Allgemeine Gleichbehandlung - Arbeitsrecht
1 Allgemein
Gemäß § 7 AGG sind Beschäftigte vor einer Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG aufgeführten Grundes geschützt. Zu den Begriffsbestimmungen der einzelnen Gründe siehe den Beitrag "Allgemeine Gleichbehandlung".
Nach dem Urteil BVerwG 03.03.2011 - 5 C 16/10 ist eine Benachteiligung "jede unterschiedliche Behandlung, die mit einem Nachteil verbunden ist; nicht erforderlich ist, dass in Benachteiligungsabsicht gehandelt oder die Benachteiligung sonst schuldhaft bewirkt worden ist. Nach der Legaldefinition des § 3 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Die unmittelbare Benachteiligung kann auch in einem Unterlassen liegen (...). Eine unmittelbare Benachteiligung durch Unterlassen ist insbesondere gegeben, wenn ein (künftiger) Arbeitgeber einer gesetzlich auferlegten Handlungspflicht nicht nachkommt, durch die im Sinne des § 5 AGG eine bisher in Beschäftigung und Beruf benachteiligte Gruppe gezielt gefördert werden soll."
Hinweis:
Zu der geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung siehe den Beitrag "Entgelttransparenz".
Beschäftigte im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes sind (§ 6 AGG):
Arbeitnehmer der Privatwirtschaft sowie des öffentlichen Dienstes, auch wenn das Beschäftigungsverhältnis beendet ist
Heimarbeiter
Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis
Zu den Anforderungen der Vermeidung einer Benachteiligung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes im Bewerbungsverfahren einschließlich dem Vorstellungsgespräch siehe den Beitrag "Stellenbewerbungsverfahren".
Selbstständige und Organmitglieder, soweit der Zugang zur Erwerbstätigkeit oder der berufliche Aufstieg betroffen ist
Die Benachteiligung eines Beschäftigten kann durch den Arbeitgeber, einen anderen Beschäftigten oder einen Dritten erfolgen.
Sachlich sind gemäß § 2 Abs. 2, 4 AGG folgende Bereiche des Arbeitsrechts ausgeschlossen:
Betriebliche Altersversorgungen
Siehe jedoch den Beitrag Altersdiskriminierung im Rahmen einer betrieblichen Versorgungsordnung.
Aber: Der Ausschluss gilt nur dann, wenn der allgemeine Kündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz eingreift. Ist dies nicht der Fall, d.h. handelt es sich um eine Kündigung in der Wartezeit oder in einem Kleinbetrieb, so kann die Kündigung bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen gegen das AGG verstoßen (BAG 23.07.2015 - 6 AZR 457/14, BAG 12.12.2013 - 8 AZR 838/12, 19.12.2013, Az.: 6 AZR 190/12).
2 Zulässigkeit einer unterschiedlichen Behandlung
Der Gesetzgeber hat in den §§ 8 - 10 AGG sachliche Gründe aufgestellt, die bei bestimmten Diskriminierungstatbeständen eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Dabei wird wie folgt differenziert:
Zulässige Benachteiligungen wegen beruflicher Anforderungen (§ 8 AGG):
Die Benachteiligung ist zulässig, wenn sie wegen der Art der Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende Anforderung darstellt. Voraussetzung ist, dass der Zweck rechtmäßig und die Anforderungen angemessen sind, d.h. der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz muss gewahrt bleiben. Reine Zweckmäßigkeitserwägungen reichen nicht aus.
In der Praxis kommt eine Rechtfertigung hier im Wesentlichen nur bei unmittelbaren Benachteiligungen infrage, da bei einer mittelbaren Benachteiligung das Fehlen eines sachlichen Grundes bereits Tatbestandsmerkmal ist und bei einer Belästigung eine Rechtfertigung nicht infrage kommt.
Als zulässig erachtet wurden zudem folgende Zwecke:
Beispiele:
a) "Die gezielte Suche eines Autohauses nach einer weiblichen Autoverkäuferin in einer Stellenanzeige ("Frauen an die Macht!") kann nach § 8 Abs.1 AGG gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitgeber bisher in seinem gesamten Verkaufs- und Servicebereich ausschließlich männliche Personen beschäftigt hat" (LAG Köln 18.05.2017 - 7 Sa 913/16).
b) Zulässig ist es, wenn eine Schule für den Sportunterricht von Mädchen ausschließlich Sportlehrerinnen sucht (LAG Nürnberg 20.11.2018 - 7 Sa 95/18).
Zulässige Benachteiligungen wegen der Religion oder der Weltanschauung (§ 9 AGG):
Siehe den Beitrag "Allgemeine Gleichbehandlung - Religion".
Zulässige Benachteiligungen wegen des Alters (§ 10 AGG):
Die unterschiedliche Behandlung muss objektiv und angemessen sein und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sein. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz muss gewahrt bleiben. In der Norm werden Regelbeispiele aufgeführt, nach denen wegen des Alters differenziert werden darf. Die zusätzlich mögliche Rechtfertigung nach § 8 AGG bleibt bestehen.
Hinweis:
Siehe zu den Einzelheiten den Beitrag "Altersdiskriminierung".
3 Einzelne Diskriminierunsgründe
3.1 Altersdiskriminierungen
Siehe den Beitrag "Altersdiskriminierung".
3.2 Geschlecht
Schwangerschaft:
Der Kausalzusammenhang zwischen benachteiligender Behandlung und dem Merkmal "Schwangerschaft/Geschlecht" ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Schwangerschaft anknüpft oder durch diese motiviert ist. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund - die Schwangerschaft - das ausschließliche Motiv für das Handeln ist (BAG 12.12.2013 - 8 AZR 838/12).
In-Vitro-Fertilisation:
Eine außerhalb des Geltungsbereichs des KSchG ausgesprochene Kündigung ist nichtig, wenn sie wegen der - beabsichtigten - Durchführung einer In-vitro-Fertilisation und der damit einhergehenden Möglichkeit einer Schwangerschaft erklärt wird (BAG 26.03.2015 - 2 AZR 237/14).
Steuerklasse:
Die Regelung in einem Sozialplan, nach der Mitarbeiter einen Zuschlag bei der Abfindung für Kinder bekommen, die auf ihrer Lohnsteuerkarte eingetragen sind, ist als mittelbare geschlechtsbezogene Diskriminierung gegenüber einer Mitarbeiterin mit Kindern unwirksam, die in die Steuerklasse V eingestuft ist, in der Kinder nicht eingetragen werden können (LAG Nürnberg 03.11.2015 - 7 Sa 655/14).
Entgeltgleichheit:
"Klagt eine Frau auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit, begründet der Umstand, dass ihr Entgelt geringer ist als das vom Arbeitgeber nach §§ 10 ff. EntgTranspG mitgeteilte Vergleichsentgelt (Median-Entgelt) der männlichen Vergleichsperson(en), regelmäßig die - vom Arbeitgeber widerlegbare - Vermutung, dass die Benachteiligung beim Entgelt wegen des Geschlechts erfolgt ist" (BAG 21.01.2021 - 8 AZR 488/19).
3.3 Religion
Siehe den Beitrag "Allgemeine Gleichbehandlung - Religion".
3.4 HIV-Infektion
Siehe insofern den Beitrag "AIDS".
4 Pflichten des Arbeitgebers
Die grundsätzliche Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber seinen Beschäftigten ist in § 12 AGG für den Bereich des Benachteiligungsschutzes konkretisiert: Danach ist der Arbeitgeber verpflichtet, alle Maßnahmen zu ergreifen, um Benachteiligungen seiner Beschäftigten abzuwenden bzw. ihnen vorzubeugen. Dies gilt auch, wenn die Benachteiligung von anderen Beschäftigten oder Dritten (soweit der Arbeitsbereich betroffen ist) ausgeht. Er ist verpflichtet, gegenüber den Beschäftigten von denen die Benachteiligung ausgeht, arbeitsrechtliche Sanktionen wie eine Abmahnung, eine Versetzung, eine Umsetzung oder eine Kündigung auszusprechen.
Daneben ist der Arbeitgeber gemäß § 12 Abs. 5 AGG verpflichtet, seine Beschäftigten über den Inhalt des arbeitsrechtlichen Teils des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu informieren. Es ist ausreichend, wenn er dazu den Gesetzestext im Betrieb an geeigneter Stelle aushängt oder auslegt. Möglich ist auch eine Verbreitung der im Betrieb oder der Dienststelle üblichen Informations- oder Kommunikationstechnik (Intranet).
5 Rechte der Arbeitnehmer
Die im Falle einer Benachteiligung den Arbeitnehmern zustehenden Rechte sind in den §§ 13 - 15 AGG wie folgt geregelt:
- a)
Beschwerderecht:
Unabhängig von den Rechten des Betriebsrats, des Personalrats oder der Mitarbeitervertretung kann der Arbeitnehmer sich bei der im Betrieb zuständigen Stelle beschweren.
Es obliegt dem Arbeitgeber, eine zuständige Stelle zu bestimmen. Dabei kann es sich sowohl um eine neu eingerichtete Position handeln, es kann aber auch die Gleichstellungsbeauftragte, der Betriebsrat, ein Vorgesetzter etc. als zuständige Stelle benannt werden.
- b)
Bei (sexueller) Belästigung: Leistungsverweigerungsrecht:
Ergreift der Arbeitgeber keine oder unwirksame Maßnahmen, können die betroffenen Beschäftigten ohne Rechtsnachteile die Arbeit verweigern.
- c)
Finanzielle Entschädigung:
Der Benachteiligte hat gegen seinen Arbeitgeber einen Anspruch auf Entschädigung. Dabei ist wie folgt zu unterscheiden:
- (1)
Schadensersatz gemäß § 15 Abs. 1 AGG:
Es ist der Schaden zu ersetzen, der durch einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot entstanden ist. Der Benachteiligte ist so zu stellen, wie er stehen würde, wenn die Benachteiligung nicht eingetreten wäre.
Beispiel:
entgangener Verdienst (z.B. unterlassene Beförderung), Bewerbungskosten, Rechtsverfolgungskosten
Bei der Entscheidung der Frage, welche Entschädigung angemessen ist, besteht für die Gerichte ein Beurteilungsspielraum, innerhalb dessen sie die Besonderheiten jedes einzelnen Falls zu berücksichtigen haben. Hängt die Höhe des Entschädigungsanspruchs von einem Beurteilungsspielraum ab, dann ist die Bemessung des Entschädigungsanspruchs grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters (BAG 18.03.2010 - 8 AZR 1044/08).
- (2)
Ersatz des immateriellen Schadens gemäß § 15 Abs. 2 AGG:
Hinweis:
Die Anspruchsgrundlage ähnelt dem Schmerzensgeldanspruch.
Bei der Festsetzung der Höhe der Entschädigung sind die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, d.h. u.a. die Art und Schwere der Benachteiligung, der Anlass und das Verhalten des Arbeitgebers.
Bei einer geschlechtsbezogenen Ungleichbehandlung hat das LAG Rheinland-Pfalz einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 6.000,00 Euro anerkannt (LAG Rheinland-Pfalz 14.08.2014 - 5 Sa 509/13).
Hinweis:
Zum Entschädigungsanspruch eines abgelehnten Bewerbers aufgrund einer AGG-Benachteiligung siehe den Beitrag "Stellenbewerbungsverfahren".
Mit dem Urteil ArbG Berlin 18.12.2013 - 54 Ca 6322/13 hat das Arbeitsgericht Berlin einen Entschädigungsanspruch einer konfessionslosen Bewerberin bei einer zurückgewiesenen Bewerbung um die Stelle einer Referentin eines kirchlichen Arbeitgebers (Kirchenarbeitsrecht) anerkannt. Nach der Ansicht der Richter dürfe der beklagte Arbeitgeber eine Einstellung von einer Kirchenmitgliedschaft nur abhängig machen, wenn es sich um eine "wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung" handele. Dies könne in Bezug auf die Referententätigkeit nicht festgestellt werden.
Bei der Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen sind folgende Fristen zu beachten:
Die Ansprüche müssen innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden.
Die erforderliche Schriftform kann auch durch eine Klage gewahrt werden (BAG 22.05.2014 - 8 AZR 662/13).
Die ggf. anschließend zu erhebende Klage muss gemäß § 61b ArbGG innerhalb von drei Monaten nach der schriftlichen Geltendmachung des Anspruchs erhoben werden.
- d)
Unwirksamkeit einer ausgesprochenen Kündigung:
Geltendmachung der Sozialwidrigkeit einer Kündigung (Kündigung - Arbeitsrecht - s.o.).
Zur Beweislast und zu den besonderen Rechten von Antidiskriminierungsverbänden siehe den Beitrag "Allgemeine Gleichbehandlung - Rechtsschutz".
6 Sonderregelungen für öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse
Gemäß § 24 AGG gelten die Vorschriften des Allgemeines Gleichbehandlungsgesetzes unter Berücksichtigung ihrer besonderen Rechtsstellung auch für die folgenden Personenkreise:
Beamte des Bundes, der Länder und der Kommunen sowie der Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts
Richter des Bundes und der Länder
Insbesondere ist nach der Gesetzesbegründung das in § 14 AGG verankerte Leistungsverweigerungsrecht auf die Beschäftigten im öffentlichen Dienst nicht anwendbar, sofern dem im Einzelfall dienstliche Belange entgegenstehen. Die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben im Rahmen der Gemeinwohlverpflichtung des öffentlichen Dienstes ist in diesen Fällen höher zu bewerten.
Für Soldaten und Soldatinnen gelten die Sonderregelungen des Soldatinnen- und Soldaten-Gleichbehandlungsgesetzes (SoldGG).
7 Stellenbewerbungsverfahren
Zu einer möglichen Benachteiligung im Rahmen einer Bewerbung siehe den Beitrag "Stellenbewerbungsverfahren".