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Gemeinschaftsbetrieb

 Normen 

§ 1 Abs. 2 BetrVG

 Information 

1. Einführung

Als Gemeinschaftsbetrieb wird ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen bezeichnet. Gemäß § 1 Abs. 2 BetrVG wird das Bestehen eines Gemeinschaftsbetriebes bei Vorliegen der folgenden Voraussetzungen vermutet:

  • Betriebsmittel und Arbeitnehmer werden von den Unternehmen zur Verfolgung arbeitstechnischer Zwecke gemeinsam eingesetzt.

  • Die Spaltung eines Unternehmens hat zur Folge, dass von einem Betrieb ein oder mehrere Betriebsteile einem an der Spaltung beteiligten anderen Unternehmen zugeordnet werden.

In dem Urteil BAG 22.06.2005 - 7 ABR 57/04 hat das Bundesarbeitsgericht zu den Voraussetzungen eines Gemeinschaftsbetriebes Stellung genommen: Danach ist ein Gemeinschaftsbetrieb gegeben, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für einen einheitlichen arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird. Die beteiligten Unternehmen müssen sich zumindest stillschweigend zu einer gemeinsamen Führung in den personellen und sozialen Angelegenheiten verbunden haben.

Wesentlich für einen Gemeinschaftsbetrieb ist, dass der Kern der Arbeitgeberfunktion von derselben Leitungsebene ausgeübt wird. Aber das BAG hat dies allein nicht ausreichen lassen (BAG 20.05.2021 - 2 AZR 560/20):

"Die Personenidentität in der Unternehmensleitung kann zwar ein wesentliches Indiz für einen einheitlichen Leitungsapparat auf Betriebsebene sein, lässt aber nicht notwendig auf eine einheitliche Leitung in den wesentlichen personellen und sozialen Angelegenheiten schließen."

Die Frage, ob sich diese Grundsätze auch auf den öffentlichen Dienst dergestalt übertragen lassen, dass mehrere rechtlich selbstständige Verwaltungsträger eine einheitliche Verwaltung bilden können, ist derzeit noch nicht höchstrichterlich entschieden (BAG 05.11.2009 - 2 AZR 383/08).

2. Folgen eines Gemeinschaftsbetriebes

Folge eines Gemeinschaftsbetriebes ist, dass die verschiedenen, den Gemeinschaftsbetrieb bildenden Unternehmen betriebsverfassungsrechtlich und kündigungsschutzrechtlich als ein Betrieb angesehen werden.

2.1 Kündigungsschutz

Insbesondere im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung sind die Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers in allen den Gemeinschaftsbetrieb bildenden Unternehmen zu prüfen und auch die Sozialauswahl hat sich auf alle in den beteiligten Unternehmen vergleichbar Beschäftigen zu beziehen.

Im Kündigungsschutzprozess hat zwar der Arbeitnehmer das Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebs zu beweisen, ausreichend ist es jedoch, wenn er die äußeren Umstände darlegt, nach denen von dem Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebs ausgegangen werden kann.

Beruft sich der Arbeitnehmer auf eine fehlerhafte Sozialauswahl, so muss der Arbeitgeber aufgrund der Unkenntnis des Arbeitnehmers über die personellen Verhältnisse in den anderen Unternehmen die Ordnungsmäßigkeit der Sozialauswahl nachweisen.

2.2 Betriebsverfassungsrecht

Im Gemeinschaftsbetrieb sind Inhaber der betrieblichen Leitungsmacht alle Unternehmen, die sich zur einheitlichen Leitung des Betriebs verbunden haben. Von Anträgen des Betriebsrats, die sich gegen den Arbeitgeber in seiner Funktion als Inhaber dieser Leitungsmacht richten, sind sie deshalb sämtlich in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitgeberstellung betroffen.

Im Gemeinschaftsbetrieb ist daher ein einzelnes an der gemeinsamen Führung beteiligtes Unternehmen nicht passivlegitimiert für Ansprüche des Betriebsrats, die sich auf die Vornahme oder die Unterlassung einer der gemeinsamen betrieblichen Leitungsmacht unterfallenden Maßnahme richten (BAG 15.05.2007 - 1 ABR 32/06).

3. Beweislast

"Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass im Kündigungszeitpunkt ein gemeinsamer Betrieb bestanden hat, trägt der Arbeitnehmer (BAG 24.10.2013 - 2 AZR 1057/12 - Rn. 52, BAG 24.05.2012 - 2 AZR 62/11 - Rn. 21). Mit Rücksicht auf seine typischerweise nur unzureichende Kenntnis vom Inhalt der zwischen den beteiligten Unternehmen getroffenen vertraglichen Vereinbarungen können ihm dabei Erleichterungen zugutekommen. Der Arbeitnehmer genügt seiner Darlegungslast in einem ersten Schritt, wenn er äußere Umstände aufzeigt, die für die Annahme sprechen, dass sich mehrere Unternehmen über die gemeinsame Führung eines Betriebs unter einem einheitlichen Leitungsapparat geeinigt haben. Darauf hat der Arbeitgeber nach § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen zu erwidern und - soweit durch den Vortrag des Arbeitnehmers veranlasst - ggf. darzulegen, welche rechtserheblichen Umstände gegen die Annahme eines einheitlichen Betriebs sprechen sollen" (BAG 20.05.2021 - 2 AZR 560/20).

4. Gemeinsame Betriebsstätte

Ein Gemeinschaftsbetrieb ist von einer gemeinsamen Betriebsstätte zu unterscheiden, die zu einer Haftungsprivilegierung bei Personenschäden führt. Siehe insofern den Beitrag "Arbeitsunfall - Haftungsbeschränkung".

 Siehe auch 

Betriebsrat

Europäischer Betriebsrat

Gesamtbetriebsrat

Konzern

Mitarbeitervertretung

Personalrat

BAG 22.06.2005 - 7 ABR 57/04 (Definition Gemeinschaftsbetrieb)

LAG Köln 25.04.2001 - 8 Sa 96/01 (Sozialauswahl betriebsübergreifend)

Braner: Die Geltung von Tarifverträgen im gemeinsamen Betrieb; Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht - NZA 2007, 596

Rieble/Giestle: Konzernpersonaldienstleister und Gemeinschaftsbetrieb; Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht - NZA 2005,242