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Bundesverfassungsgericht
Beschl. v. 16.06.2016, Az.: 1 BvR 1707/15
Verfassungsbeschwerde gegen § 4a Tarifvertragsgesetz (TVG); Vereinbarkeit des § 4a TVG mit der kollektiven Koalitionsfreiheit
Gericht: BVerfG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 16.06.2016
Referenz: JurionRS 2016, 19803
Aktenzeichen: 1 BvR 1707/15
ECLI: ECLI:DE:BVerfG:2016:rk20160616.1bvr170715

Fundstellen:

ArbRB 2016, 232-233

DVBl 2016, 4 (Pressemitteilung)

FA 2016, 265

NVwZ 2016, 8 (Pressemitteilung)

NZA 2016, 6

NZG 2016, 5

BVerfG, 16.06.2016 - 1 BvR 1707/15

In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
der D... e.V.,
- Bevollmächtigte: Rechtsanwältin Gisela Thoms,
Aufderbech 7, 42699 Solingen -
gegen § 4a Tarifvertragsgesetz (TVG) in der Fassung vom 3. Juli 2015 (BGBl I S. 1130)
hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Kirchhof,
den Richter Masing
und die Richterin Baer
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 16. Juni 2016
einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen § 4a TVG in der Fassung des Gesetzes zur Tarifeinheit (Tarifeinheitsgesetz) vom 3. Juli 2015 (BGBl I, S. 1130).

2

Die Beschwerdeführerin ist eine im Jahr 2011 gegründete Koalition, die aktuell überwiegend Beamtinnen und Beamte sowie daneben Tarifangestellte organisiert. Sie war bislang noch nicht am Abschluss eines Tarifvertrags beteiligt, befinde sich aber in Tarifverhandlungen. Sie wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen § 4a TVG.

3

Die Verfassungsbeschwerde sei zulässig. Insbesondere sei die Beschwerdeführerin beschwerdebefugt. Auch wenn sie bislang noch keinen Tarifvertrag habe abschließen können, wirke sich § 4a TVG zu ihrem Nachteil aus, weil faktisch keine Koalitionsfreiheit mehr bestehe. Die Verfassungsbeschwerde sei auch begründet, da § 4a TVG gegen die kollektive Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG verstoße. Ein Eingriff liege darin, dass Koalitionen und deren Mitgliedern die erkämpften Rechte mit der Folge der Tariflosigkeit entzogen würden. Es komme zu einem Verdrängungsprozess, der kleine Gewerkschaften wie die Beschwerdeführerin massiv beeinträchtigen würde. Dies sei verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen.

II.

4

Die Verfassungsbeschwerde wurde mit weiteren gegen das Tarifeinheitsgesetz gerichteten Verfassungsbeschwerden dem Bundestag, dem Bundesrat, dem Bundeskanzleramt, dem Bundeministerium des Innern, dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, allen Landesregierungen, dem Bundesarbeitsgericht, dem Deutschen Gewerkschaftsbund, der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, dem Verband angestellter Akademiker und leitender Angestellter der chemischen Industrie, der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände, dem Bundesverband Deutscher Privatkliniken, dem Arbeitgeberverband Luftverkehr, der Deutschen Bahn beziehungsweise dem Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister, dem Arbeitgeberverband Deutscher Eisenbahnen, dem Bund der Richterinnen und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit, der Bundesrechtsanwaltskammer, dem Deutschen Anwaltverein, der Bundesnotarkammer, dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und dem Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut zugestellt.

III.

5

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG), weil sie unzulässig ist. Sie entspricht nicht den Anforderungen an eine hinreichend substantiierte Begründung im Sinne der § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1, § 92 BVerfGG.

6

1. Nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG muss sich die Verfassungsbeschwerde mit dem zugrunde liegenden einfachen Recht sowie mit der verfassungsrechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts auseinandersetzen und hinreichend substantiiert darlegen, dass eine Grundrechtsverletzung möglich erscheint. Beschwerdeführende müssen darlegen, mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidiert (vgl. BVerfGE 99, 84 [BVerfG 29.09.1998 - 2 BvR 1790/94] <87>; 108, 370 <386 f.>; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 10. November 2015 - 1 BvR 2056/12 -, www.bverfg.de, Rn. 9). Zur Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde gehört auch, dass Beschwerdeführende ihre gegenwärtige und unmittelbare Betroffenheit ausreichend substantiieren (vgl. BVerfGE 79, 1 [BVerfG 11.10.1988 - 1 BvR 777/85] <15>; 123, 267 <329>). Wird die Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz erhoben, so müssen die Tatsachen, aus denen sich die Betroffenheit der Beschwerdeführenden ergibt, im Verfassungsbeschwerdeverfahren hinreichend belegt werden. Die bloße Behauptung oder Versicherung der Beschwerdeführenden reicht dazu nicht aus (vgl. BVerfGE 83, 162 [BVerfG 11.12.1990 - 1 BvR 1170/90] <169 f.>; siehe auch als Frage der Begründetheit in BVerfGE 84, 90 <116>; 85, 117 <120>).

7

Gegenwärtig betroffen ist, auf wessen Rechtsstellung die angegriffene Vorschrift aktuell und nicht nur virtuell einwirkt, wen das Gesetz mit Blick auf seine künftig eintretenden Wirkungen zu später nicht mehr korrigierbaren Entscheidungen zwingt oder wenn klar abzusehen ist, dass derartige Wirkungen zukünftig eintreten werden (vgl. BVerfGE 102, 197 [BVerfG 19.07.2000 - 1 BvR 539/96] <207>; 110, 141 <151 f.>; 114, 258 <277>). Dann kann es ausreichen, wenn der Wille und die Fähigkeit vorliegen, gerade die Rechtspositionen künftig in Anspruch zu nehmen, auf die sich die Rüge bezieht (vgl. BVerfGE 108, 370 [BVerfG 07.10.2003 - 1 BvR 1712/01] <385>), die mit dem angegriffenen Gesetz eingeschränkt werden. Allein die vage Aussicht, irgendwann einmal in Zukunft von der Regelung betroffen sein zu können, genügt hingegen nicht (vgl. BVerfGE 1, 97 [BVerfG 19.12.1951 - 1 BvR. 220/51] <102>; 43, 291 <385 f.>; 60, 360 <371>; 74, 297 <319>; 114, 258 <277>).

8

2. Danach ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Die Beschwerdeführerin legt nicht ausreichend dar, von der angegriffenen Norm gegenwärtig oder klar absehbar künftig betroffen zu sein. Mangels substantiierter Ausführungen zu ihrer Tariffähigkeit (zu den Voraussetzungen BAG, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 1 ABR 88/09 -, , Rn. 28 ff.) ist nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin derzeit oder in naher Zukunft von der Kollisionsregel des § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG erfasst wird, weil von ihr wirksam abgeschlossene Tarifverträge verdrängt werden könnten. Dass das Tarifeinheitsgesetz für sie unabhängig von ihrer Tariffähigkeit Auswirkungen zeitige, ist nicht erkennbar. Allgemeine Ausführungen zu eventuellen Verhaltensweisen potentieller Mitglieder genügen insoweit nicht.

9

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

10

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Kirchhof

Masing

Baer

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