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Leidensgerechter Arbeitsplatz

 Normen 

§ 241 Abs. 2 BGB

 Information 

Hinweis:

Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf den Anspruch auf Beschäftigung von Arbeitnehmern mit Einschränkungen, die jedoch unterhalb einer Behinderung liegen. Zu den Ausführungen dieser Arbeitnehmergruppe siehe den Beitrag "Schwerbehinderte Arbeitnehmer - Beschäftigungspflicht".

Ist der Arbeitnehmer aus in seiner Person liegenden Gründen nicht mehr in der Lage, die vom Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts näher bestimmte Leistung zu erbringen, kann es die Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB gebieten, dass der Arbeitgeber von seinem Direktionsrecht erneut Gebrauch macht und die vom Arbeitnehmer zu erbringende Leistung innerhalb des arbeitsvertraglich vereinbarten Rahmens anderweitig derart konkretisiert, dass dem Arbeitnehmer die Leistungserbringung wieder möglich wird (LAG Köln 24.05.2016 - 12 Sa 677/13).

Der Arbeitgeber muss zwar bei einer ermessengerechten Ausübung seines Weisungsrechts nicht nur auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen (so ausdrücklich § 106 Satz 3 GewO), sondern im Rahmen des ihm Zumutbaren auch auf krankheitsbedingte Einschränkungen der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers. Er ist aber nicht verpflichtet, einen "leidensgerechten Arbeitsplatz" erst zu schaffen. Denn es obliegt seiner unternehmerischen Entscheidung und Planungshoheit, wie er den Betrieb und die zu verrichtende Arbeit organisiert und welche Arbeitsplätze er hierfür einrichtet. Die Planung der Arbeitsplätze unterliegt nur der Mitwirkung des Betriebsrats (§ 90 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG), nicht aber der Arbeitsgerichte. (...) Schneidet der Arbeitgeber gleichsam die Arbeitsplätze immer wieder neu zu, gebietet § 241 Abs. 2 BGB, dabei jeweils im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren auf die gesundheitlichen Einschränkungen der Beschäftigten Rücksicht zu nehmen (BAG 28.06.2017 - 5 AZR 263/16).

Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Neubestimmung der Tätigkeit des Arbeitnehmers setzt weiter voraus, dass der Arbeitnehmer die Umsetzung auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz verlangt und dem Arbeitgeber mitgeteilt hat, wie er sich seine weitere, die aufgetretenen Leistungshindernisse ausräumende Beschäftigung vorstellt. Dem Verlangen des Arbeitnehmers muss der Arbeitgeber regelmäßig entsprechen, wenn ihm die in der Zuweisung einer anderen Tätigkeit liegende Neubestimmung der zu bewirkenden Arbeitsleistung zumutbar und rechtlich möglich ist (BAG 19.05.2010 - 5 AZR 162/09).

  • Zumutbar ist dem Arbeitgeber die Zuweisung einer anderen Tätigkeit, wenn dem keine betrieblichen Gründe, zu denen sowohl wirtschaftliche als auch organisatorische Gründe zählen können, oder die Rücksichtnahmepflicht gegenüber anderen Arbeitnehmern entgegenstehen. Betriebliche Gründe werden in der Regel der Zuweisung einer anderweitigen Tätigkeit nicht entgegenstehen, wenn ein entsprechender Arbeitsplatz frei ist und der Arbeitgeber Bedarf für die Tätigkeit hat. Ist ein entsprechender Arbeitsplatz nicht frei, kann also die Zuweisung einer anderen Tätigkeit nur durch den Austausch mit anderen Arbeitnehmern erfolgen, ist weiter zu prüfen, ob einer Umsetzung neben betrieblichen Gründen die dem Arbeitgeber gegenüber allen Arbeitnehmern obliegende Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB entgegensteht (BAG 19.05.2010 - 5 AZR 162/09).

  • Rechtlich möglich ist die Zuweisung einer anderen Tätigkeit, wenn ihr keine rechtlichen Hindernisse entgegenstehen. Das Angebot des Arbeitnehmers einer "leidensgerechten Arbeit" ist ohne Belang, solange der Arbeitgeber nicht durch eine Neuausübung seines Direktionsrechts diese zu der i.S.v. § 294 BGB zu bewirkenden Arbeitsleistung bestimmt hat. Anderenfalls könnte der Arbeitnehmer den Inhalt der arbeitsvertraglich nur rahmenmäßig umschriebenen Arbeitsleistung selbst konkretisieren (BAG 19.05.2010 - 5 AZR 162/09, LAG Köln 24.05.2016 - 12 Sa 677/13).

Aber: Unterlässt der Arbeitgeber die ihm mögliche und zumutbare Zuweisung leidensgerechter und vertragsgemäßer Arbeit, steht die Einschränkung der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers dem Annahmeverzug des Arbeitgebers nicht entgegen (BAG 27.08.2008 - 5 AZR 16/08).

Dennoch werden die obigen Grundsätze nicht von allen Arbeitsgerichten so gelebt:

Das Arbeitsgericht Herne hat den Antrag eines Arbeitnehmers auf Umsetzung in eine andere Abteilung der (großen) Behörde trotz einer amtsärztlich bestätigten Gesundheitsbeeinträchtigung des Arbeitnehmers durch das Führungsverhalten des Vorgesetzten abgelehnt (ArbG Herne 21.01.2022 - 5 Ca 1586/21). Dem Organisationsermessen der Arbeitgebers sei insoweit der Vorrang einzuräumen.

Das Urteil wurde mit der Entscheidung LAG Hamm 27.10.2022 - 11 Sa 254/22 bestätigt. Nach der Ansicht des LAG liegt es im Ermessen des Arbeitgebers, mit welchen Maßnahme der Arbeitgeber auf Belästigungen eines Arbeitnehmers durch einen Vorgesetzten reagiert. Dabei muss der Arbeitnehmer auch eine vom Arbeitgeber angebotene Mediation annehmen, auch wenn zuvor bereits Gesprächsversuche zwischen den Parteien gescheitert sind. Ein Anspruch auf Umsetzung auf einen seiner Berufsausbildung entsprechenden Arbeitsplatz besteht nicht. Dies gilt auch dann, wenn es sich bei dem Arbeitgeber um eine große Behörde handelt und viele andere, zur Qualifikation des Arbeitnehmers passende Arbeitsplätze vorhanden und ausgeschrieben sind.

 Siehe auch 

Annahmeverzug - Arbeitsrecht

Arbeitsentgelt ohne Arbeit

Beschäftigungspflicht

Direktionsrecht

Personenbedingte Kündigung

Schwerbehinderte Arbeitnehmer

Schwerbehinderte Arbeitnehmer - Beschäftigungspflicht