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Bundesgerichtshof
Urt. v. 20.04.2011, Az.: 2 StR 29/11
Eine erhebliche Entstellung kann bereits bei besonders großen oder markanten Narben vorliegen; Vorliegen einer erheblichen Entstellung durch besonders große oder markante Narben
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 20.04.2011
Referenz: JurionRS 2011, 17358
Aktenzeichen: 2 StR 29/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Kassel - 06.09.2010

Verfahrensgegenstand:

Versuchter Totschlag u.a.

BGH, 20.04.2011 - 2 StR 29/11

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Erheblich ist eine Entstellung nur dann, wenn sie zumindest dem Gewicht der geringsten Fälle nach § 226 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB gleichkommt.

  2. 2.

    Dies kann im Einzelfall bei besonders großen oder markanten Narben der Fall sein, ebenso bei einer Vielzahl von Narben in derselben Körperregion.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
in der Sitzung vom 20. April 2011,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer als Vorsitzender, und
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Schmitt, Dr. Berger, Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Rechtsanwalt als Vertreter des Nebenklägers,
Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 6. September 2010 - mit Ausnahme des Ausspruchs über den Adhäsionsantrag - aufgehoben

    1. a)

      im Schuldspruch hinsichtlich der Tat zum Nachteil des Nebenklägers mit den Feststellungen zum äußeren Verletzungsbild,

    2. b)

      im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

  2. 2.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und fünf Monaten verurteilt. Es hat den Angeklagten ferner verurteilt, an den Nebenkläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 12.000 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juni 2010 zu zahlen. Überdies hat es festgestellt, dass der Angeklagte verpflichtet ist, dem Nebenkläger sämtliche künftigen immateriellen Schäden zu ersetzen, die aus dem Vorfall vom 16. August 2009 in Kassel entstehen werden. Gegen den strafrechtlichen Teil dieses Urteils richtet sich die Revision des Nebenklägers, mit der dieser die Verurteilung des Angeklagten auch wegen einer tateinheitlich mit versuchtem Totschlag zu seinem Nachteil begangenen schweren Körperverletzung erstrebt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachbeschwerde Erfolg.

I.

2

Nach den Feststellungen der Strafkammer hatte der Angeklagte am Morgen des 16. August 2009 gegen 05.10 Uhr die Diskothek C. in K. verlassen, wo er Alkohol konsumiert und Cannabis geraucht hatte. Er hatte im Imbiss A. eine Mahlzeit eingenommen und sich danach zu Fuß auf den Weg nach Hause begeben. Er befand sich in einer aggressiven Grundstimmung. Unterwegs begegnete ihm der alkoholisierte Zeuge B. , von dem er sich angesprochen und beleidigt fühlte. Der Angeklagte schlug und trat diesen. Der Zeuge B. sann auf Rache, eilte zur nahe gelegenen Diskothek N. Y. , informierte dort den Nebenkläger und bewegte diesen dazu, den Angeklagten zur Rede zu stellen. Nachdem sich zwischen dem Nebenkläger und dem Angeklagten eine Schlägerei entwickelt hatte, fühlte sich der Nebenkläger unterlegen, versuchte zu fliehen, wurde aber vom Angeklagten am Kragen festgehalten und mit einem Springmesser zweimal in den linken Arm und siebenmal auf der linken Seite in den Oberkörper gestochen. Der Nebenkläger musste danach intensivmedizinisch behandelt werden; ihm wurde die Milz entfernt.

II.

3

Die Revision ist begründet. Der Nebenkläger beanstandet mit der Sachbeschwerde zu Recht, dass das Landgericht § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht erörtert hat.

4

1.

Das Landgericht hat festgestellt, dass der Nebenkläger unter anderem sieben Stichverletzungen davongetragen hat, die den Oberkörper betrafen; außerdem entstanden Operationsnarben. Insgesamt handelt es sich um "eine Vielzahl markant bleibender Narben" und "überdauernde große Narben im Oberkörperbereich".

5

Aufgrund dieser Feststellungen musste sich das Landgericht zur Erörterung der Frage gedrängt sehen, ob der Nebenkläger durch die Körperverletzung im Sinne von § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB in erheblicher Weise dauernd entstellt wurde. Erheblich ist eine Entstellung zwar nur dann, wenn sie zumindest dem Gewicht der geringsten Fälle nach § 226 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB gleichkommt (BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 1). Dies kann jedoch im Einzelfall bei besonders großen oder markanten Narben der Fall sein (BGHR StGB § 226 Abs. 1 Entstellung 2), ebenso bei einer Vielzahl von Narben in derselben Körperregion. Ob die Qualifikation der Tat auf das äußere Verletzungsbild des Nebenklägers mitsamt den Operationsnarben zutrifft, kann anhand der Urteilsgründe nicht nachgeprüft werden. Das Landgericht hat insoweit keine zur Charakterisierung der Narben ausreichenden Feststellungen getroffen. Dies wird der neue Tatrichter nachzuholen und sodann rechtlich zu beurteilen haben, ob von einer dauernden und erheblichen Entstellung des Nebenklägers auszugehen ist. Eine Bezugnahme auf Lichtbilder gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO zur Ergänzung der textlichen Tatsachenfeststellungen ist dabei zulässig.

6

2.

Mit der Aufhebung des Schuldspruchs hinsichtlich der Tat zum Nachteil des Nebenklägers entfällt die hierfür festgesetzte Einzelstrafe. Der Wegfall dieser Einsatzstrafe macht die Aufhebung der Gesamtstrafe erforderlich.

Fischer
Schmitt
Berger
Krehl
Eschelbach

Von Rechts wegen

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