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Bundessozialgericht
Beschl. v. 18.02.2015, Az.: B 5 R 421/14 B
Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren; Inhaltliche Anforderungen an eine Beschwerdebegründung
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 18.02.2015
Referenz: JurionRS 2015, 12608
Aktenzeichen: B 5 R 421/14 B
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Schleswig-Holstein - 24.03.2014 - AZ: L 7 R 81/13

SG Lübeck - AZ: S 13 R 873/07

BSG, 18.02.2015 - B 5 R 421/14 B

Redaktioneller Leitsatz:

1. Das allgemeine verfassungsrechtliche Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren beruht auf Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und auf Art. 19 Abs. 4 GG.

2. Danach darf sich das Gericht nicht widersprüchlich verhalten, darf aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile ableiten und ist allgemein zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet.

3. Im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde ist es aber keinesfalls Aufgabe des Beschwerdegerichts, aus der angefochtenen Entscheidung auf Basis allgemeiner Ausführungen des Beschwerdeführers das herauszufiltern, was sich möglicherweise als Verfahrensmangel darstellen könnte.

4. Vielmehr muss die Beschwerdebegründung den Senat in die Lage versetzen, sich ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein auf Grund des klägerischen Vortrags ein Bild über den Streitgegenstand sowie seine tatsächlichen und rechtlichen Streitpunkte zu machen.

in dem Rechtsstreit

Az: B 5 R 421/14 B

L 7 R 81/13 (Schleswig-Holsteinisches LSG)

S 13 R 873/07 (SG Lübeck)

....................................,

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigter: .........................................,

gegen

Deutsche Rentenversicherung Nord,

Ziegelstraße 150, 23556 Lübeck,

Beklagte und Beschwerdegegnerin.

Der 5. Senat des Bundessozialgerichts hat am 18. Februar 2015 durch den Vorsitzenden Richter Dr. B e r c h t o l d , die Richterin Dr. G ü n n i k e r und den Richter K a r m a n s k i

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 24. März 2014 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

Gründe

1

Mit Beschluss vom 24.3.2014 hat das Schleswig-Holsteinische LSG festgestellt, dass der Rechtsstreit L 7 R 4/11 durch Rücknahme der Berufung am 15.1.2013 beendet ist. Um das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Beschluss durchzuführen, hat der Kläger beim BSG beantragt, ihm Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu bewilligen. Diesen Antrag hat der Senat abgelehnt (Beschluss vom 7.7.2014 - B 5 R 18/14 BH). Auf die Gegenvorstellung des Klägers hat der Senat den vorbezeichneten Beschluss aufgehoben und ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 24.3.2014 ratenfrei PKH bewilligt sowie Rechtsanwalt H. W. aus L. beigeordnet (Beschluss vom 27.10.2014 - B 5 R 36/14 BH). Dieser hat für den Kläger Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. In der Beschwerdebegründung macht er einen Verfahrensmangel geltend.

2

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.

3

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),

- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

4

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht.

5

Das allgemeine verfassungsrechtliche Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren, dessen Verletzung der Kläger rügt, beruht auf Art 1 Abs 1, Art 2 Abs 1 iVm Art 20 Abs 3 GG und auf Art 19 Abs 4 GG (BVerfG Beschlüsse vom 8.10.1974 - 2 BvR 747/73 - BVerfGE 38, 105, 111, vom 26.5.1981 - 2 BvR 215/81 - BVerfGE 57, 250, 275, vom 26.4.1988 - 1 BvR 669/87 ua - NJW 1988, 2787, vom 14.10.2003 - 1 BvR 901/03 - NVwZ 2004, 334 sowie Nichtannahmebeschluss der 2. Kammer des 1. Senats vom 3.1.2001 - 1 BvR 2147/00 - NJW 2001, 1343 und Kammerbeschluss der 3. Kammer des 1. Senats vom 15.4.2004 - 1 BvR 622/98 - NJW 2004, 2149, 2150; Volland, MDR 2004, 377, 378) sowie auf Art 6 Abs 1 S 1 EMRK (BSG Beschluss vom 17.12.2010 - B 2 U 278/10 B - Juris RdNr 4). Danach darf sich das Gericht nicht widersprüchlich verhalten (BVerfG Beschluss vom 14.5.1985 - 1 BvR 370/84 - BVerfGE 69, 381, 387), darf aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile ableiten (BVerfG Beschlüsse vom 22.5.1979 - 1 BvR 1077/77 - BVerfGE 51, 188, 192, vom 9.2.1982 - 1 BvR 1379/80 - BVerfGE 60, 1, 6 und vom 14.4.1987 - 1 BvR 162/84 - BVerfGE 75, 183, 190) und ist allgemein zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet (BVerfG Beschlüsse vom 8.10.1974 - 2 BvR 747/73 - BVerfGE 38, 105, 111 ff, BVerfG Beschlüsse vom 10.6.1975 - 2 BvR 1074/74 - BVerfGE 40, 95, 98 f und vom 19.10.1977 - 2 BvR 462/77 - BVerfGE 46, 202, 210).

6

Soweit der Kläger rügt, ihm seien in der mündlichen Verhandlung "Verschuldenskosten angedroht" worden, "so dass er unter diesem Eindruck angesichts seiner desolaten finanziellen Verhältnisse die Berufungsrücknahme" erklärt habe, käme ein Verstoß gegen das allgemeine verfassungsrechtliche Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren nur dann in Betracht, wenn das LSG das Tatbestandsmerkmal der "Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung" (§ 192 Abs 1 S 1 Nr 2 SGG) willkürlich oder greifbar gesetzwidrig bejaht hätte. Dafür bestehen nach der Beschwerdebegründung keine Anhaltspunkte. Der Kläger versäumt es bereits, die Tatsachen detailliert anzugeben, die den Verfahrensmangel vermeintlich begründen könnten. Hierzu hätte er den gesamten Verfahrensgang, den Streitgegenstand sowie die Feststellungen des LSG genau schildern und nachvollziehbar darstellen müssen, warum die Annahme des Berufungsgerichts, die Fortführung des Rechtsstreits sei missbräuchlich, nicht nur unzutreffend, sondern willkürlich oder greifbar gesetzwidrig sein könnte. Zeigt das Beschwerdevorbringen aber weder den Verfahrensverlauf noch den Sach- und Streitstand nachvollziehbar auf, so bleibt unklar, auf welcher tatsächlichen Grundlage und in welcher prozessualen Situation Verschuldenskosten angedroht worden sind. Im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde ist es aber keinesfalls Aufgabe des Beschwerdegerichts, aus der angefochtenen Entscheidung auf Basis allgemeiner Ausführungen des Beschwerdeführers das herauszufiltern, was sich möglicherweise als Verfahrensmangel darstellen könnte (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14). Vielmehr muss die Beschwerdebegründung den Senat in die Lage versetzen, sich ohne Studium der Gerichts- und Verwaltungsakten allein auf Grund des klägerischen Vortrags ein Bild über den Streitgegenstand sowie seine tatsächlichen und rechtlichen Streitpunkte zu machen (stRspr, zB BSG Beschluss vom 26.6.2006 - B 13 R 153/06 B - Juris RdNr 9 mwN). Daran fehlt es.

7

Auch wenn der Kläger mit dem Hinweis, er sei bei Abgabe der Zurücknahmeerklärung im Verhandlungstermin am 15.1.2013 "gesundheitlich beeinträchtigt" gewesen, geltend machen sollte, er sei wegen einer vorübergehenden Störung seiner Geistestätigkeit (§ 105 Abs 2 BGB) temporär prozessunfähig gewesen (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 11. Aufl 2014, § 156 RdNr 2) und habe keine Prozesshandlungen vornehmen können, würde dies nicht zur Nichtigkeit der Berufungszurücknahmeerklärung führen. Denn nach dem Repräsentationsprinzip des § 85 Abs 1 S 1 ZPO iVm § 73 Abs 6 S 7 SGG kommt es für die Wirksamkeit der Vornahme einer derartigen Prozesshandlung allein auf die Person des Bevollmächtigen und nicht auf die des Vertretenen an (vgl nur Toussaint in Münchener Kommentar zur ZPO, 4. Aufl 2013, § 85 RdNr 3); die Prozessvollmacht wird nicht dadurch aufgehoben, dass in der Prozessfähigkeit des Vollmachtgebers Veränderungen eintreten (§ 86 Halbs 1 ZPO iVm § 73 Abs 6 S 7 SGG). Die Zurücknahme der Berufung hat aber nicht der Kläger, sondern sein Prozessbevollmächtigter erklärt, an dessen Prozessfähigkeit keine Zweifel bestehen.

8

Mit seinem weiteren Vorbringen zur Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente rügt der Kläger die Richtigkeit des Berufungsbeschlusses. Auf die vermeintliche Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung kann die Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nach § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG nicht gestützt werden.

9

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

10

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

Dr. Berchtold
Dr. Günniker
Karmanski

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