BGH-Beschluss zur Selbstanzeige: Nur Stpfl., die mit ihrer Selbstanzeige nach § 371 AO insgesamt „reinen Tisch“ machen gehen zukünftig straffrei aus.

Steuern und Steuerstrafrecht
10.06.20101400 Mal gelesen
Der 1. Strafsenat des BGH wirft die bisherige Auslegung des § 371 AO ohne Not und mit überaus zweifelhafter Auslegung der Norm über den Haufen. Nach Auffassung des BGH laut Beschluss vom 20.05.2010 haben Teilselbstanzeigen ab sofort keine strafbefreiende Wirkung mehr. Die daraus folgenden Praxisprobleme werden erheblich sein.
Sachverhalt
 

Der Bundesgerichtshof hat die Revision des Angeklagten verworfen und dabei zur Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung (§ 371 Abgabenordnung) die folgenden Ausführungen gemacht:

Mit der strafbefreienden Selbstanzeige besteht für einen Steuerhinterzieher aus fiskalischen Gründen die Möglichkeit nachträglich Straffreiheit zu erlangen, wenn er durch Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung von Angaben gegenüber dem Finanzamt dem Fiskus bislang verborgene Steuerquellen erschließt. Hinzukommen muss aber die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit.

Aus diesem Grund kann z.B. ein Steuerhinterzieher keine Straffreiheit erlangen, wenn er von mehreren bisher den Finanzbehörden verheimlichten Auslandskonten nur diejenigen offenbart, deren Aufdeckung er fürchtet; er muss hinsichtlich aller Konten "reinen Tisch" machen.

Bedeutung

Die Entscheidung ist von grundsätzlicher Bedeutung, weil sie die bisher in der Praxis vertretene Auffassung zur Auslegung des Wortes "insoweit" in § 371 AO auf den Kopf stellt. Bisher war allgemeine Auffassung, dass, jedenfalls für den nacherklärten Bereich Straffreiheit eintritt, wegen der Formulierung "insoweit". Bisher konnte der Strafrichter selbst entscheiden, wie er einen eventuell nicht erklärten Bereich in der Sanktion bewertet. Das war eine bundesweit gut erprobte Praxis, ohne die Wirksamkeit der Selbstanzeige "insoweit" in Zweifel zu ziehen.

Die jetzt vom BGH vorgelegte Entscheidung ist die zweite, nach der Strafmaßentscheidung vom 02.12.2008 - 1 StR 416/08, die außer Verunsicherung keinerlei Fortschritt in der Rechtsprechung zur Steuerhinterziehung gebracht hat. Wieder kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der 1. Strafsenat des BGH nach dem Zuständigkeitswechsel vom 5. Strafsenat eher politische Willensbildung betreibt, als Beiträge zur Fortentwicklung der Rechtsprechung zu leisten. Sollte sich diese Rechtsprechung bestätigen, folgen zahlreiche Abgrenzungsprobleme.

Offenbar ist dem 1. Strafsenat nicht klar, wie problematisch gerade im Bereich Kapitalerträge die Abgabe einer "richtigen" Selbstanzeige ist. Bei den allermeisten Bankbelegen sind selbst die Institute nicht in der Lage korrekte Zahlen zu liefern. Zukünftig wird damit das Erpressungspotential der Finanzverwaltung erheblich steigen, weil selbst kleinste Abweichungen dazu genutzt werden, den Stpfl. auf die Vollständigkeit hinzuweisen und damit die Wirksamkeit von Selbstanzeigen zu bezweifeln.

Da ohnehin bundesweit schon bei der Abgabe von Selbstanzeigen Strafverfahren eingeleitet werden, wird es zukünftig noch schwerer sein, diese trotz präzise ermittelter Beträge wieder eingestellt zu bekommen. Es ist außerordentlich bedauerlich, dass der 1. Strafsenat offensichtlich einer politischen Diskussion Vorschub leistet, indem er eine Auslegung des § 371 AO vornimmt, die nach Auslegung, Historie sowie Sinn und Zweck der Norm überaus zweifelhaft ist. (WB) http://www.weber-blank.de/BGH_1_StR_577_09_WB.pdf


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