Pflichtteil
1 Allgemein
Der Pflichtteil ist der gesetzliche Mindesterbteil bestimmter naher Angehörige des Erblassers.
Bestimmte nahe Angehörige des Erblassers haben grundsätzlich einen Anspruch auf einen Teil des Erbes, es sei denn, die Voraussetzungen einer Pflichtteilsentziehung (Enterbung) sind gegeben.
Pflichtteilsberechtigt sind folgende Personen:
Grundsätzlich immer pflichtteilsberechtigt sind die Kinder des Erblassers (auch Adoptivkinder, aber nicht die Pflegekinder oder Stiefkinder).
Ebenfalls immer pflichtteilsberechtigt sind der Ehegatte bzw. der Lebenspartner des Erblassers.
Pflichtteilsberechtigt sein können die Eltern des Erblassers und entferntere Abkömmlinge, sofern nicht ein Abkömmling, der sie von der gesetzlichen Erbfolge verdrängen würde, pflichtteilsberechtigt ist oder das Erbe annimmt.
2 Inhalt des Pflichtteilsanspruchs
Der Pflichtteil entspricht in der Höhe der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils zur Zeit des Erbfalls. Bei der Berechnung des gesetzlichen Erbteils sind auch die Personen mitzuzählen, die wegen Enterbung, Ausschlagung oder Erbunwürdigkeit nicht erben. Die Aufzählung ist abschließend.
Der Pflichtteilsberechtigte hat keinen Anspruch auf Nachlassobjekte, es handelt sich um einen reinen Zahlungsanspruch. Der Pflichtteilsberechtigte hat einen Auskunftsanspruch gegen den Erben über die Höhe des Nachlasses.
Dabei bestimmt sich die Bewertung von Nachlassgegenständen, die verkauft werden, ausschließlich nach dem tatsächlich erzielten Verkaufspreis (BGH 25.11.2010 - IV ZR 124/09).
Wäre der Erbe ebenfalls pflichtteilsberechtigt, kann er einen Ausgleich insoweit verweigern, als dass er seinen eigenen Pflichtteil einsetzen müsste.
Der Pflichtteilsanspruch eines die Sozialleistungen nach dem 5. - 9. Kapitel des SGB XII beziehenden behinderten Menschen wird gemäß § 93 SGB XII grundsätzlich auf den Sozialhilfeträger übergeleitet (Regress). Dies kann ggf. durch ein Behindertentestament vermieden werden. Der Pflichtteilsanspruch, der ebenfalls auf den Sozialhilfeträger übergeleitet wird, kann jedoch von diesem auch ohne Zustimmung des Pflichtteilsberechtigten geltend gemacht werden (BGH 08.12.2004 - IV ZR 223/03).
3 Pflichtteil des Ehegatten
3.1 Allgemein
Lebten die Ehegatten im Güterstand der Zugewinngemeinschaft, berechnet sich der Pflichtteil des überlebenden, nicht als Erben eingesetzten oder mit einem Vermächtnis bedachten Ehegatten nach dem nicht durch § 1371 BGB Abs. 1 erhöhten Erbteil (§ 1371 Abs. 2 BGB, "kleiner Pflichtteil").
Soll durch die Pflichtteilsberechnung des Ehegatten nur die Pflichtteilshöhe eines den Pflichtteil fordernden Berechtigten ausgerechnet werden, ist der erhöhte Ehegattenpflichtteil zugrunde zu legen.
Macht der überlebende Ehegatte einen Pflichtteilsrestanspruch geltend, so ist auch der nach § 1371 BGB erhöhte Pflichtteil zugrunde zu legen.
3.2 Im Scheidungsverfahren
Das gesetzliche Erbrecht des überlebenden Ehegatten sowie das Recht auf den Voraus ist gemäß § 1933 BGB ausgeschlossen, wenn zur Zeit des Todes des Erblassers die Voraussetzungen für die Scheidung der Ehe gegeben waren und der Erblasser die Scheidung beantragt oder ihr zugestimmt hatte. Das Gleiche gilt, wenn der Erblasser berechtigt war, die Aufhebung der Ehe zu beantragen, und den Antrag gestellt hatte.
Sind diese Voraussetzungen gegeben, bleibt dem überlebenden Ehegatten dennoch der Anspruch auf den Pflichtteil. Dieser kann nur durch eine Enterbung ausgeschlossen werden.
Zu den weiteren Inhalten des Ausschlusses des gesetzlichen Erbrechts siehe den Beitrag "Erbrecht des Ehegatten".
4 Sicherung des Pflichtteils
Hinweis:
Sofern der Pflichtteil in der Höhe noch nicht bestimmbar ist, siehe zu dem Auskunftsanspruch des pflichtteilsberechtigten gegen den Erben den Beitrag "Auskunftsanspruch".
Die Sicherung des Pflichtteilsanspruchs kann durch den Arrest erreicht werden. Arrestgegner ist der Erbe, insofern muss vorgetragen werden, dass dieser die Erbschaft angenommen hat. Die Details ergeben sich aus der Einsichtnahme in die Nachlassakte.
Die Voraussetzungen des Pflichtteils sind dem Grunde nach sowie in der Höhe glaubhaft zu machen:
Die Höhe des zu sichernden Pflichtteils kann sich aus dem vorläufigen Nachlassverzeichnis des Erben ergeben und geschätzt werden. Dabei ist jedoch zu beachten, dass eine Schätzung nicht "in's Blaue erfolgen darf", die Grundlagen der Schätzung sind anzugeben!
Der Arrestgrund muss objektiv vorliegen, die subjektiven Befürchtungen des Pflichtteilsberechtigten sind unerheblich. Als objektive Gründe sind u.a. anerkannt:
Wenn der im Ausland wohnhafte Schuldner seinen einzigen körperlichen Vermögensgegenstand an eine inländische Gesellschaft veräußert, an der er selbst beteiligt ist, und eine Vollstreckung nur noch in seine Gesellschafts- und Geschäftsanteile möglich wäre (OLG Dresden 07.12.2006 - 21 UF 410/06).
Die nicht richtige oder nicht erteilte Erstellung des Nachlasslassverzeichnisses durch den Erben.
Sofern sich der Nachlass an verschiedenen Orten befindet, sollten mehrere Ausfertigungen des Arrestbefehls beantragt werden.
5 Stundung des Pflichtteils
Grundsätzlich kann der Erbe gemäß § 2331a BGB die Stundung des Pflichtteils verlangen, wenn die sofortige Erfüllung des gesamten Anspruchs für den Erben wegen der Art der Nachlassgegenstände eine unbillige Härte wäre, insbesondere wenn sie ihn zur Aufgabe des Familienheims oder zur Veräußerung eines Wirtschaftsguts zwingen würde, das für den Erben und seine Familie die wirtschaftliche Lebensgrundlage bildet. Die Interessen des Pflichtteilsberechtigten sind angemessen zu berücksichtigen.
Das OLG Rostock hat die Stundung für eine nicht berufstätige Erbin abgelehnt, die nach dem Tod des Erblassers mit ihren fünf Kindern in das Haus des Erblassers gezogen ist, da auch nach dem Ende der Stundungszeit nicht mit einer Besserung der finanziellen Situation der Erbin zu rechnen sei (OLG Rostock 20.06.2019 - 3 U 32/17).
6 Verzicht auf den Pflichtteil
Siehe insofern den Beitrag "Pflichtteil - Verzicht".
7 Pflichtteilsrestanspruch
Wird ein Pflichtteilsberechtigter als Erbe eingesetzt, ist sein Erbteil aber geringer als es sein Pflichtteil sein würde, so hat er gegen die anderen Erben einen Pflichtteilsrestanspruch in Höhe der Differenz.
8 Pflichtteilsergänzungsanspruch
Durch den Pflichtteilsergänzungsanspruch wird die Erbmasse, die der Erblasser zu seinen Lebzeiten durch Schenkungen gemindert hatte, theoretisch wieder "aufgefüllt".
9 Pflichtteilsbeschränkung
Das Pflichtteilsbeschränkungsrecht ist für einen Erblasser ein Mittel zur Sicherung des Nachlasses vor der Verschwendungssucht bzw. den Gläubigern der Kinder:
Gemäß § 2338 BGB kann ein Erblasser den Pflichtteil seines überschuldeten oder zur Verschwendungssucht neigenden Kindes durch eine Anordnung derart beschränken, dass
nach dem Tod des Abkömmlings
dessen gesetzliche Erben
das ihm (d.h. dem Abkömmling) Hinterlassene oder den ihm gebührenden Pflichtteil
als Nacherben oder als Nachvermächtnisnehmer
nach dem Verhältnis ihrer gesetzlichen Erbteile erhalten sollen.
Verschwendungssucht ist eine Neigung zum sinnlosen Ausgeben des Geldes. Überschuldung liegt vor, wenn das Passivvermögen das Aktivvermögen übersteigt.
Die Anordnung ist gemäß § 2338 Abs. 2 BGB unwirksam, wenn der verschwenderische Lebensstil oder die Überschuldung im Zeitpunkt des Erbfalls nicht mehr vorliegen.
Im Streitfall obliegt es einem durch die Pflichtteilsbeschränkung Begünstigten zu beweisen, dass die Voraussetzungen im Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung vorlagen. Der Abkömmling trägt die Beweislast dafür, dass die Überschuldung / der verschwenderische Lebensstil nicht mehr gegeben sind.
10 Pflichtteilsunwürdigkeit
Von der Pflichtteilsentziehung (Enterbung) zu unterscheiden ist die Pflichtteilsunwürdigkeit gemäß § 2345 BGB. Die zur Anfechtung begründenden Umstände entsprechen denen der Erbunwürdigkeit (§ 2339 Abs. 1 Nr. 1 - 4 BGB). Die Anfechtung wegen Pflichtteilsunwürdigkeit kann nach dem Erbfall durch die Anfechtung des Pflichtteilserwerbs erfolgen. Anfechtungsberechtigt ist gemäß § 2341 BGB jeder, dem der Wegfall des Pflichtteils zugutekommen würde. Anders als bei der Einsetzung als Erbe reicht jedoch die Geltendmachung durch eine formlose Anfechtungserklärung gegenüber dem Pflichtteilsunwürdigen.
11 Lebensversicherungen
Von dem Erblasser abgeschlossene Lebensversicherungen unterliegen dann nicht dem Erbrecht, wenn der Erblasser als Versicherungsnehmer in dem Vertrag einen Bezugsberechtigten benannt hat. Die mit dem Tod des Erblassers ausgezahlte Summe wird in diesen Fällen nicht Bestandteil des Nachlasses, sie steht einzig dem Bezugsberechtigten zu, der jedoch auf die Summe Erbschaftsteuer zu zahlen hat.
Es kann aber ein Pflichtteilsergänzungsanspruch bestehen.
12 Anrechnung von Vorempfängen
Ob und wie Vorempfänge sich auf eine Pflichtteilsberechnung auswirken, hängt zunächst davon ab, welche Anordnungen der Erblasser bei der Zuwendung getroffen hat. In Betracht kommen dafür
- a)
die Anordnung, die Zuwendung zur Ausgleichung zu bringen gemäß §§ 2316 Absatz 1, 2050 Absatz 3 BGB,
- b)
die Bestimmung, die Zuwendung auf den Pflichtteil anzurechnen gemäß § 2315 BGB
sowie
- c)
gemäß § 2316 Absatz 4 BGB die Zuwendung nach beiden vorgenannten Bestimmungen auszugleichen und zugleich anzurechnen.
Dabei folgt die Ermittlung des Ausgleichs-, Anrechnungs- oder Ausgleichs-/Anrechnungspflichtteils nach den jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen ganz unterschiedlichen Berechnungsweisen, die je nach den Umständen des Falles insbesondere den Vermögensverhältnissen, Vorempfängen und Pflichtteilsberechtigten auch zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führen können.
Das erklärt sich aus den verschiedenen Berechnungssystemen, nach denen bei einer Ausgleichung der Wert der Zuwendung von dem Erbteil abgezogen und erst von diesem so ermittelten Betrag der Pflichtteil berechnet wird, während bei einer Anrechnung der Pflichtteil zunächst selbst berechnet und dann von diesem Pflichtteil der Wert der Zuwendung abgezogen wird. Bei einer gleichzeitigen Ausgleichungs- und Anrechnungsanordnung ist schließlich zunächst der Pflichtteil im Wege der Ausgleichung zu bestimmen und dieser Wert danach um die Hälfte des Zuwendungswertes zu kürzen.
Welche dieser Regelungen zur Anwendung kommt, wenn die Zuwendung - wie in dem vom BGH zu beurteilenden Fall (BGH 27.01.2010 - IV ZR 91/09) von der Erblasserin und dem Kläger im Übergabevertrag ausdrücklich festgelegt - im Wege "vorweggenommener Erbfolge unentgeltlich" vorgenommen worden ist, kann nur durch Auslegung ermittelt werden.