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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 16.02.2012, Az.: 2 StR 29/12
Prüfung der Voraussetzung der Unterbringung eines drogenabhängigen Angeklagten in einer Entziehungsanstalt bei "Hang" zum Missbrauch von Betäubungsmitteln
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 16.02.2012
Referenz: JurionRS 2012, 12968
Aktenzeichen: 2 StR 29/12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Frankfurt am Main - 16.09.2011

Rechtsgrundlage:

§ 64 S. 1 StGB

Fundstelle:

NStZ-RR 2012, 202-203

Verfahrensgegenstand:

Beihilfe zum schweren Raub

BGH, 16.02.2012 - 2 StR 29/12

Redaktioneller Leitsatz:

Bei der Frage, ob die Vollstreckung einer zu verhängenden Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, schließen bei einem Drogenkonsumenten, der über einen längeren Zeitraum Straftaten als Folge einer Sucht oder eingewurzelten intensiven Neigung begangen hat, weder frühere noch erneute gleichgelagerte Delikte die Annahme einer positiven Sozialprognose ohne weiteres aus, wenn zugleich die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet wird.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 16. Februar 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16. September 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

    1. a)

      soweit eine Entscheidung über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist;

    2. b)

      im Strafausspruch.

  2. 2.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum schweren Raub zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die mit der Sachrüge geführte und auf die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkte Revision des Angeklagten. Sie führt zur Aufhebung des Urteils in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang.

2

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte der Angeklagte seit 1999 zunächst Amphetamine und schließlich Heroin, das er intravenös zu sich nahm. Nach einer erfolgreichen Therapie in einer Entziehungsanstalt von 2002 bis 2004 lebte der Angeklagte in der Folgezeit drogenfrei, bevor er im Jahr 2009 rückfällig wurde und erneut mit dem intravenösen Konsum von Heroin begann. Zur Tatzeit am 15. Januar 2011 verfügte der Angeklagte, der bereits unter einsetzenden Entzugserscheinungen litt, weder über weitere Drogen noch über die finanziellen Mittel, sich diese zu besorgen. Aufgrund seines Suchtverhaltens stand er unter dem Druck, kurzfristig Drogen konsumieren und sich die dafür erforderlichen Mittel beschaffen zu müssen (UA S. 4, 6).

3

Die Strafkammer hat eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 StGB mit dem Hinweis auf die zur Tatzeit erst einsetzenden Entzugserscheinungen abgelehnt (UA S. 6). Eine Strafaussetzung zur Bewährung hat sie dem Angeklagten versagt, weil sie aufgrund der Anzahl der Vorstrafen, die entweder der Beschaffungskriminalität zuzuordnen waren oder im berauschten Zustand begangen wurden, und der ungelösten Drogenproblematik des Angeklagten davon ausgegangen ist, dass der Angeklagte durch eine bloße Bewährungsstrafe nicht zu beeindrucken wäre (UA S. 6).

4

2. Die - grundsätzlich zulässige - Beschränkung der Revision ist vorliegend unwirksam, soweit die Nichtanwendung des § 64 StGB und der Strafausspruch vom Rechtsmittelangriff ausgenommen werden.

5

Die Entscheidung über die Gewährung der Strafaussetzung beruht hinsichtlich der anzustellenden Sozialprognose des vorliegend unter Suchtdruck handelnden Angeklagten auf denselben Gesichtspunkten wie die Täterprognose bei der Entscheidung über die Anwendung des § 64 StGB. Sind aber bestimmte Feststellungen doppelrelevant, ist eine rechtlich und tatsächlich selbständige Beurteilung der angegriffenen Entscheidung über die Versagung der Strafaussetzung nicht losgelöst von der Entscheidung über die Unterbringung nach § 64 StGB möglich (vgl. Senat, NStZ 1994, 449; OLG Köln NStZ-RR 1997, 360, 361; OLG München NStZ-RR 2009, 10, 11; Fischer StGB 59. Aufl. § 64 Rn. 29).

6

Auch der Strafausspruch kann nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen werden, da es sowohl für die Entscheidung über die Anwendung des § 64 StGB als auch für die Entscheidung über eine Strafrahmenmilderung gemäß § 21 StGB darauf ankommt, aus welchem Grunde der Angeklagte Drogen zu sich nimmt (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 1 Beschränkung 6).

7

3. Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.

8

a) Das Landgericht hat sich rechtsfehlerhaft nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob bei dem Angeklagten eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB neben der Freiheitsstrafe anzuordnen war. Die von der Strafkammer angeführten Umstände legen einen "Hang" des Angeklagten zum Missbrauch von Betäubungsmitteln im Sinne des § 64 Satz 1 StGB nahe. Im Hinblick darauf, dass der Angeklagte nach einer erfolgreichen Therapie jedenfalls fünf Jahre drogenfrei lebte, erscheint eine solche auch nicht von vornherein aussichtslos.

9

b) Die unterlassene Prüfung der Voraussetzungen des § 64 StGB führt zur Aufhebung des Urteils auch im Strafausspruch. Der Senat kann schon nicht ausschließen, dass die Freiheitsstrafe niedriger ausgefallen wäre, hätte die Strafkammer die Voraussetzungen des § 64 StGB bejaht und die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet (vgl. BGHSt 37, 5, 10; BGH NStZ 1992, 33). Denn die Unterbringung kann sich im Einzelfall wie ein zusätzliches Strafübel auswirken und deshalb Rückwirkungen auf die Bemessung der Höhe der Strafe haben (BGH StV 1994, 80), namentlich wenn sie -wie vorliegend - die Dauer der Strafe überschreiten kann.

10

4. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass bei der Frage, ob die Vollstreckung einer zu verhängenden Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, bei einem Drogenkonsumenten, der über einen längeren Zeitraum Straftaten als Folge einer Sucht oder eingewurzelten intensiven Neigung begangen hat, weder frühere noch erneute gleichgelagerte Delikte die Annahme einer positiven Sozialprognose ohne weiteres ausschließen, wenn zugleich die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet wird. Sollte eine Unterbringung nicht in Betracht kommen, wird auch zu erwägen sein, ob durch Einbindung des Angeklagten in eine geeignete Einrichtung gemäß § 56c Abs. 3 Nr. 2 StGB die Erwartungen an das künftige Verhalten des Angeklagten verbessert werden können (BGH NJW 1991, 3289, 3290; StV 1999, 601 f. [BGH 18.03.1999 - 4 StR 72/99]; OLG Düsseldorf NJW 1993, 805).

Ernemann

Appl

Berger

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