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Gesamtschuld

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§§ 421 ff. BGB

 Information 

1. Entstehung der Gesamtschuld

1.1 Allgemein

Mehrheit von Schuldnern bei einer Leistung.

Eine Gesamtschuld entsteht durch eine vertragliche Vereinbarung, durch Eintritt eines im Gesetz vorgesehenen Falles oder konkludent bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen.

Eine Gesamtschuld ist gemäß § 421 BGB durch folgende Merkmale gekennzeichnet:

  • Mehrere Personen sind Schuldner eines Gläubigers.

  • Es handelt sich um eine Leistung.

    Der Leistungsbegriff ist dahin gehend weit auszulegen, als dass eine Leistungsidentität ausreicht. Diese liegt vor, wenn die Leistung trotz eines unterschiedlichen Leistungsgrundes dasselbe Leistungsinteresse befriedigt. Eine Leistungsidentität ist abzulehnen, wenn die Haftung auf verschiedenen rechtlichen oder tatsächlichen Grundlagen beruht.

Beispiel:

Aufgrund eines Gewährleistungsanspruches haften sowohl der Bauunternehmer als auch der Architekt dem Bauherrn auf Schadensersatz. Trotz verschiedener vertraglicher Grundlagen befriedigen beide dasselbe Leistungsinteresse des Bauherrn, die Haftung beruht auf einer rechtlichen Grundlage, beide haften daher als Gesamtschuldner.

Der Gläubiger kann die Leistung nach seinem Belieben von jedem Schuldner ganz oder teilweise verlangen. Befriedigt ein Schuldner den Gläubiger, findet zwischen den Schuldnern ein Ausgleich im Innenverhältnis statt. Zwischen den Schuldnern besteht ein gesetzliches Schuldverhältnis.

  • Jeder Schuldner ist im Außenverhältnis verpflichtet, die gesamte Leistung zu erbringen.

    Nach der Rechtsprechung BGH 05.10.2010 – VI ZR 286/09 gilt etwas anderes, »wenn den Geschädigten ein Mitverschuldensvorwurf trifft und die Abwägung nach § 254 BGB oder § 17 StVG dazu führt, dass die Ersatzansprüche, die dem Verletzten gegen mehrere Nebentäter zustehen, zu mindern sind. In einem solchen Fall ist das Prinzip der gesamtschuldnerischen Haftung mit dem Abwägungsprinzip des § 254 BGB bzw. des § 17 StVG in Einklang zu bringen, indem die Einzelabwägungen zwischen dem Geschädigten und den jeweiligen Schädigern mit einer aus der Gesamtschau gewonnenen Solidarabwägung im Sinne einer Gesamtabwägung verknüpft werden«.

  • Der Gläubiger kann die Leistung von einem der Schuldner allein oder anteilig von allen Schuldnern fordern, die gesamte Schuld jedoch nur einmal.

Die Gesamtschuld ist von der Teilschuld zu unterscheiden, bei der der Schuldner auch im Außenverhältnis zum Gläubiger nur einen bestimmten Teil der Schuld leisten muss.

1.2 Begründung durch vertragliche Vereinbarung

Die vertragliche Begründung der Gesamtschuld kann durch die ausdrückliche Vereinbarung einer Gesamtschuld oder durch Auslegung des Vertrages entstehen. Die ausdrückliche Vereinbarung ergibt sich aus dem Wortlaut der Vereinbarung, wobei neben der Verwendung der Wörter »gesamtschuldnerisch« etc. auch ähnliche Begriffe verwendet werden können.

Ist die Vereinbarung einer Gesamtschuld nicht ausdrücklich im Vertrag benannt, so kann die Gesamtschuld durch Auslegung des Vertrages ermittelt werden. Das Gesamtschuldrecht selbst bestimmt mit den §§ 427 und 431 BGB zwei Auslegungsvorgaben:

  • Gemäß § 427 BGB entsteht eine Gesamtschuld, wenn sich mehrere Personen durch Vertrag gemeinschaftlich zu einer teilbaren Leistung verpflichten.

  • Gemäß § 431 BGB entsteht eine Gesamtschuld, wenn mehrere Personen eine unteilbare Leistung schulden.

1.3 Begründung durch Erfüllung der gesetzlichen Merkmale

Die Gesamtschuld kann auch durch Erfüllung der oben aufgeführten gesetzlichen Merkmale der Gesamtschuld (§ 421 BGB) entstehen.

1.4 Begründung durch Gesetz

Die Gesamtschuld entsteht in folgenden Fällen durch gesetzliche Anordnung:

2. Ausgleichspflicht im Innenverhältnis

Die Ausgleichspflicht im Innenverhältnis der Gesamtschuldner zueinander bestimmt sich nach § 426 Abs. 1 BGB: Sofern für die Höhe des Ausgleichs kein anderweitiger Ausgleichsmaßstab besteht, haften die Gesamtschuldner untereinander zu gleichen Teilen. Dies gilt auch für den Fall, dass der zahlende Gesamtschuldner den Ausgleich von einem anderen Gesamtschuldner nicht erlangen kann. Hier ist gemäß § 426 Abs. 1 S. 2 BGB der Anteil des ausfallenden Gesamtschuldners von den anderen Gesamtschuldnern anteilig zu tragen.

Ein anderweitiger Ausgleichsmaßstab kann sich u.a. ergeben aus:

  • Vertrag

  • Gesetz

  • Inhalt und Zweck des Schuldverhältnisses

  • Natur der Sache

Einwände, die sich auf das Grundverhältnis, d.h. das Vertragsverhältnis zwischen den Gesamtschuldnern und dem Gläubiger erstrecken, berühren das Ausgleichsverhältnis nach § 426 Abs. 1 S. 1 BGB grundsätzlich nicht.

Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes kommt nur unter zwei Gesichtspunkten infrage, nämlich bei einer abweichenden vertraglichen Vereinbarung zwischen den Gesamtschuldnern oder aufgrund der Grundsätze von Treu und Glauben (OLG München 16.01.2008 – 7 U 3972/07).

Die Verjährungsfrist des Ausgleichsanspruchs bestimmt sich nach der allgemeinen Vorschrift über die regelmäßige Verjährung, unabhängig ob der Anspruch des Gläubigers gegen einen anderen Gesamtschuldner verjährt ist (BGH 09.07.2009 – VII ZR 109/08).

Der Ausgleichsanspruch entsteht in dem Augenblick, in dem die mehreren Ersatzpflichtigen dem Geschädigten ersatzpflichtig werden, also mit der Begründung der Gesamtschuld. Für die zur Verjährung erforderliche Kenntnis aller Umstände ist es erforderlich, dass der Ausgleichsberechtigte Kenntnisse von den Umständen hat, die einen Anspruch des Gläubigers gegen den Ausgleichsverpflichteten begründen, von denjenigen, die einen Anspruch des Gläubigers gegen ihn selbst begründen, sowie von denjenigen, die das Gesamtschuldverhältnis begründen, und schließlich von den Umständen, die im Innenverhältnis eine Ausgleichspflicht begründen (BGH 18.06.2009 – VII ZR 167/08).

3. Gestörter Gesamtschuldnerausgleich

Die Voraussetzungen der Gesamtschuld sind nicht gegeben, wenn einer (von zwei) Schuldnern aufgrund einer vertraglichen oder gesetzlichen Haftungsfreistellung nicht haftet. Als sogenannter »gestörter Gesamtschuldnerausgleich« wird daher der Fall bezeichnet, dass bei mehreren Schuldnern ein Schuldner aufgrund einer gesetzlichen/vertraglichen Haftungsfreistellung oder Haftungsbeschränkung nicht oder nicht in voller Höhe haftet.

Beispiel:

Nach der Rechtsprechung des BGH können Ansprüche des Gläubigers gegen den nicht privilegierten Schuldner auf den Betrag beschränkt sein, der auf diesen im Innenverhältnis zu dem privilegierten Schuldner endgültig entfiele, wenn die Schadensverteilung nicht durch eine Haftungsprivilegierung gestört wäre (so z.B. BGH 10.05.2005 – VI ZR 366/03).

Die Beschränkung der Haftung des Zweitschädigers beruht dabei auf dem Gedanken, dass einerseits die haftungsrechtliche Privilegierung nicht durch eine Heranziehung im Gesamtschuldnerausgleich unterlaufen werden soll, es aber andererseits bei Mitberücksichtigung des Grundes der Haftungsprivilegierung, nämlich der anderweitigen Absicherung des Geschädigten durch z.B. eine gesetzliche Unfallversicherung, nicht gerechtfertigt wäre, den Zweitschädiger den Schaden alleine tragen zu lassen. Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist der Zweitschädiger in Höhe des Verantwortungsteils freizustellen, der auf den Erstschädiger im Innenverhältnis entfiele, wenn man seine Haftungsprivilegierung hinwegdenkt. Dabei ist unter Verantwortungsteil die Zuständigkeit für die Schadensverhütung und damit der Eigenanteil des betreffenden Schädigers an der Schadensentstehung zu verstehen (BGH 18.11.2014 – VI ZR 47/13).

4. Gesamtschuld zwischen Eheleuten

Die zwischen Eheleuten bestehenden Ansprüche aufgrund Gesamtschuldnerausgleichs sind in den Beiträgen »Scheidung - Gemeinsame Schulden« und »Unbenannte Zuwendungen« näher erläutert.

5. Gesamtschuld zwischen Streitgenossen

Der BGH hat zum Innenverhältnis zwischen zwei Streigenossen Stellung genommen, die als Gesamtschuldner verurteilt wurden (BGH 20.11.2018 – VI ZR 394/17):

»Werden zwei einfache Streitgenossen als Gesamtschuldner rechtskräftig zur Zahlung von Schadensersatz verurteilt, so steht ihre Haftung zwar im Verhältnis zum Gläubiger, nicht aber zwischen den Streitgenossen selbst fest. Jedem der im Vorprozess rechtskräftig als Gesamtschuldner verurteilten Streitgenossen bleibt im nachfolgenden Rechtsstreit um den Innenausgleich damit die Möglichkeit, die im Vorprozess bejahte Verbindlichkeit dem Gläubiger gegenüber und damit auch das Bestehen eines Gesamtschuldverhältnisses überhaupt in Frage zu stellen«.

6. Keine Gesamtschuld Architekt/Bauunternehmer

»Ein Gesamtschuldnerausgleichsanspruch des Architekten gegen den bauausführenden Unternehmer besteht mangels Gesamtschuldverhältnisses nicht, wenn dem Besteller einerseits ein Schadensersatzanspruch nach § 634 Nr. 4 BGB gegen den Architekten wegen Verletzung der vertraglich vereinbarten Objektbegehungspflicht zusteht und ihm andererseits Mängelansprüche gegen den bauausführenden Unternehmer wegen diesem zuzurechnender Mängel des Bauwerks zustehen« (BGH 01.12.2022 VII ZR 90/22).

Denn:

»Voraussetzung einer gesamtschuldnerischen Haftung ist, dass zwischen den Haftenden aufgrund der Gleichstufigkeit der Verpflichtungen eine Tilgungsgemeinschaft besteht. Sie fehlt, wenn der Leistungszweck der einen gegenüber der anderen Verpflichtung nachrangig ist (…).

Soweit der Bauherrin einerseits gegen den Architekten ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der vertraglichen Objektbegehungspflicht zusteht und ihr andererseits Mängelansprüche gegen den Beklagten zu 2 wegen diesem zuzurechnender Mängel des Bauwerks zustehen, fehlt es mangels Gleichstufigkeit der Verpflichtungen an einer Tilgungsgemeinschaft. Der genannte Schadensersatzanspruch gegen den Architekten ist nicht vor Eintritt der Verjährung der gegen den Beklagten zu 2 gerichteten Mängelansprüche entstanden, weil der seitens der Bauherrin vom Architekten insoweit ersetzt verlangte Schaden nicht vor Eintritt der Verjährung der gegen den Beklagten zu 2 gerichteten Mängelansprüche eingetreten ist« (BGH s.o.).

 Siehe auch 

Allgemeine Geschäftsbedingungen

Gesamthandsgemeinschaft

Gesetzliches Schuldverhältnis

Schuldsicherungsarten aus Vertrag

BGH 09.06.2008 – II ZR 268/07 (Alleinhaftung im Innenverhältnis einer BGB-Gesellschaft)

BGH 10.05.2005 – VI ZR 366/03 (Gestörter Gesamtschuldnerausgleich und Haftungsfreistellung des Unternehmers)

BGH 24.06.2003 – VI ZR 434/01 (Haftungsfreistellung eines BGB-Gesellschafters)

Kniffka: Gesamtschuldnerausgleich im Baurecht; Baurecht – BauR 2005, Sonderheft 1, 274

Langen: Gesamtschuld der Planungs- und Baubeteiligten; Neue Zeitschrift für Baurecht – NZBau 2015, 2 und 71

Pfeiffer: Gesamtschuldnerausgleich und Verjährung; Neue Juristische Wochenschrift – NJW 2010, 23

Prütting/Wegen/Weinreich: BGB. Kommentar; 19. Auflage 2024

Scheffelt: Haftung für Rechtsverfolgungskosten bei der Gesamtschuld; Neue Juristische Wochenschrift – NJW 2018, 1510

Weise: Gesamtschuld und Verjährung; NJW-Spezial 2011, 108