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Annahmeverzug - Arbeitsrecht

 Normen 

§§ 293 - 304 BGB

§ 615 BGB

 Information 

1. Annahmeverzug allgemein

1.1 Einführung

Der Annahmeverzug des Arbeitgebers ist eine Form des Arbeitsentgelts ohne Arbeit.

Grundsätzlich hat der Arbeitnehmer einen Beschäftigungsanspruch, wenn er die Ausübung der Arbeit verlangt, keine Ausschlussgründe vorliegen und die Interessen des Arbeitnehmers an der Weiterbeschäftigung überwiegen. Der Arbeitnehmer soll - als Ausdruck und in Achtung seiner Persönlichkeit und seines Entfaltungsrechts - tatsächlich arbeiten dürfen. Schutzzweck des Beschäftigungsanspruchs des Arbeitnehmers ist ausschließlich das jedenfalls über die Generalklausel des § 242 BGB zu achtende Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers und dessen Interesse an tatsächlicher Beschäftigung (BAG 24.06.2015 - 5 AZR 462/14).

Bei einem Annahmeverzug verweigert der Arbeitgeber die Annahme der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers. Für die finanzielle Absicherung bei Nichtbeschäftigung (z.B. einer einseitigen Freistellung) sorgt dagegen § 615 BGB, der dem Arbeitnehmer unter den Voraussetzungen der § 293 BGB den Entgeltanspruch trotz Nichtarbeit aufrechterhält, d.h. es besteht eine Vergütungspflicht bei Annahmeverzug.

Dieser Annahmeverzug ist zu unterscheiden von der allgemeine Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers im laufenden Arbeitsverhältnis.

1.2 Voraussetzungen

Die Voraussetzungen sind in § 615 BGB geregelt: Kommt der Arbeitgeber mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Arbeitnehmer für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein.

Voraussetzung des Annahmeverzugs ist gemäß § 294 BGB aber, dass der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung so anbietet, wie sie zu bewirken ist: Das bedeutet nach der Rechtsprechung des BAG Folgendes:

"Im unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis muss der Arbeitnehmer die Leistung tatsächlich anbieten, § 294 BGB. Ein wörtliches Angebot (§ 295 BGB) genügt (nur), wenn der Arbeitgeber ihm erklärt hat, er werde die Leistung nicht annehmen oder sei nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer in einem die tatsächliche Heranziehung übersteigenden Umfang zu beschäftigen (...). Dabei ist die Arbeitsleistung so anzubieten, wie sie zu bewirken ist, also am rechten Ort, zur rechten Zeit und in der rechten Art und Weise entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen bzw. deren Konkretisierung kraft Weisung nach § 106 Satz 1 GewO (...). Das von § 294 BGB verlangte tatsächliche Angebot ist ein Realakt. Es bedeutet, dass der Arbeitnehmer sich am Arbeitsort oder am Arbeitsplatz einfindet, um mit der Arbeitsleistung zu beginnen" (BAG 28.06.2017 - 5 AZR 263/16).

Ein Annahmeverzug wird nicht begründet, wenn der Arbeitnehmer nur die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements anbietet (BAG 06.12.2017 - 5 AZR 815/16).

1.3 Ausschluss des Annahmeverzugs

Nach § 297 BGB kommt der Arbeitgeber nicht in Verzug, wenn der Arbeitnehmer außerstande ist, die Arbeitsleistung zu bewirken.

Ein Arbeitnehmer ist leistungsunfähig i.S.v. § 297 BGB, wenn er aus Gründen in seiner Person die vertraglich vereinbarten Tätigkeiten ausnahmslos nicht mehr verrichten kann. Ob es sich um gesundheitliche, rechtliche oder andere Gründe handelt, ist nicht maßgebend. Das Unvermögen kann etwa auf einem gesetzlichen Beschäftigungsverbot oder auf dem Fehlen einer erforderlichen Erlaubnis beruhen. Aber: Soll eine Rechtsnorm das rechtliche Unvermögen zur Berufstätigkeit begründen, muss sie diese Rechtsfolge klar und deutlich zum Ausdruck bringen (BAG 23.09.2015 - 5 AZR 146/14, BAG 18.03.2009 - 5 AZR 192/08).

Hinweis:

Zu den Voraussetzungen eines Annahmeverzugs bei einer eingeschränkten Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers siehe insofern den Beitrag "Leidensgerechter Arbeitsplatz".

Die aufgrund der fehlenden Ausstattung des Arbeitsplatzes mit technischen Arbeitshilfen bestehende Unmöglichkeit des schwerbehinderten Arbeitnehmers zur Erbringung der Arbeitsleistung begründet nach dem Urteil BAG 04.10.2005 - 9 AZR 632/04 keinen Annahmeverzug des Arbeitgebers.

2. Annahmeverzug nach der unwirksamen Kündigung

Mit der Einreichung der Kündigungsschutzklage erklärt der Arbeitnehmer, dass er weiterhin arbeiten will. "Die Beendigung des Annahmeverzugs ist gesetzlich nicht besonders geregelt. Er endet in dem Zeitpunkt, in dem seine Voraussetzungen entfallen (...). Ist der Arbeitgeber nach einer unwirksamen Kündigungserklärung in Annahmeverzug geraten, muss er, um den Annahmeverzug zu beenden, den Arbeitnehmer zur Arbeit auffordern. Die Erledigung des Kündigungsrechtsstreits ändert daran nichts. Auch in diesem Fall ist der Arbeitnehmer grundsätzlich nicht verpflichtet, seine Arbeitskraft von sich aus anzubieten." (BAG 19.01.2016 - 2 AZR 449/15).

Dies ist langjährige Rechtsprechung:

Der Annahmeverzug des Arbeitgebers endet insofern nach einer unwirksamen Kündigung nach der Entscheidung BAG 16.05.2012 - 5 AZR 251/11 nicht von selbst, sondern wenn die Voraussetzungen des Gläubigerverzugs entfallen:

"Ist der Arbeitgeber nach einer unwirksamen Kündigungserklärung mit der Annahme der Dienste des Arbeitnehmers in Verzug gekommen, muss er deshalb zur Beendigung des Annahmeverzugs die versäumte Arbeitsaufforderung nachholen. Die Beendigung des Streits über den Bestand eines Arbeitsverhältnisses ändert daran nichts. Auch in diesem Fall kann der Arbeitnehmer regelmäßig eine Arbeitsaufforderung des Arbeitgebers abwarten. (...) Allein aus der Eingehung eines neuen Arbeitsverhältnisses kann nicht das Fehlen jeder Leistungsbereitschaft des gekündigten Arbeitnehmers im alten Arbeitsverhältnis hergeleitet werden."

Der Arbeitnehmer wahrt mit einer Bestandsschutzklage, ohne dass es einer bezifferten Geltendmachung bedarf, die erste Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist für alle vom Ausgang dieses Rechtsstreits abhängigen Ansprüche. Mit einer solchen Klage erstrebt der Arbeitnehmer nicht nur die Erhaltung seines Arbeitsplatzes, sondern bezweckt darüber hinaus, sich die Vergütungsansprüche wegen Annahmeverzugs zu erhalten. Die Ansprüche müssen weder ausdrücklich bezeichnet noch beziffert werden. Aber: Klagt der Arbeitnehmer im Wege einer objektiven Klagehäufung mehrere in einer Gesamtklage verbundene Ansprüche wegen Annahmeverzugs ein, hat er vorzutragen, wie er die Gesamtsumme ziffernmäßig auf die verschiedenen Ansprüche verteilt wissen will. Unzulässig ist eine Klage, die verschiedene Ansprüche nicht individualisiert (BAG 24.09.2014 - 5 AZR 593/12).

Aber: Durch die Erhebung einer Kündigungsschutzklage wird die Verjährung von Zahlungsansprüchen des Arbeitnehmers wegen Annahmeverzugs nicht gehemmt (BAG 24.06.2015 - 5 AZR 509/13).

3. Arbeitgeber beruft sich auf Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers

Nicht selten gibt es im Arbeitsleben die Sachlage, dass der Arbeitnehmer arbeiten will, der Arbeitgeber ihn jedoch für nicht leistungsfähig hält und die Arbeitsleistung ablehnt. Das BAG hat mit der Entscheidung BAG 22.08.2018 - 5 AZR 592/17 über die Darlegungs- und Beweislast in diesen Fällen entschieden:

"Beruft sich der Arbeitgeber gegenüber einem Anspruch des Arbeitnehmers aus Annahmeverzug auf dessen Leistungsunfähigkeit i.S.v. § 297 BGB, erhebt er eine Einwendung (BAG 19.05.2004 - 5 AZR 434/03 - zu II 2 a der Gründe), für deren Voraussetzungen er als Gläubiger der Arbeitsleistung die Darlegungs- und Beweislast trägt (BAG 15.05.2013 - 5 AZR 130/12 - Rn. 27). Da der Arbeitgeber über den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers regelmäßig keine näheren Kenntnisse hat, genügt er seiner primären Darlegungslast grundsätzlich schon dadurch, dass er Indizien vorträgt, aus denen auf eine Leistungsunfähigkeit im Annahmeverzugszeitraum geschlossen werden kann. Hat der Arbeitgeber solche Indizien vorgetragen, ist es Sache des Arbeitnehmers, die Indizwirkung der behaupteten Tatsachen zu erschüttern. Naheliegend ist es, insoweit die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Der Arbeitgeber ist dann für die Leistungsunfähigkeit beweispflichtig. Er kann sich auf das Zeugnis der den Arbeitnehmer behandelnden Ärzte und auf ein Sachverständigengutachten berufen. Trägt der Arbeitnehmer dagegen nichts vor oder lässt er sich nicht substantiiert ein, gilt die Behauptung des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer sei während des Verzugszeitraums leistungsunfähig gewesen, als zugestanden (BAG 05.11.2003 - 5 AZR 562/02)."

Indizien:

"Generell kommen als Indizien, aus denen auf Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers geschlossen werden kann, insbesondere Krankheitszeiten des Arbeitnehmers vor und nach dem Verzugszeitraum (BAG 05.11.2003 - 5 AZR 562/02 - zu I 2 a der Gründe) sowie privatgutachterliche Stellungnahmen eines Betriebs- oder Vertrauensarztes über die Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers, die der Arbeitgeber im Prozess vorlegt und dessen Einschätzungen er sich - zumindest konkludent - zu eigen macht (BAG 22.08.2018 - 5 AZR 592/17), in Betracht (BAG 21.07.2021 - 5 AZR 543/20).

Öffentlicher Dienst:

Im Bereich der Tarifverträge des öffentlichen und kirchlichen Dienstes ist der Arbeitgeber gemäß der Regelung z.B. in § 3 Abs. 4 TVöD (und zumeist inhaltsgleicher Regelung in den anderen Tarifverträgen und kirchlichen Kollektivvereinbarungen) bei begründeter Veranlassung berechtigt, den Beschäftigten zu verpflichten, durch ärztliche Bescheinigung nachzuweisen, dass er zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage ist.

4. Anrechnung eines anderweitigen Verdienstes

Grundsatz:

Nach § 615 S. 2 BGB ist auf den Vergütungsanspruch wegen Annahmeverzugs u.a. das anzurechnen, was der Arbeitnehmer durch anderweitige Verwendung seiner Dienste verdient hat.

Höhe der Anrechnung:

Anzurechnen ist nur derjenige Zwischenverdienst, den der Arbeitnehmer während der Arbeitszeit erzielt hat, in der er im Annahmeverzugszeitraum bei dem eigentlichen Arbeitgeber hätte Arbeitsleistungen erbringen müssen. Die Gesamtberechnung darf sich nicht ausschließlich an der Höhe der Vergütung orientieren, sondern muss auch die gegenüber dem Arbeitgeber geschuldete Arbeitszeit berücksichtigen.

Dauer der Anrechnung:

Der anderweitige Verdienst des Arbeitnehmers ist auf die Vergütung für die gesamte Dauer des Annahmeverzugs anzurechnen und nicht nur auf die Vergütung für den Zeitabschnitt, in dem der anderweitige Erwerb gemacht wurde. Für die erforderliche Vergleichsberechnung (Gesamtberechnung) ist die Vergütung für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste zu ermitteln. Dieser Gesamtvergütung ist gegenüberzustellen, was der Arbeitnehmer in der betreffenden Zeit anderweitig erwirbt. Anzurechnen ist ausschließlich das, was der Arbeitnehmer durch anderweitige Verwendung desjenigen Teils seiner Arbeitskraft erwirbt, die er dem Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen verpflichtet war. Gegenüberzustellen ist damit der Vergütungsanspruch für die Zeit, für welche Arbeitsleistungen zu erbringen waren, und der Verdienst, den der Arbeitnehmer in dieser Zeit anderweitig erworben hat. Also ist Zwischenverdienst auf den Vergütungsanspruch wegen Annahmeverzugs in dem Umfang anzurechnen, wie er dem Verhältnis der beim Arbeitgeber ausgefallenen Arbeitszeit zu der im neuen Dienstverhältnis geleisteten entspricht (BAG 24.02.2016 -5 AZR 425/15).

Auskunft über Stellenangebote der Arbeitsagentur:

Das BAG hat nunmehr die Stellung des Arbeitgebers gestärkt:

"Der Arbeitgeber hat gegen den Arbeitnehmer, der Vergütung wegen Annahmeverzugs fordert, einen Auskunftsanspruch über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge. Grundlage des Auskunftsbegehrens ist eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis nach § 242 BGB" (BAG 27.05.2020 - 5 AZR 387/19).

 Siehe auch 

Ausschlussfrist - Arbeitsrecht

Arbeitsentgelt ohne Arbeit

Direktionsrecht

Leidensgerechter Arbeitsplatz

Personenbedingte Kündigung

Schwerbehinderte Arbeitnehmer

Weiterbeschäftigungsanspruch

Bauer: Annahmeverzug: Fass ohne Boden!; Arbeit und Arbeitsrecht - AuA 2014, 158

Fuhlrott/Oltmanns: Arbeitgeber im Annahmeverzug. Risiken und Handlungsoptionen; Betriebs-Berater - BB 2017, 2677

Greiner: Direktionsrecht und Direktionspflicht, Schadensersatz und Annahmeverzug bei Leistungshinderung des Arbeitnehmers; Recht der Arbeit - RdA 2013, 9

Kappelhoff: Leistungswille und Leistungsfähigkeit im Annahmeverzug. Grundzüge der neuen BAG-Rechtsprechung; Der Arbeits-Rechts-Berater - ArbRB 2013, 158

Kothe-Heggemann/Schelp: Beschäftigungsanspruch, Verpflichtung zur Dienstleistung und Annahmeverzug nach Abberufung des GmbH-Geschäftsführers. Zugleich Anmerkung zu BGH, U. v. 11.10.2010 - II ZR 266/08; GmbH-Rundschau - GmbHR 2011, 75

Schreiber: Der Annahmeverzug des Arbeitgebers; Jura 2009, 592