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Betriebsübergang - Voraussetzungen

 Normen 

§ 613a BGB

 Information 

1. Allgemein

Voraussetzungen eines Betriebsübergangs sind, dass

  • ein Wechsel des Betriebsinhabers stattgefunden hat (Übergang),

  • dieser Übergang eine wirtschaftliche Einheit auf Dauer betrifft, die ihre Identität bewahrt hat und

  • der Übergang durch Rechtsgeschäft erfolgte.

Oder anders ausgedrückt: Nach der Rechtsprechung ist das wichtigste Kriterium für die Annahme eines Betriebsübergangs dass "der Übergang eine ihre Identität bewahrender (auf Dauer angelegte) wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit betrifft" (BAG 25.01.2018 - 8 AZR 309/16).

Erforderlich ist eine Gesamtbetrachtung der den Vorgang kennzeichnenden Tatsachen.

2. Die Voraussetzungen im Einzelnen

2.1 Übergang

Bezüglich der Anforderungen an einen Übergang hat das BAG folgende Grundsätze aufgestellt (BAG 25.01.2018 - 8 AZR 309/16):

  • "Ein "Übergang" (...) erfordert eine Übernahme durch einen "neuen" Arbeitgeber."

  • "Erforderlich für das Vorliegen eines Betriebs(teil-)übergangs (..) ist ferner, dass die für den Betrieb der wirtschaftlichen Einheit verantwortliche natürliche oder juristische Person, die in dieser Eigenschaft die Arbeitgeberverpflichtungen gegenüber den Beschäftigten eingeht, im Rahmen vertraglicher Beziehungen wechselt. Verantwortlich für den Betrieb einer wirtschaftlichen Einheit ist die Person, die die wirtschaftliche Einheit im eigenen Namen führt und nach außen als deren Inhaber auftritt."

  • "Der bisherige Inhaber muss seine wirtschaftliche Betätigung in dem Betrieb oder Betriebsteil einstellen (...). Danach reicht es nicht aus, lediglich im Verhältnis zur Belegschaft als Inhaber aufzutreten. Erforderlich ist vielmehr die Nutzung der wirtschaftlichen Einheit nach außen."

2.2 Identitätswahrende wirtschaftliche Einheit

Die Entscheidung, ob eine wirtschaftliche Einheit identitätswahrend übergeht, hat sich an der Art der Tätigkeit zu orientieren. Es ist zwischen folgenden Tätigkeiten zu unterscheiden:

  • Betriebsmittelarme Tätigkeiten (Branchen, in denen es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt):

    Sie zeichnen sich dadurch aus, dass die Arbeitsleistung im Vordergrund steht (z.B. Buchführung, Sekretariatsaufgaben). Dies ist insbesondere bei einer geistigen Arbeit sowie bei einfacher Handarbeit (Unkrautjäten) gegeben. Eine Wahrung der Identität liegt nur vor, wenn auch ein wesentlicher Teil des Personals übernommen wird, die alleinige Übertragung von Betriebsmitteln ist hier grundsätzlich unerheblich. Die reine Fortführung der Tätigkeit durch einen anderen Auftragnehmer stellt keinen Betriebsübergang dar (BAG 06.04.2006 - 8 AZR 222/04).

  • Betriebsmittelgeprägte Tätigkeiten:

    Bei betriebsmittelgeprägten Tätigkeiten ist die Tätigkeit stark durch den Einsatz von materiellen Betriebsmitteln geprägt (z.B. Catering, Druckerei). Ein Betriebsübergang liegt nur vor, wenn Betriebsmittel übertragen werden, wobei nicht die Übertragung irgendeines Betriebsmittels ausreicht. Erforderlich ist die Übertragung eines wesentlichen Betriebsmittels. Betriebsmittel sind wesentlich, wenn bei wertender Betrachtungsweise ihr Einsatz den eigentlichen Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhangs ausmacht (BAG 02.03.2006 - 8 AZR 147/05). Für die Annahme des Betriebsübergangs ist es unerheblich, ob auch Personal übernommen wurde.

    Ebenfalls nicht erheblich ist, ob die Betriebsmittel übernommen wurden bzw. dem Auftragnehmer eigentumsähnlich zur Verfügung stehen, eine tatsächliche Nutzungsmöglichkeit genügt.

    Beispiel:

    Bei dem Betreiben der Krankenhauskantine kann das Cateringunternehmen zumindest auf die Räumlichkeiten, die Kücheneinrichtung und die Möblierung zurückgreifen.

Hinweis:

Das früher verwendete Merkmal der "eigenwirtschaftlichen Nutzung", nach dem Betriebsmittel nur dann zur Begründung eines Betriebsübergangs zählen, wenn sie dem neuen Betriebsinhaber als eigene Betriebsmittel zugeordnet werden konnten, wurde durch das BAG in der Entscheidung BAG 06.04.2006 - 8 AZR 222/04 ausdrücklich aufgegeben.

Wird keine identitätswahrende wirtschaftliche Einheit übertragen, so handelt es sich nur um eine reine Funktionsnachfolge, d.h. nur die Tätigkeit wird durch einen anderen Auftraggeber weitergeführt, ein Betriebsübergang ist nicht gegeben. Die Abgrenzung ist in der Praxis insbesondere bei einem Teilbetriebsübergang bzw. dem Outsourcen von Betriebsteilen von Bedeutung.

2.3 Rechtsgeschäft

Ein Betriebsübergang durch Rechtsgeschäft ist nicht nur dann gegeben, wenn der Betrieb oder Betriebsteil als Ganzes durch ein einheitliches Rechtsgeschäft übertragen wird, sondern auch wenn der Übergang rechtsgeschäftlich veranlasst wurde, sei es durch eine Reihe verschiedener Rechtsgeschäfte oder durch rechtsgeschäftliche Vereinbarungen mit verschiedenen Dritten. Entscheidend ist, ob die Rechtsgeschäfte darauf gerichtet sind, eine funktionsfähige betriebliche Einheit zu übernehmen (BAG 06.04.2006 - 8 AZR 222/04).

2.4 Rechtsprechung

Den obigen Grundsätzen liegen daneben folgende Entscheidungen zugrunde:

  • In der Entscheidung EuGH 14.04.1994 - C 392/92 (Christel-Schmidt-Entscheidung) hat der Europäische Gerichtshof erstmalig entschieden, dass ein Betriebsteilübergang auch bei der Übertragung von Dienstleistungsfunktionen (Funktionsnachfolge) gegeben sein kann und es nicht unbedingt auf den Übergang von materiellen oder immateriellen Betriebsmitteln ankommt. Der Entscheidung lag der Fall zugrunde, dass eine Sparkasse die Reinigungsarbeiten auf eine externe Reinigungsfirma übertragen hatte und der bis dahin angestellten Reinigungskraft gekündigt hatte. Die externe Reinigungsfirma hatte der Reinigungskraft einen neuen Arbeitsvertrag angeboten. Die Klägerin sah in der externen Vergabe der Reinigungsarbeiten den Tatbestand des Betriebsübergangs verwirklicht und bekam Recht. Die Sparkasse hätte ihr nicht kündigen dürfen, das Arbeitsverhältnis ist aufgrund des fehlenden Widerspruchs der Arbeitnehmerin automatisch übergegangen.

  • In dem zur Entscheidung EuGH 11.03.1997 - C 13/95 (Ayse-Süzen-Entscheidung) führenden Sachverhalt war die Klägerin bei einem externen Reinigungsunternehmen angestellt, das mit der Reinigung eines Gymnasiums beauftragt war. Nachdem der Auftraggeber die Reinigungsarbeiten an ein anderes Reinigungsunternehmen vergab, wurde der Klägerin betriebsbedingt gekündigt. Die Klägerin sah in der Beauftragung des anderen Unternehmens einen Betriebsübergang, was jedoch abgelehnt wurde. Nach der Ansicht der Richter handelte es sich hier nur um einen Wechsel des Vertragspartners, der die wirtschaftliche Identität unberührt lässt.

  • Diese den Anwendungsbereich des Betriebsübergangs wieder einengende Definition wurde durch die Carlito-Abler-Entscheidung (EuGH 20.11.2003 - C 340/01) geändert: In einem Krankenhaus wurde die Kantine von einem externen Caterer (A) betrieben. Nach Unstimmigkeiten kündigte das Krankenhaus dem Caterer A und vergab den Betrieb der Kantine an den Caterer B, der weder Personal noch sonstige Betriebsmittel von dem Caterer A übernahm. Caterer A kündigte den Mitarbeitern betriebsbedingt. Diese sahen in der Vergabe der Kantinenbewirtschaftung an den Caterer B einen Betriebsübergang. Dem stimmte der Europäische Gerichtshof zu.

    Hinweis:

    Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG 11.12.1997 - 8 AZR 729/96) hatte in einem ähnlichen Sachverhalt einen Betriebsübergang abgelehnt. Diese Rechtsprechung ist nunmehr überholt.

 Siehe auch 

Betrieb

Betriebsänderung

Betriebsbedingte Kündigung

Betriebsübergang - Tarifverträge

Outsourcing

Unternehmenskauf

EuGH 20.01.2011 - C 463/09 (Betriebsübergang bei der Übernahme von Reinigungstätigkeiten durch eine Gemeinde)

BAG 17.12.2009 - 8 AZR 1019/08 (Betriebskantine regelmäßig kein betriebsmittelarmer Betrieb)

BAG 30.10.2008 - 8 AZR 397/07 (Auflösung einer RA-Kanzlei und Gründung einer neuen Sozietät kein Betriebsübergang)

BAG 29.03.2007 - 8 AZR 519/06 (Betriebsübergang Schlachthof)

BAG 13.07.2006 - 8 AZR 303/05 (Anforderungen an die Unterrichtungspflicht des Arbeitnehmers zur Entscheidung über den Widerspruch)

BAG 13.06.2006 - 8 AZR 271/05 (Unveränderte Fortführung der bisherigen Tätigkeit - Personenkontrolle am Flughafen)

BAG 02.03.2006 - 8 AZR 124/05 (gesetzlich angeordneter Übergang der Arbeitsverhältnisse)

BAG 28.10.2004 - 8 AZR 199/04 (Kein Wiedereinstellungsanspruch nach Betriebsübergang in der Insolvenz)

BAG 13.05.2004 - 8 AZR 331/03 (Keine Identität der wirtschaftlichen Einheit bei Änderung des Betriebszwecks)

BAG 27.06.2002 - 2 AZR 270/01 (Beschäftigungszeiten des Arbeitnehmers bei dem Betriebsveräußerer sind anzurechnen)

BAG 22.05.1997 - 8 AZR 101/96 (Übernahme der Arbeitnehmer als Kriterium für einen Betriebsübergang)

Adam: Betriebsübergang - Der Übergang materieller Betriebsmittel als Tatbestandsmerkmal des § 613a BGB; Monatsschrift für Deutsches Recht - MDR 2004, 909

Commandeur/Kleinebrink: Gestaltungsgrundsätze im Anwendungsbereich des § 613a BGB; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2008, 3467

Hauck/Dreher/Bernsau: Betriebsübergang; Kommentar zu § 613a BGB; 3. Auflage 2010

Houben: § 613a BGB im Wandel der Rechtsprechung; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2007, 2075

Kappenhagen: Betriebsübergang durch Übernahme von Personal. Ein Blick in die Rechtsprechung; Betriebs-Berater - BB 2013, 696

Nebeling/Brauch: § 613a Abs. 5 BGB: Es ist niemals zu spät... oder manchmal doch? Zum richtigen Zeitpunkt der Übergabe des Informationsschreibens bei einem Betriebsübergang; Betriebs-Berater - BB 2010, 1474

Willemsen: Erosion des Arbeitgeberbegriffs nach der Albron-Entscheidung des EuGH?; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2011, 1546