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Bürgschaft - Sittenwidrigkeit

 Normen 

§ 138 BGB

 Information 

1. Allgemein

Der zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit der Bürgschaft maßgebliche Zeitpunkt ist der Vertragsschluss. Die finanziellen Verhältnisse des Bürgen bei der Geltendmachung der Sittenwidrigkeit bleiben außer Betracht.

Ein reines Missverhältnis zwischen dem Vermögen des Bürgen und der Bürgschaftssumme ist für die Annahme einer Sittenwidrigkeit nicht ausreichend. Der Bürge muss bei Abschluss des Vertrages vermögenslos (im Verhältnis zur Bürgschaftssumme) gewesen sein und es dürfen keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen haben, dass sich dies in absehbarer Zeit ändert.

Jedoch scheidet eine krasse finanzielle Überforderung aus, wenn die Bürgenschuld z.B. durch den Wert eines dem Bürgen gehörenden Grundstücks abgedeckt ist (BGH 26.04.2001 - IX ZR 337/98). Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist nur der im Einzelfall effektiv verfügbare Sicherungswert des Grundeigentums in Ansatz zu bringen. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses auf dem Grundeigentum ruhende dingliche Belastungen sind wertmindernd zu berücksichtigen, wobei ausgehend von diesem Zeitpunkt der Umfang der dinglichen Belastung bei Eintritt des Sicherungsfalls zu prognostizieren ist (BGH 01.04.2014 - XI ZR 276/13).

Hinweis:

Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit der Haftung vermögensloser Angehöriger war zwischen dem IX. und dem XI. Senat des Bundesgerichtshofs nicht einheitlich. Nachdem die Zuständigkeit in Bürgschaftssachen auf den XI. Senat übergegangen war, der seine Grundsätze zur Sittenwidrigkeit der Ehegattenbürgschaft insbesondere in den Urteilen BGH 14.05.2002 - XI ZR 81/01 und BGH 14.05.2002 - XI ZR 50/01 erläutert hat, sind Urteile des IX. Senats nur noch eingeschränkt zu verwerten.

Nach den obigen Urteilen bestehen daher folgende Kriterien für die Sittenwidrigkeit aufgrund der finanziellen Überforderung des Bürgen:

  • Der Bürge hat kein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Darlehensgewährung.

  • Es wird daher (widerlegbar) vermutet, dass er die Bürgschaftsvereinbarung allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner eingegangen ist und diese emotionale Verbundenheit von dem Darlehensgeber in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt wurde.

  • Für den Bürgen besteht ein außerordentlich hohes Haftungsrisiko.

Der BGH unterscheidet insbesondere zwischen der Ehegattenbürgschaft / Lebenspartnerschaftsbürgschaft und der Bürgschaft mittelloser Kinder:

2. Bürgschaften des Ehegatten / Lebenspartners

2.1 Sittenwidrigkeit

Bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit einer von dem Ehepartner / Lebenspartner übernommenen Bürgschaft ist allein auf dessen Einkommen und Vermögen abzustellen.

Nach der Rechtsprechung des BGH liegt eine krasse finanzielle Überforderung des Bürgen oder Mithaftenden bei nicht ganz geringen Bankschulden grundsätzlich vor, wenn dieser voraussichtlich nicht einmal die von den Darlehensvertragsparteien festgelegte Zinslast aus dem pfändbaren Teil seines laufenden Einkommens und Vermögens bei Eintritt des Sicherungsfalls dauerhaft allein tragen kann. In diesem Fall ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung ohne Hinzutreten weiterer Umstände widerleglich zu vermuten, dass der dem Hauptschuldner persönlich besonders nahestehende Bürge bzw. Mithaftende die ihn vielleicht bis an das Lebensende übermäßig finanziell belastende Personalsicherheit allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner gestellt und der Kreditgeber dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat (BGH 16.06.2009 - XI ZR 539/07).

Die Tatsache, dass der die Bürgschaft abgebende finanziell krass überforderte Ehepartner in dem künftigen Gewerbebetrieb an verantwortlicher Stelle mitarbeiten soll, führt gemäß dem Urteil BGH 25.01.2005 - XI ZR 28/04 nicht automatisch zur Widerlegung eines Handelns aus emotionaler Verbundenheit und lässt die Sittenwidrigkeit der Bürgschaft unberührt.

Das Scheitern der Ehe kann zu einer Störung der Geschäftsgrundlage führen.

In der Entscheidung BGH 27.05.2003 - IX ZR 283/99 stellte der BGH noch einmal ausdrücklich klar, dass die Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit von Bürgschaften finanziell überforderter Ehegatten auch auf nichteheliche Lebensgemeinschaften anwendbar ist.

2.2 Mitdarlehnsnehmer / Mithaftung

Gemäß dem Urteil BGH 25.01.2005 - XI ZR 325/03 liegt eine Mitdarlehensnehmerschaft vor - ungeachtet der konkreten Vertragsbezeichnung -, wenn die Person ein eigenes sachliches und/oder persönliches Interesse an der Kreditaufnahme hat sowie als gleichberechtigter Partner über die Verwendung des Darlehens mitentscheiden darf. In den anderen Fällen ist lediglich eine Mithaftung gegeben.

Bei dem Vorliegen einer Mitdarlehensnehmerschaft ist eine Sittenwidrigkeit auch bei einer finanziell krassen Überforderung des Ehepartners / Lebenspartners ausgeschlossen. Bei einer Mithaftung beurteilt sich die Sittenwidrigkeit nach den für die Bürgschaft geltenden Grundsätzen.

3. Bürgschaften von Kindern

Bei zugunsten eines Elternteils bürgenden Kindern, die zwar volljährig, aber finanziell noch von den Eltern abhängig sind, sind allein deren finanzielle Verhältnisse im Hinblick auf das Missverhältnis ausschlaggebend. Berücksichtigt wird, ob der Hauptschuldner bewusst oder unbewusst seine elterlichen Schutz- und Fürsorgepflichten missbraucht hat und die Bank diesen Vorteil zum Abschluss des Bürgschaftsvertrages ausgenutzt hat.

Ein zusätzlich zugunsten der Sittenwidrigkeit sprechendes Kriterium ist eine bestehende Geschäftsunerfahrenheit des Kindes.

Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit kann auch nicht durch die Tatsache entkräftet werden, dass das bürgende Kind später den Betrieb erben soll. Etwas anderes gilt jedoch, wenn das Kind bereits in den Betrieb eingegliedert ist und Einsicht in die Geschäftsunterlagen hat.

4. Bürgschaften anderer Verwandter

Die Grundsätze zur Sittenwidrigkeit der Bürgschaft von Ehepartnern / Lebenspartnern / Kindern ist auf Bürgschaften anderer Verwandter nur eingeschränkt übertragbar. Voraussetzung ist jedoch mindestens eine sehr enge persönliche Beziehung.

 Siehe auch 

Garantievertrag

Globalzession

Schuldsicherungsarten aus Vertrag

Schuldbeitritt

Schuldübernahme

Schuldanerkenntnis

Wagner: Die Sittenwidrigkeit von Angehörigenbürgschaften nach Einführung der Restschuldbefreiung und Kodizierung der cic; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2005, 2956