Außerordentliche Kündigung - Einzelfälle
Die Rechtsprechung hat für eine außerordentliche Kündigung als wichtige Gründe u.a. anerkannt:
- a)
Für den Arbeitgeber:
eine unbegründete Arbeitsverweigerung des Arbeitnehmers
Ein Arbeitnehmer verweigert die angewiesene Arbeit beharrlich, wenn er sie bewusst und nachhaltig nicht leisten will. Maßgebend für die Frage, ob das Verhalten des Arbeitnehmers eine beharrliche Arbeitsverweigerung und damit eine erhebliche Vertragspflichtverletzung darstellt, ist die objektive Rechtslage. Der Arbeitnehmer kann sich einem vertragsgemäßen Verlangen des Arbeitgebers nicht dadurch – vorläufig – entziehen, dass er ein gerichtliches Verfahren zur Klärung der umstrittenen Frage einleitet. Andernfalls würde das Weisungsrecht des Arbeitgebers – ggf. über Jahre – in nicht gerechtfertigter Weise eingeschränkt. Verweigert der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als fehlerhaft erweist (BAG 29.08.2013 – 2 AZR 273/12).
Straftaten gegenüber Kollegen
Ob die sexuelle Belästigung im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist grundsätzlich abhängig von den konkreten Umständen, u.a. von ihrem Umfang und ihrer Intensität (BAG 20.11.2014 – 2 AZR 651/13).
Beleidigungen/ehrverletzende Äußerungen/üble Nachrede:
Das bewusste Verbreiten wahrheitswidriger Behauptungen oder Verbreiten von Gerüchten über die Geschäftsentwicklung des Arbeitgebers kann ein wichtiger Grund zur Kündigung sein, wenn dadurch dessen berechtigte Interessen erheblich beeinträchtigt, etwa der Betriebsfrieden oder der Betriebsablauf erheblich gestört oder die Erfüllung der Arbeitspflicht behindert werden.
Aber: Grundsätzlich können Arbeitnehmer unternehmensöffentlich Kritik am Arbeitgeber und den betrieblichen Verhältnissen üben und sich ggf. auch überspitzt oder polemisch äußern. Im groben Maß unsachliche Angriffe, die zur Untergrabung der Position eines Vorgesetzten führen können, muss der Arbeitgeber aber nicht hinnehmen. Schon die erstmalige Ehrverletzung kann kündigungsrelevant sein und wiegt umso schwerer, je überlegter sie erfolgte.
Bei der rechtlichen Würdigung sind allerdings die Umstände zu berücksichtigen, unter denen diffamierende oder ehrverletzende Äußerungen über Vorgesetzte und/oder Kollegen gefallen sind. Geschah dies in vertraulichen Gesprächen unter Arbeitskollegen, vermögen sie eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht ohne Weiteres zu rechtfertigen. Der Arbeitnehmer darf anlässlich solcher Gespräche regelmäßig darauf vertrauen, seine Äußerungen würden nicht nach außen getragen (BAG 10.12.2009 – 2 AZR 534/08).
Eine nicht der Wahrheit entsprechende Krankmeldung
Arbeitszeitmissbrauch/Arbeitszeitbetrug: »Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren (…). Dies gilt für den vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch« (BAG 13.12.2018 – 2 AZR 370/18).
Auch das LAG Hamm (LAG Hamm 27.01.2023 13 Sa 1007/22) hat eine außerordentliche Kündigung anerkannt, nachdem die Arbeitnehmerin den beweisbaren Arbeitszeitbetrug auf Nachfrage geleugnet hatte.
Vorsätzliches Ausfüllen eines Überstundenformulars (BAG 13.12.2018 – 2 AZR 370/18)
Veranlassung eines Kollegen zum Abstempeln der Zeiterfassungskarte (BAG 24.11.2005 – 2 AZR 39/05)
Drogenkonsum eines Berufskraftfahrers – auch wenn dies in der Freizeit geschah und unabhängig davon, ob seine Fahrtüchtigkeit konkret beeinträchtigt ist. Der Pflichtenverstoß liegt bereits in der massiven Gefährdung der Fahrtüchtigkeit (BAG 20.10.2016 – 6 AZR 471/15). Diese Grundsätze sind zudem auf andere Berufsgruppen übertragbar, deren Arbeit mit einer Verantwortung für Leib und Leben anderer Menschen verbunden ist.
Die Begehung eines Vermögensdelikts gegen den Arbeitgeber, auch wenn es sich um Sachen von geringem Wert handelt (BAG 13.12.2007 – 2 AZR 537/06)
Teilnahme an sportlichen Wettkämpfen o.Ä. während krankheitsbedingter Fehlzeit
Das Arbeitsverhältnis betreffende Straftaten (z.B. Spesenbetrug, Arbeitszeitbetrug – unabhängig von der Höhe – BAG 06.09.2007 – 2 AZR 264/06)
Nichtbonieren von Warenverkäufen:
»Die Manipulation eines Kassenvorgangs zum Zweck, sich selbst auf Kosten des Arbeitgebers zu bereichern, ist »an sich« geeignet, einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB zu bilden. Verschafft sich ein Arbeitnehmer vorsätzlich auf Kosten des Arbeitgebers einen ihm nicht zustehenden Vermögensvorteil, verletzt er erheblich seine Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB). Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende und unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers gerichtete Handlungen kommen daher typischerweise als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht. Das gilt unabhängig von der Höhe eines dem Arbeitgeber durch die Pflichtverletzung entstandenen Schadens« (BAG 27.09.2022 – 2 AZR 508/21).
Unerlaubte Nutzung des Internets bzw. Nutzung des Internets während der Arbeitszeit (siehe Internetnutzung – Arbeitnehmer)
Nachgehen einer anderen Tätigkeit während der Zeiten der arbeitsunfähigen Erkrankung (BAG 03.04.2008 – 2 AZR 965/06), aber zulässig, wenn es den Heilungsprozess nicht verzögert
Inhaftierung des Arbeitnehmers (BAG 22.10.2015 – 2 AZR 381/14)
Drohung des Arbeitnehmers mit Selbstmord zur Durchsetzung von Forderungen (BAG 29.06.2017 – 2 AZR 47/16)
Selbstbeurlaubung (BAG 20.05.2021 – 2 AZR 457/20).
Dies gilt auch während eines Prozessarbeitsverhältnisses: »Der eigenmächtige Antritt eines vom Arbeitgeber nicht gewährten Urlaubs durch den Arbeitnehmer ist bei einer Prozessbeschäftigung durch auflösend bedingte Fortsetzung des Arbeitsvertrags »an sich« geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien darzustellen.«
WhatsApp-Chats mit Kollegen in privater Gruppe:
Die Äußerungen eines Arbeitnehmers in einer privaten Chatgruppe können einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen (BAG 24.08.2023 – 2 AZR 17/23).
- b)
Für den Arbeitnehmer:
das Unterlassen von notwendigen Arbeitsschutzvorrichtungen durch den Arbeitgeber
schwere Beleidigungen
sexuelle Belästigungen, gegen die der Arbeitgeber nicht tätig wird oder die durch diesen selbst verübt werden
Nicht anerkannt wurde der Vorwurf an einen Vorgesetzten, ein »Ausbeuter« zu sein (BVerfG 30.05.2018 – 1 BvR 1149/17).