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Durchgriffshaftung

 Normen 

Gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt.

 Information 

1. Einführung

Für Verbindlichkeiten einer GmbH haftet grundsätzlich nur das Gesellschaftsvermögen, § 13 Abs. 2 GmbHG. Im Falle der Liquidation wird die Gesellschaft aus dem Handelsregister gelöscht und die Schulden verfallen.

Dennoch hat die Rechtsprechung in der Vergangenheit eine persönliche Haftung der Gesellschafter einer GmbH anerkannt. Diese als Durchgriffshaftung bezeichnete Haftung kommt in Betracht, wenn es der Schutz des redlichen Geschäftsverkehrs verbietet, dass sich die im Hintergrund stehenden Gesellschafter auf den Einwand mangelnder Identität mit der GmbH berufen können.

Die Fälle der Durchgriffshaftung sind an der Einpersonen-GmbH entwickelt worden, ihre Anwendung ist jedoch nicht nur auf die Einpersonen-GmbH beschränkt. Die Voraussetzungen für eine Durchgriffshaftung können bei jeder juristischen Person jedweder Größe und mit jedweder Gesellschafterzahl gegeben sein.

Die auf die Gesellschafter zurückgreifende Durchgriffshaftung ist von der Haftung des GmbH-Geschäftsführers zu unterscheiden.

2. Voraussetzungen der Durchgriffshaftung

Für den Durchgriff auf die Gesellschafter gibt es keine generell gültigen Voraussetzungen. Vielmehr verwendet die Rechtsprechung fallbezogene Haftungstatbestände. Es bleibt der Grundsatz, dass über die Rechtsform der juristischen Person nicht leichtfertig und schrankenlos hinweggegangen werden darf (BGH 29.11.1956 - II ZR 156/55; BGH 22.10.1987 - VII ZR 12/87). Entscheidender Maßstab der Rechtsprechung für die Durchgriffshaftung ist dabei die Beurteilung des konkreten Sachverhalts nach den Grundsätzen von Treu und Glauben.

Folgende Haftungsinstitute sind herausgearbeitet worden:

  • Existenzvernichtender Eingriff

  • Vermögensmischung / Sphärenvermischung

  • Unterkapitalisierung

  • Missbrauch der Gesellschaftsform

Die Durchgriffhaftung wird allein dadurch ausgelöst, das ein Missbrauchstatbestand objektiv erfüllt wird, das Vorliegen einer Missbrauchs- bzw. Gläubigerbenachteiligungsabsicht ist nicht erforderlich.

3. Die einzelnen Haftungstatbestände

3.1 Existenzvernichtender Eingriff

Nach der erstmals im "Bremer Vulkan"-Urteil entwickelten Existenzvernichtungshaftung hat der Gesellschafter einer GmbH für die Gesellschaftsschulden persönlich einzustehen, wenn er auf die Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens keine Rücksicht nimmt und der Gesellschaft ohne angemessenen Ausgleich - offen oder verdeckt - Vermögenswerte entzieht, die sie zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten benötigt.

Denn die Respektierung der Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger während der Lebensdauer der GmbH ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Haftungsprivilegs des § 13 Abs. 2 GmbHG. Die Eingriffe stellen deshalb einen Missbrauch der Rechtsform der GmbH dar, der zum Verlust des Haftungsprivilegs führt (so u.a. BGH 17.09.2001 - II ZR 178/99 - Bremer Vulkan Urteil, BGH 24.06.2002 - II ZR 300/00).

Die Existenzvernichtungshaftung des Gesellschafters ist als Innenhaftung des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft eine gesonderte Fallgruppe der in § 826 BGB geregelten sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung (BGH 16.07.2007 - II ZR 3/04).

Mit der Entscheidung BGH 28.04.2008 - II ZR 264/06 hat der BGH den Anwendungsbereich dieser Rechtsprechung weiter eingegrenzt: Ein existenzvernichtender Eingriff ist danach nicht gegeben bei dem Unterlassen der Absicherung von Ansprüchen zur Erfüllung der Aufgaben der Gesellschaft. Dies ist nur als Unterkapitalisierung (s.u.) einzuordnen, deren Einordnung als besondere Fallgruppe der Existenzvernichtungshaftung nach der Ansicht der Richter systemwidrig ist.

Als Haftende kommen neben den unmittelbaren Gesellschaftern auch mittelbare Gesellschafter (Gesellschafter-Gesellschafter sowie Mittäter, Anstifter und Gehilfen in Betracht (BGH 21.02.2013 - IX ZR 52/10).

Abwenden kann der Gesellschafter die unbeschränkte Außenhaftung nur, wenn er nachweist, dass der Gesellschaft im Vergleich zu der Vermögenslage bei redlichem Verhalten nur ein begrenzter - und dann in diesem Umfang auszugleichender - Nachteil entstanden ist.

3.2 Vermögensmischung / Sphärenvermischung

Ferner liegt ein Fall der Durchgriffshaftung vor, wenn eine Vermögensmischung vorliegt. So haftet der Alleingesellschafter, wenn er sein Privat- mit dem Gesellschaftsvermögen mischt, insbesondere wenn eine mangelnde oder undurchsichtige Buchführung die Vermögenstrennung verschleiert. Entsprechend können auch Sphären von Gesellschaft und Alleingesellschafter organisatorisch so vermischt sein, dass die rechtliche Trennung von natürlicher und juristischer Person verdeckt wird. Darunter sind die Fälle zu fassen, in denen die betreffende Gesellschaft eine ähnliche Firma, den gleichen Sitz, die gleichen Geschäftsräume, den gleichen Telefonanschluss und gleiche Bedienstete hat, also die rechtliche Trennung zwischen der Gesellschaft und ihren Gesellschaftern nach außen überspielt wird. Gegenüber ihren Gläubigern können sich die Gesellschafter nicht auf ihr Eigentum an Gegenständen berufen, die sie selbst mal als zum Vermögen der Gesellschaft und mal als zum privaten Vermögen gehörend bezeichnen.

3.3 Unterkapitalisierung

Eine Haftung des GmbH-Gesellschafters wegen unzureichender Kapitalisierung der Gesellschaft - sei es in Form zu geringer Eigenkapitalausstattung (das Eigenkapital steht nicht in einem angemessenem Verhältnis zur Geschäftsart und zum Geschäftsumfang), sei es in Gestalt einer allgemeinen Mangelhaftigkeit der Vermögensausstattung im weitesten Sinne ist weder gesetzlich normiert noch durch richterrechtliche Rechtsfortbildung als gesellschaftsrechtlich fundiertes Haftungsinstitut anerkannt (BGH 28.04.2008 - II ZR 264/06, BAG 03.09.1998 - 8 AZR 189/97).

3.4 Missbrauch der Gesellschaftsform

Im Fall des Missbrauchs der Gesellschaftsform GmbH gründen Personen eine Gesellschaft, ohne selbst in Erscheinung treten zu wollen, um auf diese Weise unangefochten Geschäfte zu machen. Zwar üben die Gesellschafter die gesetzlichen Gestaltungsmöglichkeiten formal korrekt aus, also unter Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen und Grenzen, verfolgen jedoch mit dieser Verwendung entweder rechtswidrige Ziele oder schädigen andere Personen treuwidrig. Oftmals wird sich zu diesem Zweck sogenannter Strohmänner bedient, die für die Gründung der Gesellschaft lediglich ihren Namen hergeben, wirtschaftlich aber nicht oder nur sehr gering an der Gesellschaft beteiligt sind.

Beispiel:

Die Gesellschaft wird offensichtlich vorgeschoben, z.B. zum Empfang von Schmiergeldern, für die Auftragserteilung von Sanierungsarbeiten am Hausgrundstück eines Gesellschafters.

 Siehe auch 

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GmbH-Geschäftsführer

GmbH-Geschäftsführer - Haftung

Einmann-GmbH

LAG Mecklenburg-Vorpommern 28.10.2015 - 3 Sa 105/14 (Keine Durchgriffshaftung gegen die Geschäftsführer einer GmbH wegen fehlender bzw. unzureichender Insolvenzsicherung von Wertguthaben aus Altersteilzeitverträgen)

OLG Düsseldorf 26.10.2006 - I-6 U 248/05 (Durchgriffshaftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs)

Altmeppen: Abschied vom "Durchgriff" im Kapitalgesellschaftsrecht; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2007, 2657

Blöse: Unternehmenskrise: Durchgriffshaftung in der GmbH - Viele Mandanten unterschätzen die Gefahr; Betriebswirtschaftliche Mandantenbetreuung - BM 2006, 258

Drygala: Abschied vom qualifizierten faktischen Konzern- oder Konzernrecht für alle?; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2003, 729

Fan: Durchgriffshaftung gegen Gesellschafter wegen Unterkapitalisierung im chinesischen Gesellschaftsrecht; Recht der Internationalen Wirtschaft - RIW 2013, 515

Haas: Die Gesellschafterhaftung wegen 'Existenzvernichtung; Wertpapier-Mitteilungen - WM 2003, 1929

Heckschen/Heidinger: Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis; 3. Auflage 2014

Mehrbrey: Handbuch Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten; 1. Auflage 2013

Petrak: Durchgriffshaftung auf dem GmbH-Gesellschafter aufgrund Unterkapitalisierung? GmbH-Rundschau - GmbHR 2007, 1009

Porzelt: Die Außen- und Innenhaftung im Recht der GmbH; 1. Auflage 2013

Schwab: Die Durchgriffshaftung des GmbH-Gesellschafters bei Verjährung der ursprünglichen Gesellschaftsverbindlichkeit; GmbH-Rundschau - GmbHR 2012, 1213

Veil: Gesellschafterhaftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs und materieller Unterkapitalisierung; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2008, 3264