Aufhebungsvertrag und Sperrzeit beim Bezug von ALG - was Arbeitnehmer wissen sollten (Rüter & Pape Rechtsanwälte für Arbeitsrecht in Frankfurt am Main

Arbeit Betrieb
12.10.20104039 Mal gelesen
Die Unterzeichnung eines Aufhebungsvertrags führt nicht nur zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern kann auch erhebliche sozialversicherungsrechtliche Auswirkungen haben.

Aufhebungsverträge zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind beliebt, sollen sie doch das Arbeitsverhältnis schnell, fair und geräuschlos beenden und einen Kündigungsrechtsstreit vor dem Arbeitsgericht von vornherein vermeiden.

Neben der Vermeidung eines möglicherweise langwierigen und kostspieligen Gerichtsprozesses bietet der Aufhebungsvertrag für den Arbeitgeber vor allem den Vorteil, dass er sich jederzeit von Arbeitnehmern trennen kann, ohne Kündigungsfristen einhalten, Kündigungsgründe angeben, den Betriebsrat anhören oder die Zustimmung von Behörden einholen zu müssen. Aber auch für den Arbeitnehmer kann ein Aufhebungsvertrag von Vorteil sein, etwa wenn der Arbeitgeber im Gegenzug ein sehr gutes Zeugnis oder die Zahlung einer Abfindung verspricht, oder der Arbeitnehmer bereits eine neue Beschäftigung gefunden hat und nun nicht die Kündigungsfrist bei seinem aktuellen Arbeitgeber einhalten möchte.

Bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags drohen dem Arbeitnehmer allerdings auch erhebliche sozialversicherungsrechtliche Nachteile, weil er aktiv an seiner Beschäftigungslosigkeit mitwirkt und die Arbeitsagentur deshalb gegen ihn eine Sperrzeit beim Bezug von Arbeitslosengeld verhängen kann.

 

Sperrzeit gemäß § 144 SGB III

 

§ 144 SGB III regelt die Sperrzeit bei sog. Arbeitsaufgabe und bestimmt, dass der Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer einer Sperrzeit ruht, wenn der Arbeitslose 

  • sich aktiv an der Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses beteiligt (Arbeitsaufgabe durch Beteiligung) oder den Arbeitgeber durch arbeitsvertragswidriges Verhalten dazu veranlasst hat, das Beschäftigungsverhältnis zu lösen (Arbeitsaufgabe nach arbeitsvertragswidrigem Verhalten),
  • ohne hierfür einen wichtigen Grund zu haben.
 

Sperrzeitrelevant ist immer nur die Auflösung des sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses, nicht aber die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses: Ein Beschäftigungsverhältnis ist gekennzeichnet durch nichtselbständige Arbeit, die tatsächlich ausgeübt wird. Ein Arbeitsverhältnis hingegen setzt nur voraus, dass jemand zur Leistung weisungsgebundener Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist; ob er auch tatsächlich beschäftigt wird, ist indes ohne Bedeutung. Regelmäßig sind Arbeits- und Beschäftigungsverhältnis deckungsgleich, sie können aber auch voneinander abweichen: Wenn z. B. ein Aufhebungsvertrag mit dem Inhalt geschlossen wird, dass das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni endet, der Arbeitnehmer aber bereits ab dem 1. Januar unter Fortzahlung der Bezüge unwiderruflich von seiner Arbeitspflicht freigestellt wird, dann endet das Beschäftigungsverhältnis bereits am 31. Dezember, das Arbeitsverhältnis erst am 30. Juni des Folgejahres. Das sperrzeitauslösende Ereignis ist demnach die Beschäftigungslosigkeit ab dem 1. Januar.

Die Arbeitsagentur prüft stets von Amts wegen, ob ein sperrzeitrelevantes Verhalten des Arbeitslosen vorliegt. An etwaige Feststellungen des Arbeitsgerichts ist sie hierbei nicht gebunden; diese stellen allenfalls ein Indiz dar. In den Durchführungsanweisungen der Bundesagentur für Arbeit zu § 144 SGB III heißt es nämlich wörtlich: "Ob ein Beteiligungssachverhalt vorliegt, ist anhand schriftlicher/mündlicher Vereinbarungen sowie des vorausgehenden/nachgehenden Verhaltens des Arbeitnehmers zu beurteilen. Dabei ist der wirkliche Geschäftswille der Vertragspartner maßgebend" (vgl. DA § 144 SGB III, Stand 11/2011, Rz. 144.20).

 

Arbeitsaufgabe durch Beteiligung

 

Dieser Sperrzeittatbestand ist nur gegeben, wenn der Arbeitnehmer aktiv an der Beschäftigungslosigkeit mitwirkt, etwa durch Eigenkündigung oder durch Abschluss eines Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrags.

 

Wer bloß eine betriebs- oder personenbedingte Kündigung durch den Arbeitgeber (bei einer verhaltensbedingten Kündigung läge bereits Arbeitsaufgabe nach arbeitsvertragswidrigem Verhalten vor) hinnimmt, beteiligt sich nicht an der Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses und muss deshalb auch bei Zahlung einer Abfindung keine Sperrzeit befürchten. Etwas anderes gilt nur, wenn sich Hinweise auf eine Absprache zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ergeben, z. B. weil der Arbeitnehmer eine offensichtlich rechtswidrige Kündigung akzeptiert: Die Arbeitsagentur prüft dann den Sachverhalt eingehend durch Nachfrage bei den Arbeitsvertragsparteien; bestätigt sich hiernach der Beteiligungsverdacht, dann kann eine Sperrzeit verhängt werden.

Eine Sperrzeit wird ferner nicht verhängt, wenn der Arbeitgeber eine Kündigung aus betriebs- oder personenbedingten Gründen ausspricht, der Arbeitnehmer hiergegen Kündigungsschutzklage erhebt und die Parteien später einen arbeitsgerichtlichen Vergleich schließen, wonach das Arbeitsverhältnis durch fristgerechte Kündigung endet. Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht, wenn die Arbeitsagentur nach eigener Prüfung feststellt, dass die Parteien eine an sich rechtmäßige verhaltensbedingte Kündigung in dem gerichtlichen Vergleich nur in eine betriebsbedingte Kündigung umbenannt haben, um etwaige sozialversicherungsrechtliche Nachteile für den Arbeitnehmer zu vermeiden.

 

Wichtiger Grund für Arbeitsaufgabe

 

Hat der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis durch Abschluss eines Aufhebungsvertrags gelöst, weil ihm andernfalls eine arbeitgeberseitige Kündigung drohte, liegt hierin allein noch kein wichtiger Grund, der eine Sperrzeit verhindern könnte. Denn dem Arbeitnehmer ist es grundsätzlich zuzumuten, die Kündigung abzuwarten und so den Eintritt der Beschäftigungslosigkeit zumindest hinauszuzögern.

 

Ein wichtiger Grund ist aber gegeben, wenn 

  • die angedrohte Kündigung objektiv rechtmäßig wäre (mit der Folge, dass der Arbeitnehmer sich hiergegen nicht arbeitsrechtlich wehren könnte),
  • der Arbeitnehmer die Kündigung nicht durch arbeitsvertragswidriges Verhalten veranlasst hat
  • und es ihm nicht zumutbar ist, die Kündigung abzuwarten.

Das Abwarten einer rechtmäßigen Arbeitgeberkündigung ist für den Arbeitnehmer immer dann unzumutbar, wenn er durch Abschluss des Aufhebungsvertrags Nachteile vermeiden kann, die typischerweise mit einer Kündigung einhergehen, oder sich eine Abfindung sichern kann, die er im Falle einer Kündigung nicht oder nicht in dieser Höhe beanspruchen könnte.

 

Die Arbeitsagentur prüft anhand der Angaben der Arbeitsvertragsparteien, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind - vor allem, ob die Kündigung nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen rechtmäßig gewesen wäre und das Beschäftigungsverhältnis zu demselben Zeitpunkt, zu dem es durch Aufhebungsvertrag beendet worden ist, oder früher beendet hätte. Bei einem Aufhebungsvertrag ist also immer zwingend darauf zu achten, dass der Zeitraum zwischen Unterzeichnung des Vertrags und Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses nicht kürzer ist als die Kündigungsfrist, die der Arbeitgeber für eine ordentliche Kündigung des Arbeitnehmers einhalten müsste. Endet das Beschäftigungs- vor dem Arbeitsverhältnis, weil der Arbeitnehmer bereits mit Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags unter Fortzahlung der Vergütung bis zum vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses einvernehmlich und unwiderruflich von seiner Arbeitspflicht freigestellt wird, dann darf der Zeitraum zwischen Unterzeichnung des Aufhebungsvertrags und Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht kürzer sein als die ordentliche Kündigungsfrist.

 

Ein wichtiger Grund für den Abschluss eines Aufhebungsvertrags liegt auch dann vor, wenn 

  • der Arbeitgeber eine Kündigung aus betriebsbedingten Gründen angedroht hat,
  • der Arbeitgeber an den Arbeitnehmer eine Abfindung von 0,25 bis 0,5 Bruttomonatsgehältern für jedes Beschäftigungsjahr gezahlt hat,
  • die Kündigung zu demselben Zeitpunkt, zu dem das Beschäftigungsverhältnis beendet worden ist, oder früher wirksam geworden wäre,
  • und der Arbeitnehmer nicht unkündbar gewesen ist.

Liegen diese Voraussetzungen (die sich an § 1a KSchG orientieren) vor, dann überprüft die Arbeitsagentur nicht zusätzlich noch, ob die Kündigung auch im Übrigen wirksam gewesen wäre. Auf die bisweilen schwierige Beurteilung, ob eine fiktive Kündigung sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 KSchG gewesen wäre, kommt es dann also nicht mehr an.

 

Rechtsfolgen der Sperrzeit

 

Die Sperrzeit hat schwerwiegende Folgen:

 

Zum einen ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer der Sperrzeit. Ruhen bedeutet, dass der Anspruch zwar entsteht, aber noch nicht zur Auszahlung fällig ist. Bei Arbeitsaufgabe gemäß § 144 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III (z. B. durch Aufhebungsvertrag) beträgt die Sperrzeit gemäß § 144 Abs. 3 SGB III grundsätzlich 12 Wochen. Die Sperrzeit läuft kalendermäßig ab und beginnt gemäß § 144 III SGB einen Tag nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses (bei einvernehmlicher Freistellung also bereits mit dem ersten Tag der Freistellung und nicht erst mit dem vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses).

Zum anderen führt die Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe dazu, dass sich die Anspruchsdauer um die Anzahl der Tage der Sperrzeit verkürzt, mindestens aber um ein Viertel der Anspruchsdauer (§ 128 Abs. 1 Nr. 4 SGB III). Die Minderung der Anspruchsdauer entfällt gemäß § 128 Abs. 2 S. 2 SGB III, wenn das Ereignis, das die Sperrzeit begründet (Ende des Beschäftigungsverhältnisses), bei Erfüllung der Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld länger als 1 Jahr zurückliegt.

 

Nur in dem Idealfall, dass der Arbeitnehmer bereits 1 Jahr vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses einvernehmlich und unter Fortzahlung seiner Vergütung von seiner Arbeitspflicht freigestellt wird, wirken sich diese gravierenden Sperrzeitfolgen nicht aus: Bei Arbeitslosmeldung und Antragstellung erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nämlich sind sowohl die 12-Wochen-Frist für das Ruhen als auch die 1-Jahres-Frist für die Kürzung der Anspruchsdauer bereits abgelaufen.

 

Fazit

 

Arbeitnehmer, denen ein Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrag angeboten worden ist, sollten sich nach alledem rechtzeitig vor Unterzeichnung des Vertrags anwaltlich beraten lassen, um arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Nachteile zu vermeiden.

RA Marco Pape

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Stand: 01.03.2012