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Unionsbürgerschaft

 Normen 

Art. 20 AEUV

VO 492/2011

 Information 

1. Wesen der Unionsbürgerschaft

Unionsbürger ist gemäß Art. 20 AEUV wer die Staatsangehörigkeit eines EU-Mitgliedstaats besitzt. Die Rechte und Pflichten der Bürger und Bürgerinnen der Europäischen Union sind in Art. 23 AEUV festgelegt.

Bei der Unionsbürgerschaft handelt es sich nicht um eine Staatsbürgerschaft, vielmehr wird die nationale Staatsbürgerschaft durch die Unionsbürgerschaft ergänzt. Die Unionsbürgerschaft ist aber auch insofern nicht mit der Staatsbürgerschaft vergleichbar, da sie nicht in gleicher Weise Rechte und Pflichten begründet, sie ist immer an die Staatsangehörigkeit zu einem Mitgliedsstaat geknüpft.

Die Unionsbürgerschaft versteht sich als echte europäische Bürgerschaft, die eine Reihe von Rechten und Pflichten für die Bürger der Union einschließt. Die Rechte und Pflichten der Bürger und Bürgerinnen der Europäischen Union sind in Art. 23 AEUV festgelegt. Unionsbürger dürfen nicht diskriminiert werden (Art. 18 AEUV).

Die Unionsbürgerschaft soll vor allem die politische Partizipation der Bürger gewährleisten und so die Diskrepanz zwischen der immer größer werdenden Betroffenheit der EU-Bürger durch die Maßnahmen der EU auf der einen Seite und der sich fast ausschließlich auf nationalstaatlicher Ebene vollziehenden Gewährleistung von Rechten und Pflichten und Teilnahme an den demokratischen Prozessen beseitigen helfen.

2. Rechte der Unionsbürger

2.1 Allgemein

Aus der Unionsbürgerschaft ergeben sich u.a. folgende Rechte:

  • Das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (auf die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit kommt es dabei nicht an!).

    Unzulässig sind Maßnahmen eines EU-Mitgliedstaats, die bewirken, dass den Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird. Nach dem Urteil EuGH 08.03.2011 C-34/09 liegt eine derartige Auswirkung vor, "wenn einer einem Drittstaat angehörenden Person in dem Mitgliedstaat des Wohnsitzes ihrer minderjährigen Kinder, die diesem Mitgliedstaat angehören und denen sie Unterhalt gewährt, der Aufenthalt und eine Arbeitserlaubnis verweigert werden."

  • Das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament und bei den Kommunalwahlen im Wohnsitzstaat.

  • Das Recht auf Zugang zu den Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission.

  • Das Recht, den Bürgerbeauftragten der Union im Fall von Missständen bei der Tätigkeit der Organe und Einrichtungen der Europäischen Union zu befassen (mit Ausnahme des Gerichtshofs und des Gerichts der Europäischen Union in Ausübung ihrer Rechtsprechungsbefugnisse).

  • Das Recht eine Petition an das Europäische Parlament zu richten.

2.2 Bezug von Sozialleistungen

Den Bezug von Sozialleistungen für EU-Bürger betreffend ist folgende Rechtsprechung ergangen:

  • Deutschland darf arbeitslosen Zuwanderern aus EU-Staaten das Bürgergeld (vormals Arbeitslosengeld II) verweigern, auch wenn sie bereits eine gewisse Zeit hierzulande gearbeitet haben. Der Ausschluss dieser Sozialleistung in § 7 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist europarechtskonform (EuGH 15.09.2015 - C 67/14). Dies gilt auch für die dreimonatige Wartezeit für nachgezogene Familienangehörige (EuGH 25.02.2016 - C 299/14).

  • Das Bundessozialgericht hat jedoch geurteilt, dass EU-Ausländer gemäß § 23 SGB XII spätestens nach einem Aufenthalt von sechs Monaten in Deutschland einen Anspruch auf Sozialhilfe haben (BSG 03.12.2015 - B 4 AS 59/13). Aber: Das Sozialgericht Berlin (SG Berlin 11.12.2015 - S 149 AS 7191/13) hat sich dieser Ansicht nicht angeschlossen: Ein EU-Bürger, der in Deutschland nur ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche hat, hat weder Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ("Hartz IV") noch auf Sozialhilfe.

Zum 29.12.2016 ist § 7 SGB II daher wie folgt geändert worden:

Im SGB II wird daran festgehalten, dass Unionsbürger mit einem Freizügigkeitsrecht insbesondere als Erwerbstätige Leistungen nach dem SGB II erhalten. Daneben bleibt der grundsätzliche Leistungsausschluss für Unionsbürger, die allein ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche haben, bestehen. Zusätzlich werden die Leistungsausschlüsse - entsprechend der bisherigen Auslegung des Gesetzes - ergänzt und damit klargestellt, dass nicht erwerbstätige Personen ohne materielles Freizügigkeits- oder Aufenthaltsrecht "erst recht" von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind.

Ausgeschlossen sind weiterhin Personen, deren Aufenthaltsrecht sich unmittelbar oder abgeleitet von ihren Kindern nur aus dem Recht zum allgemeinen Schul- oder Ausbildungsbesuch. Der Leistungsausschluss gilt damit sowohl für erwerbsfähige Schüler selbst als auch für ihre Eltern, die ihr Aufenthaltsrecht nur von ihren Kindern ableiten, und für die übrigen zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Familienangehörigen.

Die Leistungsausschlüsse führen wie bislang nicht dazu, dass ein Anspruch auf Wohngeld, das als Zuschuss zur Miete beziehungsweise Belastung für Haushalte mit geringen Einkommen konzipiert ist, entsteht.

Abweichend hiervon kommen für die von den Leistungsausschüssen nach § 7 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfassten Personen und ihre Familienangehörigen nun erstmals unter bestimmten Voraussetzungen auch Leistungen nach dem SGB II in Betracht (vergleiche § 7 Absatz 1 Satz 4 und 5 SGB II - neu). Dies ist allerdings erst nach fünf Jahren der Fall, erst ab diesem Zeitpunkt ist von einer Verfestigung des Aufenthaltes auszugehen. Die Verfestigung tritt nicht ein oder entfällt, wenn Unionsbürger zur Ausreise verpflichtet sind, weil die Ausländerbehörde den Verlust des Freizügigkeitsrechts festgestellt hat. Bis zum Ablauf von fünf Jahren oder - wenn der Verlust des Freizügigkeitsrechts festgestellt wurde - auch nach Ablauf von fünf Jahren, sind auch die in § 7 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II genannten erwerbsfähigen Ausländer und ihre Familienangehörigen dem Leistungssystem des SGB XII zugewiesen, in dem ihnen aber nur ein Anspruch auf eine zeitlich beschränkte Überbrückungsleistung zusteht. Diese zielt in erster Linie darauf ab, den Lebensunterhalt bis zur Ausreise zu sichern und gegebenenfalls auf Antrag die Ausreise - durch die darlehensweise Gewährung der Reisekosten - zu ermöglichen. Den betroffenen Personen ist die Rückreise in das jeweilige Heimatland gefahrlos möglich und zumutbar. Die Leistungsausschlüsse erfassen auch Drittstaatsangehörige.

Die Neuregelung berücksichtigt, dass die Situation von Unionsbürgern, einerseits sowie Asylbewerbern andererseits nicht vergleichbar ist. Unionsbürgern stehen andere Möglichkeiten der Selbsthilfe offen, als dies für Asylbewerber der Fall ist. Während Leistungsberechtigte nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oftmals nicht ohne möglicherweise drohende Gefahren (etwa durch Verfolgung) in ihr Heimatland zurückkehren können, ist dies Unionsbürgern gefahrlos möglich und zumutbar. Die betroffenen Personen können in ihren Heimatstaaten ohne Gefahr für Leib und Leben wohnen und existenzsichernde Unterstützungsleistungen erlangen, da in der EU soziale Mindeststandards bestehen, auf die sich die Mitgliedstaaten geeinigt haben. Nach Artikel 13 der Europäischen Sozialcharta haben sich die Vertragsparteien verpflichtet, sicherzustellen , dass jedem, der nicht über ausreichende Mittel verfügt und sich diese auch nicht selbst oder von anderen verschaffen kann, ausreichende Unterstützung im Heimatland gewährt wird. Daneben besteht ein uneingeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt.

Ist allerdings abzusehen, dass ausländische erwerbsfähige Personen ohne materielles Freizügigkeits- oder Aufenthaltsrecht dauerhaft oder jedenfalls für einen längeren Zeitraum in Deutschland verbleiben werden und damit eine Verfestigung des Aufenthaltes eintritt, soll für sie - sofern sie erwerbsfähig sind - nach fünf Jahren das Leistungsrecht des SGB II uneingeschränkt gelten. Dann stehen ihnen und ihren Familienmitgliedern bei Hilfebedürftigkeit Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld II) zu. Dazu gehören im SGB II nicht nur die "passiven" Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, sondern auch aktivierende Maßnahmen einschließlich der Sanktionsregelungen. Von einem längeren verfestigten Aufenthalt in Deutschland ist nach Ablauf eines gewöhnlichen Aufenthalts von mindestens fünf Jahren ab Meldung bei der Meldebehörde auszugehen.

Unwesentliche Unterbrechungen des Aufenthalts in Deutschland - zum Beispiel ein kurzer Heimatbesuch - sind nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/10211) dagegen unschädlich. Bei wesentlichen Unterbrechungen beginnt die 5-Jahres-Frist neu zu laufen. Bei Personen, die zum Zeitpunkt ihrer Ausreise nach ausreisepflichtig waren, führt jede Wiedereinreise zu einem Neubeginn der 5-Jahresfrist, unabhängig von der Dauer der Unterbrechung. Ein solcher tatsächlich verfestigter Aufenthalt hat keine Auswirkung auf die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts; insbesondere folgt daraus kein materielles Freizügigkeits- oder Aufenthaltsrecht im Sinne des Europa- oder Ausländerrechts.

Der Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II besteht unabhängig von einem etwaigen Vorbezug von Leistungen nach dem SGB XII.

Sozialleistungen für EU-Ausländer während der Elternzeit:

"Erziehende in Elternzeit, deren Arbeitsverhältnis nach nationalem Recht ruht, sind als Arbeitnehmer im Sinne des Unionsrechts nicht von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen" (BSG 09.03.2022 - B 7/14 AS 91/20 R).

 Siehe auch 

Amsterdamer Vertrag

Aufenthaltsrecht für EU-Angehörige

EU-Grundrechtecharta

Europäische Bürgerinitiative

Europäische Union

Freizügigkeit in der EU

Maastrichter Vertrag

Petition

Unionsbürger - elektronischer Identitätsnachweis

EuGH 08.03.2011 C-34/09 (Aufenthaltserlaubnis für Eltern minderjähriger Unionsbürger)

EuGH 15.03.2005 - C 209/03 (Anspruch von Unionsbürgern auf Studentendarlehen)

Hailbronner: Ruiz Zambrano - Die Entdeckung des Kernbereichs der Unionsbürgerschaft - Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2011, 2008

Jarass: Bedeutung der EU-Rechtsschutzgewährleistung für nationale und EU-Gerichte; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2011, 1393

Kubicki: Die subjektivrechtliche Komponente der Unionsbürgerschaft; Europa und Recht - EuR 2006; 489

Thym: Die Rückkehr des "Marktbürgers" - Zum Ausschluss nichterwerbsfähiger EU-Bürger von Hartz-IV-Leistungen; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2015, 130