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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 27.04.2010, Az.: VIII ZB 91/09
Nachholung einer Prüfung der Voraussetzungen für die Zulassung zur Berufung durch das Berufungsgericht; Nichtzulassung zur Berufung aufgrund eines auf über 600 Euro festgesetzten Streitwertes als zu einer Prüfung der Voraussetzung durch das diesen Wert nicht für gegeben erachtenden Berufungsgericht führend
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 27.04.2010
Referenz: JurionRS 2010, 16545
Aktenzeichen: VIII ZB 91/09
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Dortmund - 10.06.2009 - AZ: 8 O 272/07

OLG Hamm - 16.10.2009 - AZ: 19 U 96/09

Fundstellen:

AGS 2010, 518-519

AnwBl 2010, 194

FamRZ 2010, 1248

Info M 2010, 301

MDR 2010, 886

NJW 2010, 10 "Zulassung der Berufung bei unterschiedlicher Bewertung der Beschwer"

NJW-RR 2010, 1582

NJW-Spezial 2010, 507

PA 2010, 163

WuM 2010, 437-438

ZAP EN-Nr. 447/2010

ZAP EN-Nr. 0/2010

BGH, 27.04.2010 - VIII ZB 91/09

Amtlicher Leitsatz:

Hat das erstinstanzliche Gericht keine Veranlassung gesehen, die Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 ZPO zuzulassen, weil es den Streitwert auf über 600 € festge-setzt hat, und hält das Berufungsgericht diesen Wert für nicht erreicht, muss das Be-rufungsgericht die Entscheidung darüber nachholen, ob die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO erfüllt sind (Bestätigung der Senatsrechtsprechung, Urteil vom 14. November 2007 - VIII ZR 340/06, NJW 2008, 218).

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
am 27. April 2010
durch
den Vorsitzenden Richter Ball,
den Richter Dr. Frellesen,
die Richterin Dr. Milger sowie
die Richter Dr. Achilles und Dr. Bünger
beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 16. Oktober 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: Wertstufe bis 900 EUR.

Gründe

I.

1

Die Beklagte versorgt den Kläger leitungsgebunden mit Erdgas. Seine auf die Feststellung gerichtete Klage, dass die von der Beklagten in dem zwischen den Parteien bestehenden Gaslieferungsvertrag zum 1. Januar 2005 und 1. Oktober 2005 vorgenommenen Erhöhungen der Gastarife unbillig und unwirksam seien, hat das Landgericht abgewiesen und dabei den Streitwert auf bis zu 900 EUR bemessen. Die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht als unzulässig verworfen, weil die Berufungsbeschwer des Klägers 600 EUR nicht übersteige und das Landgericht die Berufung nicht zugelassen habe (§ 511 Abs. 2 ZPO). Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

2

1.

Die nach Maßgabe des § 575 ZPO form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß den nachstehenden Ausführungen eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

3

2.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Es kann allerdings dahinstehen, ob der angefochtene Beschluss schon deshalb rechtsfehlerhaft ist, weil er - wie die Rechtsbeschwerde rügt - nicht ausreichend mit Gründen versehen ist und das Berufungsgericht bei zutreffender Bewertung des Klagebegehrens zu einer über 600 EUR liegenden Beschwer hätte gelangen müssen. Denn das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers schon deshalb zu Unrecht nach § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen, weil es auf der Grundlage seiner Wertbemessung nicht die Entscheidung des Amtsgerichts nachgeholt hat, ob die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO erfüllt sind. Dazu wäre es nach der Rechtsprechung des Senats aber gehalten gewesen. Hat nämlich das erstinstanzliche Gericht keine Veranlassung gesehen, die Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 ZPO zuzulassen, weil es den Streitwert auf über 600 EUR festgesetzt hat, und hält das Berufungsgericht diesen Wert für nicht erreicht, muss das Berufungsgericht die Entscheidung darüber nachholen, ob die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nach § 511 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 ZPO erfüllt sind. Denn die unterschiedliche Bewertung der Beschwer darf nicht zu Lasten der Partei gehen (Senatsurteil vom 14. November 2007 - VIII ZR 340/06, NJW 2008, 218, Tz. 12; Senatsbeschlüsse vom 3. Juni 2008, VIII ZB 101/07, WuM 2008, 614, Tz. 4 f.; vom 16. Juni 2008 - VIII ZB 87/06, WuM 2008, 615, Tz. 13). Ein solcher Fall ist hier gegeben.

4

Das Landgericht hat den Streitwert auf bis zu 900 EUR bemessen und ist deshalb von einem entsprechenden Wert der Beschwer des Klägers durch das seine Klage abweisende Urteil ausgegangen. Bei dieser Sachlage hat das Landgericht - nicht zuletzt auch angesichts der zuvor sogar noch auf 4.000 EUR lautenden vorläufigen Wertfestsetzung - keine Veranlassung gehabt, die Frage einer Zulassung der Berufung zu prüfen. Hierzu war vielmehr das Berufungsgericht verpflichtet, nachdem es abweichend von den vorherigen Wertfestsetzungen den Wert des Beschwerdegegenstandes auf Seiten des Klägers auf unter 600 EUR bemessen hat.

III.

5

Nach alledem kann der angefochtene Beschluss keinen Bestand haben. Er ist daher aufzuheben, und die Sache ist zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 ZPO). Soweit sich das Berufungsgericht im Rahmen seiner erneuten Überprüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Berufung auch mit dem Wert der Beschwer des Klägers noch einmal zu befassen hat, bestehen entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde allerdings keine Bedenken, dabei auf § 9 Satz 1 ZPO zurückzugreifen, wonach der Wert des Rechts auf wiederkehrende Leistungen nach dem dreieinhalbfachen Wert des einjährigen Bezuges - hier des im Streit stehenden Erhöhungsbetrages (Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 9 Rdnr. 16 m.w.N.) -berechnet wird. Denn diese Vorschrift erfasst auch die Bewertung des hier in Rede stehenden Rechts, auf Dauer bestimmte Energielieferungen erbringen oder beziehen zu können (OLG Schleswig, Urteil vom 22. August 2002 - 11 U 26/01, [...], Tz. 47; OLGR 1998, 347, 348; OLG Dresden, RdE 2003, 158 [OLG Dresden 17.12.2002 - 16 W 1134/02]; OLG Brandenburg, OLGR 2006, 371; OLG Frankfurt/Main, Urteil vom 21. Mai 2007 - 1 U 201/06, [...], Tz. 31; LG Halle/Saale, Urteil vom 25. April 2008 - 5 O 74/06, [...], Tz. 36; vgl. ferner Senatsbeschluss vom 15. Januar 1997 - VIII ZR 303/96, NJW 1997, 1241, unter 1, 2 a; Schneider/Herget, Streitwert-Kommentar für den Zivilprozess, 12. Aufl., Rdnr. 2069). Sollte das Berufungsgericht den Wert der Beschwer danach erneut auf nicht mehr als 600 EUR bemessen, wird es die ihm anstelle des Amtsgerichts obliegende Entscheidung nachzuholen haben, ob die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung erfüllt sind.

Ball
Dr. Frellesen
Dr. Milger
Dr. Achilles
Dr. Bünger

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