Rechtswörterbuch

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Wiederaufnahme des Verfahrens

 Normen 

§§ 578 ff. ZPO

§ 153 VwGO

§§ 359 ff. StPO

BT-Drs. 19/30399 (zu der Nr. 5 des § 362 StPO)

§ 179 SGG

§ 134 FGO

§ 140a GVG

 Information 

1. Allgemein

Durch die Wiederaufnahme des Verfahrens wird ein rechtskräftiges Urteil beseitigt und die Sache neu verhandelt, die Rechtskraft einer Entscheidung wird durchbrochen. Die Wiederaufnahme setzt besonders schwere Mängel im Urteil voraus.

Im Folgenden wird die Wiederaufnahme des Verfahrens in den verschiedenen Prozessarten dargestellt. Daneben bestehen in anderen Verfahrensarten weitere Wiederaufnahmeregelungen, so z.B. gemäß § 83c WPO für die Wiederaufnahme im berufsgerichtlichen Verfahren der Wirtschaftsprüfer oder gemäß § 64 WpÜG gegen einen Bußgeldbescheid bei einem Verstoß gegen das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz.

Über den Wiederaufnahmeantrag entscheidet gemäß § 140a GVG ein anderes Gericht des gleichen Rechtszuges.

2. Im Zivilprozess

Die Wiederaufnahme des Verfahrens kann bei Vorliegen der Voraussetzungen auf zwei Wegen betrieben werden:

  • bei Verfahrensfehlern im Wege der Nichtigkeitsklage gemäß § 579 ZPO

  • bei Fehlern der Entscheidungsgrundlage (Beweismittel etc.) im Wege der Restitutionsklage gemäß § 580 ZPO

Es sind drei Verfahrensabschnitte zu unterscheiden:

  1. 1.

    die Prüfung der Zulässigkeit der Wiederaufnahme

  2. 2.

    die Prüfung der Begründetheit des Wiederaufnahmegrundes

  3. 3.

    die Fortsetzung des alten Prozesses

Die Klagen sind gemäß § 586 ZPO binnen einer Notfrist von einem Monat zu erheben. Die Frist beginnt mit der Kenntnisnahme der die Wiederaufnahme begründenden Umstände, nicht jedoch vor der Rechtskraft des Urteils. Der Antrag auf Wiederaufnahme wird grundsätzlich fünf Jahre nach der Rechtskraft unstatthaft.

3. Im Ordnungswidrigkeitenverfahren

Gemäß § 85 OWiG bestimmt sich die Wiederaufnahme des Verfahrens nach den entsprechenden Vorschriften der Strafprozessordnung, soweit § 85 OWiG nichts anderes bestimmen.

4. Im Sozialprozess

Gemäß § 179 SGG bestimmt sich die Wiederaufnahme des Verfahrens nach den entsprechenden Vorschriften der Zivilprozessordnung.

5. Im Strafprozess

Die Wiederaufnahme des Verfahrens kann sowohl zu Gunsten (§ 359 StPO) als auch zu Ungunsten des Verurteilten (§ 362 StPO) erfolgen. Erforderlich ist das Vorliegen eines der im Gesetz genannten Gründe.

Im Strafrecht ist die Wiederaufnahme zu Gunsten und zu Ungunsten des Verurteilten möglich. Die im Gesetz aufgeführten Gründe sind abschließend.

Dabei wurde zum 30.12.2021 die Vorschrift dahin gehend erweitert, als dass eine Wiederaufnahme auch zulässig ist, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die allein oder in Verbindung mit früher erhobenen Beweisen dringende Gründe dafür bilden, dass der freigesprochene Angeklagte wegen Mordes, Völkermordes oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wird. Erfasst werden nur vollendete Verbrechen.

Nicht zuletzt aufgrund der weiterentwickelten wissenschaftlichen Methoden sowie der umfangreichen Nutzung der Foto- und Videofunktion der Mobiltelefone war eine Anpassung notwendig: In Fällen, in denen beispielsweise nach dem Freispruch eine Filmaufzeichnung von der Tat auftaucht oder eine DNA-Analyse, die aufgrund des fehlenden wissenschaftlichen Erkenntnisstands zum Zeitpunkt des Freispruchs nicht berücksichtigt werden konnte, den eindeutigen Nachweis der Täterschaft erlaubt, blieb es nach vorher geltermdem Recht beim rechtskräftigen Freispruch, sofern der Freigesprochene kein Geständnis ablegte (§ 362 Nr. 4 StPO).

Aber: Aktuelle Rechtsprechung des BVerfG:

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG 31.10.2023 - 2 BvR 900/22) hat entschieden, dass § 362 Nr. 5 StPO, nach dem die Wiederaufnahme des Verfahrens zulässig ist, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht werden, die allein oder in Verbindung mit früher erhobenen Beweisen dringende Gründe dafür bilden, dass der freigesprochene Angeklagte wegen der in der Norm genannten schweren Straftaten verurteilt wird, mit dem Mehrfachverfolgungsverbot des Art. 103 Abs. 3 GG und dem Rückwirkungsverbot Art. 103 Abs. 3 GG i.B.m. Art. 20 Abs. 3 GG unvereinbar und nichtig ist. 

6. Im Finanzprozess

Gemäß § 134 FGO bestimmt sich die Wiederaufnahme des Verfahrens nach den entsprechenden Vorschriften der Zivilprozessordnung.

7. Im Verwaltungsprozess

Gemäß § 153 VwGO bestimmt sich die Wiederaufnahme des Verfahrens nach den entsprechenden Vorschriften der Zivilprozessordnung.

 Siehe auch 

Rechtskraft

Durchbrechung der Rechtskraft

Wiedereinsetzung im Verwaltungsverfahren

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Hellebrand: Rückgängigmachung einer Gesamtstrafenbildung mittels Wiederaufnahme des Verfahrens; Neue Zeitschrift für Strafrecht - NStZ 2004, 64

Schiffbauer: "Unerträglich" als valides Argument des Gesetzgebers? Aktuelle Normsetzung und das Konzept des Rechts; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2021, 2097

Singelnstein: Die Erweiterung der Wiederaufnahme zuungunsten des Freigesprochenen; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2022, 1058