Rechtswörterbuch

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Außenbereich

 Normen 

§ 35 BauGB

 Information 

1. Einführung

Als Außenbereich werden im Baurecht Gebiete bezeichnet, die außerhalb des Geltungsbereiches eines Bebauungsplanes, eines Vorhaben- und Erschließungsplanes und außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile liegen.

Der Außenbereich soll grundsätzlich von Bebauung frei gehalten werden. Eine Bebauung ist ggf. nur bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen möglich. Dabei wird unterschieden zwischen

2. Privilegierte Vorhaben

2.1 Allgemein

Voraussetzungen eines privilegierten Vorhabens sind gemäß § 35 Abs. 1 BauGB, dass

  • keine öffentlichen Belange entgegenstehen,

    Der die Vorhaben einschränkende unbestimmte Rechtsbegriff der öffentlichen Belange wird in § 35 Abs. 3 BauGB durch die Aufzählung von Beispielen näher erläutert, so sind es u.a.:

    • Bei einem Widerspruch zu den Darstellungen eines Flächennutzungsplans muss eine konkrete Abwägung der widerstreitenden Interessen erfolgen.

    • Der Begriff der "schädlichen Umwelteinwirkungen" orientiert sich an § 3 BImSchG.

    • Die unwirtschaftlichen Aufwendungen des öffentlichen Trägers müssen außer Verhältnis zu dem durch das Vorhaben erzielbaren Nutzen stehen.

    • Die Auslegung der Begriffe "Naturschutz bzw. Landschaftsschutz" hat sich ebenfalls an den Naturschutz- bzw. Landschaftsschutzgesetzen zu orientieren.

      Artenschutzrechtliche Verbote i.S.d. § 44 BNatSchG sind nach der Entscheidung BVerwG 27.06.2013 - 4 C 1/12 zugleich Belange des Naturschutzes, die einem privilegierten Außenbereichsvorhaben bauplanungsrechtlich nicht entgegenstehen dürfen.

  • eine ausreichende Erschließung gesichert ist

    und

  • es sich um eines der in § 35 Abs. 1 BauGB genannten Vorhaben handelt.

2.2 Einzelne privilegierte Vorhaben

2.2.1 Landwirtschaftlicher Betrieb

Die gesetzlichen Anforderungen an das in § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB genannte privilegierte Vorhaben des landwirtschaftlichen Betriebes sind in § 201 BauGB aufgeführt. Danach fallen darunter der Ackerbau, die Wiesen- und Weidewirtschaft einschließlich der Tierhaltung (z.B. Pensionspferde), soweit das Futter auf dem Betrieb erzeugt werden kann, der Obstanbau, der Weinbau sowie die berufsmäßige Imkerei und Binnenfischerei.

Nach der Rechtsprechung ist ein landwirtschaftlicher Betrieb dadurch gekennzeichnet, dass eine spezifisch betriebliche Organisation besteht, dass er Nachhaltigkeit der Bewirtschaftung erfordert und dass es sich um ein auf Dauer gedachtes und auf Dauer lebensfähiges Unternehmen handeln muss (BVerwG 11.10.2012 - 4 C 9/11). Das Gebäude muss dem landwirtschaftlichen Betrieb dienen, was sich insbesondere durch die Größe des Betriebes im Verhältnis zum Gebäude auszeichnet.

Bei einer Nutzungsänderung besteht für derartige Gebäude eine Privilegierung.

2.2.2 Gartenbau

Das privilegierte Vorhaben eines Gartenbaubetriebes nach § 35 Abs. 1 Nr. 2 BauGB erfordert nicht eine bestimmte Größe des Betriebes.

2.2.3 Öffentliche Versorgung

Anlagen der öffentlichen Versorgung gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 3 BauGB sind nur solche Anlagen, die der Versorgung der Allgemeinheit dienen. Die individuelle Versorgung mit Strom, Wasser etc. wird von der Privilegierung nicht erfasst.

2.2.4 Besonderen Anforderungen an die Umgebung / nachteilige Wirkung auf die Umgebung / besondere Zweckbestimmung

Bei den in § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB genannten Privilegien handelt es sich um bauliche Anlagen, die wegen ihrer Besonderheiten nicht im Innenbereich errichtet werden können. Zu beachten ist, dass der Wortlaut der Vorschrift den Begriff "soll" verwendet, d.h. nicht jedes Vorhaben ist zwingend privilegiert.

Das Bundesverwaltungsgericht führt dazu aus (BVerwG 12.04.2011 - 4 B 6/11): "§ 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB unterscheidet sich von den übrigen Privilegierungstatbeständen insofern, als die Regelung, ohne den Gegenstand bzw. die Funktion des Vorhabens oder die durch das Vorhaben geförderte Betätigung zu umschreiben, allein darauf abstellt, ob nach Lage der Dinge die Verwirklichung im Außenbereich geboten ist. Diese bloß formale Ausrichtung führt zu einer tatbestandlichen Weite, die durch erhöhte Anforderungen an die übrigen Privilegierungsvoraussetzungen ausgeglichen werden muss, da sich nur so die Gefahr abwenden lässt, dass das gesetzgeberische Ziel, den Außenbereich vor einer unangemessenen Inanspruchnahme zu schützen, verfehlt wird (...). Im Hinblick darauf ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass ein Rechtfertigungsgrund für eine Privilegierung dann nicht gegeben ist, wenn das Vorhaben vornehmlich dazu dient, individuelle Bedürfnisse zu befriedigen. Die Verfolgung individueller Interessen schließt eine Privilegierung freilich nicht aus, wenn die Verwirklichung des Vorhabens zugleich auch im überwiegenden allgemeinen Interesse liegt. (...) Ein öffentliches Interesse lässt sich nicht schon mit dem Umstand begründen, dass die zu errichtende Anlage jedermann gegen entsprechende Bezahlung zugänglich sein soll."

Mit  § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB wird die grundsätzliche Privilegierung von Tierhaltungsbetrieben im Außenbereich für diejenigen Betriebe ausgeschlossen, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterliegen. Hintergrund ist, dass Tierhaltungsbetriebe im Außenbereich auch als Großanlagen errichtet werden, die wiederum nicht landwirtschaftlich, sondern gewerblich bzw. industriell betrieben werden. Die Anzahl der errichteten und beantragten Betriebe hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Die Privilegierung soll für solche Tierhaltungsbetriebe begrenzt werden.

Jagdhütten können nach dem Urteil BVerwG 09.09.2004 - 4 B 58/04 gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegiert sein ("Vorhaben, die einer besonderen Zweckbestimmung vorbehalten sind"), wenn ohne sie die auch den Interessen der Allgemeinheit dienende Jagdausübung nicht möglich ist.

2.2.5 Windenergie

Gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB gehören auch Vorhaben, die der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Wind- oder Wasserenergie dienen zu den priviligierten Vorgaben.

Von dieser Privilegierung erfasst sind seit dem 01.01.2013 auch die Windenergie ergänzende Vorhaben zur Herstellung oder Speicherung von Wasserstoff:

Hintergrund ist Folgendes:

Insbesondere bei hohem Windaufkommen können bei Windenergieanlagen aus technischen Gründen Netzengpässe auftreten, die es erforderlich machen, die Anlagen für einen begrenzten Zeitraum abzuregeln (sog. Einspeisemanagement). Die Anlagen können dann für eine gewisse Zeit keinen Strom erzeugen bzw. der erzeugte Strom kann nicht in das Energienetz eingespeist werden. Eine in der Nähe der Windenergieanlagen befindliche, mittels einer Direktleitung mit diesen Windenergieanlagen verbundene Anlage zur Herstellung von Wasserstoff kann in diesen Fällen eine Abregelung verhindern, indem sie den nicht dem Energienetz zugeführten Strom zur Herstellung des Energieträgers Wasserstoff insbesondere durch Elektrolyse verwendet, somit speichert und nutzbar macht.

Der neue § 249a BauGB soll klarstellen, dass zu Windenergieanlagen hinzutretende Nebenanlagen zur Herstellung oder Speicherung von Wasserstoff jedenfalls unter den dort genannten Voraussetzungen privilegiert sind. Sie können als Vorhaben gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB angesehen werden. Wird von der Sonderregelung Gebrauch gemacht, so gelten alle Zulässigkeitsvoraussetzungen, die sich auf Windenergieanlagen im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB beziehen, auch für die in § 249a BauGB geregelten Anlagen. Voraussetzung ist insbesondere, dass öffentliche Belange einer Anlage nicht entgegenstehen dürfen und dass die Erschließung gesichert sein muss.

Von der Privilegierung im Sinne dieser Sondervorschrift umfasst sind alle Anlagenteile, die der Herstellung oder Speicherung von Wasserstoff dienen. Dies ist der Fall, wenn sie für diese Funktion erforderlich oder zumindest förderlich sind.

Hinweis:

Zu weiteren Voraussetzungen siehe die Gesetzesbegründung BT-Drs. 20/4227.

2.2.6 Solaranlagen / Photovoltaikanlagen

Anlagen zur Nutzung solarer Strahlungsenergie an oder auf Gebäuden (Solarthermieanlagen und Photovoltaikanlagen) gehören zu den im Außenbereich privilegierten Vorhaben. Die entsprechende Regelung ist in § 35 Abs. 1 Nr. 8 BauGB eingefügt. Nicht gefordert ist eine funktionelle Unterordnung. Die Privilegierung setzt voraus, dass die Anlagen dem Gebäude baulich, d.h. räumlich-gegenständlich, untergeordnet sind. Nicht erfasst sind nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/6076) z.B. Anlagen, deren Fläche über die Dachfläche bzw. die Wandfläche des Gebäudes hinausgeht.

Soweit die Gebäude zurückzubauen sind, entfällt gegebenenfalls auch die Privilegierung für Solaranlagen.

Die Privilegierung gilt unabhängig davon, ob die erzeugte Energie selbst verbraucht oder vollständig oder überwiegend in ein öffentliches Netz eingespeist wird.

Andere Anlagen zur Nutzung solarer Strahlungsenergie können ggf. unter den Voraussetzungen des § 35 Abs. 2 BauGB planungsrechtlich zulässig sein.

3. Sonstige Vorhaben

Voraussetzungen eines sonstigen Vorhabens, wie z.B. Wochenendhäuser und die meisten Wohnhäuser, sind gemäß § 35 Abs. 2 BauGB, dass

  • die (vollständige) Erschließung gesichert ist

    und

  • ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt.

Anders als der Wortlaut der Vorschrift vermuten lassen ("können zugelassen werden") unterliegen sonstige Vorhaben nicht dem Ermessen der Behörde. Bei Vorliegen der Voraussetzungen besteht ein Rechtsanspruch auf die Baugenehmigung.

Bei den in § 35 Abs. 4 BauGB aufgezählten sonstigen Vorhaben wird bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen vermutet, dass das Vorhaben öffentliche Belange nicht beeinträchtigt.

 Siehe auch 

Windenergieanlage

Flächennutzungsplan

Innenbereich

Nutzungsänderung - Privilegierung im Außenbereich

BVerwG 09.03.2011 - 4 B 46/10 (Ortsgebundenheit)

BVerwG 09.11.2005 - 4 B 67/05 (Anforderungen an Bebauungszusammenhang)

BVerwG 09.09.2004 - 4 B 58/04 (Haltung von nur zwei Pferden als Liebhaberei berechtigt nur Privilegierung)

BVerwG 16.12.2004 - 4 C 7/04 (Abgrenzung landwirtschaftlicher Nebenerwerbsbetrieb von Altersliebhaberei

BVerwG 19.02.2004 - 4 C 4/03 (Neubau eines Wohnhauses als Ersatz für das sanierungsbedürftige - Bestandsschutz)

BVerwG 15.05.1997 - 4 C 23/95 (Beeinträchtigung des Landschaftsbildes)

OVG Niedersachsen 22.08.2011, 1 LA 4/11 (Anforderungen an die Darlegung eines Betriebskonzepts für einen behaupteten landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb mit Pensionspferden)

Berwanger: § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB: Biogasanlagen im Außenbereich und gesellschaftsrechtliche Beteiligung des privilegierten Landwirts; Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - NVwZ 2013, 116

Hall: Ein stetig wachsendes Problem: Gedanken zur Intensivtierhaltung im Außenbereich; Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - NVwZ 2011, 730

Hoppe: Zur planakzessorischen Zulassung von Außenbereichsvorhaben durch Raumordnungs- und durch Flächennutzungspläne, DVBl 2003, 1345 - 1355

Krist: Private Freizeitanlagen im Außenbereich; BauR 2004, 1238 und 1413

Kuffer/Wirth: Handbuch des Fachanwalts Bau- und Architektenrecht; 7. Auflage 2023

Schiwy: Baugesetzbuch. Kommentar; Loseblattwerk

Schmidt-Eichstaedt: Dorf bleibt Dorf. Zur Novellierungsbedürftigkeit des § 5 BauNVO und zum Schutz des Außenbereichs vor einem Übermaß an industrieller Tierproduktion; Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht - ZfBR 2011, 323

Stollmann: Bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Vorhaben nach § 35 BauGB; Juristische Schulung - JuS 2003, 855 - 860