EU-Führerscheine ab dem 19.1.2009: Hoffmann-Entscheidung des EuGH räumt mit falscher Rechtsanwendung auf

EU-Führerscheine ab dem 19.1.2009: Hoffmann-Entscheidung des EuGH räumt mit falscher Rechtsanwendung auf
03.06.20121400 Mal gelesen
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat Klartext gesprochen und deutschen Behörden und Gerichten zum wiederholten Male die falsche Anwendung des Europarechts in Stammbuch geschrieben. Zahlreiche Verurteilungen nach § 21 StVG erweisen sich als Unrecht.

Die überwiegende Mehrheit der deutschen Verwaltungsgerichte war bislang der Meinung, dass eine unter Geltung der 3. EU-Führerscheinrichtlinie nach einer Fahrerlaubnisentziehung im Ausland erteilte EU-Fahrerlaubnis schon aus sich heraus ungültig ist. Grund dafür sei die Formulierung des Art. 11 Abs. 4 Unterab. 2 der Richtlinie, die seit dem 19.1.2009 unmittelbar anwendbar ist. Dieser lautet wie folgt: "Ein Mitgliedsstaat lehnt die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ab, der von einem anderen Mitgliedstaat an eine Person ausgestellt wurde, deren Führerschein im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedsstaats eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen worden ist.".

Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts soll dies sogar unmittelbar zum Eintritt der Unwirksamkeit einer ausländischen Fahrerlaubnis führen, d.h. ohne, dass eine Verwaltungsbehörde zunächst die Unwirksamkeit feststellen muss. Entsprechend wurden auch zahlreiche Strafverfahren gegen die Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis wegen des Vorwurfs des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) eingeleitet, denen nach einer Entziehung im Inland nach dem 19.1.2009 im EU-Ausland eine neue Fahrerlaubnis erteilt worden war, sobald diese Menschen bei Führen eines Kfz in Deutschland auffielen.

Mit dieser restriktiven Verwaltungspraxis sollte nun Schluss sein! Denn der EuGH hat diese Rechtsanwendung für rechtswidrig erklärt und klargestellt:  Auch Führerscheine, die nach dem 19.1.2009 im Hoheitsgebiet eines anderen EU-Mitgliedsstaates neu erteilt  wurden, sind von dem Staat anzuerkennen, der dem Führerscheininhaber  zuvor dessen Fahrerlaubnis entzogen hatte. Einzige Voraussetzungen: Die Neuerteilung erfolgte außerhalb einer dem Inhaber auferlegten Sperrfrist und er hatte im Ausstellungszeitpunkt seinen ordentlichen Wohnsitz im Hoheitsgebiet des ausstellenden Mitgliedsstaates.

Der Gerichtshof beantwortete mit dieser sog. Hoffmann-Entscheidung eine Vorlagefrage des Bayerischen Verwaltungsgerichts. Hintergrund war die Klage eines Mannes (Hoffmann), der gegen die Aberkennungsverfügung des Landratsamtes betreffend seiner am 19.1.2009 in Tschechien erworbenen EU-Fahrerlaubnis geklagt hatte. Ihm war zuvor im Jahr 2007 die deutsche Fahrerlaubnis wegen Trunkenheit im Verkehr durch das Strafgericht entzogen und eine Sperrfrist bis August 2008 auferlegt worden. Das Verwaltungsgericht gab der Behörde mit der Begründung Recht, die 3. Führerscheinrichtlichtlinie, sehe eine strikte Ablehnung von EU-Fahrerlaubnissen vor, wenn deren Inhaber zuvor Adressat einer Negativmaßnahme gewesen ist.

Die Luxemburger Richter haben dieser strikten Rechtsprechungstendenz nunmehr in aller Deutlichkeit einen Riegel vorgeschoben und den deutschen Gerichten und Behörden  zum wiederholten Male attestiert, Europarecht in zahlreichen Fällen falsch angewandt zu haben: Nach seiner Auffassung gelten die zur 2. EG-Führerscheinrichtlinie (91/439/EWG) aufgestellten Grundsätze im zeitlichen Geltungsbereich der 3. Führerscheinrichtlinie (2006/126/EG) unverändert fort und sind somit auch für alle ab dem 19.01.2009 ausgestellten Führerscheine verbindlich. Die Veränderung im Wortlaut des Art. 11 Abs. 4 der Neuregelung gegenüber der Art. 8 Abs. 4 der Vorgängerregelung bedeutete keine weiterreichende Einschränkung des Anerkennungsgrundsatzes. Die dem Prinzip der Freizügigkeit dienende Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung würde unzulässig unterhöhlt, könnte ein Mitgliedsstaat dem früheren Inhaber einer von ihm einst erteilten Fahrerlaubnis unter Bezugnahme auf eine einstmalig  getroffene Maßnahme der Entziehung oder Aberkennung dauerhaft die Anerkennung einer später im EU-Ausland erworbenen Fahrerlaubnis verwehren.

Die Ausnahmen vom Anerkennungsgrundsatz seien weiterhin eng auszulegen. Die schon ergangene Rechtsprechung des EuGH in den Urteilten Wiedemann und Funk sowie Zerche u.a. gelte fort. Demnach darf ein EU-Mitgliedsstaat die Geltung einer ausländischer EU-Fahrerlaubnis zwar ablehnen, jedoch nur, wenn diese während des Laufs einer Sperrfrist erteilt wurde oder wenn sich aus dem Führerscheindokument selbst oder anderen unbestreitbaren Informationen aus dem Ausstellerstaat ergibt, dass der Inhaber bei Erteilung keinen ordentlich Wohnsitz im Ausstellerstaat hatte.

Fehlurteile der Strafgerichte treten hervor

Im Bereich des Strafrechts wird durch die klare Ansage aus Luxemburg auch deutlich, dass es durch die fehlerhafte Auslegung des EU-Rechts zu zahlreichen Fehlentscheidungen beim Vorwurf des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) gekommen ist. Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis, die nach dem aktuellen Urteil des EuGH, über eine in Deutschland gültige Fahrerlaubnis verfügten sind, teils bis hinauf in den Instanzenzug, wegen eines Vergehens nach § 21 StVG (sogar wegen Vorsatz!) kriminalisiert worden. Für die Opfer dieser juristischen Fehleinschätzungen ist der vom Gerichtshof nunmehr gesprochene Klartext allerdings nur ein schwacher Trost. Für sie bleibt für immer ein bitterer Beigeschmack. Denn sind ihre Strafverfahren einmal rechtskräftig beendet, bleibt wegen  der fehlenden Möglichkeit einer Wiederaufnahme ihres Verfahrens (keine Fallgruppe der §§ 359 ff. StPO), der Weg zu einer Rehabilitierung versperrt.

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Der Beitrag nimmt Bezug auf EuGH, Urteil vom 26.4.2012 - Rs. C-419/10 (Rechtssache Hoffmann)

Der Verfasser, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Christian Demuth ist auf die Verteidigung von Menschen in Verkehrsstraf- und Bußgeldverfahren spezialisiert. Weitere Informationen zum Thema unter www.cd-recht.de und www.straffrei-mobil.de .