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Gleichbehandlungsgrundsatz

Autor:
 Normen 

Art. 3 GG

§ 75 BetrVG

 Information 

1. Allgemein

Rechtsgrundlage im Arbeitsrecht.

Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist ein von der Rechtsprechung entwickelter Grundsatz, der allgemein nicht gesetzlich geregelt ist und aus Art. 3 GG abgeleitet wird.

Nur der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz als Unterform des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes ist in § 75 BetrVG geregelt, siehe insofern den gesonderten Gliederungspunkt unten.

Durch den Gleichbehandlungsgrundsatz wird die willkürliche Benachteiligung einzelner Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmergruppen durch den Arbeitgeber untersagt.

Beispiele:

Der Arbeitgeber differenziert bei der Weihnachtsgeldzahlung nach der Lage auf dem Arbeitsmarkt. Arbeitnehmer, in deren Berufsgruppe ein Überangebot besteht, erhalten kein Weihnachtsgeld.

Verheiratete Arbeitnehmerinnen werden unter Hinweis auf das Einkommen ihres Ehemannes von bestimmten Sonderzahlungen oder Gehaltserhöhungen ausgeschlossen.

Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist nicht mit der Allgemeinen Gleichbehandlung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) zu verwechseln, es kann jedoch zu Überschneidungen kommen.

Hinweis:

Zu der geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung siehe den Beitrag »Entgelttransparenz«.

2. Rechtsgrundlagen

Der Gleichbehandlungsgrundsatz wird aus Art. 3 GG hergeleitet.

§ 75 BetrVG, nach dem Arbeitgeber und Betriebsrat darüber zu wachen haben, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach Recht und Billigkeit behandelt werden, beinhaltet u.a. die Pflicht zur Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes.

3. Inhalt

Der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet den Arbeitgebernicht, alle Mitarbeiter gleich zu behandeln. Ein Arbeitgeber ist individualrechtlich z.B. nicht gehindert, die gleiche Tätigkeit von Arbeitnehmern ungleich zu vergüten (BAG 13.09.2006 – 4 AZR 236/05), d.h. die einzelne Bevorzugung oder finanzielle Besserstellung eines Arbeitnehmers kann durch den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht auf andere übertragen werden. Vielmehr besteht in Fragen der Vergütung Vertragsfreiheit, die lediglich durch verschiedene rechtliche Bindungen wie Diskriminierungsverbote und tarifliche Vorgaben eingeschränkt ist.

Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet dem Arbeitgeber nur, seine Arbeitnehmer oder Gruppen seiner Arbeitnehmer, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gesetzten Regel gleich zu behandeln. Er verbietet eine willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb der Gruppen und eine sachfremde Gruppenbildung (BAG 13.09.2006 – 4 AZR 236/05).

Merke:

Der Gleichbehandlungsgrundsatz umfasst: Das Verbot der Benachteiligung bei Anwendung einer selbst gesetzten Regel bzw. Leistung. D.h.: ###»Bei freiwilligen Leistungen muss der Arbeitgeber die Leistungsvoraussetzungen so abgrenzen, dass Arbeitnehmer nicht aus sachfremden oder willkürlichen Gründen ausgeschlossen werden (BAG 27.04.2021 – 9 AZR 662/19).

Der Gleichbehandlungsgrundsatz umfasst nicht: Das Gebot der Gleichbehandlung.

Ein Indiz für die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist es, wenn der Arbeitgeber gegen ein gesetzlich geregeltes Verbot der Ungleichbehandlung verstößt (BAG 11.04.2006 – 9 AZR 528/05), z.B. gegen die Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG).

4. Voraussetzungen

Die Voraussetzungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes sind:

  1. a)

    Der Arbeitgebergewährt aufgrund einer abstrakten Regelung eine freiwillige Leistung. Die Leistung muss einen kollektiven Bezug haben.

    Aber: Das BAG hat den Anwendungsbereich erweitert (BAG 27.04.2021 – 9 AZR 662/19):

    Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist nicht nur dann anwendbar, wenn der Arbeitgeber Leistungen nach einem bestimmten erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt, sondern grundsätzlich auch dann, wenn er – nicht auf besondere Einzelfälle beschränkt (vgl. BAG 20. Juni 2002 – 8 AZR 499/01 – Rn. 74) – nach Gutdünken oder nach nicht sachgerechten oder nicht bestimmbaren Kriterien leistet.

    Auf den einzelnen Arbeitnehmer bezogene Regelungen werden nicht erfasst.

Beispiel:

Die mit der Kita-Leitung befreundete Erzieherin darf nur in der Frühschicht arbeiten, alle anderen Erzieher müssen im Wechselschichtmodell arbeiten. Hier hat die Bevorzugung der einzelnen Erzieherin keinen kollektiven Bezug, es handelt sich nicht um die Bevorzugung einer Gruppe.

  1. b)

    Die Leistung/Regelung kommt einer bestimmten Gruppe von Arbeitnehmern zugute.

    Der Arbeitgeber ist grundsätzlich frei, den Personenkreis abzugrenzen, dem er freiwillige Leistungen zukommen lassen will, also Gruppen zu bilden, wenn diese Gruppenbildung nicht willkürlich, sondern sachlich gerechtfertigt und rechtlich zulässig ist.

  2. c)

    Arbeitnehmer, die sich in derselben oder in einer vergleichbaren Gruppe befinden, erhalten diese Vorteile nicht.

    Nicht ausreichend ist eine Gleichwertigkeit der Tätigkeiten oder eine Ähnlichkeit der Tätigkeiten.

  3. d)

    Eine unterschiedliche Gruppenbildung liegt vor, wenn für verschiedene Arbeitnehmergruppen unterschiedliche Rechtsfolgen vorgesehen werden. Dann verlangt der Gleichheitssatz, dass diese Unterscheidung durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist.

    Bei freiwilligen Leistungen muss der Arbeitgeber die Leistungsvoraussetzungen so abgrenzen, dass Arbeitnehmer nicht aus sachfremden oder willkürlichen Gründen ausgeschlossen werden. Die sachliche Rechtfertigung der Gruppenbildung kann nur am Zweck der freiwilligen Leistung gemessen werden (BAG 14.08.2007 – 9 AZR 943/06).

    • Dabei verstößt eine sachverhaltsbezogene Ungleichbehandlung erst dann gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, wenn sie willkürlich ist, weil sich ein vernünftiger Grund für die Differenzierung nicht finden lässt.

      Aber auch:

      »Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz findet nicht nur dann Anwendung, wenn der Arbeitgeber Leistungen nach einem bestimmten erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt, sondern grundsätzlich auch dann, wenn er - nicht auf besondere Einzelfälle beschränkt - nach Gutdünken oder nach nicht sachgerechten oder nicht bestimmbaren Kriterien leistet« (BAG 27.04.2021 – 9 AZR 662/19).

      Dagegen ist bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung der Gleichheitssatz bereits dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnten (BAG 16.02.2010 – 3 AZR 218/09).

    Die Zweckbestimmung einer Sonderzahlung ergibt sich vorrangig aus den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen, von deren Vorliegen und Erfüllung die Leistung abhängig gemacht wird (BAG 18.03.2009 – 10 AZR 289/08).

    Eine sachfremde Benachteiligung liegt dann nicht vor, wenn sich nach dem Leistungszweck Gründe ergeben, die es unter Berücksichtigung aller Umstände rechtfertigen, einer Gruppe die der anderen gewährte Leistung vorzuenthalten. Die Zweckbestimmung ergibt sich vorrangig aus den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen, von deren Vorliegen und Erfüllung die Leistung abhängig gemacht wird. Die Differenzierung zwischen der begünstigten Gruppe und den benachteiligten Arbeitnehmern ist dann sachfremd, wenn es für die unterschiedliche Behandlung keine billigenswerten Gründe gibt. Die Gründe müssen auf vernünftigen, einleuchtenden Erwägungen beruhen und dürfen nicht gegen höherrangige Wertentscheidungen verstoßen. Die Gruppenbildung ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Unterscheidung einem legitimen Zweck dient und zur Erreichung dieses Zwecks erforderlich und angemessen ist (BAG 27.05.2015 – 5 AZR 724/13).

Nach der Rechtsprechung (BAG 27.07.2010 – 1 AZR 874/08) hat der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber einen Auskunftsanspruch: »Steht eine Gruppenbildung fest, hat der Arbeitgeber die Gründe für die Differenzierung offenzulegen und so substanziiert darzutun, dass die Beurteilung möglich ist, ob die Gruppenbildung sachlichen Kriterien entspricht.« Der Auskunftsanspruch ist ggf. auch im Wege der Stufenklage durchsetzbar.

5. Betriebsübergreifende Leistungsgewährung

»Der Arbeitgeber hat aufgrund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes eine Gleichbehandlung betriebsübergreifend zu gewährleisten, wenn seine verteilende Entscheidung nicht auf den einzelnen Betrieb begrenzt ist, sondern sich auf alle oder mehrere Betriebe des Unternehmens bezieht. Eine Unterscheidung zwischen den einzelnen Betrieben ist nur zulässig, wenn es hierfür sachliche Gründe gibt. Dabei sind die Besonderheiten des Unternehmens und die seiner Betriebe zu berücksichtigen« (BAG 27.04.2021 – 9 AZR 662/19).

6. Beweislast

»Die Darlegungs- und Beweislast für einen Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz liegt grundsätzlich beim anspruchstellenden Arbeitnehmer. Nach den allgemeinen Regeln der Normenbegünstigung hat er die Voraussetzungen des Anspruchs auf Gleichbehandlung darzulegen und daher vergleichbare Arbeitnehmer zu nennen, die ihm gegenüber vorteilhaft behandelt werden. Ist dies erfolgt, muss der Arbeitgeber - wenn er anderer Auffassung ist - darlegen, wie groß der begünstigte Personenkreis ist, wie er sich zusammensetzt, wie er abgegrenzt ist und warum der klagende Arbeitnehmer nicht dazugehört (…). Der Arbeitgeber hat die nicht ohne Weiteres erkennbaren Gründe für die von ihm vorgenommene Differenzierung offenzulegen und jedenfalls im Rechtsstreit mit einem benachteiligten Arbeitnehmer so substantiiert darzutun, dass durch das Gericht beurteilt werden kann, ob die Gruppenbildung auf sachlichen Kriterien beruht« (BAG 12.10.2022 – 5 AZR 135/22).

»Das Vorliegen eines Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz lässt sich nur überprüfen, wenn die Darlegungs- und Beweislast zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sachgerecht verteilt wird (BAG 12.10.2005, 10 AZR 640/04). Der Arbeitgeber muss nicht ohne weiteres erkennbare Gründe für die von ihm vorgenommene Differenzierung so substantiiert darlegen, dass die rechtliche Qualifikation möglich ist, ob die Gruppenbildung sachlichen Kriterien entspricht« (ArbG Siegen, 21.03.2019 – 3 Ca 1071/18).

7. Betriebsverfassungsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz

Ein Unterfall des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes ist der in § 75 Abs. 1 BetrVG geregelte betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz. Dieser zielt ebenso darauf ab, eine Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen.

Sind in einer Betriebsvereinbarung für verschiedene Arbeitnehmergruppen unterschiedliche Leistungen vorgesehen, verlangt der Gleichheitssatz, dass diese Differenzierung sachlich gerechtfertigt ist. Maßgeblich hierfür ist vor allem der mit der Regelung verfolgte Zweck. Dieser ergibt sich vorrangig aus den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen, von deren Vorliegen und Erfüllung die Leistung abhängig gemacht wird. Dabei ist bei einer personenbezogenen Ungleichbehandlung der Gleichheitssatz bereits dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass diese die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BAG 08.12.2015 – 1 AZR 595/14, BAG 26.04.2016 – 1 AZR 435/14).

8. Rechtsfolgen

Ist eine unzulässige Ungleichbehandlung gegeben, haben die ungleich behandelten Arbeitnehmer Anspruch auf die den anderen Arbeitnehmern gewährten Vorteile. Die die Vorteile für diese Gruppe ausschließende Regelung ist unwirksam. Unerheblich ist, ob die Regelung in einem Arbeitsvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einer Gesamtzusage enthalten ist.

Der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, die der von vornherein begünstigten Gruppe gewährten Vorteile im Wege der Änderungskündigung zu entziehen mit dem Ziel, so eine Ausweitung der Vergünstigungen zu vermeiden. Wurden die Vorteile jedoch unter einem Widerrufsvorbehalt gestellt, so kann der Arbeitgeber sie widerrufen.

9. Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im arbeitsrechtlichen Alltag

Die Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in der arbeitsrechtlichen Praxis führt zu vielen Fragestellungen. Die Gerichte haben zudem in zahlreichen Entscheidungen Anhaltspunkte für die Lösung gegeben. Siehe insofern den Beitrag »Gleichbehandlungsgrundsatz - Einzelfälle«.

 Siehe auch 

Allgemeine Gleichbehandlung – Arbeitsrecht

Arbeitsvertrag

Betriebliche Übung

Elternzeit – Sonderzahlungen

Gleichheitsgebot

BAG 03.12.2008 – 5 AZR 74/08 (Unternehmensweite Anwendung)

BAG 15.02.2005 – 9 AZR 116/04 (Differenzierung bei der Höhe der Abfindung)

BAG 01.12.2004 – 5 AZR 664/03 (Auskunftsanspruch eines außertariflich Angestellten zur Prüfung der Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes)

BAG 01.07.1999 – 2 AZR 826/98

BAG 17.11.1998 – 1 AZR 147/98

BAG 13.12.1994 – 3 AZR 367/94

EuGH 12.10.2004 – C 313/02 (Gleichbehandlung bei Ausgestaltung der Arbeitszeit nach dem Arbeitsanfall)

Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß: Handbuch des Arbeitsrechts; 16. Auflage 2022

Maulshagen/Höner: Gegner der Leistungsförderung? Der Gleichbehandlungsgrundsatz; Arbeit und Arbeitsrecht – AuA 2008, 144

Strecker: Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz als Anspruchsgrundlage für die Verlängerung eines befristeten Arbeitsverhältnisses. Zugleich Anmerkung zu BAG, U. v. 13.08.2008 – 7 AZR 513/07; Recht der Arbeit – RdA 2009, 381