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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 25.05.2022, Az.: BVerwG 2 WRB 2.21
Bemühen eines Soldaten um intime Kontakte bei einem Partnerschaftsvermittlungsdienst auf einer Datingplattform ohne Erwähnung seiner dienstlichen Stellung; Vorsätzliche Verletzung der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht eines identifizierbaren Bataillonskommandeurs als Dienstvergehen
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 25.05.2022
Referenz: JurionRS 2022, 35089
Aktenzeichen: BVerwG 2 WRB 2.21
ECLI: ECLI:DE:BVerwG:2022:250522B2WRB2.21.0

Rechtsgrundlagen:

§ 17 Abs. 2 S. 3 Alt. 2 SG

Art. 33 Abs. 4 GG

Fundstellen:

BVerwGE 175, 359 - 373

AA 2022, 110-111

BWV 2022, 282-286

DÖV 2023, 44

DVBl 2023, 83-89

IÖD 2023, 2-9

JuS 2023, 377-378

NVwZ 2022, 1622-1626

PersV 2023, 59-66

Polizei 2023, 65

BVerwG, 25.05.2022 - BVerwG 2 WRB 2.21

Amtlicher Leitsatz:

Die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht des § 17 Abs. 2 Satz 3 SG verlangt von einem verheirateten/verpartnerten und als solchen identifizierbaren Bataillonskommandeur, dass er bei der Inanspruchnahme von Partnerschaftsvermittlungsdiensten für sexuelle Zwecke bei der äußeren Gestaltung und Formulierung von Internetauftritten auf Integritätserwartungen Rücksicht nimmt.

In dem Rechtsbeschwerdeverfahren
der Frau Oberstleutnant i.G. Z,
...,
- Verteidiger:
...,
...,
... -
hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 25. Mai 2022 durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister,
den ehrenamtlichen Richter Oberst i.G. Fricke und
den ehrenamtlichen Richter Oberstleutnant Kerch
beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde der Soldatin gegen den Beschluss der 4. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 18. November 2020 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Soldatin auferlegt.

Gründe

I

1

Die Beschwerdeführerin ist Berufssoldatin und war vom ... Oktober 2017 bis zum ... September 2020 als Kommandeurin des ... sowie Standortälteste in ... eingesetzt. Sie genießt überregionale Bekanntheit als erste transsexuelle Bataillonskommandeurin der Bundeswehr. Mit Disziplinarverfügung vom 1. August 2019 verhängte ihr damaliger Disziplinarvorgesetzter gegen sie einen Verweis mit dem Vorwurf:

"Sie hat zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt, jedoch nicht vor dem 20. März 2019, und an einem nicht mehr feststellbaren Ort das als Anlage beiliegende Foto mit dem folgenden Text: 'Z 45 Spontan, lustvoll, trans*, offene Beziehung und auf der Suche nach Sex. All genders welcome.' bei der Dating App Tinder eingestellt und mindestens bis zur 29. Kalenderwoche 2019 nicht gelöscht. In dem genannten Zeitraum war sie in der herausgehobenen dienstlichen Stellung als Kommandeurin des ... und als Standortälteste ... eingesetzt."

2

Die Soldatin begründete ihre am 16. August 2019 eingegangene Beschwerde im Wesentlichen damit, dass das beschriebene Verhalten kein Dienstvergehen sei und allein ihre Privatsphäre betreffe. Bereits zuvor hatte sie angegeben, der Text sei mit ihrer Ehepartnerin abgestimmt gewesen. Er habe vor dem Hintergrund ihres Beziehungsstatus verdeutlichen sollen, dass keine romantische Begegnung beabsichtigt gewesen sei. Hieraus könne nicht der Schluss gezogen werden, sie sei freizügig oder moralisch nicht integer. Außerdem sei ihr Profil nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen, sondern nur für den geschlossenen Kreis der Tinder-Nutzer. Der als Beweismittel vorliegende Screenshot sei illegal, unter Verletzung der Geschäftsbedingungen von Tinder, angefertigt worden und daher nicht verwertbar.

3

Der nächsthöhere Disziplinarvorgesetzte wies die Beschwerde mit Bescheid vom 16. Januar 2020 zurück. Das Verhalten der Beschwerdeführerin stelle einen Verstoß gegen die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht dar. Gegenstand der Würdigung sei nicht ihre promiskuitive Lebensweise per se. Disziplinare Relevanz erlange die unkontrollierbare Art und Weise des Propagierens dieser Lebensweise durch die Beschwerdeführerin in ihrer herausgehobenen Eigenschaft als Bataillonskommandeurin. Daran ändere auch eine liberalere Einstellung der Gesellschaft zu sexualbezogenen Themen nichts. Promiskuitives Verhalten reduziere die wechselnden Partner auf Sexualobjekte und sei auch gesellschaftlich in weiten Teilen verpönt. Der Bescheid wurde dem Verteidiger der Beschwerdeführerin am 20. Januar 2020 zugestellt.

4

Die am 19. Februar 2020 eingelegte weitere Beschwerde hat die 4. Kammer des Truppendienstgerichts Süd ohne mündliche Verhandlung mit Beschluss vom 18. November 2020 zurückgewiesen. Die Disziplinarmaßnahme sei verfahrensfehlerfrei erstellt worden. Der nächste Disziplinarvorgesetzte habe sie - wie mehrere dienstliche Stellungnahmen ergeben hätten - eigenverantwortlich ohne Anweisung verhängt. Der Tenor des Verweises sei auch hinreichend bestimmt und schuldige erkennbar ein vorsätzliches außerdienstliches Verhalten an. Ein Beweisverwertungsverbot des Screenshots liege nicht vor, auch wenn er möglicherweise rechtswidrig angefertigt worden sei. Dies sei im Übrigen unerheblich, weil die Beschwerdeführerin den Sachverhalt eingeräumt habe.

5

Die Disziplinarmaßnahme sei auch in der Sache rechtmäßig. Ein Grundrechtsverstoß liege nicht vor, da die Verletzung einer Dienstpflicht und nicht die promiskuitive Lebensweise der Beschwerdeführerin Gegenstand der Würdigung sei. Aus Sicht der Kammer liege eine Verletzung der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht vor. Durch die in ihrem Profil gewählte Formulierung werde für Außenstehende der Eindruck vermittelt, dass die Beschwerdeführerin sich selbst und ihre wechselnden Geschlechtspartner zu reinen Sexobjekten reduziere. In der Öffentlichkeit werde ein solches Verhalten als moralisch zweifelhaft gewertet. Da die Soldatin als Bataillonskommandeurin und Standortälteste die Bundeswehr repräsentiere, würde diese negative Bewertung auf die Bundeswehr übertragen. Dadurch würde nicht nur ihre eigene Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit, sondern auch der gute Ruf der Bundeswehr ernsthaft beeinträchtigt. In diesem Zusammenhang sei es ohne Relevanz, dass es sich bei Tinder nach dem Vortrag des Verteidigers um ein geschlossenes System handele. Entscheidend sei vielmehr, dass die Beschwerdeführerin von anderen Nutzern wegen des regional eingegrenzten Suchbereichs des Datingportals aufgrund ihrer besonderen Stellung in der Bundeswehr und in der Region erkannt werden könne. Für eine Verletzung der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht reiche bereits eine solche Möglichkeit des Bekanntwerdens aus. Das Truppendienstgericht hat die Rechtsbeschwerde wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache mit Beschluss vom 10. Juni 2021 zugelassen.

6

In der binnen eines Monats eingegangenen Begründung der Rechtsbeschwerde wird das bisherige Vorbringen im Rahmen einer allgemeinen Sachrüge wiederholt und vertieft. Die Disziplinarmaßnahme sei formell rechtswidrig, weil hinsichtlich des Screenshots ein Beweisverwertungsverbot bestehe. Die Maßnahme sei auch materiell rechtswidrig, weil kein Dienstvergehen, sondern ein rein privates Handeln vorliege. Die Nutzung der Datingplattform Tinder sei ebenso wie die aktive Suche nach Sexualpartnern vom Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung geschützt. Das Sexualleben gehöre zum intimsten Bereich der Persönlichkeit, in den nur bei Vorliegen besonderer öffentlicher Belange eingegriffen werden dürfe. Die gesetzliche Regelung der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht, gegen deren Bestimmtheit bereits rechtsstaatliche Bedenken bestünden, sei nicht darauf angelegt, in dieses Grundrecht einzugreifen. Weder das Soldatengesetz noch die Wehrdisziplinarordnung berechtigten zu einem Eingriff in dieses Grundrecht. Das Truppendienstgericht habe der Beschwerdeführerin in Wahrheit nicht ihren Internetauftritt, sondern ihr promiskuitives Sexualleben vorgeworfen. Dass sie mit dem Profiltext sich und andere zum reinen Sexobjekt reduziere, sei eine von empirischen Erkenntnissen entkleidete Bewertung, die weder nachvollziehbar noch berechtigt sei. Ebenso wenig evidenzbasiert und verständlich sei die Annahme des Truppendienstgerichts, es käme nicht darauf an, ob es sich bei Tinder um ein geschlossenes System handele, weil die Beschwerdeführerin jedenfalls von regionalen Nutzern aufgrund ihres Bekanntheitsgrades in der Bundeswehr und in der Region erkannt werden könne. Im Übrigen sei auch der Tatbestand der Verletzung der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht nicht erfüllt, weil weder eine ernsthafte Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr noch eine ernsthafte Beeinträchtigung der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit der Soldatin zu besorgen sei.

7

Der Bundeswehrdisziplinaranwalt tritt dem entgegen und verteidigt die angegriffene Entscheidung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten des Truppendienstgerichts und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

II

8

Die Rechtsbeschwerde hat im Ergebnis keinen Erfolg.

9

1. Die fristgerecht begründete Rechtsbeschwerde ist hinsichtlich der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts zulässig.

10

a) Soweit die Antragstellerin das Vorliegen eines Beweisverwertungsverbotes geltend macht, genügt die Rechtsbeschwerde nicht den Darlegungsanforderungen des § 23a Abs. 2 WBO i. V. m. § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO. Der Vortrag, von ihrem Profilbild sei unter Verletzung der Nutzungsbedingungen der Plattform Tinder, ihres Urheberrechts und ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG) ein Screenshot angefertigt worden, betrifft eine Frage, die dem Verfahrensrecht angehört. Es bestimmt den Umfang des Beweismaterials, den das Tatgericht auf seinem Weg zur Urteilsfindung benutzen darf (vgl. BGH, Urteile vom 24. März 1964 - 3 StR 60/63 - BGHSt 19, 273 <275> und vom 8. August 2018 - 2 StR 131/18 - NStZ 2019, 107 Rn. 14, 16).

11

Das Beweisverwertungsverbot hätte darum im Rahmen einer Verfahrensrüge im Sinne des § 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO geltend gemacht werden müssen. Dies ist nicht ausdrücklich geschehen. Selbst wenn man das Vorbringen der Beschwerdeführerin als Verfahrensrüge auslegt, genügt es nicht den Darlegungsanforderungen. Die verletzte Vorschrift des Verfahrensrechts wird nicht bezeichnet. Es wird nicht angegeben, woraus sich deren Verletzung im Einzelnen ergibt und inwiefern die angefochtene Entscheidung auf dem behaupteten Verfahrensmangel beruht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Oktober 2014 - 10 B 58.14 - juris Rn. 6 m. w. N.). Gerade weil das Truppendienstgericht unter Verweis auf das Geständnis der Beschwerdeführerin die Entscheidungserheblichkeit des geltend gemachten Verwertungsverbots in Abrede gestellt hat, hätte im Rahmen einer Verfahrensrüge dazu explizit vorgetragen werden müssen.

12

b) Mangels ordnungsgemäß erhobener Verfahrensrügen ist von den tatsächlichen Feststellungen des Truppendienstgerichts auszugehen, das im Verfahren nach § 42 Nr. 4 Satz 1 WDO "zugleich die in der Sache erforderliche Entscheidung trifft" und damit selbständig Disziplinargewalt ausübt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14. Mai 1975 - 2 WDB 23.74 - BVerwGE 53, 43 <44 f.> und vom 25. April 2019 - 2 WNB 1.19 - Buchholz 450.2 § 42 WDO 2002 Nr. 6 Rn. 5). Dementsprechend ist in der Rechtsbeschwerde der vom Disziplinarvorgesetzten verhängte Verweis mit dem Inhalt und der Begründung zugrunde zu legen, den er im Beschwerdebescheid und zuletzt im gerichtlichen Verfahren vor dem Truppendienstgericht erhalten hat. Darin wird der Beschwerdeführerin ein vorsätzliches außerdienstliches Verhalten vorgeworfen und in tatsächlicher Hinsicht bindend festgestellt, dass sie das Profilbild mit dem Text selbst, wissentlich und willentlich in die Plattform Tinder eingestellt hat, dass sie auf dem Profilbild von anderen Nutzern des Portals wegen ihrer besonderen Stellung in der Bundeswehr erkannt werden konnte und damit angesichts des regional eingegrenzten Suchbereichs des Portals rechnen musste.

13

2. Die zulässige Rüge der Verletzung sachlichen Rechts ist teilweise begründet, bleibt aber letztlich ohne Erfolg. Die Ausführungen des Truppendienstgerichts zur materiellen Rechtmäßigkeit der Maßnahme sind zwar rechtsfehlerhaft. Die Entscheidung erweist sich jedoch im Sinne von § 23a Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 144 Abs. 4 VwGO aus anderen Gründen als richtig.

14

a) Keinen durchgreifenden Bedenken begegnen die Ausführungen zur formellen Rechtmäßigkeit der Disziplinarmaßnahme. Der Verweis genügt jedenfalls in der Form und mit dem Inhalt, die er im Beschwerde- und Gerichtsverfahren erhalten hat, dem Bestimmtheitsgebot. Er lässt Zeit, Ort und Sachverhalt des Dienstvergehens im Sinne des § 37 Abs. 3 Satz 2 WDO hinreichend klar erkennen. Die zeitliche Eingrenzung des Vorwurfs ist so konkret, wie dies bei über längere Zeiträume andauernden Vorgängen nach dem Stand der Ermittlungen möglich gewesen ist. Die konkrete Angabe des Orts des Geschehens muss bei virtuellen Vorgängen im Internet - wie geschehen - durch die Bezeichnung der Plattform, des Orts im Internet, ersetzt werden. Die Disziplinarverfügung bezeichnet auch den vorgeworfenen Sachverhalt ausreichend. Sie weist eine hinreichend konkrete, gedrängte Schilderung des vorgeworfenen tatsächlichen Geschehensablaufs auf. Soweit die ursprüngliche Disziplinarverfügung über den gesetzlichen Mindestinhalt hinaus nur eine mündliche Begründung des rechtlichen Vorwurfs enthalten hat, ist die schriftliche Begründung im Beschwerde- und Gerichtsverfahren jedenfalls nachgeholt worden.

15

Die für einfache Disziplinarmaßnahmen vorgeschriebenen Anhörungs- und Beteiligungsvorschriften sind beachtet worden. Ein Eingriff in die sachliche Unabhängigkeit des Disziplinarvorgesetzten (§ 35 Abs. 1 WDO) und eine daraus folgende Rechtswidrigkeit der Maßnahme sind vom Truppendienstgericht rechtsfehlerfrei verneint worden. Entgegen dem erstinstanzlichem Vorbringen der Beschwerdeführerin wurde nach den für den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des Truppendienstgerichts ihrem damaligen nächsten Disziplinarvorgesetzten weder ein Befehl noch eine Weisung zur disziplinarrechtlichen Ahndung des Vorfalls erteilt.

16

b) Die Ausführungen zur materiellen Rechtmäßigkeit der Disziplinarmaßnahme halten hingegen einer rechtlichen Überprüfung teilweise nicht stand. Nach § 17 Abs. 2 Satz 3 SG hat ein Soldat sich außer Dienst und außerhalb der dienstlichen Unterkünfte und Anlagen so zu verhalten, dass er das Ansehen der Bundeswehr oder die Achtung und das Vertrauen, die seine dienstliche Stellung erfordert, nicht ernsthaft beeinträchtigt. Die Vorschrift bildet eine abstrakt gehaltene Auffangregelung für die sich aus dem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis des Soldaten nach Art. 33 Abs. 4 GG ergebenden Loyalitätspflichten im außerdienstlichen Bereich. Sie genügt dem für Gesetze geltenden rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 8. Januar 1981 - 2 BvL 3, 9/77 - BVerfGE 56, 1 <12 f.>), weil die sich aus der verfassungsrechtlichen Treuepflicht ergebenden Anforderungen für die vielfältigen und wechselnden Situationen des außerdienstlichen Lebens nicht abschließend konkret geregelt werden können und weil der Inhalt der Norm durch Auslegung mit Hilfe der in Jahrzehnten gewachsenen Rechtsprechung hinreichend klar bestimmt werden kann. Die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht verbietet zum einen die ernsthafte Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr (Alt. 1) und zum anderen die ernsthafte Beeinträchtigung der eigenen Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit (Alt. 2).

17

aa) Das Truppendienstgericht hat zu Unrecht eine Verletzung des Ansehens der Bundeswehr angenommen. Nach der Rechtsprechung des Senats ist das private (Fehl-)Verhalten eines Soldaten grundsätzlich nicht der Bundeswehr als Institution zuzurechnen, es sei denn, dass außergewöhnliche Umstände dazu zwangsläufig Anlass geben. Eine ernsthafte Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr liegt - nur - dann vor, wenn der Soldat als Repräsentant der Bundeswehr anzusehen ist und sein Verhalten negative Rückschlüsse auf die qualitative Ausbildung, moralische Integrität und allgemeine Dienstauffassung oder generell auf die militärische Disziplin in der Truppe zulässt (BVerwG, Urteil vom 18. Juli 1995 - 2 WD 32.94 - Buchholz 236.1 § 12 SG Nr. 2 S. 5).

18

Im vorliegenden Fall kann zwar davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin als Standortälteste und Kommandeurin eine repräsentative Funktion in der Bundeswehr innegehabt hat. Nicht jedes private Verhalten eines Repräsentanten der Bundeswehr wird in der Öffentlichkeit aber der Bundeswehr als Ganzes zugerechnet. Dies ist insbesondere dann nicht ohne Hinzutreten weiterer Umstände anzunehmen, wenn der Repräsentant rein privat auftritt, seine dienstliche Funktion nicht benennt, keine Uniform trägt und im privaten oder gesellschaftlichen Rahmen seine privaten Ansichten zu nicht militärischen Themen äußert. Nichts anderes gilt, wenn eine Kommandeurin sich - wie hier - ohne Erwähnung ihrer dienstlichen Stellung bei einem Partnerschaftsvermittlungsdienst um intime Kontakte bemüht. Es fehlt der erforderliche funktionelle Zusammenhang zur Bundeswehr, so dass das rein private Verhalten der Antragstellerin das Ansehen der gesamten "Truppe", um das es in § 17 Abs. 2 Satz 3 Alt. 1 SG geht, nicht berührt.

19

bb) Auch die Begründung, mit der das Truppendienstgericht eine ernsthafte Beeinträchtigung der eigenen Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit der Soldatin im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2 SG annimmt, überzeugt nur teilweise.

20

(1) Es geht allerdings zutreffend davon aus, dass ein Soldat seine außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht nicht nur durch kriminelles Verhalten von erheblichen Gewicht verletzen kann. Die Missachtung gewichtiger Strafrechtsnormen bildet zwar in der Praxis der Wehrdienstgerichte den Hauptanwendungsfall der Norm (vgl. BVerwG, Urteile vom 20. März 2014 - 2 WD 5.13 - BVerwGE 149, 224 Rn. 53 ff. und vom 24. August 2018 - 2 WD 3.18 - BVerwGE 163, 16 Rn. 53). Der Wortlaut des § 17 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2 SG stellt allerdings nicht auf deliktisches Handeln ab, sodass in Ausnahmefällen auch ein nicht strafbares Verhalten das für die dienstliche Stellung notwendige Ansehen eines Soldaten ernsthaft beeinträchtigen oder sogar zerstören kann. Denn das Strafrecht enthält im Kern nur Mindestanforderungen an das Sozialverhalten des Normalbürgers und spiegelt die Verhaltenserwartungen, die das Beamten- und Soldatenrecht an Staatsdiener formuliert und die in der Rechtsgemeinschaft in Bezug auf die Integrität von Staatsdienern vorherrschen, nur unzureichend wider. Mit der Betonung der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass der Staat an seine Staatsdiener eine erhöhte Integritätserwartung hat. Insbesondere militärische Vorgesetzte können ihre Aufgaben nur sinnvoll erfüllen, wenn sie von ihren Untergebenen und von der Öffentlichkeit respektiert werden und als vertrauenswürdig gelten. Diese Vertrauensbasis kann auch durch strafloses außerdienstliches Verhalten ernsthaft beeinträchtigt oder sogar völlig zerstört werden. (vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 15. Juni 1999 - 2 WD 34.98 - BVerwGE 113, 340 <341>, vom 4. März 2020 - 2 WD 3.19 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 72 Rn. 23 und vom 18. Juni 2020 - 2 WD 17.19 - BVerwGE 168, 323 Rn. 23 f.; ähnlich für Beamte: BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 - 2 A 2.12 - BVerwGE 147, 127; OVG Weimar, Urteil vom 6. November 2008 - 8 DO 584/07 juris Rn. 103; OVG Münster, Urteil vom 13. Juli 2016 - 3d A 1112/13.O - juris Rn. 97).

21

(2) Das Truppendienstgericht hat auch zutreffend darauf abgestellt, dass die Anforderungen an die Integrität eines Soldaten umso größer sind, je höher seine dienstliche Stellung ist. Dies gilt schon deswegen, weil das Soldatengesetz militärische Vorgesetzte zu vorbildlichem Verhalten verpflichtet (§ 10 Abs. 1 SG) und für Unteroffiziere und Offiziere eine besondere Zurückhaltungspflicht kennt (§ 10 Abs. 6 SG). Die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht des § 17 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2 SG knüpft ebenfalls an die Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit an, die die dienstliche Stellung erfordert. Dabei ist das Amt im abstrakten Sinne beachtlich, weil der Staat und die Öffentlichkeit an die Vorbildlichkeit des außerdienstlichen Verhaltens eines Generals höhere Anforderungen stellen als bei niedrigeren Dienstgraden.

22

Für die dienstliche Stellung im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2 SG ist auch der konkrete Dienstposten maßgeblich. Es macht einen Unterschied, ob ein Oberstleutnant als Mitarbeiter eines Stabes nicht öffentlichkeitswirksam eingesetzt ist, oder ob er als Kommandeur und Standortältester verwendet wird, in dieser Funktion die Bundeswehr in einer Region repräsentiert und - wie hier - gegenüber etwa 1 000 Soldaten und Mitarbeitern befehls- und weisungsbefugt ist. Diese Repräsentations- und Führungsaufgabe eines Bataillonskommandeurs ist für die Bundeswehr so wichtig, dass sie eigene Auswahlkonferenzen zur Bestimmung der hierfür nach Eignung, Leistung und Befähigung in Betracht kommenden Stabsoffiziere durchführt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. November 2014 - 1 WB 61.13 - Buchholz 450.1 § 17 WBO Nr. 91 Rn. 29).

23

Der Kommandeur eines Bataillons übt zugleich die Disziplinarbefugnis der Stufe 1 und 2 aus. Er muss dienstlichen und außerdienstlichen Pflichtverletzungen untergebener Soldaten durch erzieherische oder disziplinare Maßnahmen begegnen und über Disziplinarbeschwerden entscheiden. Nicht selten muss er Soldaten an das Verbot der sexuellen Belästigung und das Unterlassen sexistischer Äußerungen erinnern und inner- wie außerdienstlichem Fehlverhalten auf diesem Gebiet entgegentreten. Diese besondere erzieherische und disziplinare Funktion kann ein Bataillonskommandeur nur glaubhaft wahrnehmen, wenn er sich selbst in dieser Hinsicht weder inner- noch außerdienstlich etwas zuschulden kommen lässt und auf seinen guten Ruf achtet. Die Stellung eines Kommandeurs ist folglich mit erhöhten Integritätsanforderungen verbunden.

24

(3) Das Truppendienstgericht hat auch zutreffend darauf hingewiesen, dass es für eine Verletzung der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht nicht darauf ankommt, ob eine Beeinträchtigung des eigenen Ansehens bereits eingetreten ist. Denn § 17 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2 SG verlangt von dem Soldaten, sein gegenwärtiges Verhalten so auszurichten, dass es nicht in der Folge künftig zu einer ernsthaften Beeinträchtigung seiner Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit kommt. Daher reicht es für eine Dienstpflichtverletzung aus, wenn das Verhalten aus der Sicht eines unbeteiligten Dritten geeignet ist, den für die dienstliche Aufgabenerfüllung notwendigen Respekt und die für die Zusammenarbeit notwendige Vertrauensbasis ernsthaft zu beeinträchtigen. Dabei muss ein militärischer Vorgesetzter bereits den "bösen Schein" meiden. Denn die Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit eines Soldaten kann durch sein Verhalten schon dann Schaden nehmen, wenn dies Zweifel an seiner Redlichkeit und Zuverlässigkeit weckt oder seine Eignung für die jeweilige Verwendung in Frage stellt (BVerwG, Urteil vom 20. März 2014 - 2 WD 5.13 - BVerwGE 149, 224 Rn. 52).

25

(4) Keinen rechtlichen Bedenken begegnen auch die Ausführungen des Truppendienstgerichts, dass die Beschwerdeführerin mit dem Bekanntwerden ihres Profilbildes und -textes rechnen musste und dies in Kauf nahm. Die Beschwerdeführerin ist Stabsoffizierin im Organisationsbereich ... und, was die Funktionsweise des Internets betrifft, fachkundig. Dass die deutschlandweit von mehr als 500 000 Anwendern genutzte Dating-App Tinder eine regionale Suchfunktion besitzt, d. h. mögliche Dating-Partner im regionalen Umfeld als erste anzeigt, war ihr bekannt. Ebenso war ihr bewusst, dass sie aufgrund ihres regionalen und überregionalen Bekanntheitsgrades optisch auf dem Profilbild auch ohne Uniform identifiziert werden konnte. Daher musste sie damit rechnen, dass ihr Profilbild und ihr Profiltext in der Region und im Bataillon bekannt werden würden. In diesem Zusammenhang konnte das Truppendienstgericht die Frage offenlassen, ob es sich bei der Plattform Tinder aufgrund des Registrierungserfordernisses um ein geschlossenes System handelt. Angesichts der Vielzahl der Nutzer konnte jedenfalls auf ein Geheimbleiben des Profilbildes und -textes nicht vertraut werden.

26

(5) Schließlich hat das Truppendienstgericht zutreffend angenommen, dass sich das Bekanntwerden des Profilbildes und -textes negativ auf die Bewertung der moralischen Integrität der Beschwerdeführerin durch Dritte auswirken würde. Zwar wird die Praxis sexueller Kontakte mit relativ häufig wechselnden Partnern als Ausprägung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts im westlichen Kulturkreis allgemein toleriert. Es widerspricht jedoch nach wie vor den Wertvorstellungen breiter Bevölkerungskreise, die teils aus religiösen, teils aus moralischen Gründen an der Leitvorstellung der Einehe, der ehelichen Treue und der Familie als Keimzelle der Gesellschaft festhalten. Dieses hergebrachte Werteverständnis ist auch und gerade in den eher traditionsorientierten militärischen Verbänden und im ländlichen Raum beheimatet. Daher ist die Annahme des Truppendienstgerichts realitätsnah, dass das Werben der Beschwerdeführerin um Sexualkontakte außerhalb ihrer eigenen Ehe sich nachteilig auf ihr Ansehen in der regionalen Öffentlichkeit und vor allem in der ihr unterstellten Truppe auswirken konnte. Dass ihre Partnerin damit einverstanden war, ändert daran nichts.

27

cc) Das Truppendienstgericht hat allerdings nicht hinreichend berücksichtigt, dass sich die nähere Bestimmung des Umfangs der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht nicht allein daran orientiert, welches Maß an Zurückhaltung des Soldaten in seiner privaten Lebensführung im Hinblick auf die dienstlichen Interessen ideal wäre. Vielmehr bestimmt § 17 Abs. 2 Satz 3 SG im Hinblick darauf, dass die private Lebensführung des Soldaten eingeschränkt wird, dass eine Pflichtverletzung nur vorliegt, wenn dadurch eine "ernsthafte" Beeinträchtigung der beruflichen Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit bewirkt wird. Eine weniger schwerwiegende Beeinträchtigung nimmt das Gesetz hin, um die private Betätigungsfreiheit des Soldaten in seiner Freizeit nicht unangemessen durch dienstrechtliche Sanktionen einzuschränken. Es reicht also nicht aus, wenn ein außerdienstliches Verhalten als deliktisch, ordnungswidrig oder rechtswidrig eingestuft werden kann oder sich aus anderen Gründen negativ auf den Ruf des Soldaten auswirkt.

28

Vielmehr muss das Verhalten eine "ernsthafte" Belastung des beruflichen Achtungs- und Vertrauensverhältnisses nach sich ziehen können. Dies ist - wie im Beamtenrecht - aufgrund einer Würdigung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, wobei es auf die Sicht eines verständigen Betrachters ankommt, der alle relevanten Umstände des Einzelfalls kennt. In dieser Gesamtwürdigung muss auch einfließen, ob und inwieweit das außerdienstliche Verhalten des Soldaten grundrechtlichen Schutz genießt. Ein grundrechtlich geschütztes Verhalten kann zwar Beschränkungen unterliegen, soweit dies von Sinn und Zweck des konkreten soldatenrechtlichen Dienst- und Treueverhältnisses (Art. 33 Abs. 4 GG, § 6 Satz 2 SG) gefordert wird. Die Grundrechtsbetätigung im privaten Bereich darf aber nicht einseitig unter dem Blickwinkel dienstlicher Belange beschränkt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 - 2 A 2.12 - BVerwGE 147, 127 Rn. 24 f.). Vielmehr muss § 17 Abs. 2 Satz 3 SG nach der sogenannten Wechselwirkungstheorie seinerseits im Lichte der Grundrechte ausgelegt werden (vgl. BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 - 1 BvR 400/51 - BVerfGE 7, 198 <208 f.> "Lüth"; Beschluss vom 18. Februar 1970 - 2 BvR 746/68 - BVerfGE 28, 55 <63> zu § 17 Abs. 1 SG und BVerwG, Urteil vom 1. Juli 2020 - 2 WD 15.19 - BVerwGE 169, 66 Rn. 23 ff.).

29

Diesen Maßstäben wird die Entscheidung des Truppendienstgerichts nicht gerecht. Es hat zwar zutreffend ausgeführt, dass die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht keine Beschränkung der sexuellen Selbstbestimmung der Beschwerdeführerin in ihrer Privatsphäre rechtfertigt und dass der ihr erteilte Verweis dies auch nicht bezweckt. Denn das Grundgesetz hat den Intim- und Sexualbereich des Menschen als Teil seiner Privatsphäre unter den verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gestellt. Dazu gehört, dass der Einzelne sein Verhältnis zur Sexualität und seine geschlechtlichen Beziehungen zu einem Partner einrichten und grundsätzlich selbst darüber befinden kann, ob, in welchen Grenzen und mit welchen Zielen er Einwirkungen Dritter darauf hinnehmen will (BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 2008 - 2 BvR 392/07 - BVerfGE 120, 224 <238 f.>). Wegen seiner besonderen Nähe zur Menschenwürde ist der Kernbereich privater Lebensgestaltung absolut geschützt, ohne dass dieser Schutz einer Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zugänglich ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. Juni 2009 - 1 BvR 1107/09 - NJW 2009, 3357 Rn. 25).

30

Das Truppendienstgericht hat jedoch Bedeutung und Tragweite des Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG durch die Annahme verkannt, der grundrechtliche Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts beschränke sich allein auf den Kernbereich privater Lebensführung. Denn es steht dem Einzelnen grundsätzlich frei, auch außerhalb seiner Privatsphäre seine sexuellen Interessen zu äußern und auf einem Internetportal mittels eines Accounts und Profilbildes nach Sexualpartnern zu suchen. Diese Bekanntgabe seiner persönlichen Partnerschaftsinteressen ist ebenfalls vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht geschützt, auch wenn sie im Bereich der Sozialsphäre erfolgt und dadurch nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes rechtlichen Beschränkungen unterliegt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. Juni 2009 - 1 BvR 1107/09 - NJW 2009, 3357 Rn. 25 und OLG Düsseldorf, Urteil vom 12. März 2020 - 16 U 67/19 - juris Rn. 53).

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Dementsprechend kann auch eine Beschränkung dieses Rechts aufgrund der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht des § 17 Abs. 2 Satz 3 SG nur erfolgen, wenn bei der gebotenen Abwägung des dienstlichen Interesses mit den von Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG geschützten privaten Interessen eine ernsthafte Beeinträchtigung der dienstlichen Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit zu besorgen ist. Die dafür erforderliche Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls und die Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sind durch das Truppendienstgericht nicht erfolgt.

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Diese Abwägung kann auch nicht - wie das Truppengericht anzunehmen scheint - zur Folge haben, dass die Beschwerdeführerin auf eine Nutzung der Dating-App im dienstlichen Interesse verzichten müsste. Denn die moralischen Verhaltenserwartungen der Bevölkerungsmehrheit haben in einer offenen Gesellschaft mit einer freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht das Gewicht, dass sich militärische Führungskräfte um ihrer dienstlichen Akzeptanz willen dem völlig anpassen müssten und sich nur hinter verschlossenen Türen anderweitig verhalten dürften. Vielmehr überwiegt das grundrechtlich geschützte Interesse der Soldaten, dem ihren Wertvorstellungen entsprechenden sexuellen Lebensstil auch in einem öffentlich bemerkbaren Rahmen nachzugehen. Ähnlich wie das Zurückhaltungsgebot des § 10 Abs. 6 SG die von Art. 5 Abs. 1 GG geschützte politische Meinungsäußerung eines Offiziers in der Öffentlichkeit nicht per se verbietet, steht auch § 17 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2 SG der von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten selbstbestimmten Inanspruchnahme von Partnerschaftsvermittlungsdiensten für sexuelle Zwecke nicht grundsätzlich entgegen, auch wenn damit ein Ansehensverlust verbunden sein kann. Vielmehr beschränkt § 17 Abs. 2 Satz 3 Alt. 2 SG die Art und Weise dieser Betätigung und erfordert, bei der äußeren Gestaltung und Formulierung entsprechender Internetauftritte auf die mit der dienstlichen Stellung verbundenen Integritätserwartungen Rücksicht zu nehmen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Februar 1970 - 2 BvR 531/68 - BVerfGE 28, 36 <47> und BVerwG, Urteil vom 1. Juli 2020 - 2 WD 15.19 - BVerwGE 169, 66 Rn. 14 zu § 10 Abs. 6 SG und Art. 5 Abs. 1 GG).

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dd) Das Truppendienstgericht hat in seiner Entscheidung auch den Grundsatz vernachlässigt, dass bei jeder Prüfung, ob eine Äußerung eines Soldaten im Hinblick auf § 17 Abs. 2 Satz 3 SG disziplinarische Relevanz besitzt, zunächst deren Sinngehalt gegebenenfalls durch Auslegung objektiv zu ermitteln ist. Gegen diesen Grundsatz wird verstoßen, wenn Teilen einer Meinungsäußerung eine bei hinreichender Beachtung des Zusammenhangs nicht mehr verständliche und damit überzogene Deutung gegeben und sie in dieser Deutung einer disziplinarrechtlichen Würdigung und Ahndung unterworfen wird (BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. Juli 1992 - 2 BvR 1802/91 - NJW 1992, 2750 <2751>; BVerwG, Urteil vom 1. Juli 2020- 2 WD 15.19 - BVerwGE 169, 66 Rn. 20).

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Im vorliegenden Fall hat das Truppendienstgericht bei der Interpretation des Profilbildes und -textes außer Acht gelassen, dass es sich dabei um ein virtuelles Werbemedium für eine Partnerschaftssuche handelt, bei der potentielle Interessenten typischer Weise durch attraktive Bilder und reißerische Texte angesprochen werden sollen. Mit den Worten "offene Beziehung", "auf der Suche nach Sex", "all genders welcome" wird schlagwortartig deutlich gemacht, dass der Wunsch nach einem sexuellen Erlebnis ohne partnerschaftliche Bindung den Beweggrund der Annonce bildet. Es wird aber aus der Sicht eines unbeteiligten Dritten damit nicht zum Ausdruck gebracht, dass die Beschwerdeführerin sich oder andere zum reinen Sexobjekt degradiert.

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Dagegen spricht, dass die Beschwerdeführerin auf dem Profilbild bekleidet abgelichtet ist. Anders als bei einer pornografischen Selbstabbildung kann nicht davon gesprochen werden, sie reduziere sich zum reinen Objekt geschlechtlicher Begierde (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 15. Juni 1999 - 2 WD 34.98 - BVerwGE 113, 340 <341>). Auch der Text des Profils deckt ein solches Verständnis nicht, wenngleich das sexuelle Motiv darin stark betont wird. Da Werbetexte knapp und plakativ formuliert werden, kann aus dem Fehlen einer Aussage über den beabsichtigten Verlauf eines Treffens nicht geschlossen werden, die Beschwerdeführerin wolle Geschlechtsverkehr ohne Rücksicht auf die eigene Würde und die Würde des anderen vollziehen. Vielmehr liegt die Annahme nahe, dass im Falle einer Kontaktaufnahme - wie üblich - die Sympathie oder Antipathie bei der persönlichen Begegnung die entscheidende Rolle spielen und der Geschlechtsverkehr nur im beiderseitigen Einverständnis unter Wahrung der Würde des anderen erfolgen sollte. Insofern hat das Truppendienstgericht den Inhalt des Profiltextes in unzulässiger Weise überzeichnet.

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c) Die Entscheidung des Truppendienstgerichts erweist sich jedoch im Ergebnis aus anderen Gründen als richtig, so dass die Rechtsbeschwerde gemäß § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 144 Abs. 4 VwGO zurückzuweisen ist. Denn in dem Internetauftritt der Beschwerdeführerin liegt auch bei der nach § 17 Abs. 2 Satz 3 SG erforderlichen Abwägung der dienstlichen und privaten Belange eine Verletzung der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht. Auch wenn dieses Dienstvergehen weniger schwer wiegt, als vom Truppendienstgericht angenommen, ist der dafür verhängte Verweis als mildeste einfache Disziplinarmaßnahme noch verhältnismäßig.

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aa) Die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht stellt - wie bereits ausgeführt - an Stabsoffiziere in der besonders hervorgehobenen Stellung eines Bataillonskommandeurs besondere Anforderungen. Gerade weil ein Kommandeur eine besondere Personalverantwortung - hier über ca. 1 000 Personen - hat, im Rahmen seiner Repräsentations- und Führungsaufgaben integrativ wirken und in Ausübung seiner Disziplinarbefugnisse auch sexistischen Äußerungen und sexuellen Belästigungen entgegentreten muss, hat er bei Äußerungen im Internet mit sexuellem Bezug auf die für seine dienstliche Stellung erforderliche Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit Rücksicht zu nehmen. Dies bedeutet - wie oben dargestellt - nicht, dass ein Kommandeur auf eine seinem Lebensstil entsprechende Suche nach Sexualpartnern im Internet verzichten müsste; allerdings muss er bei der Wahl seiner Worte Rücksicht auf seine berufliche Stellung nehmen und auch Formulierungen vermeiden, die den falschen Eindruck einer sexuellen Disziplinlosigkeit erwecken können. Denn ein Disziplinarvorgesetzter kann erzieherische und disziplinare Maßnahmen wegen sexueller Verfehlungen nicht glaubhaft vermitteln, wenn seine Äußerungen über seinen eigenen Lebenswandel auf ein hemmungsloses Ausleben des Sexualtriebs hindeuten.

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Im vorliegenden Fall hat die Soldatin zwar bei der Auswahl ihres Profilbildes die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht nicht verletzt. Das Bild ist in keiner Weise kompromittierend. Der Werbetext "lustvoll ... offene Beziehung ... auf der Suche nach Sex ... all genders welcome" ist jedoch geeignet, den falschen Eindruck zu erwecken, sie führe ein wahlloses Sexualleben oder strebe dies an. Auch wenn dies objektiv betrachtet bei Kenntnis der Motive der Soldatin und sachgemäßer Auslegung des Textes bei längerem Nachdenken nicht der Fall ist, vermittelt die Betonung der Lust, der Suche nach Sex und dem Nachklapp "all ... welcome" beim ersten Durchlesen den falschen Anschein, es gehe um möglichst schnellen Sex mit Partnern gleich welchen Geschlechts. Ein ungehemmtes Ausleben des Sexualtriebs sei besonders wichtig. Diese äußerst missverständliche Überspitzung des eigenen Anliegens war für die beabsichtigte Grundrechtsausübung nicht erforderlich und auch für die Werbewirksamkeit der Annonce nicht notwendig. Die Formulierung hätte vermieden werden können und um der dienstlichen Akzeptanz willen - d. h. wegen der Erfordernisse des militärischen Dienstes (§ 6 Satz 2 SG) - vermieden werden müssen.

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bb) Die darin liegende vorsätzliche Verletzung der außerdienstlichen Wohlverhaltenspflicht ist zwar ein Dienstvergehen, wiegt aber weniger schwer als vom Truppendienstgericht angenommen. Da die Soldatin lediglich einen Verweis, also die nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 WDO geringstmögliche Disziplinarmaßnahme erhalten hat, ist die Sanktion im Ergebnis nicht unverhältnismäßig. Ein einfacher Verweis wird in einem Personalgespräch verhängt und gelangt dann in die Personalakte. Er hindert bei entsprechender Bewährung keine förderlichen Maßnahmen und wird gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 WDO in der Regel nach drei Jahren gelöscht. Auch wenn ein Verweis die dienstliche Beurteilung nachteilig beeinflussen kann, ist die damit verbundene Belastung eher gering. Er ist im Ergebnis für einen Auftritt im Internet angemessen, bei dem die eigene Vorbildrolle in einer gewichtigen Führungsposition nicht ausreichend beachtet worden ist.

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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 23a Abs. 2 WBO i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.

Dr. Häußler

Dr. Langer

Prof. Dr. Burmeister

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