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Hinterbliebenengeld

 Normen 

§ 844 Abs. 3 BGB

Gesetzesbegründung BR-Drs. 127/17

 Information 

1. Allgemein

Nach der Tötung eines Menschen haben Angehörige nur dann einen Anspruch auf Schmerzensgeld, wenn sie durch den Tod eine eigene Gesundheitsbeschädigung erlitten haben. Dazu muss der jeweilige Anspruchsteller darlegen und ggf. beweisen, dass sein seelisches Leid noch über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgeht, denen Hinterbliebene beim Tod eines Angehörigen erfahrungsgemäß ausgesetzt sind.

Um Angehörigen dennoch eine Ersatzleistung zukommen zu lassen, wurde zum 22.07.2017 das Schadensersatzrecht um einen neuen Anspruch erweitert. Diese neue Form des Schadensersatzes wird als "Hinterbliebenengeld" bezeichnet.

Der Anwendungsbereich des Hinterbliebenengeldes erstreckt sich auf das Deliktsrecht des BGB sowie die Gefährdungshaftung. Kein Anspruch besteht bei der Verschuldenshaftung.

Hinweis:

Den Anspruch auf Hinterbliebenengeld über die Deliktshaftung hinaus auf die Vertragshaftung auszudehnen, ist nach der Gesetzesbegründung (BR-Drs. 127/17) nicht erforderlich: Die Hinterbliebenen werden häufig nicht in den Schutzbereich eines zwischen dem Getöteten und dem für die Tötung Verantwortlichen abgeschlossenen Vertragsverhältnisses einbezogen sein, sodass sie aus diesem Vertrag auch keine eigenen Ansprüche werden herleiten können. Für die verbleibenden Fälle ist zu berücksichtigen, dass nebeneinander bestehende vertragliche und deliktische Ansprüche wegen der Tötung eines Angehörigen zu weitgehend parallelen Ergebnissen führen würden. Ist der Tod durch eine Pflichtverletzung nach § 280 Absatz 1 BGB verursacht worden, ist in der Regel auch ein deliktischer Anspruch auf Hinterbliebenengeld gegeben. Ein zusätzlicher vertraglicher Anspruch auf Hinterbliebenengeld hätte daher kaum eigenständige Bedeutung. Lediglich § 618 Absatz 3 BGB und § 62 Absatz 3 des HGB erklären für bestimmte Vertragsverhältnisse die Vorschriften der §§ 844 bis 846 BGB nach geltendem Recht in der Vertragshaftung für entsprechend anwendbar.

2. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld im Deliktsrecht

§ 844 Abs. 3 BGB regelt den Anspruch auf Hinterbliebenengeld für den Bereich der unerlaubten Handlungen des BGB. Wer durch eine solche unerlaubte Handlung den Tod eines Menschen verursacht, hat nach § 844 Abs. 3 BGB den Hinterbliebenen, die zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis standen, für das durch die Tötung zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten:

  • Anspruchsberechtigt sind die Hinterbliebenen, die zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis standen:

    Dieses liegt regelmäßig vor, wenn nahe Familienangehörige betroffen sind. Dazu zählen der Ehegatte, der Lebenspartner, die Eltern und die Kinder des Getöteten. Für diese enthält Satz 2 eine gesetzliche Vermutung des besonderen persönlichen Näheverhältnisses.

    Anspruchsberechtigt können daneben andere Personen sein, die jedoch die Umstände, aus denen sich ihr besonderes persönliches Näheverhältnis zum Getöteten ergibt, darlegen und gegebenenfalls beweisen müssen. Für das Vorliegen eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses ist die Intensität der tatsächlich gelebten sozialen Beziehung erheblich. Die Beziehung muss eine Intensität aufweisen wie sie in den in Satz 2 aufgeführten Fällen typischerweise besteht. Die Verbundenheit zwischen dem Getöteten und seinen Hinterbliebenen muss folglich den gesetzlich vermuteten besonderen persönlichen Näheverhältnissen entsprechen. Wenn dies vorliegt, können zum Beispiel Partner einer ehe- oder lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft, Verlobte (auch im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetzes), Mitglieder einer Patchwork-Familie, Stief- und Pflegekinder sowie Geschwister des Getöteten zum Kreis der Anspruchsberechtigten gehören.

    Das besondere persönliche Näheverhältnis zwischen dem Getöteten und dem Hinterbliebenen muss bereits zur Zeit der Verletzung bestanden haben. Es kommt auf die Verletzung des unmittelbar Betroffenen an, die zu dessen Tod führte. Tritt der Tod nicht sofort, sondern mit zeitlicher Verzögerung als mittelbare Folge einer durch die unerlaubte Handlung beigebrachten Körperverletzung ein, muss das besondere persönliche Näheverhältnis zur Zeit der Körperverletzung bestanden haben.

  • Seelisches Leid: Ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld setzt auch voraus, dass der Hinterbliebene infolge der Tötung seelisches Leid empfunden hat. Das Gesetz schränkt nach der Gesetzesbegründung (BR-Drs. 127/17) den Begriff des seelischen Leids bewusst nicht ein und sieht insbesondere kein Mindestmaß vor. In aller Regel wird das für den Anspruch vorausgesetzte besondere persönliche Näheverhältnis zum Getöteten indizieren, dass der Hinterbliebene infolge der Tötung seelisches Leid empfindet. Nur bei einem Hinterbliebenen, der keine innere Beziehung zum Getöteten hatte oder aus besonderen Gründen dessen Tod nicht als Verlust empfindet, wird dies nicht der Fall sein. Und nur wenn der Hinterbliebene seelisches Leid empfindet, dieses allerdings nicht aus der Tötung herrührte, kann es ausnahmsweise an der notwendigen Kausalität zwischen Tötung und seelischem Leid fehlen. In solchen Fällen hat der Anspruchsgegner die Möglichkeit, die Indizwirkung zu widerlegen.

  • Zahlung einer angemessenen Entschädigung in Geld: Die Bestimmung der Anspruchshöhe wird im Streitfall den Gerichten überlassen. Das Gesetz gibt Ziel und Zweck des Hinterbliebenengeldes vor: Es soll für das zugefügte seelische Leid geleistet werden. Bewertungen des verlorenen Lebens oder des Verlustes des besonders nahestehenden Menschen für den Hinterbliebenen können nicht in die Bemessung einfließen. Für die Bestimmung der Anspruchshöhe sind Erwägungen der Angemessenheit zugrunde zu legen. § 287 ZPO ist anzuwenden. Die Höhe des Schmerzensgeldes bei Schockschäden und die insoweit von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze könnten eine gewisse Orientierung geben. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Anspruch auf Hinterbliebenengeld keine außergewöhnliche gesundheitliche Beeinträchtigung voraussetzt.

3. Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld in der Gefährdungshaftung

Siehe insofern den Beitrag "Gefährdungshaftung". Die Anspruchsvoraussetzungen sowie die Entschädigungsleistung entsprechen denen des Deliktsrechts.

4. Rechtsprechung zur Höhe des Anspruchs

"Verstirbt das 20-jährige Kind des Anspruchstellers, welches im Haushalt des geschiedenen Ehegatten lebte, infolge eines Verkehrsunfalls, hinsichtlich dessen Zustandekommen den Unfallgegner nur ein leichtes Verschulden und das verstorbene Kind ein Mitverschulden von mindestens 50 % trifft, steht dem Anspruchsteller ein nicht über 5.000 Euro hinausgehender Anspruch auf Hinterbliebenengeld zu" (OLG Koblenz 31.08.2020 - 12 U 870/20).

5. Konkurrenz des Anspruchs auf Schmerzensgeld für Angehörige zum Hinterbliebenengeld

Siehe insofern den Beitrag "Schmerzensgeld - Angehörige".

6. Vererbbarkeit, Übertragsbarkeit und Verjährung

Der Anspruch ist nicht höchstpersönlich, sondern übertragbar und vererbbar. Anwendung finden die für Schadensersatzansprüche geltenden Verjährungsregelungen: Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld verjährt nach § 197 Abs. 1 Nr. 1 BGB bei einer vorsätzlichen Tötung nach 30 Jahren. Im Übrigen gilt für Hinterbliebenengeldansprüche die dreijährige Regelverjährung nach § 195 BGB und die dreißigjährige Höchstverjährungsfrist nach § 199 Absatz 2 BGB.

 Siehe auch 

Schadensersatz - psychischer Schaden

Schmerzensgeld

Schmerzensgeld - Angehörige

Tötung eines Menschen

Andreas: Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld; Arztrecht - ArztR 2017, 117

Bischoff: Das "neue" Hinterbliebenengeld. Grundlagen der Entschädigung für seelisches Leid von Nahestehenden; Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR 2017, 739

Jaeger: Gesetz zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld; Versicherungsrecht - VersR 2017, 1041

Jaeger/Luckey: Schmerzensgeld; 11. Auflage 2022

Katzenmeier: Hinterbliebenengeld. Anspruch auf Entschädigung für seelisches Leid; Juristenzeitung - JZ 2017, 869

Müller: Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld; Versicherungsrecht - VersR 2017, 321

Wagner: Schadensersatz in Todesfällen - Das neue Hinterbliebenengeld; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2017, 2641