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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 17.06.2021, Az.: V ZR 19/20
Vorlage der Bonds (Teilinhaberschuldverschreibungen) zur Einlösung vor Ablauf der Einlösefrist i.R.e. Anspruchs eines Gläubigers auf Einsicht in das Indenture (Begebungsurkunde)
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 17.06.2021
Referenz: JurionRS 2021, 35735
Aktenzeichen: V ZR 19/20
ECLI: ECLI:DE:BGH:2021:170621BVZR19.20.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Düsseldorf - 09.11.2018 - AZ: 10 O 61/17

OLG Düsseldorf - 19.12.2019 - AZ: I-6 U 161/18

BGH, 17.06.2021 - V ZR 19/20

Redaktioneller Leitsatz:

Eine Verletzung des Gebots rechtlichen Gehörs liegt vor, wenn das Gericht nur den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfasst und erwogen hat.

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
hat am 17. Juni 2021
durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann,
die Richterinnen Prof. Dr. SchmidtRäntsch und Weinland,
den Richter Dr. Göbel und
die Richterin Haberkamp

beschlossen:

Tenor:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 19. Dezember 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 590.000 €.

Gründe

I.

1

Die E. AG (Emittentin) legte am 1. Mai 1928 eine in 5.000 Teilinhaberschuldverschreibungen (Bonds) aufgeteilte Anleihe über 5 Millionen US-Golddollar auf, die durch Gesamtsicherungshypotheken an mehreren Grundstücken im Gebiet der späteren DDR gesichert wurden. Die Beklagte ist Grundbuchvertreterin der Bond-Gläubiger und deren Treuhänderin. Der Kläger ist amerikanischer Staatsbürger und behauptet, er sei im Besitz von 118 dieser Teilinhaberschuldverschreibungen und habe diese im Wege der Erbfolge aus dem Nachlass seines Vaters übernommen. Der Vater wiederum habe diese bei der Emission der Anleihe im Jahr 1928 bei seiner lokalen Bank erworben.

2

Der Kläger verlangt von der Beklagten im Wege der Stufenklage die Überlassung einer Fassung des Indenture (= Begebungsurkunde) der Anleihe sowie Auskunft über den Inhalt der errichteten „Fonds“ verschiedener Eigentümer von Grundstücken, die mit den Sicherungshypotheken belastet sind. Bislang nicht gestellt, aber vorbehalten hat er sich den Antrag, Ersatz des Schadens zu verlangen, der ihm durch eine Bewilligung der Löschung der Grundpfandrechte entstanden ist.

3

Das Landgericht hat die Klage wegen Ausschlusses der Klagbarkeit der Forderung aus den Bonds nach einem Begleitabkommen zu dem Londoner Schuldenabkommen als unzulässig abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abgewiesen wird. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers.

II.

4

Das Berufungsgericht hält die Stufenklage wegen des Ablaufs der Frist des § 801 Abs. 1 Satz 1 BGB für insgesamt unbegründet. Den zu der Anleihe, deren Bondholder der Kläger sei, bereits ergangenen Entscheidungen sei zu entnehmen, dass nach Art. XIV § 3 des Indenture zwar das Recht des Staates New York Anwendung finden, sich jedoch „alles, was mit der Hypothek und der übrigen Sicherheit zusammenhängt, sich nach Deutschem Rechte richten“ solle. Der Bundesgerichtshof habe in seinem Urteil vom 12. Dezember 2008 (V ZR 49/08, WM 2009, 501 Rn. 20, insoweit in BGHZ 179, 146 nicht abgedruckt) eine zulässige Teilverweisung auf das deutsche Recht gesehen, die es gebiete, auch schuldrechtliche Vorfragen dem deutschen Recht zu unterwerfen, soweit sie das Schicksal der Sicherungshypotheken beträfen. Zwar sei es seinerzeit um die Löschung von Sicherungshypotheken gegangen, während der vorliegende Fall Ansprüche gegen die Beklagte aufgrund des Treuhandverhältnisses zum Gegenstand habe. Da der Anspruch jedoch allein der Vorbereitung der Geltendmachung von Ansprüchen aus bzw. in Zusammenhang mit den Sicherungshypotheken diene, sei es gerechtfertigt, auch diesen Anspruch deutschem Recht zu unterwerfen. Dies schließe Ansprüche auf Schadensersatz ein, die der Kläger aus der Löschung der Sicherungshypotheken geltend machen wolle. Nach § 801 Abs. 1 Satz 1 BGB seien alle Ansprüche aus der Anleihe erloschen. Die Einlösungsfrist habe mit dem 1. Mai 1953 begonnen und sei damit am 1. Mai 1983 abgelaufen. Der Kläger behaupte nicht, dass die Bonds im Einlösungszeitraum zur Einlösung vorgelegt worden seien. Auch sein Einwand, § 801 BGB habe vor 1990 am Belegenheitsort nicht gegolten, verfange nicht. Das Bürgerliche Gesetzbuch sei in der DDR erst zum 1. Januar 1976 durch das Zivilgesetzbuch abgelöst worden. Für die vorher eingetragenen Sicherungshypotheken seien nach § 6 Abs. 1 EGZGB die früheren Vorschriften weiterhin anzuwenden.

III.

5

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Das angefochtene Urteil ist gemäß § 544 Abs. 9 ZPO aufzuheben, weil das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.

6

1. Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dazu gehört, den wesentlichen Kern des Vorbringens der Partei zu erfassen und - soweit er eine zentrale Frage des Verfahrens betrifft - in den Gründen zu bescheiden. Von einer Verletzung dieser Pflicht ist auszugehen, wenn die Begründung der Entscheidung nur den Schluss zulässt, dass sie auf einer allenfalls den äußeren Wortlaut, aber nicht den Sinn des Vortrags der Partei erfassenden Wahrnehmung beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 27. August 2019 - VI ZR 460/17, MDR 2020, 56 Rn. 12).

7

2. So verhält es sich hier. Das Berufungsgericht hat entscheidungserheblichen Vortrag des Klägers im Kern nicht erfasst und bei seiner Entscheidung nicht erwogen.

8

a) Der Kläger hat mit Schriftsätzen vom 2. November 2018 und vom 18. November 2019 darauf hingewiesen, dass in dem Indenture möglicherweise von § 801 BGB abweichende Vorschriften vereinbart worden seien und dass darin mit Rücksicht auf das ansonsten geltende Recht des Staates New York, das Ausschluss- oder Erlöschenstatbestände wie die des § 801 BGB nicht kenne, voraussichtlich auch eigene Regelungen zur Verjährung, möglicherweise auch zur Vorlegung der Papiere enthalten seien. Diese gingen den Regelungen in § 801 BGB vor und würden die Vorschrift verdrängen. Deshalb könne sein Anspruch auf Einsicht in das Indenture nicht mit dem bloßen Hinweis auf § 801 BGB als unbegründet angesehen werden.

9

b) Den Kern dieses Vortrags hat das Berufungsgericht nicht erfasst. Es hat den Anspruch des Klägers auf Einsicht in das Indenture mit der Begründung verneint, der dem Einsichtsanspruch zugrunde liegende Anspruch aus den Teilinhaberschuldverschreibungen erlösche nach § 801 Abs. 1 Satz 1 BGB mit Ablauf von 30 Jahren nach dem Eintritt der für die Leistung bestimmten Zeit, wenn die Bonds, mit denen der Anspruch verbrieft worden sei, nicht vor Fristablauf vorgelegt worden seien. Die Einlösungsfrist sei hier mit dem 1. Mai 1983 abgelaufen, ohne dass die Bonds zur Einlösung vorgelegt worden seien. Das Berufungsgericht hat nicht erkannt, dass der Vortrag des Klägers auf die Möglichkeit einer abweichenden Regelung gemäß § 801 Abs. 3 BGB zielt und seinen gedanklichen Ausgangspunkt, nämlich die Geltung von § 801 Abs. 1 BGB, in Frage stellt. Durch die beantragte Einsichtnahme in das Indenture möchte der Kläger feststellen, ob darin eine von der Regelung des § 801 BGB abweichende Regelung über das Erlöschen des Anspruchs sowie über Beginn und Dauer der Einlösungsfrist enthalten ist, § 801 Abs. 1 Satz 1 BGB deshalb nicht gilt und sein Anspruch aus den Inhaberschuldverschreibungen nach etwaigen Sonderregelungen nicht erloschen ist.

10

c) Dieser Vortrag ist entscheidungserheblich.

11

aa) Im Ergebnis zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings von der Maßgeblichkeit deutschen Rechts für die Frage aus, ob die Ansprüche aus der Anleihe erloschen sind.

12

(1) Das ergibt sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts jedoch nicht aus der in dem Indenture enthaltenen Rechtswahlklausel. Nach dieser Klausel soll deutsches Recht nicht nur für die zur Sicherheit der Teilinhaberschuldverschreibungen bestellten Hypotheken an in Deutschland belegenen Grundstücken, sondern auch für „alles, was mit der Hypothek und der übrigen Sicherheit zusammenhängt“, gelten. Damit gilt deutsches Recht nicht nur für Begründung, Bestand und Geltendmachung der als Sicherheit für die Teilinhaberschuldverschreibungen an den in Deutschland belegenen Grundstücken bestellten Hypotheken. Vielmehr sind auch schuldrechtliche Vorfragen dem deutschen Recht unterstellt, soweit sie das Schicksal der Sicherungshypotheken betreffen (vgl. Senat, Urteil vom 12. Dezember 2008 - V ZR 49/08, WM 2009, 501 Rn. 20, insoweit in BGHZ 179, 146 nicht abgedruckt). Diese Sonderanknüpfung betrifft zwar alle, aber auch nur die schuldrechtlichen Vorfragen, die für das Schicksal der Sicherungshypotheken relevant sind. Dazu gehört ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte als Treuhänderin bzw. Grundbuchvertreterin nicht. Solche Ansprüche sind für den Bestand und das Schicksal der Sicherungshypotheken irrelevant; es spricht viel dafür, dass sich Bestand und Inhalt solcher Ansprüche nach dem Recht des Staates New York richtet, das nach der Rechtswahlklausel in dem Indenture auch sonst gelten soll.

13

(2) Deutsches Recht ist aber deshalb maßgeblich, weil die beschriebene Sonderanknüpfung der für das Schicksal der Sicherungshypotheken relevanten schuldrechtlichen Fragen auch dann gilt, wenn es auf Bestand und Schicksal der Sicherungshypotheken als Vorfrage für einen anderen Anspruch - hier für einen möglichen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte als Treuhänderin bzw. Grundbuchvertreterin - ankommt, der im Übrigen einem ausländischen Recht untersteht.

14

bb) Nach dem maßgeblichen deutschen Sachrecht bestimmt sich im Zusammenhang mit der Sicherungshypothek das Erlöschen der Forderung aus der Inhaberschuldverschreibung aber im Hinblick auf § 801 Abs. 3 BGB in erster Linie danach, was hierzu von dem Aussteller in der Urkunde über die Inhaberschuldverschreibung, hier also in dem Indenture, bestimmt worden ist (vgl. RG, JW 1912, 861, 862; MüKoBGB/Habersack, 8. Aufl., § 801 Rn. 2; Palandt/Sprau, BGB, 80. Aufl., § 801 Rn. 1; Staudinger/Marburger, BGB [2015], § 801 Rn. 4 f.). Von dieser Möglichkeit kann der Aussteller auch in einer Inhaberschuldverschreibung Gebrauch machen, die einem ausländischen Recht unterliegen soll, aber wegen Teilfragen - hier die mit der Hypothek zusammenhängenden Fragen - auf das deutsche Sachrecht verweist. Nur, wenn der Aussteller von besonderen Regelungen dazu abgesehen hat, bestimmt sich das Erlöschen einer Forderung aus einer Inhaberschuldverschreibung nach § 801 Abs. 1 BGB. Ob sich das Erlöschen der Ansprüche des Klägers aus den Teilinhaberschuldverschreibungen nach § 801 Abs. 1 BGB richtet, hängt mithin entscheidend davon ab, dass in dem Indenture nichts Abweichendes bestimmt ist. Deshalb hat der Kläger ein berechtigtes Interesse daran, zu erfahren, ob das Indenture Sonderregelungen zur Vorlegungsfrist enthält.

15

cc) Daran ändert es nichts, dass der Senat in seinem bereits erwähnten Urteil vom 12. Dezember 2008 (V ZR 49/08, BGHZ 179, 146) davon ausgegangen ist, dass sich das Erlöschen der Forderungen aus den Inhaberschuldverschreibungen nach § 801 Abs. 1 BGB richtet. Dieser Umstand beruht auf dem Sachverhalt, der dem seinerzeitigen Urteil revisionsrechtlich zugrunde zu legen war, schließt aber nicht aus, dass das Indenture damals nicht zu berücksichtigende, aber tatsächlich vorhandene Sondervorschriften für die Vorlegung enthält.

IV.

16

Der Verstoß gegen das rechtliche Gehör des Klägers führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Hierfür weist der Senat vorsorglich zu den von dem Kläger vermuteten „Fonds“ auf folgendes hin:

17

Der Senat hatte die Parteien in dem Urteil vom 12. Dezember 2008 (V ZR 49/09, BGHZ 179, 146 Rn. 55) auf die Möglichkeit hingewiesen, das gesetzliche Erlöschen der Sicherungshypotheken für die Bonds durch Hinterlegung einer Ablösesumme nach Maßgabe von § 10 GBBerG herbeizuführen. Nach der genannten Vorschrift erlischt eine vor dem 1. Juli 1990 an einem Grundstück im Beitrittsgebiet bestellte Hypothek oder Grundschuld mit einem in Euro umgerechneten Nennbetrag von nicht mehr als 6.000 €, wenn der Eigentümer des Grundstücks eine Geldsumme zugunsten des jeweiligen Gläubigers unter Verzicht auf die Rücknahme hinterlegt hat, die dem in Euro umgerechneten und um ein Drittel erhöhten Nennbetrag der Hypothek entspricht. Es könnte sein, dass die Beteiligten von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben und mit den „Fonds“ die bei der Hinterlegungsstelle hinterlegten Beträge gemeint sind.

Stresemann

Schmidt-Räntsch

Weinland

Göbel

Haberkamp

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