebnisses, dass nämlich der Arbeitnehmer einer bestimmten Vergütungsgruppe zuzuordnen ist. Der Senat hat daher schon in seiner Entscheidung vom 31. Mai 1983 (BAGE 43, 35 = AP Nr. 27 zu § 118 BetrVG 1972) entschieden, dass der Betriebsrat nach § 101 BetrVG nicht die "Aufhebung" einer Ein- oder Umgruppierung verlangen kann, die der Arbeitgeber ohne Zustimmung des Betriebsrats vorgenommen hat. § 101 BetrVG gibt dem Betriebsrat im Falle der ohne Zustimmung erfolgten Ein- oder Umgruppierung lediglich einen Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber das Zustimmungsersetzungsverfahren durchführt und damit den betriebsverfassungswidrigen Zustand beseitigt. Aus der Begründung dieser Entscheidung ergibt sich, dass es eine vorläufige Ein- oder Umgruppierung im Sinne von § 100 BetrVG nicht geben kann. Zwar kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mitteilen, dass er in eine bestimmte Vergütungsgruppe eingruppiert werde, diese Eingruppierung aber noch nicht endgültig sei, sondern von der Zustimmung des Betriebsrats bzw. vom Ausgang eines Zustimmungsersetzungsverfahrens abhänge. Diese Mitteilung ist aber nicht eine vorläufige Eingruppierung im Sinne von § 100 BetrVG, deren betriebsverfassungsrechtliche Zulässigkeit gegebenenfalls auch verneint und deren "Aufhebung" dem Arbeitgeber aufgegeben werden kann."

  • Sofern der Arbeitgeber an der personellen Maßmnahme festhält, ohne das Zustimmungsersetzungsverfahren einzuleiten, kann der Betriebsrat gemäß § 101 BetrVG beim Arbeitsgericht beantragen, dem Arbeitgeber aufzugeben, die personelle Maßnahme aufzuheben. Hebt der Arbeitgeber entgegen einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung die personelle Maßnahme immer noch nicht auf, so ist auf Antrag des Betriebsrats vom Arbeitsgericht zu erkennen, dass der Arbeitgeber zur Aufhebung der Maßnahme durch Zwangsgeld anzuhalten sei.

4. Streitwert

Das GKG ist zwar gemäß § 2 GKG im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren nicht anwendbar, aber dennoch richtet sich nach allgemeiner Meinung die Bestimmung des Gebührenstreitwerts bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten nach dem GKG.

Dementsprechend bestimmt sich in einem Zustimmungsersetzungsverfahren die Bestimmung des Streitwerts wie bei der Eingruppierungsfeststellungsklage gemäß § 42 Abs. 1 GKG, d.h. dem 36-fache Wert der Differenz der Entgeltgruppen.

 Siehe auch 

Betriebsrat

Betriebsrat - Rechte und Aufgaben

Beschlussverfahren - Arbeitsgerichtsbarkeit

Eingruppierung

Eingruppierungsfeststellungsklage

Gebührenstreitwert - Arbeitsrecht

Hartmann: Beschäftigungsanspruch und Zustimmungsersetzung. Zur Stellung des individualrechtlich betroffenen Arbeitnehmers im Beschlussverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG; Zeitschrift für Arbeitsrecht - ZFA 2008, 383

Hess/Worzalla/Glock u.a.: BetrVG. Kommentar; 11. Auflage 2023

Huth/Sadtler: Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Betriebsverfassungsrecht im Jahre 2020; Zeitschrift für das Tarif-, Arbeits- und Sozialrecht des öffentlichen Dienstes - ZTR 2020, 324

Wiese/Kreutz/Oetker u.a.: GK-BetrVG. Gemeinschaftskommentar zum Betriebsverfassungsgesetz; 12. Auflage 2022