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Jugendgerichtsgesetz (JGG)

 Normen 

JGG

RL 2016/800

BT-Drs. 19/13837 (zu den am 17.12.2019 in Kraft getretenen Änderungen)

BT-Drs. 19/23707 (zu den am 01.07.2021 in Kraft getretenen Änderungen des § 37 JGG)

Jugendarrestvollzugsgesetze der Länder

 Information 

1. Anwendung des JGG

Das Jugendgerichtsgesetz findet Anwendung bei strafrechtlichen Verfehlungen Jugendlicher oder Heranwachsender: Jugendlicher ist gemäß § 1 JGG, wer zur Zeit der Tat 14, aber noch nicht 18, Heranwachsender, wer zur Zeit der Tat 18, aber noch nicht 21 Jahre alt ist.

In § 1 Abs. 3 JGG besteht eine Regelung zur Klärung von Zweifelsfällen: Ist zweifelhaft, ob der Beschuldigte zur Zeit der Tat das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, sind die für Jugendliche geltenden Verfahrensvorschriften anzuwenden.

Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/13837) wird durch den Zweifelssatz aber nicht ausgeschlossen, dass zunächst zulässige und angemessene Untersuchungen zur Beseitigung des Zweifels vorgenommen werden. Den Vorgaben des Erwägungsgrunds 13 der Richtlinie 2016/800 entsprechend, wird dabei eine körperliche Untersuchung im Sinne der §§ 81a, 81b StPO zur Bestimmung des Alters zulässig sein, wenn dessen Bestimmung auf andere Weise erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich aufwendiger wäre und die körperliche Untersuchung nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Rechtsfolge steht.

Gemäß § 2 JGG soll die Anwendung des Jugendstrafrechts erneuten Straftaten des Jugendlichen bzw. Heranwachsenden entgegenwirken. Daher sind das Verfahren und die Rechtsfolgen an dem Erziehungsgedanken auszurichten.

Bei Straftaten Heranwachsender ist das JGG unter den Voraussetzungen und Einschränkungen des § 105 JGG anwendbar. Die strafrechtliche Verantwortung eines Jugendlichen bestimmt sich nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung.

2. Besonderheit des JGG

Da das JGG vom Erziehungsgedanken (Erziehung statt Strafe) geprägt ist, enthält es umfangreiche Erziehungsmaßregeln. Daneben unterliegen die Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft und die Einstellung des Verfahrens durch den Richter gemäß § 45 JGG besonderen Voraussetzungen.

3. Ermittlungsverfahren

Der Jugendliche / Heranwachsende hat grundsätzlich auch gegen den Willen seiner Eltern das Recht zur freien Wahl eines Strafverteidigers. Die Eltern können aber nicht gegen ihren Willen zur Übernahme der dadurch entstehenden Kosten verpflichtet werden. Bei Vorliegen der in § 68 JGG genannten Voraussetzungen wird ein Pflichtverteidiger bestellt. In § 68a JGG wird der Zeitpunkt der Bestellung eines Pflichtverteidigers bestimmt.

Bei der Vernehmung sind die Vorgaben des § 136a StPO zum Schutze des Jugendlichen / Heranwachsenden besonderes zu beachten. Die Voraussetzungen von Vernehmungen und Gegenüberstellungen vor der Bestellung eines Pflichtverteidigers sind seit dem 17.12.2019 in dem neuen § 68b JGG geregelt.

4. Untersuchungshaft

Bei der Anordnung der Untersuchungshaft gegen den Jugendlichen / Heranwachsenden bestehen gemäß § 72 JGG u.a. folgende Besonderheiten:

5. Qualifikation der Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte

Mit der Ergänzung des § 37 JGG wurden zum 01.07.2021 die besonderen fachliche Qualifikationsanforderungen, die neben der erzieherischen Befähigung und der Erfahrung in der Jugenderziehung (jetzt Absatz 1 Satz 1) an Jugendrichter sowie Jugendstaatsanwälte grundsätzlich zu stellen sind, nun ausdrücklich im Gesetz geregelt.

Der neue Satz 2 reduziert die weiten Interpretationsspielräume erheblich, die Gerichtspräsidien und Behördenleitungen bei Besetzungs- oder Bestellungsentscheidungen zuvor mitunter wahrgenommen haben. Verlangt werden Kenntnisse auf den Gebieten der Kriminologie, Pädagogik und Sozialpädagogik sowie der Jugendpsychologie.

6. Hauptverhandlung

Die Hauptverhandlung ist gemäß § 48 Abs. 1 JGG nicht öffentlich. In § 48 Abs. 2 JGG sind die Personen aufgeführt, denen ein Anwesenheitsrecht zusteht. Das Anwesenheitsrecht des Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertreters des minderjährigen Angeklagten ergibt sich aus § 67 Abs. 1 JGG.

Das Recht, Erziehungsberechtigte und gesetzliche Vertreter des minderjährigen Angeklagten von der Hauptverhandlung ausschließen, ergibt sich aus § 51 Abs. 2 - 5 JGG.

§ 51 Abs. 6 JGG enthält die Regelungen zur Anwesenheit eines anderen geeigneten Erwachsenen, wenn den Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertretern die Anwesenheit in der Hauptverhandlung versagt wird. Wann eine Person ein "geeigneter Erwachsener" ist, wird in der Richtlinie nicht ausdrücklich festgelegt. Als Auslegungshilfe kann insoweit aber auf Erwägungsgrund 55 der Richtlinie 2013/48/EU zurückgegriffen werden, in dem als Zielrichtung der dort geregelten Informationspflicht der Schutz der Interessen und des Wohlergehens der betroffenen Jugendlichen deutlich wird. Dabei muss es sich auch hier um eine für den Schutz der Interessen des Jugendlichen geeignete volljährige Person handeln.

In der Hauptverhandlung trägt der Vertreter der Jugendgerichtshilfe seine Stellungnahme über die Persönlichkeit, die Entwicklung und die Umwelt des Beschuldigten sowie der zu ergreifenden Maßnahmen (Leistungen der Jugendhilfe) vor.

7. Jugendgerichtliche Sanktionsmöglichkeiten

Siehe insofern den Beitrag "Jugendgerichtliche Sanktionsmöglichkeiten".

8. Strafvollzug

Für den Strafvollzug eines zu einer Freiheitsstrafe verurteilten Jugendlichen oder Heranwachsenden gilt gemäß § 91 JGG Folgendes:

  • Die Jugendstrafe wird grundsätzlich in Jugendstrafanstalten vollzogen.

  • An einem Verurteilten, der das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat und sich nicht für den Jugendstrafvollzug eignet, braucht die Strafe nicht in der Jugendstrafanstalt vollzogen zu werden. Jugendstrafe, die nicht in der Jugendstrafanstalt vollzogen wird, wird nach den Vorschriften des Strafvollzugs für Erwachsene vollzogen.

Mit dem Urteil BVerfG 31.05.2006 - 2 BvR 1673/04 hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Jugendstrafvollzug bzw. eingreifende Maßnahmen im Jugendstrafvollzug eine eigene gesetzliche Grundlage erfordern und der Gesetzgeber diese schaffen muss.

Die einzelnen Bundesländer haben eigene Jugendarrestvollzugsgesetze erlassen bzw. diese sind in der Entwicklung.

In der Zuständigkeit der Bundesgesetzgebung ist gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG weiterhin der gerichtliche Rechtsschutz geblieben (gerichtliches Verfahren).

 Siehe auch 

Einstellung des Strafverfahrens

Ermittlungsverfahren

Hauptverhandlung

Heranwachsender

Jugendgerichtshilfe

Täter-Opfer-Ausgleich

BVerfG 16.01.2003 - 2 BvR 716/01 (Beteiligung der Eltern im Jugendstrafverfahren)

Bockemühl: Handbuch des Fachanwalts Strafrecht; 7. Auflage 2017

Grunewald: Die besondere Bedeutung des Erziehungsgedankens im Jugendstrafverfahren; NJW 2003, 1995

Wabnitz/Schleicher/Fieseler: Gemeinschaftskommentar zum Kinder- und Jugendhilferecht (GK-SGB VIII); Loseblatt