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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 12.11.2015, Az.: 2 StR 104/15
Anforderungen an das Hemmungsvermögen im Rahmen der Schuldfähigkeit im Fall einer versuchten räuberischen Erpressung und gefährlicher Körperverletzung; Voraussetzungen für eine Affekttat aufgrund einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 12.11.2015
Referenz: JurionRS 2015, 32769
Aktenzeichen: 2 StR 104/15
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Hanau - 16.12.2014

Rechtsgrundlage:

§ 21 StGB

Verfahrensgegenstand:

Gefährliche Körperverletzung u.a.

BGH, 12.11.2015 - 2 StR 104/15

Redaktioneller Leitsatz:

Ein "hochgradiger Affekt" kann das Hemmungsvermögen rechtserheblich eingeschränkt haben.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 12. November 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 16. Dezember 2014 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

  2. 2.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen - an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

  3. 3.

    Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter räuberischer Erpressung und wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge teilweise Erfolg und führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die Annahme des Landgerichts, das Hemmungsvermögen des Angeklagten sei nicht erheblich im Sinne des § 21 StGB eingeschränkt gewesen, hält mit der gegebenen Begründung rechtlicher Überprüfung nicht stand. Insoweit ist in den Urteilsgründen ausgeführt:

"Der Sachverständige führte in seinem Gutachten nachvollziehbar aus, eine wahnhafte Symptomatik sei nicht festzustellen. Es bestehe wohl die Gefahr, dass sich der Angeklagte in eine kriminelle Richtung weiterentwickle. Ob sich eine krankhafte Störung entwickle, lasse sich derzeit jedoch nicht hinreichend sicher feststellen. Auszuschließen sei Entsprechendes nicht.

Zwar sei eine dissoziale Persönlichkeitsstörung festzustellen, der Schweregrad sei jedoch nicht klar, da hierbei das noch junge Alter des Angeklagten berücksichtigt werden müsse, aufgrund dessen eine Festlegung noch nicht möglich sei. Im Raum stehe eine dissoziale Persönlichkeitsstörung mit paranoiden Tendenzen.

Eine Einschränkung der Einsichtsfähigkeit hinsichtlich der Tatbegehung gehe hiermit jedoch nicht einher.

Der Sachverständige hat nachvollziehbar geschildert, aufgrund der vor dem ersten Messerstich erhaltenen Ohrfeige sei der Stich mit dem Messer psychologisch nachvollziehbar gewesen und stelle keine wahnhafte Aggressionstat dar.

Die Taten würden zwar zum Teil mit der Persönlichkeit des Angeklagten zusammenhängen, seien jedoch auch situativ bedingt. Dem hat sich die Kammer in eigener Überzeugungsbildung angeschlossen.

Der Sachverständige hat des Weiteren überzeugend geschildert, es handele sich vorliegend auch nicht um eine Affekttat aufgrund einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung. Zwar sei von einem hochgradigen Affekt auszugehen. Der Angeklagte habe trotz seiner Aufgebrachtheit jedoch konsequent und letztlich sinnvoll das getan, was er habe tun wollen. Die Sinnkontinuität sei an keiner Stelle unterbrochen. Der Sachverständige hat schlüssig ausgeführt, ein Indiz für eine Steuerungslosigkeit würde lediglich dann vorliegen, wenn der Angeklagte auch auf andere Personen eingestochen hätte; hier habe er jedoch konsequent und zielgerichtet nur auf seine direkten Gegner eingestochen. Die Kammer macht sich diese Ausführung nach erfolgter Überprüfung zu Eigen und ist davon überzeugt, dass es sich um eine Affekttat handelte, der Affekt jedoch nicht auf einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung, sondern lediglich auf dem Umstand beruhte, dass der Angeklagte durch den Erhalt der Ohrfeige gereizt wurde."

2

Diese Erwägungen tragen die Annahme voller Schuldfähigkeit nicht, denn sie sind lückenhaft. Zwar hat die sachverständig beratene Strafkammer mit tragfähiger Begründung ausgeschlossen, dass das Hemmungsvermögen des Angeklagten infolge eines hochgradigen Affekts aufgehoben war. Dazu, ob der festgestellte "hochgradige Affekt" das Hemmungsvermögen rechtserheblich eingeschränkt haben könnte, verhalten sich die Urteilsgründe nicht. Hierzu hätte jedoch Veranlassung bestanden, zumal der Angeklagte zum Tatzeitpunkt jedenfalls auch unter dem Einfluss alkoholischer Getränke gestanden hat.

3

Der Strafausspruch kann daher keinen Bestand haben. Die Sache bedarf daher insoweit, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen, neuer Verhandlung und Entscheidung. Da sich die Strafsache nur noch gegen einen Erwachsenen richtet, ist die Zuständigkeit der Jugendkammer nicht mehr gegeben.

Krehl

Eschelbach

Ott

Zeng

Bartel

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