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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 20.05.2010, Az.: IX ZB 121/07
Voraussetzungen für eine Vollstreckbarkeitserklärung ausländischer Urteile im Falle einer Unvereinbarkeit der ausländischen Entscheidung mit deutschem Prozessrecht
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 20.05.2010
Referenz: JurionRS 2010, 18781
Aktenzeichen: IX ZB 121/07
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Stuttgart - 20.02.2007 - AZ: 17 O 76/07

OLG Stuttgart - 04.05.2007 - AZ: 5 W 18/07

Rechtsgrundlagen:

Art. 27 Abs. 1 Nr. 1 LugÜ

Art. 54b Abs. 2 Buchst. c LugÜ

Art. 103 Abs. 1 GG

Fundstellen:

EuZW 2010, 960

IWB 2010, 620

NJW-RR 2010, 1221

NWB 2010, 2361

NWB direkt 2010, 798

WM 2010, 1522-1523

BGH, 20.05.2010 - IX ZB 121/07

Redaktioneller Leitsatz:

Werden Ausschlussfristen für die Einzahlung von Vorschüssen bei Gericht so knapp bemessen, dass deren Einhaltung unmöglich ist, und werden innerhalb der laufenden Frist beantragte Fristverlängerungen nicht gewährt, liegt eine im Prozessrecht keine Stütze findende Erschwerung vor, die einen Verstoß des ausländischen Urteils gegen den ordre public begründet.

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
durch
die Richter Prof. Dr. Kayser, Raebel,
die Richterin Lohmann,
die Richter Dr. Pape und Grupp
am 20. Mai 2010
beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners werden der Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 4. Mai 2007 und der Beschluss des Vorsitzenden der 17. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 20. Februar 2007 aufgehoben.

Der Antrag auf Vollstreckbarerklärung des Urteils des Bezirksgerichts Oberegg (Schweiz) vom 22. Januar 2004 wird abgelehnt.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens aller Instanzen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 3.000 € festgesetzt.

Gründe

1

Das Bezirksgerichts Oberegg/Schweiz verpflichtete den Antragsgegner durch Urteil vom 22. Januar 2004 (EO 65/03), an der mit den Antragstellern gemeinsamen Grundstücksgrenze stehende Bäume zu entfernen, legte ihm die Kosten des Verfahrens auf und verurteilte ihn zur Zahlung einer außeramtlichen Entschädigung und einer "Motivierung". Eine gegen dieses Urteil fristgerecht eingelegte Berufung des Antragsgegners schrieb das Kantonsgericht Appenzell-Innerrhoden/Schweiz mit Bescheid vom 7. April 2004 (KE 19/04) ab, weil der Antragsgegner einen von ihm mit einem am 8. März 2004 zugestellten Schreiben geforderten Kostenvorschuss für das Berufungsverfahren innerhalb einer Frist bis zum 10. März 2004 nicht eingezahlt hatte. Zuvor hatte es einen Fristverlängerungsantrag des Antragstellers bis zum 26. März 2004 abgelehnt. Dieser hatte den Vorschuss daraufhin bis zum Erlass des Abschreibungsbescheides auch nicht eingezahlt.

2

Mit Beschluss vom 20. Februar 2007 hat der Vorsitzende einer Zivilkammer des Landgerichts die Entscheidung des Bezirksgerichts Oberegg/ Schweiz hinsichtlich der dort festgelegten Zahlungsbeträge für vollstreckbar erklärt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg gehabt. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Antragsgegner weiterhin die Aufhebung der Vollstreckbarerklärung.

II.

3

Das gemäß § 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsmittel ist zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) und begründet.

4

1.

Auf das vorliegende Verfahren findet das Übereinkommen von Lugano Anwendung, da die Schweiz nicht Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften ist (Art. 54b Abs. 2 Buchst. c LugÜ).

5

2.

Der von dem Antragsgegner gerügte Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen ordre public, der gemäß Art. 27 Abs. 1 Nr. 1 LugÜ die Vollstreckbarerklärung der Entscheidung hindern könnte, greift durch. Für den Verstoß eines ausländischen Urteils gegen den ordre public ist maßgebend, dass das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und der in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach inländischen Vorstellungen untragbar erscheint (sogen. ordre public international - BGHZ 50, 370, 375 f; 75, 32, 43; 118, 312, 330; BGH, Urt. v. 21. Januar 1991 - II ZR 50/90, NJW 1991, 1418, 1420; Kropholler, Europäisches Zivilrecht, 8. Aufl. Art. 34 EuGVÜ Rn. 13 ff). Die Beachtung der Grundrechte gehört zum Inhalt der deutschen öffentlichen Ordnung (BGHZ 144, 390, 392 f). Diese ist verletzt, wenn eine Entscheidung unter Verstoß gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren zustande gekommen ist.

6

a)

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf der Zugang zum Gericht sowie zu den in den Verfahrensordnungen eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 40, 88, 91 [BVerfG 10.06.1975 - 2 BvR 1018/74]; 41, 23, 26; 67, 208, 212 f; 69, 381, 385; 85, 337, 347; 88, 118, 123 ff). Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei soll das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die von den Fachgerichten zu treffende Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (BVerfG NJW-RR 2004, 1150, 1151 [BVerfG 08.04.2004 - 2 BvR 743/03]).

7

b)

Eine derartige Erschwerung, die im Prozessrecht keine Stütze hat, liegt vor, wenn Ausschlussfristen für die Einzahlung von Vorschüssen derart knapp bemessen werden, dass es unmöglich ist, sie einzuhalten, und innerhalb der laufenden Frist beantragte Fristverlängerungen nicht gewährt werden. Dies ist hier der Fall. Das schweizerische Berufungsgericht hat die Frist für die Einzahlung des Kostenvorschusses für die Berufungsinstanz so knapp angesetzt, dass der Antragsgegner in verfassungsrechtlich erheblicher Weise an der Wahrnehmung seiner Rechte gehindert war. Eine nicht verlängerbare Ausschlussfrist von zwei Tagen, innerhalb derer der Vorschuss für die Durchführung eines Berufungsverfahrens im Überweisungswege über eine Post- oder Bankverbindung in der Schweiz eingezahlt werden muss, andernfalls das Verfahren "abgeschrieben" wird, ist mit dem deutschen Zivilprozessrecht schlechthin unvereinbar. Es steht deshalb der Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung entgegen, wenn es gegen diese Entscheidung im Ausland zwar eine weitere Instanz gibt, der Zugang zu dieser Rechtsmittelinstanz aber durch eine unzumutbar knapp bemessenen Frist für die Einzahlung des Vorschusses so erschwert wird, dass von einer Verletzung tragender rechtsstaatlicher Grundsätze ausgegangen werden muss. Auch wenn gegen den Bescheid des Bezirksgerichts Oberegg für sich gesehen keine durchgreifenden Einwendungen bestehen, die die Nichtanerkennung der Entscheidung rechtfertigen könnten, kann das Urteil wegen des unfairen Rechtsmittelverfahrens gegen diese Entscheidung nicht für vollstreckbar erklärt werden.

IV.

8

Die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen erfolgt nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis. Nach letzterem ist die Sache zur Endentscheidung reif. Das Rechtsbeschwerdegericht hat deshalb in der Sache selbst zu entscheiden, § 17 Abs. 2 AVAG, § 577 Abs. 5 ZPO.

Kayser
Raebel
Lohmann
Pape
Grupp

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