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Bundesverfassungsgericht
Beschl. v. 02.05.2018, Az.: 1 BvR 2420/15
Gericht: BVerfG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 02.05.2018
Referenz: JurionRS 2018, 23518
Aktenzeichen: 1 BvR 2420/15
ECLI: ECLI:DE:BVerfG:2018:rk20180502.1bvr242015

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Bayern - 16.12.2014 - AZ: L 18 U 364/12 ZVW

BSG - 30.06.2015 - AZ: B 2 U 66/15 B

Fundstellen:

BauSV 2018, 75

FA 2018, 254

IBR 2018, 716

NJW 2018, 2950

NZS 2018, 859-860

BVerfG, 02.05.2018 - 1 BvR 2420/15

In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn S...,
- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Frithjof Beier,
Hauptstraße 26, 63834 Sulzbach (Taunus) -
gegen a) den Beschluss des Bundessozialgerichts vom 10. August 2015 - B 2 U 20/15 C -,
b) den Beschluss des Bundessozialgerichts vom 30. Juni 2015 - B 2 U 66/ 15 B -,
c) das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16. Dezember 2014 - L 18 U 364/12 ZVW -
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Kirchhof,
die Richterin Ott
und den Richter Christ
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 2. Mai 2018 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Feststellung einer Berufskrankheit nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung, wobei der Beschwerdeführer namentlich Verletzungen des Rechts auf rechtliches Gehör geltend macht, weil das Landessozialgericht mehreren Beweisanträgen nicht entsprochen und das Bundessozialgericht dies nicht korrigiert habe.

2

Annahmegründe im Sinne des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist jedenfalls deshalb unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechend substantiiert und schlüssig die Möglichkeit einer Verletzung des Beschwerdeführers in Grund- oder grundrechtsgleichen Rechten aufzeigt.

3

Im Ausgangspunkt zutreffend macht der Beschwerdeführer geltend, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör grundsätzlich auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger umfasst (vgl. hierzu und zum Folgenden: BVerfGK 20, 218 <224 f.>; 20, 319 <319 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998 - 1 BvR 909/94 -, NJW 1998, S. 2273 <2273 f.>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012 - 1 BvR 2728/10 -, NJW 2012, S. 1346 <1347>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 24. August 2015 - 2 BvR 2915/14 -, FamRZ 2015, S. 2042 <2043>). Nach § 402 in Verbindung mit § 397 Abs. 1 ZPO, die im Verfahren vor dem Landessozialgericht über § 118 Abs. 1 und § 153 Abs. 1 SGG gelten, sind die Beteiligten berechtigt, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für dienlich erachten. Der Bundesgerichtshof und ebenso das Bundessozialgericht haben daraus in ständiger Rechtsprechung die Pflicht der Gerichte abgeleitet, dem Antrag eines Beteiligten auf mündliche Befragung gerichtlicher Sachverständiger stattzugeben (vgl. hierzu und zum Folgenden neben dem im hiesigen Verfahren ergangenen Beschluss des BSG vom 24. Juli 2012 - B 2 U 100/12 B -, SozR 4-1500 § 160 Nr. 24 die Urteile des BGH vom 10. Juli 1952 - IV ZR 15/52 -, BGHZ 6, 398 <400 f.> und vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96 -, NJW 1997, S. 802 <802 f.>). Auf die Frage, ob das Gericht selbst das Sachverständigengutachten für erklärungsbedürftig hält, komme es nicht an. Es gehöre zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, dass die Beteiligten den Sachverständigen Fragen stellen, ihnen Bedenken vortragen und sie um eine nähere Erläuterung von Zweifelspunkten bitten könnten (vgl. BGH, Urteil vom 21. Oktober 1986 - VI ZR 15/85 -, juris, Rn. 11). Ein Antrag auf Anhörung des Sachverständigen könne allerdings abgelehnt werden, wenn er verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt werde (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 1961 - V ZR 46/60 -, BGHZ 35, 370 <371>; BSG, Beschluss vom 26. Mai 2015 - B 13 R 13/15 B -, juris, Rn. 9; vgl. zudem - auch zur Rechtsprechung der übrigen obersten Bundesgerichte - BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998 - 1 BvR 909/94 -, NJW 1998, S. 2273 <2273 f.>).

4

Beachtet ein Gericht diese verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht, so liegt darin jedenfalls dann ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es einen Antrag auf Erläuterung eines Sachverständigengutachtens völlig übergeht oder ihm allein deshalb nicht nachkommt, weil das Gutachten ihm überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint; dagegen verlangt Art. 103 Abs. 1 GG nicht, einem rechtzeitigen und nicht missbräuchlichen Antrag auf Anhörung der Sachverständigen ausnahmslos Folge zu leisten: Die mündliche Anhörung eines Sachverständigen ist zwar die nächstliegende, aber nicht die einzig mögliche Behandlung eines derartigen Antrags (vgl. BVerfGK 20, 218 <225>; 20, 319 <319 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. Februar 1998 - 1 BvR 909/94 -, NJW 1998, S. 2273 <2274>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 17. Januar 2012 - 1 BvR 2728/10 -, NJW 2012, S. 1346 <1347>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 24. August 2015 - 2 BvR 2915/14 -, FamRZ 2015, S. 2042 <2043>).

5

Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Fachgerichte die Beteiligten vorrangig darauf verweisen, Fragen und Einwendungen schriftlich vorzutragen, um Sachverständige oder sachverständige Zeugen damit zu konfrontieren; die gegebenenfalls anschließende mündliche Befragung kann möglicherweise aber dann geboten sein, wenn sie sich nicht absehbar in der Wiederholung schriftlicher Äußerungen erschöpft, sondern darüber hinaus einen Mehrwert hat. Auch in diesem Fall ist es verfassungsrechtlich jedoch unbedenklich, wenn die Fachgerichte an die Beantragung mündlicher Sachverständigenbefragungen nicht weniger Anforderungen stellen als an eine schriftliche Befragung, die die Benennung konkreter Fragen und Einwendungen voraussetzt (vgl. BVerfGK 20, 319 <320>).

6

Der Beschwerdeführer hat sich mit diesen Grundsätzen nicht ausreichend befasst. Insbesondere beachtet er weder die sich aus dieser Rechtsprechung ergebenden Grenzen für das (mündliche) Befragungsrecht noch die darin angelegten Differenzierungen zwischen dem Fachrecht und dem Verfassungsrecht. Vielmehr scheint er davon auszugehen, dass ein Fachgericht von Verfassungs wegen einem Antrag, einem Sachverständigen (immer weitere) Fragen zu unterbreiten (und ihn zu deren Beantwortung mündlich anzuhören), in jedem Falle nachkommen müsse. Über diese eher grundsätzlichen Erwägungen hinaus ist auch im Einzelnen die Begründung eines möglichen Verfassungsverstoßes anhand der dargestellten Grundsätze nicht ausreichend ausgeführt.

7

Zudem hätte sich der Beschwerdeführer mit der Frage einer möglichen Verspätung der Beweisanträge auseinandersetzen müssen: Nachdem in der Zeit zwischen der Formulierung der Fragen und der mündlichen Verhandlung weitere Ermittlungen erfolgt waren, musste es sich dem Gericht, soweit sich dies anhand der Darlegungen des Beschwerdeführers beurteilen lässt, nicht aufdrängen, dass sich nach seiner Auffassung die zuvor, zu einem erheblichen Teil sogar vor der zwischenzeitlichen Zurückverweisung der Rechtssache vom Bundessozialgericht an das Landessozialgericht aufgeworfenen Fragen weiter stellten. Dennoch kam der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer erst am Tag der mündlichen Verhandlung wieder auf diese zurück, so dass die Ladung der Sachverständigen nicht mehr möglich war und die mündliche Verhandlung also hätte verschoben oder vertagt werden müssen (vgl. zu diesem regelmäßig maßgeblichen Gesichtspunkt für die Annahme einer Verspätung, gegen den aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts zu erinnern ist: BSG, Beschluss vom 28. September 2015 - B 9 SB 41/15 B -, juris, Rn. 12), so dass eine Verspätung der Anträge so nahe lag, dass der Beschwerdeführer sich hiermit hätte befassen müssen, obwohl das Landessozialgericht seine Entscheidung hierauf nicht gestützt hat.

8

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

9

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Kirchhof

Ott

Christ

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