Rechtswörterbuch

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Abstand im Straßenverkehr

 Normen 

§ 4 StVO

§ 49 StVO

 Information 

1. Allgemein

Der einzuhaltende Abstand im Straßenverkehr ist in § 4 StVO normiert. So muss der Abstand von einem vorausfahrenden Fahrzeug in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter ihm gehalten werden kann, wenn der vorausfahrende Fahrer plötzlich abbremst.

Eine konkrete Abstandsvorgabe besteht für LKW sowie Omnibusse in § 4 Abs. 3 StVO: Wer einen Lastkraftwagen mit einer zulässigen Gesamtmasse über 3,5 t oder einen Kraftomnibus führt, muss auf Autobahnen, wenn die Geschwindigkeit mehr als 50 km/h beträgt, zu vorausfahrenden Fahrzeugen einen Mindestabstand von 50 m einhalten. Für andere Fahrzeuge besteht nach dem Bußgeldkatalog die Vorgabe des halben Tachowertes.

Ein Verstoß gegen die Abstandsgebote führt zu einer Ordnungswidrigkeit nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 StVO. Voraussetzung ist aber, dass die Abstandsunterschreitung nicht nur ganz vorübergehend erfolgt. Aber: Eine Abstandsunterschreitung kann bereits dann als Ordnungswidrigkeit geahndet werden, wenn der Fahrer zu irgendeinem Zeitpunkt seiner Fahrt objektiv pflichtwidrig und subjektiv vorwerfbar den Abstand unterschreitet, d.h. auch für einen nur sehr kurzen Moment. Feststellungen zu einer "nicht ganz vorübergehenden" Abstandsunterschreitung (zuvor mindestens drei Sekunden) bedarf es in diesem Fall nicht (OLG Hamm 22.12.2014 - 3 RBs 264/14).

2. Verschulden bei einem Auffahrunfall

Nach der Rechtsprechung (z.B. dem Urteil OLG Düsseldorf 29.09.2005 - 10 U 203/04) ist bei einem Auffahrunfall nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises grundsätzlich von einem Verschulden des Auffahrenden auszugehen, entweder aufgrund eines ungenügenden Sicherheitsabstandes, zu hoher Geschwindigkeit oder allgemeiner Unaufmerksamkeit.

Auch wenn ein Unfallbeteiligter nach dem Auffahrunfall das Fahrzeug verlässt und auf der eisglatten Fahrbahn stürzt, verwirklicht sich eine durch den Unfall entstandene Gefahrenlage (BGH 26.02.2013 - VI ZR 116/12).

Voraussetzung ist ein typischer Geschehensverlauf (sogenannte Typizität):

"Bei Auffahrunfällen kann, auch wenn sie sich auf Autobahnen ereignen, der erste Anschein dafür sprechen, dass der Auffahrende den Unfall schuldhaft dadurch verursacht hat, dass er entweder den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat (§ 4 Abs. 1 StVO), unaufmerksam war (§ 1 StVO) oder mit einer den Straßen- und Sichtverhältnissen unangepassten Geschwindigkeit gefahren ist (§ 3 Abs. 1 StVO)" (BGH 13.12.2016 - VI ZR 32/16)

Abweichungen:

"Der Auffahrunfall reicht als solcher als Grundlage eines Anscheinsbeweises aber dann nicht aus, wenn weitere Umstände des Unfallereignisses bekannt sind, die - wie etwa ein vor dem Auffahren vorgenommener Spurwechsel des vorausfahrenden Fahrzeugs - als Besonderheit gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen" (BGH 13.12.2016 - VI ZR 32/16).

Dabei muss der Spurwechsel im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall stehen: "Der zeitliche Zusammenhang zwischen dem Spurwechsel und dem Auffahren ist selbst dann noch nicht unterbrochen, wenn sich vorausfahrende Fahrstreifenwechsler zum Zeitpunkt der Kollision etwa fünf Sekunden auf dem Fahrstreifen des Auffahrenden befunden hat" (OLG Schleswig 07.10.2022 - 7 U 51/22).

Beweislast:

Der Gegner kann den Anscheinsbeweis entkräften, wenn er die Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs darlegt (OLG Düsseldorf 29.09.2005 - 10 U 203/04).

"Bestreitet der Vorausfahrende den vom Auffahrenden behaupteten Spurwechsel und kann der Auffahrende den Spurwechsel des Vorausfahrenden nicht beweisen, so bleibt - in Abwesenheit weiterer festgestellter Umstände des Gesamtgeschehens - allein der Auffahrunfall, der typischerweise auf einem Verschulden des Auffahrenden beruht. Es ist nicht Aufgabe des sich auf den Anscheinsbeweis stützenden Vorausfahrenden zu beweisen, dass ein Spurwechsel nicht stattgefunden hat" (BGH 13.12.2016 - VI ZR 32/16).

Weitere Gründe für das Abweichen von der Typizität:

Jedoch darf der vorausfahrende Fahrer gemäß § 4 Abs. 1 S. 2 StVO nicht ohne zwingenden Grund stark bremsen. Bei einer abrupten Bremsung ohne äußeren Anlass liegt insofern gleichzeitig ein schuldhafter Verkehrsverstoß des vorausfahrenden Fahrzeugführers vor. Bei einem Auffahrunfall kann eine Haftungsquote von 50 % in Betracht kommen (OLG Karlsruhe 20.12.2012 - 9 U 88/11).

Ist es zu einem Kettenauffahrunfall gekommen, so bestehen folgende Beweisgrundsätze (OLG Hamm 06.02.2014 - 6 U 101/13):

  • Bei einem Kettenauffahrunfall kommt ein Anscheinsbeweis (Beweishilfen) für eine schuldhafte Verursachung des Heckaufpralls durch den letzten in der Kette auffahrenden Verkehrsteilnehmer nur dann in Betracht, wenn feststeht, dass das ihm vorausfahrende Fahrzeug des Geschädigten rechtzeitig hinter seinem Vordermann zum Stehen gekommen ist und nicht durch einen Aufprall auf das vorausfahrende Fahrzeug den Bremsweg des ihm folgenden Fahrzeugs verkürzt hat.

  • Führen bei einem Kettenauffahrunfall die Schäden im Front- und Heckbereich des geschädigten Kraftfahrzeugs zu einem wirtschaftlichen Totalschaden und ist nicht feststellbar, ob der Frontschaden durch das Auffahren des nachfolgenden Fahrzeugs verursacht wurde, kann der gegen den Auffahrenden begründete Schadensersatzanspruch betreffend den Heckanstoß durch die quotenmäßige Aufteilung des Gesamtschadens, gemessen am Verhältnis der jeweiligen Reparaturkosten, ermittelt werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Verursachung auch des Frontschadens durch den Auffahrenden nicht weniger wahrscheinlich ist als die Entstehung des Frontschadens unabhängig vom Heckaufprall.

3. Rettungsgasse

Sobald Fahrzeuge auf Autobahnen sowie auf Außerortsstraßen mit mindestens zwei Fahrstreifen für eine Richtung mit Schrittgeschwindigkeit fahren oder sich die Fahrzeuge im Stillstand befinden, müssen gemäß § 11 Abs. 2 StVO diese Fahrzeuge für die Durchfahrt von Polizei- und Hilfsfahrzeugen zwischen dem äußerst linken und dem unmittelbar rechts daneben liegenden Fahrstreifen für eine Richtung eine freie Gasse bilden.

Hinweis:

Die Vorschrift wurde zum 14. Dezember 2016 leicht geändert:

Seit Jahrzehnten ist in Deutschland beim Stocken des Verkehrs auf Autobahnen und Außerortsstraßen mit mindestens zwei Fahrstreifen für eine Richtung das Bilden der sogenannten Rettungsgasse Pflicht. Dennoch kommt es in der Praxis immer wieder zu Problemen, da die derzeitige Regelung von den Verkehrsteilnehmern oft nicht zufriedenstellend praktiziert wird. Die Regelung wird deshalb vereinfacht. Damit wird den Verkehrsteilnehmern eine einprägsame und leicht verständliche Verhaltensregel zur Verfügung gestellt, die ein reibungsloseres Bilden der Rettungsgasse ermöglichen soll. Zukünftig sollen Rettungskräfte behinderungsfrei und damit schneller zum Einsatzort gelangen. Der zuvor verwendete unbestimmte Rechtsbegriff "Stockender Verkehr" wird nun eindeutig zur Verbesserung der Verständlichkeit der Vorschrift definiert und liegt vor bei stehenden Fahrzeugkolonnen oder wenn diese mit sehr geringer Geschwindigkeit (Schrittgeschwindigkeit) "dahinschleichen".

 Siehe auch 

Abbiegen im Straßenverkehr

Geschwindigkeit im Straßenverkehr

Verkehrsunfall - Allgemein

Himmelreich/Halm: Handbuch Verkehrsrecht; 7. Auflage 2022

Heß/Burmann: Die aktuellen Entwicklungen im Straßenverkehrsrecht; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2020, 1120

Krumm: Verteidigung bei Abstandsverstößen; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2016, 3642

Lütkes: Straßenverkehr. Online-Kommentar; 

Neumann: Auffahren, Spurwechsel und die Typizität beim Anscheinsbeweis; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2023, 332