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Bundesverwaltungsgericht
Urt. v. 12.09.2019, Az.: BVerwG 3 C 26.17
Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis bei umgetauschtem EU-Führerschein; Wirkung eines Wohnsitzmangels auf einen umgetauschten Führerschein; Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 12.09.2019
Referenz: JurionRS 2019, 46453
Aktenzeichen: BVerwG 3 C 26.17
ECLI: ECLI:DE:BVerwG:2019:120919U3C26.17.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

VGH Baden-Württemberg - 29.08.2017 - AZ: 10 S 856/17

Rechtsgrundlagen:

Art. 2 Abs. 1 RL 2006/126 EG

Art. 7 Abs. 1 RL 2006/126 EG

Art. 12 Abs. 1 RL 2006/126 EG

§ 28 Abs. 1 FeV

§ 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 FeV

Fundstellen:

DÖV 2020, 250

NJW 2020, 1609-1612

VRÜ 2020, 107

BVerwG, 12.09.2019 - BVerwG 3 C 26.17

Amtlicher Leitsatz:

Hat ein Mitgliedstaat einen EU-Führerschein unter offensichtlichem Verstoß gegen die Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes ausgestellt und tauscht ein anderer Mitgliedstaat diesen Führerschein um, wirkt der Wohnsitzmangel in dem umgetauschten Führerschein fort.

(wie BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2018 - 3 C 9.17 - BVerwGE 162, 308)

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 12. September 2019
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Liebler, Prof. Dr. habil. Wysk,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 29. August 2017 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie berechtigt war, mit ihrem britischen Führerschein Kraftfahrzeuge in Deutschland zu führen.

2

Der Klägerin, einer deutschen Staatsangehörigen, wurden nach Trunkenheitsfahrten mit Blutalkoholkonzentrationen von 2,57 und 2,36 Promille die ihr in Deutschland 1982 und 1993 erteilten Fahrerlaubnisse entzogen. Ihre hier 1997 und 2000 gestellten Anträge auf Wiedererteilung nahm sie zurück.

3

Am 31. Mai 2005 erwarb die Klägerin eine tschechische Fahrerlaubnis der Klasse B; als Wohnort war im Führerschein eine Adresse in Deutschland angegeben. Nachdem die Klägerin den tschechischen Führerschein bei einer Verkehrskontrolle in Deutschland vorgelegt hatte, wies sie das Landratsamt Tübingen (im Folgenden: Landratsamt) darauf hin, dass sie wegen des Verstoßes gegen das Wohnsitzerfordernis, der sich unmittelbar aus dem Führerschein ergebe, von dieser Fahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland keinen Gebrauch machen dürfe. Daraufhin tauschte die Klägerin ihren tschechischen Führerschein am 22. Februar 2009 in einen bis zum 21. Februar 2019 gültigen britischen Führerschein um. Mit Bescheid vom 28. Juli 2009 stellte das Landratsamt - in Unkenntnis des Umtausches - fest, dass die tschechische Fahrerlaubnis der Klägerin auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland unwirksam sei. Auch dem Verwaltungsgericht und dem Verwaltungsgerichtshof, bei denen die Klägerin erfolglos gegen diesen Bescheid klagte, teilte sie den Umtausch nicht mit. Erst als das Landratsamt die Klägerin zur Vorlage ihres tschechischen Führerscheins aufforderte, setzte sie es über den Umtausch in Kenntnis.

4

Mit Schreiben vom 3. Juli 2013 beantragte die Klägerin beim Landratsamt, "die Inlandsgültigkeit des am 22.02.2009 durch Umschreibung eines tschechischen Führerscheins vom 31.05.2005 erlangten britischen Führerscheins anzuerkennen".

5

Am 16. Juli 2014 hat die Klägerin (Untätigkeits-)Klage auf Anerkennung der Inlandsgültigkeit ihres britischen Führerscheins erhoben. Während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens hat das Landratsamt eine Auskunft des Resper Casework Team der britischen Driver & Vehicle Licensing Agency - DVLA - vom 22. Februar 2016 vorgelegt; dort wird mitgeteilt, der Klägerin sei ihre britische Fahrerlaubnis am 10. Februar 2015 endgültig entzogen worden.

6

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Sie dürfte bereits unzulässig sein, da mit der Aufhebung der britischen Fahrerlaubnis ein erledigendes Ereignis eingetreten sei; jedenfalls sei sie unbegründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Anerkennung des Führerscheins. Da es infolge der Aufhebung bereits an einer gültigen EU-Fahrerlaubnis fehle, komme es nicht darauf an, ob bei der Ausstellung des britischen Führerscheins das Wohnsitzerfordernis verletzt worden sei und damit die Voraussetzungen von § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) vorlägen.

7

Im Berufungszulassungsverfahren hat das Landratsamt eine weitere Auskunft der Driver & Vehicle Licensing Agency vom 24. Mai 2016 vorgelegt, in der die rechtskräftige Entziehung der britischen Fahrerlaubnis der Klägerin bestätigt wird.

8

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Sie habe keinen Anspruch auf die mit dem Hauptantrag begehrte Feststellung einer Inlandsfahrberechtigung aus der britischen Fahrerlaubnis. Diesem Feststellungsbegehren stehe die bestandskräftige Entziehung der britischen Fahrerlaubnis durch die britische Fahrerlaubnisbehörde DVLA entgegen. Damit sei die Klägerin nicht, wie § 28 Abs. 1 FeV voraussetze, Inhaberin einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis. Unabhängig davon stehe einer Inlandsfahrberechtigung der Klägerin auch der Ausschlussgrund des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV entgegen, da die der britischen Fahrerlaubnis zugrundeliegende tschechische Fahrerlaubnis unter Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis erteilt worden sei. Diese Regelung sei auch dann anzuwenden, wenn - wie hier - ein unter Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis ausgestellter EU-Führerschein ohne erneute Überprüfung der Fahreignung in den Führerschein eines anderen EU-Mitgliedstaates umgetauscht werde, der seinerseits keinen weiteren Wohnsitzverstoß dokumentiere. Diese Auslegung entspreche am besten dem Ziel, den die Verkehrssicherheit beeinträchtigenden Missbrauch des Anerkennungsgrundsatzes zu bekämpfen. Sie stehe auch im Einklang mit dem Unionsrecht. In allen Fällen, in denen im Rahmen der (mit dem Umtausch des Führerscheins zugleich erfolgenden) Neuerteilung der Fahrerlaubnis keine erneute Prüfung der Fahreignung des Betroffenen erfolge, setze die neu erteilte (zweite) Fahrerlaubnis auf der ersten Fahrerlaubnis auf. Deswegen hafteten Mängel dieser ersten Fahrerlaubnis auch der zweiten Fahrerlaubnis weiter an mit der Folge, dass dem Führerschein, der diese zweite Fahrerlaubnis dokumentiere, ebenfalls die Anerkennung versagt werden könne. Die Annahme, mit der prüfungsfreien Neuerteilung einer zweiten Fahrerlaubnis im Wege des Umtauschs würden Mängel der umgetauschten (ersten) Fahrerlaubnis geheilt, finde in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union keine Grundlage. Dort sei geklärt, dass ein Aufnahmemitgliedstaat die Anerkennung eines Führerscheins ablehnen könne, der auf der Grundlage eines Führerscheins ausgestellt worden sei, der mit einer Unregelmäßigkeit behaftet sei, die die Nichtanerkennung des letztgenannten Führerscheins rechtfertige. Vor diesem Hintergrund könne offenbleiben, ob die Auskunft der britischen Fahrerlaubnisbehörde vom 24. Mai 2016 - wofür vieles spreche - so zu verstehen sei, dass die Klägerin auch beim Umtausch der tschechischen in eine britische Fahrerlaubnis gegen das Wohnsitzprinzip verstoßen habe und die Anerkennung der britischen Fahrerlaubnis zusätzlich auch deswegen ausscheide. Aus den genannten Gründen habe auch der Hilfsantrag der Klägerin keinen Erfolg, der auf die Feststellung gerichtet sei, sie sei bis zum Zeitpunkt der behaupteten Entziehung der britischen Fahrerlaubnis berechtigt gewesen, von ihr im Bundesgebiet Gebrauch zu machen.

9

Mit der Revision begehrt die Klägerin nur noch die Feststellung, dass sie berechtigt gewesen war, von ihrer britischen Fahrerlaubnis vom 22. Februar 2009 bis zum 10. Februar 2015 im Inland Gebrauch zu machen. Zur Begründung macht sie geltend: Ihr noch im Streit stehender Fortsetzungsfeststellungsantrag sei zulässig. Sie habe ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung einer Inlandsfahrberechtigung, obwohl sich die Erteilung der britischen Fahrerlaubnis mittlerweile durch die Entziehung vom 10. Februar 2015 erledigt habe. Gegen sie sei noch ein Strafverfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis am 28. Februar 2013 anhängig. Die Umschreibung ihrer Fahrerlaubnis sei ein ausländischer Verwaltungsakt, der vom Anerkennungsmechanismus des § 28 FeV und Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG erfasst werde. Der Wohnsitzverstoß setze sich nicht in der neuen Fahrerlaubnis fort. Der Hinweis auf die Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in den Fällen Apelt und Köppl gehe fehl, da es dort nicht um eine Umschreibung, sondern darum gegangen sei, auf eine inlandsungültige Fahrerlaubnis eine weitere Fahrerlaubnis aufzusatteln. Die britische Behörde habe keine Veranlassung gehabt, von einem Makel des tschechischen Führerscheins auszugehen, weil es in Großbritannien eine Vorschrift wie die des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV nicht gebe. Wenn schon eine durch Bestechung, aber originär zustande gekommene Fahrerlaubnis trotz vollständiger Rechtswidrigkeit erst einmal anerkannt werden müsse, dann gelte das erst recht, wenn es sich um eine Fahrerlaubnis handele, die nur nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates mit einem Makel behaftet sei.

10

Der Beklagte tritt der Revision entgegen und trägt vor: Die der britischen Fahrerlaubnis zugrundeliegende tschechische Fahrerlaubnis vom 31. Mai 2005 sei unter Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis erteilt worden. Die Inlandsungültigkeit der tschechischen Fahrerlaubnis setze sich nach dem Umtausch in der britischen Fahrerlaubnis fort. Der Berechtigung, damit Kraftfahrzeuge in Deutschland zu führen, stehe § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV entgegen, auch wenn der Wohnsitzverstoß im neuen Führerschein nicht dokumentiert sei. Das Berufungsurteil verletze auch das Unionsrecht nicht.

II

11

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Berufungsurteil steht im Ergebnis im Einklang mit Bundesrecht und den Vorgaben des Rechts der Europäischen Union (§ 137 Abs. 1 VwGO). Das Berufungsgericht geht zu Recht davon aus, dass der sich unmittelbar aus dem tschechischen Führerschein ergebende Verstoß gegen das unionsrechtliche Wohnsitzerfordernis in dem durch Umtausch erworbenen britischen Führerschein fortwirkt und es dem Beklagten deshalb für den hier noch im Streit stehenden Zeitraum bis zur Aufhebung der britischen Fahrerlaubnis nicht verwehrt war, eine daraus hergeleitete Inlandsfahrberechtigung der Klägerin für Kraftfahrzeuge der Klasse B nicht anzuerkennen. Das ergibt sich nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2018 - 3 C 9.17 [ECLI: DE: BVerwG: 2018: 050718U3C9.17.0] - BVerwGE 162, 308 Rn. 16 ff.) zwar nicht - wie das Berufungsgericht meint - aus einer unmittelbaren Anwendung von § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV, jedoch aus einer analogen Anwendung dieser Vorschrift (1.). Die im deutschen Fahrerlaubnisrecht angeordnete Nichtanerkennung einer Inlandsfahrberechtigung steht im Einklang mit dem unionsrechtlichen Anerkennungsgrundsatz (Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG). Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es keiner Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union ("acte clair"). Auch das lässt sich dem Urteil vom 5. Juli 2018 (a.a.O. Rn. 36 ff.) entnehmen (2. und 3.). Die Berechtigung zur Nichtanerkennung einer Inlandsfahrberechtigung der Klägerin schließt die in ihrem britischen Führerschein zusätzlich ausgewiesene Fahrerlaubnis der Klasse B1 ein (4.).

12

1. Nach dem deutschen Fahrerlaubnisrecht folgt die fehlende Inlandsfahrberechtigung der Klägerin aus § 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV) in entsprechender Anwendung. Da die Klägerin die Feststellung ihrer Inlandsfahrberechtigung nur noch für einen Zeitraum in der Vergangenheit, nämlich für die Zeit vom 22. Februar 2009 bis zum 10. Februar 2015, begehrt, kommt es auf die für diesen Zeitraum geltende Fassung der Vorschriften an.

13

Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 FeV, der in seiner aktuellen Fassung auch für den noch streitigen Zeitraum galt, dürfen Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ihren ordentlichen Wohnsitz im Sinne des § 7 Abs. 1 oder 2 FeV in der Bundesrepublik Deutschland haben, vorbehaltlich der Einschränkungen nach den Absätzen 2 bis 4 im Umfang ihrer Berechtigung Kraftfahrzeuge im Inland führen. Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV, der ebenfalls unverändert geblieben ist, gilt die Berechtigung nach Absatz 1 nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie - was hier unstreitig nicht der Fall war - als Studierende oder Schüler im Sinne des § 7 Abs. 2 FeV die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben haben.

14

Ausweislich ihres tschechischen Führerscheins hatte die Klägerin ihren ordentlichen Wohnsitz zum Zeitpunkt der Erteilung der Fahrerlaubnis der Klasse B und der Ausstellung des entsprechenden Führerscheins am 31. Mai 2005 nicht im Ausstellungsmitgliedstaat Tschechien, sondern in der Bundesrepublik Deutschland. Dagegen ist in dem am 22. Februar 2009 durch Umtausch erworbenen britischen Führerschein, der außer der Klasse B auch die Klasse B1 ausweist, ein Wohnsitz in London eingetragen, so dass sich aus diesem Führerschein selbst kein - weiterer - Verstoß gegen das unionsrechtliche Wohnsitzerfordernis ergibt.

15

Die Annahme des Berufungsgerichts, die hier für die Nichtanerkennung maßgebliche Norm des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV lasse nach dem Wortlaut der Vorschrift auch die Auslegung zu, dass mit "Führerschein" nicht nur das zuletzt gültige, sondern auch das die Ersterteilung der Fahrerlaubnis dokumentierende Ausweispapier gemeint sei, steht nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats nicht im Einklang mit Bundesrecht. Nach seinem - zeitlich freilich nach dem hier angegriffenen Berufungsurteil ergangenen - Urteil vom 5. Juli 2018 - 3 C 9.17 - (BVerwGE 162, 308) findet der Ausnahmetatbestand des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV in Fällen der vorliegenden Art keine unmittelbare Anwendung (a.a.O. Rn. 17 ff.); diese Fälle werden vom Wortlaut der Regelung nicht erfasst (a.a.O. Rn. 21). Zugleich hat der erkennende Senat aber entschieden, dass die Fortwirkung des Wohnsitzmangels aus einer entsprechenden Anwendung des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV folgt. Dazu wird im Urteil vom 5. Juli 2018 (a.a.O. Rn. 20 ff.) ausgeführt:

"Rn. 20

Die Möglichkeit einer entsprechenden Anwendung dieses Ausnahmetatbestands auf in der Norm unbewusst ungeregelte Fallkonstellationen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannt (BVerwG, Urteil vom 27. September 2012 - 3 C 34.11 - BVerwGE 144, 220 Rn. 23). Der Regelung liegt erklärtermaßen die Absicht des deutschen Verordnungsgebers zugrunde, in dem vom Gerichtshof der Europäischen Union gebilligten Umfang Fälle von Führerscheintourismus zu bekämpfen (vgl. EuGH, Urteil vom 26. Juni 2008 - C-329/06 u.a. [ECLI: EU: C: 2008: 366], Wiedemann und Funk - NJW 2008, 2403 Rn. 69) und ausländischen Fahrerlaubnissen die Anerkennung in Deutschland zu versagen, die unter einem offensichtlichen Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis erteilt worden sind (Begründung zur Dritten Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung, BR-Drs. 851/08 S. 5 ff.).

Rn. 21

Es liegt auch eine Regelungslücke vor. Die Fallgestaltung, in der sich der Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis zum Zeitpunkt der Erteilung der EU- oder EWR-Fahrerlaubnis wegen des späteren Umtauschs in einem anderen Mitgliedstaat nicht mehr unmittelbar aus dem aktuellen (umgetauschten) Führerschein oder aus den von dessen Ausstellungsmitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen ergibt, ist vom Wortlaut der Bestimmung nicht erfasst.

Rn. 22

Sinn und Zweck der Regelung gebieten eine Erstreckung der Vorschrift auf diese Ausnahmekonstellation; dies entspricht der einhelligen Auffassung in der oberverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 29. August 2017 - 10 S 856/17 [ECLI: DE: VGHBW: 2017: 0829.10S856.17.00] - VBlBW 2018, 156 [VGH Baden-Württemberg 29.08.2017 - 10 S 856/17] <158>; VGH München, Urteil vom 13. Februar 2013 - 11 B 11.2798 [ECLI: DE: BAYVGH: 2013: 0213.11B11.2798.0A] - juris Rn. 47 sowie OVG Weimar, Beschluss vom 29. April 2016 - 2 EO 563/15 [ECLI: DE: OVGTH: 2016: 0429.2EO563.15.0A] - juris Rn. 19; vgl. auch OVG Saarlouis, Beschluss vom 10. März 2017 - 1 B 357/16 [ECLI: DE: OVGSL: 2017: 0310.1B357.16.0A] - juris Rn. 9 in einem auf § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV bezogenen Fall). Auch im Fall des späteren Umtauschs beruht der Führerschein auf einem Verstoß gegen die zwingende Zuständigkeitsvoraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes im Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung; er löst eine Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung daher nicht aus. Dies ist der materiell maßgebliche Gesichtspunkt, der die in § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV ausgesprochene Nichtanerkennung trägt und rechtfertigt (vgl. BR-Drs. 851/08 S. 6 und 8).

Rn. 23

Anhaltspunkte dafür, dass der Verordnungsgeber diese Fallgestaltung nicht von der Regelungswirkung erfasst sehen wollte, sind nicht ersichtlich. Sie ergeben sich insbesondere nicht aus der nachträglichen Anfügung von § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 und 8 FeV durch die Siebte Verordnung zur Änderung der Fahrerlaubnis-Verordnung und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 26. Juni 2012 (BGBl. I S. 1394), die zwar den Umtausch in eine EU- oder EWR-Fahrerlaubnis regeln, aber nur die Fälle der ursprünglich in einem Drittstaat erteilten Fahrerlaubnis erfassen. Nur diese Fälle hatte der Verordnungsgeber im Blick (BR-Drs. 245/12 S. 28). Rückschlüsse auf EU-Fahrerlaubnisse, die ein anderer Mitgliedstaat umgetauscht hat, lassen § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 und 8 FeV deshalb nicht zu. Insbesondere kann den Vorschriften nicht entnommen werden, dass der Verordnungsgeber die von einem anderen Mitgliedstaat unter Verstoß gegen die Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes erteilte Fahrerlaubnis deswegen anerkannt sehen will, weil sie nachträglich in den Führerschein eines anderen Mitgliedstaats umgetauscht worden ist. Dem steht bereits das ausdrücklich formulierte Anliegen der Bekämpfung des Führerschein-Tourismus entgegen (BR-Drs. 245/12 S. 28).

Rn. 24

cc) Die in der strafgerichtlichen Rechtsprechung teilweise vertretene Auffassung, durch den Umtausch eines Führerscheins wirke der Verstoß gegen die Voraussetzung des ordentlichen Wohnsitzes im Zeitpunkt der Fahrerlaubniserteilung nicht mehr fort (vgl. OLG Jena, Beschluss vom 8. Juli 2013 - 1 Ss 17/13 u.a. [ECLI: DE: OLGTH: 2013: 0708.1SS17.13.0A] - NZV 2013, 509 [BGH 04.04.2013 - 3 StR 529/12] <510 f.>; für den Fall der Verlängerung der Geltungsdauer auch OLG Stuttgart, Urteil vom 5. Februar 2015 - 4 Ss 697/14 [ECLI: DE: OLGSTUT: 2015: 0205.4SS697.14.0A] - NZV 2015, 512 sowie OLG Zweibrücken, Beschluss vom 18. Januar 2016 - 1 Ss 106/15 [ECLI: DE: POLGZWE: 2016: 0118.1OLG1SS106.15.0A] - juris Rn. 12), ist maßgebend durch das im Strafrecht geltende Analogieverbot und die besonderen Anforderungen an die Bestimmtheit von Straftatbeständen geprägt. Diese Gesichtspunkte sind auf das Gefahrenabwehrrecht nicht übertragbar. Im Übrigen trägt eine Gleichstellung von Umtausch und Neuausstellung eines Führerscheins dem begrenzten Zweck und Prüfprogramm eines Umtauschs nicht hinreichend Rechnung."

16

Durchgreifende Gründe, weshalb hiervon abzugehen sein sollte, werden von der Klägerin nicht aufgezeigt. Sie beruft sich zum einen darauf, dass das britische Fahrerlaubnisrecht eine Regelung wie die des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV nicht kenne und die britische Ausstellungsbehörde daher keinen Anlass gehabt habe, von einem Makel des tschechischen Führerscheins auszugehen. Das geht schon deshalb fehl, weil es hier allein um die Anerkennung der Gültigkeit des Führerscheins auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland geht und ein Verstoß gegen das unionsrechtliche Wohnsitzerfordernis in Rede steht. Ebenso wenig trägt ihr Einwand, eine analoge Anwendung von § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV müsse deshalb unterbleiben, weil es sich nicht um eine unbewusste, sondern nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts um eine dem Verordnungsgeber bewusste Regelungslücke handele, die er aber anders als in sonstigen Fällen, in denen er der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union mit einer entsprechenden Ergänzung der Ausschlussgründe des § 28 Abs. 4 FeV Rechnung getragen habe, nicht geschlossen habe. Das geht daran vorbei, dass der Verordnungsgeber eine ausdrückliche Änderung von § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV nicht mehr für erforderlich halten musste, nachdem der erkennende Senat diese Vorschrift auf Fälle der hier vorliegenden Art für entsprechend anwendbar erklärt hat. Durch diese Rechtsprechung wurde - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht eine unbewusste zu einer bewussten Regelungslücke, vielmehr ist durch den richterrechtlichen Analogieschluss bereits die von der Klägerin vermisste Lückenschließung erfolgt.

17

2. Die sich aus § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV in analoger Anwendung ergebende Nichtanerkennung des britischen Führerscheins der Klägerin steht im Einklang mit dem unionsrechtlichen Anerkennungsgrundsatz des Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (ABl. L 403 S. 18). Auch das hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 5. Juli 2018 - BVerwG 3 C 9.17 - (BVerwGE 162, 308 Rn. 27 ff.) bereits im Einzelnen dargelegt:

"Rn. 27

a) Art. 2 Abs. 1 der hier in zeitlicher Hinsicht maßgeblichen (vgl. EuGH, Urteil vom 1. März 2012 - C-467/10 [ECLI: EU: C: 2012: 112], Akyüz - NJW 2012, 1341 [EuGH 01.03.2012 - Rs. C-467/10] Rn. 31 f.) sogenannten dritten Führerschein-Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (ABl. L 403 S. 18) sieht - ebenso wie Art. 1 Abs. 2 der vorangegangenen sogenannten zweiten Führerschein-Richtlinie 91/439/EWG - die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vor (EuGH, Urteil vom 26. April 2012 - C-419/10 [ECLI: EU: C: 2012: 240], Hofmann - NJW 2012, 1935 Rn. 43 ff.).

Rn. 28

Der Begriff des 'Führerscheins' in Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG bezieht sich auf das Dokument, das zum Nachweis des Vorliegens einer Fahrerlaubnis ausgestellt wird (EuGH, Urteil vom 26. Oktober 2017 - C-195/16 [ECLI: EU: C: 815], I - Rn. 48 f.). Die Bestimmungen der unionsrechtlichen Führerscheinrichtlinien zielen auf eine Standardisierung und Harmonisierung der in den Mitgliedstaaten ausgestellten Legitimationspapiere ab, um deren gegenseitige Anerkennung in den Mitgliedstaaten zu erleichtern und zu ermöglichen. Die Anerkennung der in einem anderen Mitgliedstaat erworbenen Fahrerlaubnis als solche ist in der Richtlinie 2006/126/EG nicht vorgesehen, sondern nur die Folge der mit der Richtlinie eingeführten gegenseitigen Anerkennung der Führerscheine.

Rn. 29

Die Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung gilt unbeschadet etwaig abweichender nationaler Vorschriften in einzelnen Mitgliedstaaten, etwa hinsichtlich besonderer Feststellungen zur körperlichen und geistigen Eignung für das Führen eines Kraftfahrzeugs. Da die unionsrechtlichen Vorgaben nur eine Mindestharmonisierung vorschreiben (vgl. Erwägungsgrund 8 der Richtlinie 2006/126/EG), steht es den Mitgliedstaaten zwar frei, strengere Vorschriften beizubehalten oder zu erlassen. Dies entbindet sie aber nicht von der Verpflichtung, Führerscheine anzuerkennen, die in anderen Mitgliedstaaten im Einklang mit den unionsrechtlichen Vorgaben ausgestellt worden sind (EuGH, Urteil vom 1. März 2012 - C-467/10, Akyüz - NJW 2012, 1341 [EuGH 01.03.2012 - Rs. C-467/10] Rn. 54).

Rn. 30

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist nur der Ausstellungsmitgliedstaat für die Überprüfung zuständig, ob die im Unionsrecht aufgestellten Mindestanforderungen, insbesondere die Voraussetzungen hinsichtlich des ordentlichen Wohnsitzes und der Fahreignung, erfüllt sind und ob somit die Erteilung einer Fahrerlaubnis gerechtfertigt ist. Der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins ist als Beweis dafür anzusehen, dass sein Inhaber am Tag der Ausstellung diese Ausstellungsvoraussetzungen erfüllte. Andere Mitgliedstaaten sind daher nicht befugt, die Beachtung der unionsrechtlich aufgestellten Anforderungen nachzuprüfen. Dies gilt auch bei der Erneuerung eines Führerscheins (EuGH, Urteil vom 25. Juni 2015 - C-664/13 [ECLI: EU: C: 2015: 417], Nimanis - NJW 2015, 3219 Rn. 39).

Rn. 31

Hat ein Aufnahmemitgliedstaat triftige Gründe, die Ordnungsgemäßheit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins zu bezweifeln, so hat er dies dem Ausstellungsmitgliedstaat mitzuteilen. Es ist allein Sache dieses Mitgliedstaates, geeignete Maßnahmen in Bezug auf diejenigen Führerscheine zu ergreifen, bei denen sich nachträglich herausstellt, dass ihre Inhaber die vorgeschriebenen Voraussetzungen nicht erfüllten (EuGH, Urteil vom 26. Juni 2008 - C-329/06 u.a., Wiedemann und Funk - NJW 2008, 2403 Rn. 56 f.).

Rn. 32

b) Unter bestimmten Voraussetzungen ist es einem Aufnahmemitgliedstaat aber nicht verwehrt, in seinem Hoheitsgebiet die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins zu versagen. Diese Möglichkeit ist insbesondere anerkannt, wenn - aufgrund von Angaben im Führerschein selbst oder anderen vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen - feststeht, dass die unionsrechtlich vorgesehene Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes zum Zeitpunkt der Führerscheinausstellung nicht beachtet wurde (EuGH, Urteil vom 26. April 2012 - C-419/10, Hofmann - NJW 2012, 1935 Rn. 48 ff. m.w.N.).

Rn. 33

Grundsätzlich löst nur ein unter Einhaltung der Wohnsitzvoraussetzung vom zuständigen Ausstellungsmitgliedstaat ausgestellter Führerschein die Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung aus (vgl. EuGH, Urteile vom 19. Mai 2011 - C-184/10 [ECLI: EU: C: 2011: 324], Grasser - Rn. 23 f. und vom 25. Juni 2015 - C-664/13, Nimanis - NJW 2015, 3219 Rn. 38 m.w.N.). Mangels einer vollständigen Harmonisierung der Regelungen in den Mitgliedstaaten über die Erteilung von Fahrerlaubnissen ist die Wohnsitzvoraussetzung eine unerlässliche Bedingung, um den 'Führerschein-Tourismus' zu bekämpfen (EuGH, Urteil vom 26. Juni 2008 - C-329/06 u.a., Wiedemann und Funk - NJW 2008, 2403 Rn. 69).

Rn. 34

Die insoweit eingeschränkte Prüfbefugnis des Aufnahmemitgliedstaates schließt nicht aus, dass seine Behörden ihre Vertretungen im Ausstellungsmitgliedstaat einschalten, um sich derartige Informationen von den dortigen Behörden zu verschaffen (EuGH, Urteil vom 1. März 2012 - C-467/10, Akyüz - NJW 2012, 1341 Rn. 72; BVerwG, Urteil vom 25. Februar 2010 - 3 C 15.09 - BVerwGE 136, 149 Rn. 19). Entsprechende Auskünfte können auch nachträglich im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eingeholt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Februar 2010 - 3 C 15.09 - BVerwGE 136, 149 Rn. 21 ff.).

Rn. 35

Die Nichtbeachtung der den ordentlichen Wohnsitz betreffenden Voraussetzungen rechtfertigt es bereits für sich, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung eines von einem anderen Mitgliedstaat (unter Verstoß gegen die Zuständigkeitsbestimmungen) ausgestellten Führerscheins ablehnt (EuGH, Beschluss vom 22. November 2011 - C-590/10 [ECLI: EU: C: 2011: 765], Köppl - NJW 2012, 2018 Rn. 32). Unerheblich ist deshalb, ob der Inhaber des Führerscheins darüber hinaus einen Verkehrsverstoß begangen und der Aufnahmemitgliedstaat entsprechende Maßnahmen nach seinen innerstaatlichen Vorschriften auf ihn angewandt hat (EuGH, Urteil vom 19. Mai 2011 - C-184/10, Grasser - Rn. 32).

Rn. 36

c) Hat ein Mitgliedstaat einen Führerschein ausgestellt, den die übrigen Mitgliedstaaten wegen eines offensichtlichen Verstoßes gegen das Wohnsitzerfordernis nicht anerkennen müssen, und tauscht ein anderer Mitgliedstaat diesen Führerschein gegen einen gleichwertigen Führerschein um, sind die übrigen Mitgliedstaaten unionsrechtlich nicht verpflichtet, den im Wege des Umtauschs ausgestellten Führerschein anzuerkennen. Der offensichtliche Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis wirkt in diesem Führerschein fort.

Rn. 37

aa) In der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist geklärt, dass ein offensichtlicher Verstoß gegen das Erfordernis eines ordentlichen Wohnsitzes auch die Nichtanerkennung späterer Führerscheine rechtfertigt, die auf der Grundlage dieses Führerscheins ausgestellt worden sind. Das ist auch dann der Fall, wenn sich die Nichtbeachtung der Wohnsitzvoraussetzung aus dem später ausgestellten Führerschein selbst nicht mehr ergibt.

Rn. 38

Die hierzu ergangenen Entscheidungen betreffen Fälle, in denen den Klägern zunächst Führerscheine der Klasse B ausgestellt wurden, die unter einem offensichtlichen Verstoß gegen das Erfordernis eines ordentlichen Wohnsitzes litten. Auf Grundlage dieser Führerscheine wurden später - ohne Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis - neue und um die Klassen C bzw. D erweiterte Führerscheine ausgestellt, deren Erteilung eine gültige Fahrerlaubnis für die Klasse B voraussetzt. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat eine Fortwirkung des offensichtlichen Verstoßes gegen das Wohnsitzerfordernis sowohl für die bei der Neuausstellung hinzugekommenen Fahrerlaubnisklassen angenommen als auch hinsichtlich der im neuen Führerschein dokumentierten Fahrerlaubnis der Klasse B. Er hat entschieden, dass der Aufnahmemitgliedstaat insgesamt zur Nichtanerkennung berechtigt ist, auch wenn sich die Nichtbeachtung des Wohnsitzerfordernisses aus dem neuen Führerschein nicht mehr ergibt (EuGH, Urteil vom 13. Oktober 2011 - C-224/10 [ECLI: EU: C: 2011: 655], Apelt - Rn. 47 und Beschluss vom 22. November 2011 - C-590/10, Köppl - NJW 2012, 2018 Rn. 52).

Rn. 39

bb) Für den Umtausch eines gegen das Wohnsitzerfordernis verstoßenden Führerscheins durch einen neuen Wohnsitzmitgliedstaat kann nichts anderes gelten. Anders als die Ausstellung eines Führerscheins, die die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis dokumentiert, lässt der bloße Umtausch eines Führerscheins den Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis unberührt; der Verstoß setzt sich in dem umgetauschten Führerschein fort. Die Wohnsitzvoraussetzung ist unerlässlich, um die Einhaltung der Voraussetzung der Fahreignung zu überprüfen (EuGH, Urteile vom 26. Juni 2008 - C-329/06 u.a., Wiedemann und Funk - NJW 2008, 2403 Rn. 69 und vom 19. Mai 2011 - C-184/10, Grasser - Rn. 27). Eine Heilung des Wohnsitzverstoßes käme deshalb nur in Betracht, wenn im Rahmen des Umtauschs zu prüfen wäre, ob der Inhaber des unter Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis ausgestellten Führerscheins nach Maßgabe des Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/126/EG zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist. Das ist nicht der Fall. Wird ein Führerschein lediglich umgetauscht, ist die Fahreignung nicht zu prüfen.

Rn. 40

Die Personenfreizügigkeit und die Niederlassungsfreiheit sollen grundsätzlich nicht durch Umtausch, sondern durch gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine erreicht werden (vgl. Erwägungsgründe 2 und 6 der Richtlinie 2006/126/EG). Hat der Inhaber eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Führerscheins seinen ordentlichen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat begründet, so muss er seinen Führerschein nicht umtauschen lassen; er kann aber einen Antrag auf Umtausch seines Führerscheins gegen einen gleichwertigen Führerschein stellen (Art. 11 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2006/126/EG). Ein solcher Umtausch kann insbesondere hilfreich sein, um Unklarheiten hinsichtlich der Reichweite der Fahrberechtigung zu beseitigen; diese können sich aus der fehlenden Harmonisierung der Fahrzeugklassen ergeben (vgl. Erwägungsgrund 2 der Richtlinie 2006/126/EG). Der umtauschende Mitgliedstaat prüft - neben der Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes -, für welche Fahrzeugklasse der vorgelegte Führerschein tatsächlich noch gültig ist (Art. 11 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2006/126/EG), und stellt einen gleichwertigen Führerschein aus. Eine Prüfung der Fahreignung (Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/126/EG) durch den umtauschenden Mitgliedstaat ist nicht vorgesehen. Eine solche Prüfung allein wegen des Wohnsitzwechsels würde dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung auch widersprechen. Ihr käme - im Hinblick auf den Aufwand und etwaige Kosten - jedenfalls eine mittelbar diskriminierende Wirkung zu (vgl. zur Unzulässigkeit selbst eines Registrierungserfordernisses EuGH, Urteil vom 9. September 2004 - C-195/02 [ECLI: EU: C: 2004: 498], Kommission/ Spanien - Rn. 55).

Rn. 41

Da die Fahreignung beim Umtausch eines Führerscheins nach Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG nicht zu prüfen ist, besteht kein Sachgrund dafür, das Umtauschdokument besser zu stellen als den zugrundeliegenden Originalführerschein. Vielmehr würde dadurch der Weg zu einem zweistufigen Führerschein-Tourismus gebahnt. Die Voraussetzung eines ordentlichen Wohnsitzes im Ausstellungsmitgliedstaat ist für den Anerkennungsgrundsatz von zentraler Bedeutung. Nur ein unter Beachtung dieser Voraussetzung vom zuständigen Mitgliedstaat ausgestellter Führerschein löst die Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung aus (EuGH, Urteil vom 19. Mai 2011 - C-184/10, Grasser - Rn. 24).

Rn. 42

Aus Art. 11 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 2006/126/EG ergibt sich nichts anderes. Gemäß Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG kann der Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsgrundsatzes auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden und zu diesem Zweck den betreffenden Führerschein erforderlichenfalls umtauschen (vgl. EuGH, Urteil vom 23. April 2015 - C-260/13 [ECLI: EU: C: 2015: 257], Aykul - NJW 2015, 2945 Rn. 59). Ein Mitgliedstaat kann zudem einem von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein die Anerkennung versagen, wenn der Inhaber nach Ausstellung seines Führerscheins auf dem Gebiet des zuerst genannten Mitgliedstaats gegen Verkehrsvorschriften verstoßen hat und dadurch nach dessen nationalen Rechtsvorschriften die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen in Frage gestellt ist (EuGH, Urteil vom 23. April 2015 - C-260/13, Aykul - a.a.O. Rn. 71, 73). In diesem Fall ist es Aufgabe der Behörden des Mitgliedstaates, in dessen Hoheitsgebiet die Zuwiderhandlung begangen wurde, zu prüfen, ob der Inhaber des Führerscheins zum Fahren in seinem Hoheitsgebiet wieder geeignet ist (EuGH, Urteil vom 23. April 2015 - C-260/13, Aykul - a.a.O. Rn. 74). Die dargelegten Befugnisse im Hinblick auf nach Ausstellung des Führerscheins begangene Verstöße gegen Verkehrsvorschriften hat ein Mitgliedstaat unabhängig davon, ob der Inhaber des Führerscheins dessen Umtausch beantragt hat oder nicht. Selbst wenn er den Umtausch beantragt hat, ist die Wiedererlangung der Fahreignung nicht im Umtauschverfahren zu prüfen, sondern nur, wenn der Antragsteller die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis und die Ausstellung eines entsprechenden Führerscheins beantragt. Die Ablehnung des Umtauschs kann im Übrigen nicht die Feststellung ersetzen, dass der Inhaber des Führerscheins wegen nach Ausstellung des Führerscheins begangener Zuwiderhandlungen nicht berechtigt ist, im Inland Kraftfahrzeuge zu führen.

Rn. 43

Gemäß Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG lehnt ein Mitgliedstaat es ab, einem Bewerber, dessen Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen wurde, einen Führerschein auszustellen. Daraus folgt nicht, dass ein solcher Bewerber nie mehr, auch nicht nach Ablauf einer Sperrfrist für die Wiedererteilung einen neuen Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat erhalten könnte (EuGH, Urteil vom 26. April 2012 - C-419/10, Hofmann - NJW 2012, 1935 Rn. 74). Auch insoweit ist die Wiedererlangung der Fahreignung im Sinne des Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/126/EG nicht im Umtauschverfahren, sondern erst zu prüfen, wenn die Sperrfrist abgelaufen und die Person die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis und die Ausstellung eines entsprechenden Führerscheins beantragt hat. Bis dahin lehnt der Mitgliedstaat den Umtausch des Führerscheins ohne weitere Prüfung ab.

Rn. 44

cc) Dass ein Führerschein im Wege des Umtauschs ausgestellt wurde, ist auch aus dem neuen Führerscheindokument selbst ersichtlich (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. September 2012 - 3 C 34.11 - BVerwGE 144, 220 Rn. 16). Nach den Bestimmungen des Anhangs I der Richtlinie 2006/126/EG ist beim Umtausch eines Führerscheins im neuen Führerschein auf dessen Seite 2 die Code-Nummer 70, die Führerscheinnummer des umgetauschten Führerscheins mit einer Kennung für den Mitgliedstaat, der ihn ausgestellt hatte, und das Ausstellungsdatum des umgetauschten Führerscheins mit der entsprechenden Angabe für jede Fahrzeugklasse einzutragen. Die ursprüngliche Fahrerlaubnis wirkt damit sichtbar auch in dem auf der Grundlage eines Umtauschs neu ausgestellten Führerschein fort."

18

Dem kann die Klägerin nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass eine durch Bestechung, aber originär zustande gekommene Fahrerlaubnis trotz vollständiger Rechtswidrigkeit erst einmal anerkannt werden müsste. Es kann offenbleiben, inwieweit diese Behauptung zutrifft. Denn jedenfalls für den hier vorliegenden Fall eines offensichtlichen Verstoßes gegen das Wohnsitzerfordernis hat der Gerichtshof der Europäischen Union - wie gezeigt - mit Blick auf die besondere Bedeutung, die diesem Erfordernis im Rahmen der Beurteilung der Fahreignung und zur Bekämpfung des Führerschein-Tourismus zukommt, den Mitgliedstaaten eine Befugnis zur Nichtanerkennung des ursprünglichen Führerscheins und - wie dargelegt - auch daraus im Wege des Umtauschs abgeleiteter Führerscheine eingeräumt (vgl. dazu nun auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Juni 2019 - 1 N 12.19 - juris).

19

3. Der Hilfsantrag der Klägerin, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen, bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Auch hierfür kann auf die Ausführungen im Urteil des erkennenden Senats vom 5. Juli 2018 - 3 C 9.17 - (BVerwGE 162, 308) verwiesen werden:

"Rn. 45

dd) Zur Einholung einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) besteht kein Anlass. Die Auslegung der Richtlinie 2006/126/EG ist, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, nicht zweifelhaft. Klärungsbedarf ergibt sich auch nicht aus dem Vorlagebeschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 20. Dezember 2017 - 2 RV 7 Ss 558/17 [ECLI: DE: OLGKARL: 2017: 1220.2RV7SS558.17.00] - DAR 2018, 94). Dort ging es nicht um den Umtausch eines unter Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis ausgestellten EU-Führerscheins, sondern um den Umtausch eines gefälschten Führerscheins eines Drittstaates nach Art. 11 Abs. 6 der Richtlinie 2006/126/EG. Auch aus der Begründung des Beschlusses ergeben sich keine Gesichtspunkte, die die dargelegte Auslegung der Richtlinie in Zweifel ziehen könnten."

20

Neue Gesichtspunkte zeigt die Revisionsbegründung der Klägerin auch mit Blick auf eine eventuelle Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht auf.

21

4. In Bezug auf die Fahrzeugklasse B1, die der britische Führerschein der Klägerin zusätzlich zu der aus dem tschechischen Führerschein im Wege des Umtauschs überführten Fahrerlaubnis der Klasse B ausweist, ergibt sich nichts anderes als für die Klasse B. Auch hier bestand für den streitigen Zeitraum keine Inlandsfahrberechtigung der Klägerin.

22

Zwar handelt es sich in Bezug auf die Klasse B1 um eine originär britische Fahrerlaubniserteilung, was in dem britischen Führerschein dadurch dokumentiert ist, dass dort in der Spalte 12 - anders als zur Klasse B - nicht der Code "70CZ" aufgeführt ist, der den Umtausch eines tschechischen Führerscheins kennzeichnet. Doch gibt es im deutschen Fahrerlaubnisrecht keine Klasse B1. Aus Art. 4 Abs. 4 Buchst. a der Richtlinie 2006/126/EG ist zu entnehmen, dass die Klasse B1 fakultativ ist und dass in Mitgliedstaaten, die - wie die Bundesrepublik Deutschland - diese Führerscheinklasse nicht einführen, ein Führerschein der Klasse B zum Führen dieser Kraftfahrzeuge erforderlich ist. Daraus folgt, dass die Klägerin in Bezug auf die Klasse B1 aus ihrem britischen Führerschein von vornherein keine eigenständige Inlandsfahrberechtigung für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland herleiten kann, sondern hier für das Führen solcher Kraftfahrzeuge einen anerkennungsfähigen Führerschein für die Klasse B benötigt. Einen solchen Führerschein besitzt sie - wie gezeigt wurde - indes nicht.

23

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Dr. Philipp

Liebler

Prof. Dr. habil. Wysk

Dr. Kuhlmann

Dr. Kenntner

Verkündet am 12. September 2019

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