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Kündigung - Anhörung des Betriebsrats

Normen

§§ 102 ff. BetrVG

Information

1 Allgemein

Eines der Formerfordernisse einer Kündigung in Betrieben mit einem Betriebsrat.

Besteht in dem Betrieb ein Betriebsrat, hat der Arbeitgebervor dem Ausspruch einer Kündigung den Betriebsrat anzuhören.

Hinweis:

Hat ein öffentlicher Arbeitgeber einen Arbeitnehmer einer in der Rechtsform einer GmbH gebildeten Arbeitsgemeinschaft zur Dienstleistung zugewiesen und verbleiben bei dem öffentlichen Arbeitgeber die den Bestand und den Inhalt des Arbeitsverhältnisses betreffenden materiellen Entscheidungsbefugnisse, hat dies zur Folge, dass er den bei ihm errichteten Personalrat bei der Ausübung solcher Befugnisse zu beteiligen hat (BAG 09.06.2011 – 6 AZR 132/10).

Das Anhörungsrecht besteht nur, wenn der Betriebsrat auch funktionsfähig ist. Ein erstmalig gewählter Betriebsrat ist vor seiner konstituierenden Sitzung nicht funktionsfähig.

Unterbleibt die Anhörung oder entspricht sie nicht den rechtlichen Anforderungen, so ist die Kündigung unwirksam (BAG 16.07.2015 – 2 AZR 15/15).

2 Anwendungsbereich der Anhörungspflicht

Die Anhörungspflicht erstreckt sich auf ordentliche Kündigungen, außerordentliche Kündigungen, Änderungskündigungen durch den Insolvenzverwalter ausgesprochene Kündigungen oder die Kündigung von in Heimarbeit Beschäftigten.

Auch wenn der gekündigte Arbeitnehmer noch keinem Kündigungsschutz unterliegt, weil das Arbeitsverhältnis noch nicht sechs Monate bestanden hat bzw. er sich noch in der Probezeit befindet, so besteht dennoch das Anhörungsrecht des Betriebsrats.

Nach der Entscheidung BAG 16.09.2004 – 2 AZR 511/03 ist allerdings bei der Intensität der Unterrichtung des Betriebsrats über die Kündigungsgründe innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Wartezeit der beiderseitigen Überprüfung der Arbeitsvertragsparteien dient: Es kann deshalb bei einer solchen Kündigung ausreichend sein, wenn der Arbeitgeber, der keine auf Tatsachen gestützte und durch Tatsachen konkretisierbaren Kündigungsgründe benennen kann, dem Betriebsrat nur seine subjektiven Wertungen mitteilt, die ihn zur Kündigung des Arbeitnehmers veranlassen.

3 Anhörungsverfahren

Nach dem Urteil BAG 06.10.2005 – 2 AZR 316/04 vollzieht sich die Anhörung in zwei aufeinander folgenden Verfahrensabschnitten, die nach ihrem Zuständigkeitsbereich voneinander abzugrenzen sind:

Nur wenn das Einleitungsverfahren fehlerhaft durchgeführt wird, ist die Kündigung unwirksam. Mängel im Rahmen der Entscheidungsfindung berühren die Wirksamkeit der Kündigung grundsätzlich nicht.

Mit der Beschlussfassung durch die Einigungsstelle hat das Beteiligungsverfahren sein Ende gefunden. Für die Wirksamkeit der Kündigung kommt es nicht darauf an, ob der Beschluss im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits schriftlich begründet, vom Vorsitzenden unterschrieben und den Beteiligten übersandt worden war (BAG 23.01.2014 – 2 AZR 638/13).

4 Inhalt der Unterrichtung

4.1 Art der Informationen

Zur Erfüllung der inhaltlichen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Anhörung muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat folgende Informationen mitteilen:

  • Angaben zur Person des Arbeitnehmers:

    Die Angaben müssen der Wahrheit entsprechen. Aber versehentliche Falschangaben des Arbeitgebers sind unerheblich:

    »Damit fehlt es an einer bewusst unrichtigen oder irreführenden Unterrichtung über die Person des zu kündigenden Arbeitnehmers, die schon für sich genommen zur Unwirksamkeit der Kündigung führen könnte« (BAG 28.02.2023 – 2 AZR 194/22).

  • Angaben zu den sozialen Verhältnissen des Arbeitnehmers (Familienstand, Alter, Dauer der Betriebszugehörigkeit)

  • Angaben zur Art der Kündigung

  • Angaben zur Kündigungsfrist

  • Angaben zu den wesentlichen Kündigungsgründen

4.2 Umfang der Informationen

Der Arbeitgeber muss gemäß § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG dem Betriebsrat die Gründe für die Kündigung mitteilen, d.h. er muss über alle Gesichtspunkte informieren, die ihn zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses veranlasst haben.

Für die Mitteilung der Kündigungsgründe gilt nach der Rechtsprechung der Grundsatz der »subjektiven Determinierung«. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt er dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt darstellt.

Die Anforderungen an diese Informationspflicht wurden durch das Bundesarbeitsgericht u.a. in der Entscheidung BAG 16.09.2004 – 2 AZR 511/03 konkretisiert:

»Der maßgebende Sachverhalt ist unter Angabe der Tatsachen, aus denen der Kündigungsentschluss hergeleitet wird, näher so zu beschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in die Lage versetzt wird, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich über eine Stellungnahme schlüssig zu werden.

Die Mitteilungspflicht ist aber subjektiv determiniert. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht subjektiv tragenden Kündigungsgründe mitgeteilt hat.

Dazu gehören auch die dem Arbeitgeber bekannten, dem Kündigungsgrund widerstreitenden Umstände. Die Mitteilung von Scheingründen oder die unvollständige Mitteilung von Kündigungsgründen unter bewusster Verschweigung der wahren Kündigungsgründe genügt deshalb für eine ordnungsgemäße Anhörung nicht. Kommen - aus Sicht des Arbeitsgebers – für eine Kündigung mehrere Sachverhalte und Kündigungsgründe in Betracht, so führt jedoch das bewusste Verschweigen eines von mehreren Sachverhalten nicht zur Unwirksamkeit der Anhörung.«

Daneben wurden nunmehr weitere Anforderungen aufgestellt (BAG 16.07.2015 – 2 AZR 15/15):

  • Eine zwar vermeidbare, aber unbewusst erfolgte, »bloß« objektive Fehlinformation führt dagegen für sich genommen nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber bei größerer Sorgfalt die richtige Sachlage hätte kennen können. Maßgeblich ist, ob er subjektiv gutgläubig und ob trotz objektiv falscher Unterrichtung dem Sinn und Zweck der Betriebsratsanhörung Genüge getan ist. Dies ist bei einer unbewussten Falschinformation dann der Fall, wenn sich der Inhalt der Unterrichtung mit dem tatsächlichen Kenntnisstand des Arbeitgebers deckt und der Betriebsrat damit auf derselben Tatsachenbasis wie dieser auf dessen Kündigungsabsicht einwirken kann.

  • An einer ordnungsgemäßen Unterrichtung über die Kündigungsgründe fehlt es wiederum dann, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat für dessen Beurteilung bedeutsame, zuungunsten des Arbeitnehmers sprechende, objektiv unzutreffende Tatsachen mitteilt, von denen er selbst durchaus für möglich hält, dass sie nicht der Wahrheit entsprechen. Es handelt sich in diesem Fall nicht um eine unbewusste Fehlinformation. Der Arbeitgeber ist nicht gutgläubig. Er stellt vielmehr seinen Kenntnisstand bewusst als umfassender dar, als er es in Wirklichkeit ist.

  • Die subjektive Überzeugung des Arbeitgebers von der Relevanz oder Irrelevanz bestimmter Umstände ist für den Umfang der Unterrichtung nicht maßgeblich, wenn dadurch der Zweck der Betriebsratsanhörung verfehlt würde. Der Arbeitgeber darf ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können, dem Betriebsrat nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren. In diesem Sinne ist die Betriebsratsanhörung – ausgehend vom subjektiven Kenntnisstand des Arbeitgebers – auch objektiv, d.h. durch Sinn und Zweck der Anhörung determiniert.

4.3 Vorlage von Unterlagen

Nicht erforderlich ist die Vorlage von Unterlagen. Daneben ist der Arbeitgeber nicht befugt, dem Betriebsrat ohne Einverständnis des Arbeitnehmers Einsicht in dessen Personalakte zu gewähren.

4.4 Korrekte Kündigungsfrist

Die Anhörung des Betriebsrats ist nicht deshalb unwirksam, weil eine objektiv unzutreffende Kündigungsfrist mitgeteilt worden ist. Denn der Betriebsrat benötigt die exakte Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist nicht, um die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers sachgerecht prüfen zu können (BAG 23.10.2014 – 2 AZR 736/13).

5 Entscheidungsmöglichkeit des Betriebsrats

Der Betriebsrat kann der Kündigung zustimmen oder ihr widersprechen. Der Widerspruch hat keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Kündigung.

Der Widerspruch ist schriftlich abzugeben und kann aber nur innerhalb bestimmter Fristen erklärt werden: Diese beträgt gemäß § 102 Abs. 2 BetrVG bei einer ordentlichen Kündigung eine Woche und bei einer außerordentliche Kündigungen drei Tage, beginnend mit dem Ende der Anhörung.

Das BAG hat wie folgt zu der Frage Stellung genommen, unter welchen Voraussetzungen eine vor dem Ablauf der Frist abgegebene Stellungnahme des Betriebsrats als endgültig angesehen werden kann (BAG 25.05.2016 – 2 AZR 345/15):

  • Der Betriebsrat muss mit seiner Äußerung nicht bis zum Fristablauf warten. Er kann bereits vor diesem Zeitpunkt zur mitgeteilten Kündigungsabsicht des Arbeitgebers abschließend Stellung nehmen. Das Beteiligungsverfahren ist mit Eingang einer solchen Äußerung vorzeitig beendet und der Arbeitgeber kann die Kündigung umgehend erklären (BAG 23. Oktober 2014 – 2 AZR 736/13).

  • Einer Äußerung des Betriebsrats während des Anhörungsverfahrens kommt indes nur fristverkürzende Wirkung zu, wenn ihr der Arbeitgeber unzweifelhaft entnehmen kann, dass es sich um eine abschließende Stellungnahme handelt. Erklärt der Betriebsrat dies nicht ausdrücklich, ist der Inhalt seiner Mitteilung durch Auslegung zu ermitteln (BAG 12. März 1987 – 2 AZR 176/86).

  • Für die Annahme einer vorfristig abgegebenen verfahrensbeendenden Äußerung bedarf es besonderer Anhaltspunkte. Besondere Anhaltspunkte für eine abschließende Stellungnahme liegen regelmäßig vor, wenn der Betriebsrat dem Arbeitgeber mitteilt, er stimme der beabsichtigten Kündigung ausdrücklich und vorbehaltlos zu oder er erklärt, von einer Äußerung zur Kündigungsabsicht abzusehen.

  • In anderen Fällen wird der Arbeitgeber nur von einer abschließenden Stellungnahme ausgehen können, wenn aus seiner Sicht eine weitere Äußerung des Betriebsrats zur Kündigungsabsicht ausgeschlossen ist. Dazu ist es nicht ausreichend, dass der Betriebsratsvorsitzende dem Arbeitgeber das Ergebnis der Beschlussfassung des Gremiums mitgeteilt hat. Fehlt es an sicheren Anhaltspunkten dafür, dass sich der Betriebsrat in keinem Fall mehr zur Kündigungsabsicht äußern wird, muss der Arbeitgeber, sofern er die Kündigung vor Ablauf der Wochenfrist erklären will, beim Betriebsratsvorsitzenden nachfragen und um entsprechende Klarstellung bitten.

Daneben besteht im Falle des Widerspruchs des Betriebsrats für den gekündigten Arbeitnehmer gemäß § 102 Abs. 5 BetrVG ein Weiterbeschäftigungsanspruch bis zum Ende des Kündigungsschutzprozesses.

Von diesem wird in der Praxis jedoch so gut wie nie Gebrauch gemacht, nicht zuletzt da durch die Weiterarbeit dem Arbeitgeber wieder Möglichkeiten gegeben werden, neue Kündigungsgründe zu finden.

6 Anhörung Verdachtskündigung/Tatkündigung

Ist der Betriebsrat zu dem Ausspruch einer Verdachtskündigung ordnungsgemäß angehört worden und werden in dem anschließenden Kündigungsschutzprozess die Voraussetzungen einer Tatkündigung als gegeben festgestellt, so scheitert der Ausspruch der Tatkündigung nicht an der fehlenden Anhörung des Betriebsrats zur Tatkündigung, wenn dem Betriebsrat alle Tatsachen mitgeteilt worden sind, die – ggf. auch im Rahmen eines zulässigen Nachschiebens – nicht nur den Verdacht, sondern den Tatvorwurf selbst begründen (BAG 23.06.2009 – 2 AZR 474/07).

7 Wiederholte Anhörungen

Die Anhörung ist vor jeder Kündigung durchzuführen.

Hat der Arbeitgeber eine Kündigung ausgesprochen, die wegen eines Formfehlers unwirksam ist, ansonsten aber begründet, so kommt es oftmals innerhalb eines kurzen Zeitraums zum Ausspruch einer weiteren Kündigung, der sogenannten Wiederholungskündigung – diesmal ohne den Formfehler. Auch vor dieser Kündigung ist eine Anhörung des Betriebsrats durchzuführen.

Dies gilt auch, wenn z.B. nach der Zurückweisung der Kündigung gemäß § 174 BGB (siehe Kündigung – Arbeitsrecht) eine neue Kündigung ausgesprochen werden muss.

Eine Ausnahme wurde von der Rechtsprechung in einem Fall anerkannt, in dem zwar der Betriebsrat zur ersten Kündigung gehört worden war (und dieser zugestimmt hat), die Kündigung dem Arbeitnehmer aber nicht zugegangen war. Die zweite Kündigung wurde auf denselben Sachverhalt gestützt und war in einem engen zeitlichen Zusammenhang ausgesprochen worden (BAG 10.11.2005 – 2 AZR 623/04).

8 Betriebsvereinbarung

Die gesetzliche Vorschrift des § 102 BetrVG ist dahin gehend abänderbar, dass der Arbeitgeber und der Betriebsrat in einer Betriebsvereinbarung das Erfordernis einer Zustimmung des Betriebsrats zu der jeweiligen Kündigung vereinbaren können.

9 Besonderheiten

Besonderheiten bestehen bei der Kündigung von betriebsverfassungsrechtlichen Mandatsträgern und leitenden Angestellten gemäß § 103 BetrVG und § 105 BetrVG.

Die Mitbestimmungsrechte des Personalrats bei der Kündigung im öffentlichen Dienst bestimmen sich nach § 85 f. BPersVG bzw. den entsprechenden Regelungen der Personalvertretungsgesetze der Länder.

Bei kirchlichen Arbeitsverhältnissen bestimmen sich die Beteiligungsrechte der Mitarbeitervertretung nach den Mitarbeitervertretungsvorschriften des jeweiligen kirchlichen Arbeitgebers.

Vor Massenentlassungen (Betriebsänderung) besteht die in § 17 Abs. 2 KSchG geregelte Konsultation des Betriebsrats. Wird der Betriebsrat vor einer Massenentlassung im Rahmen des Konsultationsverfahrens entgegen § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 KSchG nicht über die betroffenen Berufsgruppen unterrichtet, kommt eine Heilung dieses Verfahrensfehlers durch eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats in Betracht, wenn wegen einer Betriebsstilllegung die Entlassung aller Arbeitnehmer beabsichtigt ist und der Betriebsrat hierüber ordnungsgemäß unterrichtet wurde. Der Stellungnahme muss zu entnehmen sein, dass der Betriebsrat seinen Beratungsanspruch (§ 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG) als erfüllt ansieht (BAG 09.06.2016 – 6 AZR 405/15).

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