Pressemitteilung der Volkswagen AG vom 2. März 2016 ist irreführend und falsch

06.03.2016 281 Mal gelesen Autor: Andreas W. Tilp
VW-Aktionärsklage: Pressemitteilung der Volkswagen AG vom 2. März 2016 ist irreführend und falsch – Klageerwiderung von VW gibt der US-Umweltbehörde EPA die Hauptschuld am Kursdebakel – VW selbst beantragt nunmehr Durchführung des KapMuG Musterverfahrens

Kirchentellinsfurt, den 06.03.2016

Bekanntlich hat die Kanzlei TILP am 1. Oktober 2015 die erste Aktionärsklage gegen die Volkswagen AG wegen unterlassener rechtzeitiger Ad-hoc-Mitteilungen im Zusammenhang mir der Diesel-Gate Affäre eingereicht. Die Klage beim dafür allein zuständigen Landgericht (LG) Braunschweig hat das Aktenzeichen 5 O 2049/15. Nunmehr liegt uns die Klageerwiderung von VW mit Datum 29.02.2016 vor, sie hat 111 Seiten. Darin weist VW die von uns für den dortigen Kläger geltend gemachten Ansprüche zurück und stellt selbst Musterverfahrensantrag auf Einleitung eines Musterverfahrens nach KapMuG. Der Abgasskandal und seine kapitalmarktrechtlichen Konsequenzen dürften damit zeitnah das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig beschäftigen. 

Die Pressemitteilung von VW vom 2. März 2016 ist irreführend und falsch 

Im zweiten Absatz der VW-PM findet sich die Behauptung, dass "jede Ad-hoc-Pflicht voraussetzt, dass die für die Erfüllung dieser Pflicht verantwortlichen Personen Kenntnis eines kursrelevanten Sachverhaltes erlangen". Dies ist nach unserer Auffassung irreführend und falsch.

 Die Ad-hoc-Pflicht nach dem Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) trifft das börsennotierte Unternehmen als solches, und nicht den Vorstand oder ein einzelnes Vorstandsmitglied. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundegerichtshofs (BGH), dass die Zurechnung von Wissen innerhalb juristischer Personen "zu Lasten der juristischen Person . statt" findet, "nicht zu Lasten ihrer Organe . Die Zurechnung steht der Geltendmachung von Unkenntnis entgegen, ohne dass sie eine tatsächlich fehlende Kenntnis ersetzt" (BGH-Urteil vom 13.10.2000, V ZR 349/99, Ziff. II. 3. b).

Wie sich schon aus diesem BGH-Zitat ergibt, wird gerade auch das Wissen von solchen Mitarbeitern zugerechnet, die unterhalb der Organebene angesiedelt sind.

Dementsprechend heißt es auch explizit im führenden Kommentar zur Haftungsvorschrift des § 37 b) WpHG, welcher den Schadensersatzanspruch für das Unterlassen einer Ad-hoc-Mitteilung regelt (Kölner Kommentar zum WpHG, 2. Auflage, 2014, §§ 37 b, c, Rz. 178: "In Fällen, in denen nach den Grundsätzen der Rechtsprechung Wissen zugerechnet wird, also Kenntnis des Unternehmens unterstellt wird, muss der Versuch des Emittenten, sich auf nicht grob fahrlässige Unkenntnis zu berufen, scheitern."

"Die zitierte Behauptung der Volkswagen AG in ihrer PM vom 2. März 2016 ist nach unserer Überzeugung daher als irreführend und falsch zu bezeichnen", betont der Tübinger Anlegeranwalt Andreas Tilp.

"Selbst auf Grundlage der - unzutreffenden - Auffassung von Volkswagen ist allerdings nicht nachvollziehbar, was noch gegen eine Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis ihres damaligen Vorstandsvorsitzenden Winterkorn spätestens ab dem 23. Mai 2014 sprechen soll, nachdem Volkswagen bereits öffentlich einräumen musste, dass Martin Winterkorn zu diesem Zeitpunkt über die behördlichen Ermittlungen zu den dramatisch erhöhten NOx-Emissionen informiert wurde, sowie darüber, dass davon auszugehen sei, dass die Behörden die VW-Systeme daraufhin untersuchen werden, ob Volkswagen eine Testerkennung in die Motorsteuergeräte-Software implementiert hat (sogenanntes Defeat Device)", ergänzt Rechtsanwalt Axel Wegner von TILP.

VW gibt der US-Umweltbehörde EPA die Hauptschuld am Kursdebakel

In ihrer Erwiderung auf die TILP-Klage weist die Volkswagen AG die Verantwortung für das Ausmaß der wirtschaftlichen Folgen des Abgasskandals der US-Umweltbehörde EPA zu. Bevor diese die begangenen Rechtsverletzungen am 18. September 2015 öffentlich angeprangert habe, habe es aus Sicht von Volkswagen keinerlei kursrelevante Information über den Abgasskandal gegeben, die ad hoc hätte veröffentlicht werden müssen. Wörtlich führt VW hierzu in der Klagerwiderung aus: "Kursrelevant war letztlich allein das aus Sicht des Volkswagen-Vorstands zu diesem Zeitpunkt unerwartete öffentliche Bekanntwerden des Compliance-Verstoßes durch die Notice of Violation der EPA und die aus diesem Anlass abgehaltene Pressekonferenz am Freitag, den 18. September 2015 und die damit einhergehende medial beförderte Öffentlichkeitswirkung."

Bis zu diesem Zeitpunkt - so die Volkswagen AG weiter - seien die VW-Verantwortlichen davon ausgegangen, "dass sich die Problematik ohne größere finanzielle Folgen würde lösen und daher eine kursrelevante Insiderinformation, die publik zu machen wäre, gar nicht erst entstehen würde". Im Hinblick auf die zu erwartenden Bußgeldzahlungen an die US-Behörden seien die beteiligten Rechtsabteilungsmitarbeiter sowie der für die Erfüllung der Ad-hoc-Publizitätspflicht verantwortliche Vorstand davon ausgegangen, dass eine Geldbuße "maximal einen hohen zweistelligen bzw. unteren dreistelligen Millionenbetrag betragen würde".

Volkswagen räumt an anderer Stelle der Klageerwiderung jedoch zutreffend ein, dass die Kursrelevanz der Informationen rund um den Abgasskandal keineswegs alleine von der Höhe zu erwartender Bußgeldzahlungen abhing, sondern dass insoweit diverse weitere Faktoren zu berücksichtigen waren, wie "etwa die Art und Weise der Manipulation, die Anzahl der betroffenen Fahrzeuge, der relevante Zeitraum, die möglicherweise zur Verfügung stehenden Abhilfemaßnahmen, der Umfang und die Höhe denkbarer Strafandrohungen, die Kosten einer möglichen Beseitigung, der Umfang möglicher Schadensersatzansprüche betroffener KFZ-Käufer, die Auswirkungen auf den Vertrieb der betroffenen Fahrzeuge, die Auswirkungen auf die gesamte Unternehmensgruppe, weitere Einflussfaktoren für Kosten- und Umsatzentwicklung etc.". Unter Einbeziehung solcher weiteren Auswirkungen gab Volkswagen bereits am 22.09.2015 die Bildung von Rückstellungen von 6,5 rund Milliarden EUR zur Abdeckung notwendiger Service-Maßnahmen und weiterer Anstrengungen bekannt. Der Börsenkurs der VW-Aktie brach an diesem 22.09.2015 um ein weiteres Fünftel ein.

"Dass ein solcher Sachverhalt, der die Bildung von Rückstellungen in Höhe von rund 6,5 Milliarden EUR erfordert, kursrelevant und damit ad-hoc-veröffentlichungspflichtig ist, dürfte keinem Zweifel unterliegen", führt Rechtsanwalt Tilp aus. Wie dieser enorme - und ad-hoc-bekanntzugebende - Rückstellungsbedarf aus Sicht von Volkswagen mit seiner Argumentation vereinbar sein soll, dass bis zum 18.09.2015 keine kursrelevante Information existiert haben soll, lässt sich der Klagerwiderung nicht entnehmen.

VW beantragt nunmehr selbst die Durchführung eines Musterverfahrens nach KapMuG

In ihrer Erwiderung auf die Aktionärsklage von TILP stellt die Volkswagen AG nunmehr selbst einen eigenen Musterverfahrensantrag auf Einleitung eines Musterverfahrens nach dem KapMuG. Damit teilt VW die Rechtsauffassung unserer Kanzlei, dass der Rechtstreit grundsätzlich einem KapMuG-Musterverfahren zugänglich ist. "Vor diesem Hintergrund gehen wir nunmehr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon aus, dass das LG Braunschweig die Zulässigkeit eines solchen Musterverfahrens bejahen wird", erläutert TILP-Anwalt Axel Wegner. "Damit hat unsere Kanzlei ein wichtiges prozesstaktisches Ziel erreicht, dass sich die Volkswagen AG nämlich einem Musterverfahren nach KapMuG nicht verschließt. Die Chancen auf einen Prozesserfolg klagender geschädigter VW-Aktionären haben sich damit deutlich erhöht, da erfahrungsgemäß KapMuG-Verfahren bessere Erfolgschancen für Kläger gewähren. Dies zeigen u. a. die von unserer Kanzlei erstrittenen Erfolge im Musterverfahren gegen die Deutsche Telekom AG vor dem BGH sowie gegenüber der Hypo Real Estate Holding AG vor dem OLG München, in welchen wir jeweils den einzigen Musterkläger vertreten haben", resümiert der Tübinger Anlegeranwalt Andreas Tilp zur sogenannten deutschen Sammelklage.

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